Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 16.340,40 (darin S 2.723,40 USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung
Die klagende Partei begehrt die Zahlung von Lit 53,403.600,-- für Warenlieferungen und stützt die Zuständigkeit des Erstgerichtes auf den Gerichtsstand des Erfüllungsortes, insbesondere aber auf den Fakturengerichtsstand. Gleichzeitig mit der jeweiligen Ware seien die Fakturen mit dem Vermerk "entsprechend unseren Lieferbedingungen zahlbar und klagbar in Wels" übersendet worden.
Die beklagte Partei bestritt und erhob die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges sowie der örtlichen Unzuständigkeit und - im Ergebnis - auch der mangelnden inländischen Gerichtsbarkeit. Der den Fakturengerichtsstand begründende Vermerk sei nur in deutscher Sprache abgefaßt, der die klagende Partei nicht mächtig sei.
Das Erstgericht faßte nach abgesonderter mündlicher Verhandlung über die erhobenen Einreden den Beschluß, daß der streitige Rechtsweg zulässig sei und bejahte seine Zuständigkeit unter Zugrundelegung der folgenden Feststellungen:
Am 1. und 8.10.1980 schloß die klagende Partei mit Dr.Ing.P***** einen Handelsvertretervertrag über den Vertrieb von Produkten der Klägerin in Italien. In der ersten Hälfte der Achtzigerjahre gründete Dr.P***** die beklagte Partei, eine Kapitalgesellschaft, die in der Folge zumindest seit 1985 die Produkte der klagenden Partei auf eigene Rechnung kaufte und in Italien verkaufte. Über diese ständige Geschäftsbeziehung wurde zwischen den Streitteilen kein gesonderter schriftlicher Vertrag geschlossen. Die klagende Partei lieferte der beklagten Partei im ersten Halbjahr 1991 Waren nach Italien, denen sie die jeweilige Rechnung mit dem nur in deutscher Sprache abgefaßten Vermerk "zahlbar und klagbar in Wels" beilegte. Weiters sandte die klagende Partei der beklagten Partei über deren Bestellung stets eine Auftragsbestätigung, in der nur in deutscher Sprache auf die "umseitigen Lieferbedingungen" hingewiesen wurde, deren Punkt 16 lautet: "Erfüllungsort und Gerichtsstand: Für diesen Vertrag sind die Bestimmungen des österreichischen Rechtes maßgeblich. Erfüllungsort und Gerichtsstand für alle aus dem Vertragsverhältnis entstehenden Ansprüche ist Wels. Der Verkäufer ist jedoch berechtigt, seine Ansprüche an dem allgemeinen Gerichtsstand des Käufers geltend zu machen."
Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, daß es bei grenzüberschreitenden Warenlieferungen schon wegen der Verzollung notwendig sei, einer Warensendung eine Faktura beizulegen, die Absendung der Faktura gleichzeitig mit der Ware sei daher glaubhaft. Beide Parteien seien Formkaufleute, sodaß gemäß § 88 Abs 2 JN die inländische Zuständigkeit sowie auch die Zuständigkeit des Landesgerichtes Wels gegeben sei.
Aus Anlaß des Rekurses der beklagten Partei, in welchem nur die örtliche Zuständigkeit des Erstgerichtes bekämpft wurde, hob das Rekursgericht den erstgerichtlichen Beschluß und das Verfahren wegen Mangels der inländischen Gerichtsbarkeit auf und wies die Klage zurück.
Die inländische Gerichtsbarkeit sei vor der Zuständigkeit zu prüfen. In den letzten beiden Jahrzehnten hätten sich die Fälle mit Auslandsberührung gehäuft, was auch zu einer Neufassung des § 28 JN geführt habe. Die neuere Judikatur stütze sich auf die "Indikationentheorie", nach welcher die inländische Gerichtsbarkeit zunächst zwar indiziert sei, wenn ein gesetzlicher Tatbestand der örtlichen Zuständigkeit erfüllt sei. Dies erspare aber nicht die weitere Prüfung, ob die durch den vorliegenden Gerichtsstand repräsentierte Inlandsbeziehung auch insgesamt für die Bejahung des inländischen Justizbedürfnisses ausreiche. Die inländische Gerichtsbarkeit in Zivilsachen bestehe für alle Rechtssachen, die durch positiv-gesetzliche Anordnung, durch völkerrechtliche Regeln oder zufolge eines durch die inländischen Verfahrensordnungen anerkannten Anknüpfungspunktes an das Inland vor die österreichischen Gerichte verwiesen seien. Wenn jedoch zwar ein inländischer Gerichtsstand vorliege, eine hinreichende Nahebeziehung zum Inland aber fehle, sei trotzdem die inländische Gerichtsbarkeit zu verneinen. Das Erstgericht habe die inländische Gerichtsbarkeit allein aufgrund des Fakturengerichtsstandes angenommen. Ob § 88 Abs 2 JN tatsächlich anzunehmen sei oder nicht, könne dahingestellt bleiben, weil nach den dargelegten Grundsätzen zum Fakturengerichtsstand noch eine weitere Nahebeziehung zum Inland erforderlich sei. Hiezu reichten die Lieferung österreichischer Waren eines österreichischen Unternehmers nicht aus. Der Gerichtsstand nach § 88 Abs 2 JN werde vom Gesetzgeber als Sonderfall des Gerichtsstandes des Erfüllungsortes behandelt und durch einseitige Erklärung des Lieferanten einer Ware begründet, der in einer spätestens mit der Ware übersendeten Faktura den Vermerk aufnehme, daß die Zahlung an einem bestimmten Ort zu leisten sei und an diesem Ort auch die Klagen aus diesem Geschäft angebracht werden könnten. Es werde sich daher beim Fakturengerichtsstand typischerweise um die Lieferung österreichischer Waren von einem österreichischen Unternehmen handeln. Eine darüber hinausgehende weitere ausreichende Inlandsbeziehung werde dadurch nicht begründet. Die Tendenzen in den Fragen der internationalen Zuständigkeit seien unter Einbeziehung Österreichs im Lugano-Übereinkommen festgelegt worden. Der Fakturengerichtsstand sei darin nicht vorgesehen. Auch wenn dieses Abkommen auf die vorliegende Klage keine Anwendung finde, wäre eine Entscheidung in dubio pro § 88 Abs 2 JN ein Schritt zurück in der notwendigen Annäherung an ein einheitliches Europarecht. Die inländische Gerichtsbarkeit sei daher zu verneinen.
Das Rekursgericht sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil eine oberstgerichtliche Rechtsprechung zu der Frage, ob ein in ordnungsgemäßer Form angebrachter Vermerk eines inländischen Lieferanten im Sinne des § 88 Abs 2 JN für sich allein schon die inländische Gerichtsbarkeit begründe, nicht bestehe.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt.
Die inländische Gerichtsbarkeit im Sinne der internationalen Zuständigkeit ist eine selbständige allgemeine Prozeßvoraussetzung. Ihr Vorliegen ist ausschließlich nach dem innerstaatlichen Verfahrensrecht, zu welchem aber vor allem auch die aus völkerrechtlichen Verträgen in das innerstaatliche Recht aufgenommenen Normen zu zählen sind, zu beurteilen. Derzeit fehlt es für vermögensrechtliche Streitigkeiten an positiv-gesetzlichen Regelungen über die Voraussetzungen, unter denen solche Streitigkeiten mit sachlichen und persönlichen Auslandsbeziehungen von den inländischen Gerichten zu entscheiden sind. Im Anwendungsbereich des Lugano-Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, dem eine Vielzahl europäischer Staaten beigetreten ist, wird diese Lücke geschlossen. Die österreichische Regierung hat dieses Übereinkommen bereits unterzeichnet; nach den jüngsten Entwicklungen darf angenommen werden, daß die Ratifizierung in Kürze erfolgen wird. Der erkennende Senat hat bereits in seiner Entscheidung SZ 65/141 = EvBl 1993/93 darauf hingewiesen, daß für die Bejahung der inländischen Zuständigkeit besonders berücksichtigungswürdige Inlandsbeziehungen des Verfahrensgegenstandes oder der Parteien erforderlich sind. Dies gebietet nicht nur eine sinnvolle Beschränkung der staatlichen Aufgaben aus organisatorischen und Kostengründen, sondern auch die Rücksichtnahme auf die Akzeptanz der typischerweise Angehörige ausländischer Staaten betreffenden innerstaatlichen Regelungen durch diese ausländischen Staaten, nicht zuletzt, um mögliche Retorsionen, von denen Inländer betroffen würden, zu vermeiden. In diesem Zusammenhang können auch Regelungen ausländischer Rechtsordnungen zur Lückenfüllung und zur Gewichtung einzelner Tatbestandselemente sowie zur Bestimmung der Lösungstendenzen auch die Regelungen in Völkerrechtsverträgen (Lugano-Übereinkommen), die Österreich bereits unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert hat, herangezogen werden. In diesem Übereinkommen drückt sich zur Wahrung der Interessen des Beklagten die überragende Bedeutung des allgemeinen Gerichtsstandes aus (Art 2). Klägergerichtsstände sind nur in besonderen, eingeschränkten Fällen zulässig, sodaß auch vor Inkrafttreten des Übereinkommens für den österreichischen Rechtsbereich Ausnahmen von diesem Grundsatz nur aus überwiegendem Interesse des Klägers und im Zweifel nur eingeschränkt gemacht werden sollen. Denn ab Inkrafttreten kommt den Zuständigkeitsvorschriften des Übereinkommens der Vorrang vor dem autonomen Recht zu. Die Zuständigkeitsvoraussetzungen sind im Abkommen abschließend geregelt (Kropholler, Europäisches Zivilprozeßrecht, Rz 15 vor Art 2). Nach Art 5 Z 1 (1.Fall) kann eine Person, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet des Vertragsstaates hat, in einem anderen Vertragsstaat verklagt werden, wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre, wobei sich der Erfüllungsort nach dem Recht bestimmt, das nach Kollisionsnormen des mit dem Rechtsstreit befaßten Rechtes für die strittige Verpflichtung maßgebend ist (Kropholler aaO Rz 12 zu Art 5). Dies bedeutet, daß im vorliegenden Fall gemäß § 36 IPRG zur Bestimmung des Erfüllungsortes österreichisches Recht anzuwenden wäre und die eingeklagte Geldschuld im Ausland zu erfüllen wäre. Der Erfüllungsort kann auch durch vertragliche Vereinbarung der Parteien festgelegt werden. Eine bloß einseitige Erklärung des Lieferanten in der mit der Ware übersendeten Faktura, daß die Zahlung an einem bestimmten Ort zu leisten ist und an diesem Ort auch die Klage aus diesem Geschäft angebracht werden könne, ohne daß es auf eine Kenntnisnahme ankäme, stellt noch keine vertragliche Vereinbarung dar. Aus dem Stillschweigen des Empfängers kann im vorliegenden Fall umsoweniger eine Zustimmung angenommen werden, als die Gerichtsstandklausel nicht wie die übrigen Teile der Faktura und die Korrespondenz aus der laufenden Geschäftsverbindung in der von den Parteien benützten Geschäftssprache, sondern auschließlich in deutscher Sprache angebracht wurde.
Die Lieferung von Waren durch einen österreichischen Exporteur in das Ausland stellt für sich allein noch keine ausreichende Inlandsbeziehung zur Begründung der inländischen Gerichtsbarkeit dar. Sie wird aber unter Berücksichtigung auch der völkerrechtlichen Normen zur Lückenfüllung im Interesse der notwendigen Annäherung an ein einheitliches europäisches Verfahrensrecht auch durch das Vorliegen eines Fakturengerichtsstandes nach § 88 Abs 2 JN - ebensowenig wie eines Gerichtsstandes für Warenforderungen der Kaufleute nach § 87a JN (vgl. 6 Ob 548/94) - nicht in ausreichender Weise verstärkt, weil das Vorliegen weiterer bloß rein formaler Voraussetzungen, nämlich bestimmte Urkunden und deren Übermittlung, keinen zusätzlichen Inlandsbezug darstellt (vgl hiezu auch die Entscheidung JBl 1991, 393, in welcher die Frage, ob der Fakturengerichtsstand für sich allein schon eine ausreichende Indizwirkung habe, noch offengelassen wurde, die aber unter Zitat von Hoyer, ZfRV 1983, 59 (64) eine ausreichende Inlandsbeziehung schon in Zweifel zieht).
Das Rekursgericht hat die internationale Zuständigkeit daher zutreffend verneint.
Der Ausspruch über die Kosten der Revisionsrekursbeantwortung beruht auf §§ 41 und 50 ZPO.
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