Spruch:
Der Revision wird nicht stattgegeben.
Die Klägerin ist schuldig, dem Beklagten die mit 2.436,48 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten an Umsatzsteuer .406,08 S) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Ein - damals 50 Jahre alter - Schneider hatte von der damaligen Eigentümerin eines städtischen Wohnhauses eine Zimmer-Küche-Wohnung mit einer Nutzfläche von knapp mehr als 30 m2 zu Wohnzwecken auf unbestimmte Zeit in Bestand genommen und bis zu seiner Festnahme am 21. März 1990 ständig bewohnt.
Im Zuge des gegen ihn wegen Verdachtes des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen eingeleiteten Strafverfahrens wurde über den Mieter am 23. März 1990 die Untersuchungshaft verhängt.
Bereits fünf Wochen nach der Inhaftierung des Mieters kündigte die Kommanditgesellschaft, die nunmehr - aufgrund eines Kaufvertrages vom 12. April 1990 erst seit dem Jahr 1991 - Liegenschaftseigentümerin ist, dem Mieter das Mietverhältnis zum 30.Juni 1990 gerichtlich auf. Als Kündigungsgründe zitierte die Klägerin § 30 Abs 2 Z 3 und 6 MRG und führte zunächst nur den zweitgenannten Grund mit der Behauptung aus, daß der Beklagte die aufgekündigte Wohnung nicht zur Deckung seines dringenden Wohnbedürfnisses benütze. Im Zuge des Rechtsstreites ergänzte die Klägerin ihr Vorbringen zum Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 6 MRG durch die Behauptung, die Wohnung stünde schon längere Zeit leer. Zum Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 3 MRG führte die Klägerin im Zuge des Rechtsstreites aus, der Beklagte sei wegen eines Sittlichkeitsdeliktes in Haft.
Der über die Aufkündigung ergangene Gerichtsbeschluß wurde dem inhaftierten Mieter am 8.Mai 1990 unter der Anschrift der aufgekündigten Wohnung im Wege postamtlicher Hinterlegung zuzustellen versucht.
Der im Verfahren erster Instanz durch seine geschiedene Ehefrau vertretene Beklagte wendete lediglich sein aufrechtes Wohnbedürfnis an der aufgekündigten Wohnung ein und wies dazu darauf hin, daß er nur durch die über ihn verhängte Untersuchungshaft an der Bewohnung des aufgekündigten Bestandobjektes verhindert wäre.
Mit strafgerichtlichem Urteil vom 14.Mai 1991 wurde der Beklagte des Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt (anläßlich seiner Festnahme vom 21.März 1990) schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von sieben Monaten verurteilt, auf die die Vorhaft angerechnet wurde. Er blieb aber weiterhin wegen des ausgeschiedenen Unzuchtsfaktums in Haft. Mit einem weiteren strafgerichtlichen Erkenntnis vom 24.September 1991 wurde der Beklagte schließlich des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen schuldig erkannt und über ihn eine Zusatzstrafe in der Dauer von zwei Jahren und fünf Monaten verhängt, auf die die restliche Vorhaft angerechnet wurde. Die Strafhaft endete am 19.März 1993.
In der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 24.Februar 1993 schloß das Prozeßgericht seine Verhandlung gemäß § 193 Abs 3 ZPO, um das Einlangen der Strafakten abzuwarten.
Das Prozeßgericht erster Instanz hob mit seinem am 29.Juli 1993 gefällten Urteil die Aufkündigung als rechtsunwirksam auf und wies das auf sie gegründete Räumungsbegehren ab.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung.
Dazu sprach es aus, daß eine Revisionszulässigkeitsvoraussetzung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO wegen einer nicht als einheitlich erkannten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Beachtlichkeit von Umständen, die nach dem sogenannten Kündigungszeitpunkt eingetreten sind, vorliege.
Beide Vorinstanzen erachteten den - im Rechtsmittelverfahren allein aufrecht erhaltenen - Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 6 MRG als nicht erfüllt, weil der Beklagte trotz seiner haftbedingten Abwesenheit von der Mietwohnung ein schutzwürdiges Interesse an der Aufrechterhaltung des Mietverhältnisses - im maßgeblichen Zeitpunkt der Zustellung der Aufkündigung - nicht verloren gehabt habe und auch aus der Sicht im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz davon auszugehen gewesen sei, daß der Beklagte (nach dem damals unmittelbar bevorstehenden Strafende) die Mietwohnung wieder bewohnen werde.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, aber nicht berechtigt.
Die Aufkündigung eines Dauerschuldverhältnisses wie einer Wohnungsmiete ist eine empfangsbedürftige Rechtsgestaltungserklärung, deren Wirksamkeit nach den Verhältnissen zur Zeit des Zuganges der Erklärung an den Erklärungsgegner zu beurteilen ist. Das gilt uneingeschränkt auch für eine gerichtliche Aufkündigung, deren Besonderheit vor allem darin zu sehen ist, daß einerseits mit ihr die Schaffung eines Exekutionstitels für den sich aus der Beendigung des Bestandverhältnisses ergebenden Räumungsanspruch begehrt wird und daß andererseits (im Falle der Erhebung von Einwendungen) über die Berechtigung der konkreten Aufkündigung und des aus ihr abgeleiteten Räumungsanspruches gerichtlich zu entscheiden ist.
Aus diesem im materiellen Recht gegründeten Gesichtspunkt ist das Vorliegen eines die Kündigung rechtfertigenden Grundes - und aller sonstigen Wirksamkeitsvoraussetzungen der Rechtsgeschäftserklärung - nach den im Zeitpunkt des Zuganges der Kündigungserklärung an den Kündigungsgegner gegebenen Verhältnissen zu beurteilen.
Das sogenannte Nachschieben von Kündigungsgründen, die in der Aufkündigung nicht genannt und ausgeführt wurden, ist im Falle der gerichtlichen Aufkündigung eines kündigungsgeschützten Mietverhältnisses nach § 33 Abs 1 Satz 2, zweiter Halbsatz MRG ausdrücklich für unbeachtlich erklärt.
Die Kündigungsgründe sind kurz auszuführen, das heißt auf einen konkreten Sachverhalt zu stützen.
Ein sich erst nach dem Zugang der Kündigung an den Kündigungsgegner erfüllender Sachverhalt, mag er auch denselben Kündigungstatbestand erfüllen, der in der Kündigung ausgeführt wurde, vermöchte eine voreilige Aufkündigung nicht im nachhinein zu rechtfertigen. Neue Tatsachen, die lediglich zur Gewichtung der beiderseitigen Interessenlagen unter dem Gesichtspunkt des konkret als Kündigungsgrund geltend gemachten Sachverhaltes heranzuziehen sind, könnten für die Rechtfertigung der Aufkündigung beachtlich sein. Es wäre aber unzulässig, eine bloß auf Verdacht einer künftigen Entwicklung ausgesprochene Aufkündigung nachträglich damit rechtfertigen zu wollen, daß die im Zeitpunkt der Zustellung der Kündigung an den Kündigungsgegner noch völlig ungewisse Erfüllung des Kündigungsgrundes durch Zeitablauf oder sonstige Umstände in einem späteren Zeitpunkt tatsächlich erfolgte. In einem solchen Fall bedürfte es vielmehr nach dem Vorliegen aller Tatsachenelemente des Kündigungsgrundes einer neuerlichen, regelmäßig erst zu einem späteren Zeitpunkt möglichen Aufkündigung (die Aufrechterhaltung der ersten Kündigung, die sich für den Kündigungszeitpunkt als unberechtigt erweist, wäre ungenügend).
In dem zur Entscheidung vorliegenden Fall war der Wohnungsmieter im Zeitpunkt der Zustellung der Aufkündigung erst wenige Wochen in Untersuchungshaft, ohne daß die kündigende Partei die objektiv zu begründende Wahrscheinlichkeit dargetan hätte, daß der Mieter länger als bloß vorübergehend durch seine Haft an der Benützung der gemieteten Wohnung verhindert sein würde.
Das ist entscheidend.
Die Aufkündigung erweist sich als voreilig. Der einzige im Rechtsmittelverfahren aufrechterhaltene Kündigungsgrund im Sinne des § 30 Abs 2 Z 6 MRG war im Zeitpunkt der Zustellung der Aufkündigung an den Beklagten nicht erfüllt.
Die Vorinstanzen haben die Aufkündigung aus dieser Erwägung zu Recht als rechtsunwirksam erklärt und das auf die Aufkündigung gegründete Räumungsbegehren abgewiesen.
Der Revision war ein Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.
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