OGH 15Os152/94

OGH15Os152/9425.10.1994

Der Oberste Gerichtshof hat am 25.Oktober 1994 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Rouschal und Dr.Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Wieland als Schriftführer, in der bei dem Bezirksgericht Innere Stadt Wien zum AZ 12 U 1361/93 anhängigen Strafsache gegen Inge H***** und einen anderen wegen des Vergehens des Verstrickungsbruches nach § 271 StGB über die Grundrechtsbeschwerde der Beschuldigten Inge H***** gegen den Beschluß (Vorführungsbefehl) des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 4.Juli 1994, AZ 12 U 1361/93, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

1) Durch den Vorführungsbefehl des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 4.Juli 1994, AZ 12 U 1361/93, ON 1 S 4 bzw ON 19, wurde Inge H***** im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt.

Gemäß § 8 GRBG wird dem Bund der Ersatz der mit 9.600 S (davon 1.600 S USt) bestimmten Beschwerdekosten auferlegt.

2) Über den auf § 2 Abs 1 lit a StEG gestützten zusätzlichen Antrag der Beschuldigten wird gemäß § 6 Abs 1 StEG das Landesgericht für Strafsachen Wien zu erkennen haben.

Text

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Gegen Inge H***** (und nunmehr auch gegen einen weiteren Beschuldigten) ist beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien ein Strafverfahren wegen des Vergehens des Verstrickungsbruches nach § 271 StGB anhängig. Zu der für den 29.Juni 1994 anberaumten Hauptverhandlung wurde sie - nach der Aktenlage - unter Verwendung des StPOForm Lad 3 geladen. Trotz ausgewiesener Ladung blieb sie dieser Hauptverhandlung fern, jedoch erschien Wilhelm J*****, der unter Hinweis auf eine ihm erteilte und bei Gericht erliegende Vollmacht angab, für die Beschuldigte, die sich auf Punkt 2 der Belehrung in der Beschuldigtenladung berufe, als Machthaber einzuschreiten. Wilhelm J***** wurde als Machthaber wegen Fehlens einer Machthabervollmacht gemäß § 455 Abs 2 StPO nicht zugelassen und im Protokoll festgehalten, daß ihm sowohl von einem Rechtspraktikanten als auch vom Richter bereits vor der Hauptverhandlung mitgeteilt worden sei, daß er als Machthaber nicht zugelassen werden könne und die Beschuldigte persönlich zu erscheinen habe.

Sodann erging der Beschluß auf Vertagung der Hauptverhandlung zwecks Vorführung der Beschuldigten.

In einer am 1.Juli 1994 beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien eingelangten Eingabe (ON 12) ersuchte die Beschuldigte unter anderem unter Hinweis auf die Rechtsbelehrung in der Ladung für den 29.Juni 1994 und auf ihre Vertretung "durch einen Machthaber" um Auskunft, nach welcher gesetzlichen Bestimmung sie zur nächsten Hauptverhandlung vorgeführt werden solle.

Ungeachtet dessen wurde am 4.Juli 1994 der verfahrensgegenständliche - keinerlei Begründung enthaltende - Vorführungsbefehl erlassen und Inge H***** zu der für den 8.September 1994, 11.30 Uhr, anberaumten Hauptverhandlung vorgeführt (ON 19). Sie wurde inhaltlich des Berichtes des Bezirkspolizeikommissariats Simmering und der Amtsbestätigung (S 84) zum Zweck der Vorführung von 11 Uhr bis 11 Uhr 51 in faktischem polizeilichem Gewahrsam gehalten.

Gegen den Vorführungsbefehl erhob Inge H***** Grundrechtsbeschwerde, mit welcher sie einen Antrag auf strafrechtliche Entschädigung (ersichtlich nach § 2 Abs 1 lit a StEG) verband.

Die Grundrechtsbeschwerde ist zulässig (§ 1 Abs 1 GRBG), weil eine Beschwerde (§ 481 StPO) der Beschuldigten gegen den ihr (laut AS 84) erst anläßlich ihrer Vorführung zugestellten Befehl in Anbetracht der bereits erfolgten Durchführung der richterlichen Anordnung zurückzuweisen gewesen wäre, sohin im Instanzenzug weder Abhilfe durch eine Sachentscheidung noch wenigstens die Feststellung der Grundrechtsverletzung zu erreichen gewesen wäre (vgl Justizausschußbericht zum GRBG, 852 Bl NR 18.GP, 4); die bloße Angabe des Zweckes der prozeßleitenden Verfügung der Vertagung einer Hauptverhandlung stellt für sich keine anfechtbare Verfügung dar.

Die Grundrechtsbeschwerde ist aber auch berechtigt, weil die Vorführung angeordnet wurde, obwohl die Beschuldigte (laut S 3 unten, 87 a) zur vorangegangenen Hauptverhandlung am 29.Juni 1994, welcher sie ferngeblieben war, weder unter Aufforderung zum persönlichen Erscheinen (§§ 455 Abs 2, 459 StPO) noch unter Androhung der Vorführung (§ 221 Abs 1 iVm § 447 StPO) gehörig geladen worden war (vgl 13 Os 89/76). Die formlose - zudem nicht mit der Vorführungsandrohung verbundene - Mitteilung des Gerichtes an den als Machthaber nicht zugelassenen Wilhelm J*****, daß die Beschuldigte persönlich zu erscheinen habe (S 48 oben), würde auch im Falle rechtzeitiger Weitergabe dieser Information an die Beschuldigte (S 48 vorletzter Absatz) den Anforderungen der §§ 79 und 80 StPO nicht gerecht und ist daher nicht als gehörig bekanntgemachte Ergänzung der Ladung der Beschuldigten zur für den 29.Juni 1994 anberaumten Hauptverhandlung anzusehen.

Sohin war in Stattgebung der Beschwerde - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - die Grundrechtsverletzung festzustellen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 8 GRBG.

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