OGH 10ObS238/94

OGH10ObS238/9425.10.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Ehmayr als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr.Günther Schön (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Rudolf Randus (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Walter K. G*****, Pensionist, ***** vertreten durch Dr.Hans Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, wegen Alterspension, infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20.Juli 1994, GZ 31 Rs 96/94-23, womit der Beschluß des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 1.Juni 1994, GZ 14 Cgs 760/92-19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden Beschluß gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Der Kläger, der in K*****, *****, Kanada, wohnt, war in erster Instanz nicht vertreten. Obwohl er die Klage am 3.11.1992 in K***** per Luftpost aufgab, langte sie erst am 11.11.1992 beim Erstgericht ein. Die in Wien am 12.5.1993 per Luftpost aufgegebene Ladung zur Tagsatzung vom 26.5.1993 wurde dem Kläger in seinem Wohnort am 18.5.1993 zugestellt. Der am Zustelltag zurückgeschickte internationale Rückschein langte am 24.5.1993 beim Erstgericht ein. Das in Wien am 14.7.1993 per Luftpost aufgegebene erstgerichtliche Urteil wurde dem Kläger in K***** am 16.(19).7.1993 zugestellt. Die Rücksendung des internationalen Rückscheines dauerte bis 26.7.1993. Eine vom Kläger selbst verfaßte, am 26.7.1993 in seinem Wohnort per Luftpost an das Erstgericht aufgegebene Berufung langte am 3.8.1993 in Wien ein. Sie wurde durch einen am 13.8.1993 beim Erstgericht überreichten Schriftsatz eines durch eine schriftliche Vollmacht vom 26.7.1993 ausgewiesenen Arbeitnehmers der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien verbessert. Bei dieser Vollmacht handelt es sich um eine allgemeine, uneingeschränkte Vollmacht, auch Prozeßvollmacht, die ausdrücklich ua auch zur Entgegennahme behördlicher Schriftstücke, zur Unterfertigung und Einbringung von Rechtsmitteln aller Art und zur Übertragung der Vollmacht nach eigener Wahl, Erteilung einer Untervollmacht und "überhaupt dazu berechtigt, alles vorzukehren, was in der Angelegenheit des Klägers nach der Einsicht des Bevollmächtigten nötig und nützlich erachtet wird". Das Urteil des Berufungsgerichtes, mit dem der Berufung des Klägers nicht Folge gegeben wurde, wurde seinem Vertreter am 23.3.1994 zugestellt. Nach dem Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag leitete der nach § 40 Abs 1 ASGG (nur) zur Vertretung vor den Gerichten erster und zweiter Instanz qualifizierte Vertreter die ihm zugestellte Ausfertigung des Berufungsurteils am 24.3.1994 dem Kläger "eingeschrieben expreß! mit Luftpost!" mit dem Bemerken weiter, daß die Erhebung einer Revision kaum Aussicht auf Erfolg habe, die vierwöchige Revisionsfrist am 23.3.1994 zu laufen begonnen habe und die allfällige Revision nach der beiliegenden Rechtsmittelbelehrung von einem in Österreich zugelassenen Rechtsanwalt zu unterschreiben sei. Da bis 20.4.1994 kurz vor Dienstschluß keine weitere Information des Klägers bei dem genannten Vertreter eingegangen sei, habe dieser (bis dahin) keine Vermittlung eines Rechtsanwaltes veranlaßt. Erst kurz vor Dienstschluß (16.00 Uhr) dieses Tages sei bei der Kammer mit der letzten Post ein Schreiben des Klägers mit einer ausführlichen Darlegung seines Standpunktes eingelangt. (Das mit 13.4.1994 datierte, als Revision bezeichnete Schreiben wurde am 13.4.1994 in K***** zur Beförderung per Luftpost aufgegeben. Es ist an die Kammer für Arbeiter und Angestellte in Wien, Prinz Eugen-Straße 20-22, A-1041 Wien, Postfach 534 Austria Europe, zH des namentlich genannten Vertreters adressiert. Der Briefumschlag trägt die Hinweise "URGENT COURT MATTER" "ACHTUNG DRINGEND Begrenzte Erstreckungsfrist". In diesem Schreiben erwähnt der Kläger, daß er am Rande der Zivilisation "residiere" und deshalb in der Verfolgung seines Rechtes in Österreich schwerstens behindert sei. Der Eilbrief der Kammer vom 24.3.1994 sei in K***** erst am 6.4.1994 eingetroffen. Das "weltfremde" Gericht gewähre eine vierwöchige "Erstreckungsfrist" angesichts eines Brieflaufs schnellster Art von vierzehn Tagen. Der Kläger würde mit einer "asozialen, weil zu kurzen Erstreckungsfrist von nur vier Wochen überrumpelt".) Da der Vertreter des Klägers am 20.4.1994 "eine vom Dienstgeber genehmigte Dienstfreistellung gemäß § 8 AngG" gehabt habe und das Schriftstück des Klägers erst kurz vor Dienstschluß eingelangt sei, sei erst am nächsten Tag eine weitere Veranlassung ("Weitergabe der Revisionsschrift mit den klägerischen Beilagen zwecks Unterzeichnung durch einen Rechtsanwalt") möglich gewesen. Die Revision wurde am 21.4.1994 an das Erstgericht zur Post gegeben.

Am 3.5.1994 brachte der Kläger beim Erstgericht einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsfrist ein. Er erblickt in den bereits angeführten Umständen, insbesondere im Zusammenhang mit dem verzögerten Einlangen der Eilluftpostsendung am 20.4.1994, aber auch darin ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis, daß er angenommen habe, wegen der großen räumlichen Entfernung habe die Revisionsfrist in sozialer Rechtsanwendung erst mit der "Zustellung" (des Berufungsurteils) an ihn zu laufen begonnen.

Das Erstgericht wies den Wiedereinsetzungsantrag ab und die Revision wegen Verspätung zurück.

Die Säumnis des Vertreters sei dem Kläger zuzurechnen. Daß der Klagevertreter durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der Wahrung der Revisionsfrist gehindert worden wäre, sei nicht behauptet worden. Da ihm die Ausfertigung des Berufungsurteils am 23.3.1994 zugestellt worden sei, sei die erst am 21.4.1994 zur Post gegebene Revision verspätet.

Das Rekursgericht gab dem gegen beide Entscheidungspunkte des erstgerichtlichen Beschlusses gerichteten Rekurs des Klägers nicht Folge.

Ein Vergessen, Übersehen bzw Ablaufen der Revisionsfrist könne eine Wiedereinsetzung nicht rechtfertigen, weil es sich auch dann um kein "Ereignis" handle, wenn dafür betriebsorganisatorische Ursachen, zB eine Dienstfreistellung des Klagevertreters, bestünden. Da die Revisionsfrist durch die Zustellung an den Prozeßbevollmächtigten des Klägers am 20. (richtig 23.)3.1994 begonnen habe, sei sie am 20.4.1994 abgelaufen. Deshalb sei die am 21.4.1994 erhobene Revision zutreffend als verspätet zurückgewiesen worden. Die weite Entfernung des Wohnsitzes des Klägers und der lange Postweg "rechtfertige gesetzlich nicht eine Verlängerung der Revisionsfrist", zumal auch eine telefonische Kontaktaufnahme oder eine solche per Fax möglich gewesen wäre. Im übrigen könne die gesetzliche Revisionsfrist nicht verlängert werden.

Im Revisionsrekurs macht der Kläger unrichtige rechtliche Beurteilung geltend; er beantragt, die Rekursentscheidung durch Bewilligung der Wiedereinsetzung und Aufhebung des Zurückweisungsbeschlusses abzuändern.

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil die Rekursbeschränkung des § 528 Abs 1 und Abs 2 Z ... 2 ZPO nach § 47 Abs 1 ASGG nicht anzuwenden sind und an deren Stelle die Voraussetzungen des § 46 Abs 1 ASGG sinngemäß gelten. Da es sich um ein Verfahren über wiederkehrende Leistungen in Sozialrechtssachen handelt, ist der Rekurs an den Obersten Gerichtshof nach § 47 Abs 2 ASGG auch bei Fehlen der Voraussetzungen des § 46 Abs 1 leg cit zulässig (14.10.1993, 10 Ob S 201/93 ua).

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist nicht berechtigt.

Nach dem gemäß § 2 Abs 1 ASGG auch in Sozialrechtssachen anzuwendenden § 146 Abs 1 ZPO ist einer Partei, die durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozeßhandlung verhindert und durch die Versäumung von dieser Prozeßhandlung ausgeschlossen wurde, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt. Da die ZPO diesbezüglich nicht unterscheidet, ist die zit Bestimmung über die Partei auch auf deren Bevollmächtigte zu beziehen (§ 39 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG; 10 Ob S 201/93 ua).

Der Wiedereinsetzungswerber und sein Vertreter dürfen nicht auffallend sorglos gehandelt haben, also die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderlichen und ihnen nach ihren persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt nicht extrem außer acht gelassen und etwas unbeachtet gelassen haben, was im konkreten Fall jedem leicht einleuchten mußte; wenn also einfache und naheliegende Überlegungen nicht angestellt wurden. Dabei ist an rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige oder bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen. War die Versäumung voraussehbar und hätte sie durch ein der Partei zumutbares Verhalten abgewendet werden können, dann ist die Wiedereinsetzung zu verweigern (EvBl 1987/94; RZ 1989/69 jeweils mwN; RZ 1991/54 und 60; 10 Ob S 201/93).

Ob im vorliegenden Fall der Vertreter des Klägers auffallend sorglos gehandelt hat, kann dahingestellt bleiben, weil dem Kläger selbst an der Versäumung der Revisionsfrist ein Verschulden zur Last liegt, das über den die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht hindernden minderen Grad des Versehens erheblich hinausgeht.

Aus der von ihm verfaßten Revisionsschrift ergibt sich, daß sich der Kläger sowohl über die Dauer der vierwöchigen Revisionsfrist als auch über den langen Postweg zwischen seinem Wohnort in Kanada und dem Prozeßort in Österreich im klaren war. Er führte nämlich ausdrücklich aus, daß ein "Brieflauf schnellster Art" vierzehn Tage dauere. Tatsächlich betrug die aktenkundige Beförderungsdauer seiner Klage 8 Tage, seiner selbstverfaßten Berufung 7 Tage, der Internationalen Rückscheine zur Ladung 6 Tage, und zum Urteil erster Instanz 7 Tage (Richtung Wien) sowie der Ladung 6 Tage und des Urteils erster Instanz 5 Tage (Richtung Kanada). Der Kläger, der von seinem durch die Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien beigestellten Vertreter anläßlich der Übermittlung des Berufungsurteils darüber informiert wurde, daß die vierwöchige Revisionsfrist am 23.3.1994 begonnen hatte und daß eine allfällige Revision von einem in Österreich zugelassenen Rechtsanwalt unterschrieben werden muß, hätte sich wegen des ihm bekannten langen Postweges nicht damit begnügen dürfen, erst am 13.4.1994 eine selbstverfaßte Revision an seinen im Revisionsverfahren nicht mehr zugelassenen bisherigen Vertreter zur Post zu geben. Er mußte ja damit rechnen, daß diese Sendung bei diesem selbst bei der gewählten Beförderungsart - Eilbrief per Luftpost - erst in sieben oder acht Tagen, also am letzten Tag oder einen Tag nach Ablauf der Revisionsfrist einlangen werde, daß dann noch eine von einem Rechtsanwalt unterschriebene Revisionsschrift zu veranlassen sein und diese noch zum Erstgericht zu befördern sein werde.

Unter diesen Umständen durfte der Kläger den an seinen Bevollmächtigten gerichteten Schriftsatz vom 13.4.1994, der intern wohl als Auftrag anzusehen ist, einen Rechtsanwalt mit der Erhebung einer Revision zu beauftragen, nicht erst am 13.4.1994 zur Post geben. Als nicht ganz unerfahrene Partei - wie dem erkennenden Senat aus dem Vorverfahren 10 Ob S 333/91 bekannt ist, hat der Kläger von seinem kanadischen Wohnsitz aus schon früher ein Sozialgerichtsverfahren in Wien geführt - hätte er leicht erkennen können, daß dieses Schreiben seinen Bevollmächtigten höchstwahrscheinlich so spät erreichen werde, daß eine rechtzeitige Einbringung der Revision nicht mehr möglich sein werde. Da der Kläger die für ihn negative Berufungsentscheidung nach seiner Angabe am 6.4.1994 erhalten hatte, wäre es ihm leicht möglich gewesen, seinen Bevollmächtigten zB telephonisch oder telegraphisch etwa zwei Wochen vor Ablauf der Revisionsfrist mit der Veranlassung einer Revision zu beauftragen. Daß er diesen Auftrag erst eine Woche vor Ablauf der genannten Frist schriftlich erteilte, obwohl er mit einem Postlauf in der Dauer einer Woche rechnen mußte, stellt nicht mehr einen minderen Grad des Versehens, sondern eine auffallende Sorglosigkeit dar, die die Bewilligung der Wiedereinsetzung hindert.

Die Zurückweisung der verspäteten Revision durch das Erstgericht und die Bestätigung dieses Beschlusses durch das Rekursgericht entspricht § 507 Abs 1 erster Satz ZPO.

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