Spruch:
Der Antrag der klagenden Parteien, gemäß Art.89 Abs.2, 140 Abs.1 B-VG die Bestimmung des Art 140 Abs.7 B-VG beim Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig anzufechten, wird zurückgewiesen.
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Text
Entscheidungsgründe:
Rechtliche Beurteilung
Die Parteien des Zivil- und Strafverfahrens sind nach ständiger Rechtsprechung nicht befugt, zu begehren, daß der Oberste Gerichtshof beim Verfassungsgerichtshof den Antrag auf Aufhebung eines Gesetzes wegen Verfassungswidrigkeit stellt. Ein derartiger Antrag ist daher zurückzuweisen (ImmZ 1985, 174; 9 ObA 286/89).
Das Berufungsgericht hat die Anwendbarkeit des § 25 KO auf den gegenständlichen Sachverhalt trotz Aufhebung dieser Bestimmung durch den Verfassungsgerichtshof zutreffend im Sinne des Art.140 Abs.7 B-VG bejaht, sodaß es ausreicht, gemäß § 48 ASGG auf dessen auch im übrigen zutreffende rechtliche Beurteilung zu verweisen. Ergänzend ist auszuführen:
Gemäß § 140 Abs.1 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit eines Bundes- oder Landesgesetzes unter anderem auf Antrag des Obersten Gerichtshofes oder - sofern der Verfassungsgerichtshof ein solches Gesetz in einer anhängigen Rechtssache anzuwenden hätte - von Amts wegen. Ein das Gesetz wegen Verfassungswidrigkeit aufhebendes Erkenntnis wirkt außer in den als Anlaßfall qualifizierten Rechtsfällen vom Tage des Wirksamkeitsbeginnes der Aufhebung an für die Zukunft. Die aufgehobene Gesetzesbestimmung ist weiterhin von Gerichten und Verwaltungsbehörden auf alle jene Sachverhalte anzuwenden, die vor dem Wirksamkeitsbeginn der Aufhebung liegen (VfSlg 6442 mwH; 10 ObS 104/92; Walter/Mayer, Grundriß7 Rdz 1149). Bis zum Ablauf der vom Verfassungsgerichtshof für das Inkrafttreten der Aufhebung gesetzten Frist ist das Gesetz unangreifbar geworden. Auch der Verfassungsgerichtshof ist an sein Erkenntnis gebunden; die von ihm aufgehobene Gesetzesstelle kann nicht neuerlich Gegenstand eines Gesetzesprüfungsverfahrens sein (VfSlg 6442; 7719).
Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 1.Juli 1993, G 15, 16, 80, 96/93, wurde § 25 KO RGBl Nr.337/1914 idF der Novelle BGBl Nr.370/1982 mit Wirkung vom 30.Juni 1994 als verfassungswidrig aufgehoben. Es ist unstrittig, daß die Klagebegehren der Kläger, die auf einen von den Vorinstanzen unter Hinweis auf § 25 KO verneinten Anspruch auf Kündigungsentschädigung gestützt werden, und damit diese Rechtssachen keinen sogenannten "Anlaßfall" (vgl VfSlg 6442; 10 ObS 104/92) darstellen. Auch haben sich die anspruchsbegründenden Sachverhalte vor Wirksamkeitsbeginn der Gesetzesaufhebung ereignet. Das vorstehend zitierte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs ist daher für die klagsgegenständlichen Sachverhalte ohne Wirksamkeit. Die rechtliche Beurteilung hatte daher unter Anwendung des § 25 KO zu erfolgen.
Dem stehen auch nicht die von den Revisionswerbern vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken entgegen. Es ist zwar zutreffend, daß die Lehre (Groiss/Schantl/Welan, Betrachtungen zur Verfassungsgerichtsbarkeit ÖJZ 1976, 253; Walter/Mayer, Grundriß7 Rdz 1132) die Tatsache, daß der Verfassungsgerichtshof verfassungswidrige Gesetze nur mit Wirkung ex nunc oder für die Zukunft aufheben kann und somit diese Gesetze in dem bereits beschriebenen Umfang weiter anzuwenden sind, als im Lichte des Art.13 MRK bedenklich ansieht. Abgesehen davon, daß diese Bedenken wohl nur als Appell an den Gesetzgeber angesehen werden können, legen Lehre (Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar 301; Ermacora/Nowak/Tretter, Die Europäische Menschenrechtskonvention in der Rechtsprechung der österreichischen Höchstgerichte 531) und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (ÖJZ 1992, 378 mwH) Art.13 MRK, der den in Konventionsrechten Verletzten das Recht einräumt, eine wirksame Beschwerde bei einer nationalen Instanz einzulegen, dahin aus, daß dadurch nicht die Pflicht statuiert werde, eine effektive Rechtsbehelfsmöglichkeit gegen den Gesetzgeber einzuführen.
Die neuere Lehre (vgl. Öhlinger, Verfassungsgesetzgebung und Verfassungsgerichtsbarkeit ÖJZ 1990, 2) sieht die Möglichkeit, daß auch Bundesverfassungsgesetze vom Verfassungsgerichtshof überprüft und gegebenenfalls als verfassungswidrig aufgehoben werden können. Dies wird daraus abgeleitet, daß die Bundesverfassung aus mehreren "Schichten" besteht. Einfache Verfassungsgesetze (Verfassungsbestimmungen) dürfen die verfassungsrechtliche Grundordnung (Grundprinzipien), bei deren Veränderung eine "Gesamtänderung" der Bundesverfassung vorliegt, nicht ändern (Walter/Mayer, Grundriß7 Rdz 1153). Es kommt dabei entscheidend auf den Inhalt der zu beurteilenden bundesverfassungsrechtlichen Regelung an. Selbst wenn diese von grundlegender Bedeutung ist, aber nicht in jene tiefen Schichten des verfassungserchtlichen Systems hineinreicht, in denen die fundamentalen Entscheidungen für den liberalen Rechtsstaat, die Demokratie, die republikanische Staatsform, die Bundesstaatlichkeit und die Gewaltentrennung beheimatet sind, kann nicht von der Gefahr einer Gesamtänderung im Sinn des Art.44 Abs.3 B-VG und damit von einer Anfechtbarkeit vor dem Verfassungsgerichtshof gesprochen werden (Adamovich/Funk, Österreichisches Verfassungsrecht3, 102). Daß die Bestimmung des § 140 Abs.7 B-VG über die Weiteranwendung von als verfassungswidrig aufgehobenen Gesetzen die Grundprinzipien der Verfassung angreife, kann zweifelsohne nicht gesagt werden. Es bestehen daher auch unter dem Blickwinkel der vorzitierten Lehre keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des Art.140 Abs.7 B-VG.
Der Revision war demnach ein Erfolg zu versagen.
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