OGH 4Ob571/94

OGH4Ob571/948.11.1994

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes HonProf.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek, Dr.Niederreiter, Dr.Redl und Dr.Griß als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr.Ilse L***** vertreten durch Dr.Otto Kern und Dr.Wulf Kern, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Friedrich L*****, vertreten durch Dr.Raimund Hora, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung, infolge Revision des Beklagten gegen die Entscheidung des Landesgerichtes Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 22.Juni 1994, R 185/94-40, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Wiener Neustadt vom 30.Dezember 1993, 1 C 176/92i-32, in der Hauptsache bestätigt, im Kostenpunkt aber abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie wie folgt zu lauten haben:

"Die zwischen der Klägerin Dr.Ilse Maria L***** und dem Beklagten Friedrich Ludwig L***** am 2.***** vor dem Standesamt W***** geschlossene Ehe, eingetragen im Familienbuch unter der Nummer *****, wird aus dem gleichteiligten Verschulden der Parteien mit der Wirkung geschieden, daß sie mit Eintritt der Rechtskraft dieses Urteiles aufgelöst ist.

Die Kosten werden gegeneinander aufgehoben."

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile haben am 2.***** vor dem Standesamt W***** die Ehe geschlossen. Für beide Teile war es die erste Ehe. Beide sind österreichische Staatsbürger.

1979 adoptierten die Streitteile den am 4.***** geborenen F*****;

1981 den am 29.***** geborenen P*****. 1984 ließ sich die Klägerin als praktische Ärztin in T*****, dem Wohnort der Streitteile, nieder;

der Beklagte war ab 1985 maßgeblich an der Gründung der Firma R***** beteiligt. Der Beklagte fuhr frühmorgens nach Wien zur Arbeit und kehrte oft erst spätabends zurück. Sein dadurch erzieltes hohes Einkommen ermöglichte es den Streitteilen, zusätzlich zu ihrem Haus in T***** ein Wochenendhaus am N***** zu erwerben. Dort verbrachten die Streitteile einen Teil ihres Sommerurlaubes; insgesamt machten sie jährlich etwa neun bis zehn Wochen Urlaub.

1983/1984 nahm die Klägerin eine intime Beziehung zu Dr.Franz S***** auf. Als der Beklagte die beiden in einer eindeutigen Situation überraschte, war er so erschüttert, daß er zu seinen Eltern zog und sich scheiden lassen wollte. Auf Ersuchen der Klägerin nahm er die eheliche Lebensgemeinschaft jedoch wieder auf.

Wegen der großen beruflichen Belastung des Beklagten kam es zwischen den Streitteilen wiederholt zu Meinungsverschiedenheiten. Die Klägerin wollte, daß der Beklagte sich mehr der Familie widme. Das lehnte der Beklagte mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit ab, die für den komfortablen Lebensstil der Familie notwendigen Mittel zu beschaffen. 1987 kam es zu einer weiteren Ehekrise. Der Beklagte nahm kurzfristig eine Beziehung zu einer anderen Frau auf; nach einer Aussprache söhnten sich die Streitteile wieder aus.

Auch in der Folge kam es jedoch immer wieder zu Auseinandersetzungen, weil die Klägerin nicht damit einverstanden war, daß der Beklagte für seine Arbeit soviel Zeit aufwandte. Er fuhr weiterhin frühmorgens nach Wien zur Arbeit. Meistens kam er erst gegen 20 Uhr nach Hause; ein- bis zweimal in der Woche wurde es auch später, wenn der Beklagte an Besprechungen teilnehmen mußte. Die Klägerin zeigte sich an der Tätigkeit des Beklagten nicht sehr interessiert; sie nahm an Firmenveranstaltungen nur selten teil. Den Beklagten störte das mangelnde Interesse der Klägerin. Sie war auch Bekannten des Beklagten gegenüber fallweise abweisend, so daß diese den Kontakt zu den Streitteilen einschränkten.

Im Zuge der immer wieder auftretenden Schwierigkeiten verweigerte sich die Klägerin wiederholt dem Beklagten. Der Beklagte kündigte an, allenfalls sogar Prostituierte aufsuchen zu wollen, um die von ihm benötigten Zärtlichkeiten zu erhalten. Er führte sein Vorhaben auch fallweise aus.

1991 gestaltete sich das Zusammenleben der Streitteile immer schwieriger. Grund dafür waren die in der Vergangenheit von beiden Teilen eingegangenen außerehelichen Beziehungen, das fehlende Verständnis der Klägerin für die beruflichen Probleme und Angelegenheiten des Beklagten und dessen mangelnde Bereitschaft, sich intensiver der Familie zu widmen. Der Beklagte war durch die Schwierigkeiten der Firma R***** noch stärker von seiner Arbeit in Anspruch genommen. Im Herbst 1991 entschloß sich der Beklagte, während der Woche in Wien zu bleiben und nur die Wochenenden zu Hause zu verbringen, um die Belastung seiner Familie durch seine beruflichen Probleme zu mindern.

Im Herbst 1991 lernte der Beklagte Barbara K***** kennen, mit der er Ende 1991 intime Beziehungen aufnahm. Zu Beginn des Jahres 1992 verließ der Beklagte die Ehewohnung in T*****; im Laufe des Jahres 1992 ging er "faktisch" eine Lebensgemeinschaft mit Barbara K***** ein. Im Mai 1992 erklärte der Beklagte der Klägerin, nie mehr zu ihr zurückkehren zu wollen, weil er eine andere Frau gefunden habe, mit der er in Zukunft leben wolle.

Nach dieser Unterredung lernte die Klägerin Mag.Werner S***** näher kennen, mit dem sie seither wiederholt zusammengetroffen ist. Das Erstgericht konnte nicht feststellen, daß die beiden intime Beziehungen aufgenommen hätten.

Die Klägerin begehrt die Scheidung der mit dem Beklagten geschlossenen Ehe aus dessen Verschulden.

Der Beklagte habe die Klägerin bereits vor vier Jahren wegen einer anderen Frau verlassen, nach zwei Monaten sei er aber wieder zur Klägerin zurückgekehrt. Nun habe er die Klägerin trotz ihrer Bitten, mit ihr wieder eine normale Ehe zu führen, wegen einer neuen Freundin endgültig verlassen. Die Klägerin sei vor sieben Jahren in einer Trotzreaktion eine Beziehung zu Dr.Franz S***** eingegangen, weil ihr der Beklagte erzählt habe, daß er die Dienste von Prostituierten in Anspruch genommen habe. Der Beklagte habe durch sein Verhalten die Ehe derart tief zerrüttet, daß die Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht mehr möglich sei. Der Beklagte habe die Scheidung vorgeschlagen, jedoch keinen Unterhalt angeboten. Damit sei die Klägerin nicht einverstanden, weil sie monatlich durchschnittlich S 35.000 netto verdiene, der Beklagte aber ein monatliches Nettoeinkommen von mindestens S 200.000 habe.

Der Beklagte beantragt, das Klagebegehren abzuweisen; in eventu die Ehe aus dem überwiegenden Verschulden der Klägerin zu scheiden.

Die Klägerin habe als erste schon 1985 die Ehe gebrochen. Sie habe den Beklagten schikaniert, ihm Szenen gemacht, weil er angeblich zu viel gearbeitet habe, und sich ihm gegenüber außerordentlich kalt und abweisend verhalten. Auch in den Jahren 1988 bis 1991 habe die Klägerin mehrmals die Ehe gebrochen. Im Sommer 1991 habe die Klägerin in einer Aussprache vorgeschlagen, daß der Beklagte ausziehen solle. Zu diesem Zeitpunkt sei die Ehe bereits zerrüttet gewesen. Die angeblichen Eheverfehlungen des Beklagten seien verjährt. Die Angaben der Klägerin über das Einkommen des Beklagten seien völlig unrealistisch.

Das Erstgericht schied die Ehe aus dem überwiegenden Verschulden des Beklagten. Es sprach der Klägerin die Hälfte ihrer Kosten zu.

Den Beklagten treffe das überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe, weil die Aufnahme ehebrecherischer Beziehungen als schwerste Eheverfehlung zu werten sei.

Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes in der Hauptsache; im Kostenpunkt gab es der Berufung der Klägerin teilweise Folge. Das Berufungsgericht sprach aus, daß die Revision nicht zulässig sei.

Bei der Verschuldensabwägung seien auch verziehene Eheverfehlungen zu berücksichtigen. Der Ehebruch der Klägerin könne daher nicht außer Betracht bleiben. Die Klägerin habe auch dadurch eine Eheverfehlung begangen, daß sie sich dem Beklagten verweigert habe. Ob dies auch für ihr mangelndes Verständnis für die beruflichen Angelegenheiten und Probleme des Beklagten zutreffe, könne dahingestellt bleiben. Die Annahme eines Verschuldens der Klägerin an der Zerrüttung der Ehe sei jedenfalls gerechtfertigt. Es komme aber nicht darauf an, wie intensiv die Beziehung sei, welche die Klägerin zu Mag.Werner S***** eingegangen sei. Der Beklagte könne dieses Verhalten der Klägerin nicht als ehezerstörend empfunden haben, weil er ihr bereits vorher erklärt habe, daß er die Scheidung wolle. Der Ausspruch überwiegenden Verschuldens des Beklagten sei gerechtfertigt, weil seine Beziehung zu Barbara K***** zur endgültigen Zerrüttung der Ehe geführt habe. Die Klägerin habe Anspruch auf Ersatz von drei Viertel ihrer Kosten.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung gerichtete außerordentliche Revision des Beklagten ist zulässig und berechtigt.

Nach ständiger Rechtsprechung soll nur das erheblich schwerere Verschulden eines Teiles im Scheidungsurteil zum Ausdruck kommen (EFSlg 54.471; 60.252; 66.447 uva); der Unterschied muß offenkundig und augenscheinlich hervortreten (EFSlg 60.251; 60.253; 66.444; 66.445; 69.265 uva): Ein Ausspruch überwiegenden Verschuldens ist nur gerechtfertigt, wenn das mindere Verschulden fast völlig in den Hintergrund tritt (EFSlg 60.249; 63.465; 66.443; 69.266 uva); das überwiegende Verschulden steht ja grundsätzlich (zB §§ 63, 64, 66 EheG) dem Alleinverschulden gleich. Auch nur ungefähr gleiches Verschulden führt zum Ausspruch gleichteiligen Verschuldens (EFSlg 57.233; 60.250 uva). Bei der Abwägung des beiderseitigen Verschuldens ist vor allem zu berücksichtigen, wer mit der schuldhaften Zerstörung der Ehe begonnen hat (EFSlg 60.246; 60.257; 63.439 uva). Bei der Beurteilung des Verschuldens sind alle Umstände zu berücksichtigen und in ihrer Gesamtheit gegenüberzustellen. Dabei ist auch auf verziehene oder verfristete Eheverfehlungen Bedacht zu nehmen (EFSlg 51.657; 54.468; 63.457 uva). Auch ein Ehebruch muß nicht immer zum überwiegenden Verschulden führen (EFSlg 57.222 mwN; Pichler in Rummel, ABGB2 § 60 EheG Rz 2 mwN).

Werden diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall angewandt, so kann die Auffassung der Vorinstanzen, daß den Beklagten das überwiegende Verschulden treffe, nicht geteilt werden:

Die Klägerin hat 1983/84 mit einem Ehebruch die erste Eheverfehlung begangen. In der Folge hat sich das Fehlverhalten der Streitteile etwa die Waage gehalten: Der Beklagte hat sich der Familie nicht in dem Maß gewidmet, in dem es die Klägerin wünschte; die Klägerin hat für die berufliche Tätigkeit des Beklagten wenig Verständnis gezeigt. Durch die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Firma R***** hat sich dieser Zustand auf beiden Seiten verschlimmert. 1987 nahm der Beklagte kurzfristig eine Beziehung zu einer anderen Frau auf; nach der Versöhnung hat sich die Klägerin dem Beklagten wiederholt verweigert. 1991 gestaltete sich das Zusammenleben der Streitteile immer schwieriger; einerseits bedingt durch den von beiden Streitteilen begangenen Ehebruch, andererseits infolge des - durch die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Firma R***** noch verstärkte - berufliche Überlastung des Beklagten und das mangelnde Verständnis der Klägerin. Noch bevor sich der Beklagte mit Barbara K***** anfreundete, kam er nur noch am Wochenende in die Ehewochnung nach T*****; die übrige Zeit verbrachte er in Wien, seine Beziehung zu Barbara K***** hat den Beklagten schließlich veranlaßt, sich von der Klägerin endgültig zu trennen.

Den Vorinstanzen ist zwar zuzugeben, daß der Ehebruch als schwerste Verfehlung gegen die eheliche Treuepflicht zu werten ist (EFSlg 51.652) und daß die ehebrecherische Beziehung des Beklagten zu Barbara K***** die Ehe endgültig scheitern ließ; es ist jedoch zu berücksichtigen, daß es die Klägerin war, die als erste die Ehe gebrochen hat. Würdigt man das Gesamtverhalten beider Ehepartner, so tritt das Verschulden der Klägerin nicht weitgehend in den Hintergrund. Sie hat nicht nur die erste schwerwiegende Eheverfehlung gesetzt, sondern durch ihr mangelndes Verständnis für die beruflichen Probleme des Beklagten auch ganz entscheidend dazu beigetragen, daß sich die Streitteile immer mehr entfremdet haben. Bei dieser Sachlage ist das Verschulden der Streitteile nicht so ungleich zu bewerten, daß das mindere Verschulden der Klägerin neben dem Verschulden des Beklagten fast völlig in den Hintergrund tritt. Es war daher auszusprechen, daß die Ehe aus dem gleichteiligen Schulden der Streitteile geschieden wird.

Der Revision war Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 43 Abs 1, § 50 ZPO. Da die Ehe aus gleichteiligem Verschulden geschieden wurde, waren die Kosten gegeneinander aufzuheben.

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