OGH 13Os132/94

OGH13Os132/9419.10.1994

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. Oktober 1994 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel, Dr. Mayrhofer, Dr. Ebner und Dr. Rouschal als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kahofer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Heinz L* wegen des Vergehens der versuchten geschlechtlichen Nötigung nach §§ 15, 202 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 11. Februar 1994, GZ 9 c Vr 4394/93‑12, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Erster Generalanwalt Dr. Stöger, des Angeklagten Heinz L* und seines Verteidigers Dr. Klade zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1994:0130OS00132.940000.1019.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

I Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten wird verworfen.

II Der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, in der rechtlichen Beurteilung der dem Schuldspruch zugrundeliegenden, als erwiesen angenommenen Tatsachen und demzufolge auch im Strafausspruch aufgehoben und in diesem Umfang in der Sache selbst erkannt:

Heinz L* hat durch die im Urteilssatz angeführte Tat das Vergehen der versuchten geschlechtlichen Nötigung nach §§ 15, 202 Abs 1 StGB begangen.

Er wird hiefür nach § 202 Abs 1 StGB unter Anwendung des § 43 a Abs 2 StGB zu einer Geldstrafe von 200 Tagessätzen (für den Fall der Uneinbringlichkeit zu 100 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe) und zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt.

Der Tagessatz wird mit 200 S festgesetzt.

Die Freiheitsstrafe wird nach § 43 StGB unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen.

III Mit ihren Berufungen werden die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

IV Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

 

Gründe:

 

 

Rechtliche Beurteilung

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen rechtskräftigen Freispruch enthält, wurde Heinz L* - in Abweichung von der diesbezüglich auf das Vergehen der versuchten geschlechtlichen Nötigung nach §§ 15, 202 Abs 1 StGB lautenden Anklage ‑ des Vergehens der versuchten Nötigung nach §§ 15105 Abs 1 StGB schuldig erkannt. Darnach hat er Eva A* am 7. Oktober 1992 in Wien durch die Ankündigung, sie wegen der versuchten Entwendung eines Pornoheftes bei der Polizei anzuzeigen, sohin durch gefährliche Drohung zumindest mit einer Verletzung an der Ehre, zu geschlechtlichen Handlungen, nämlich (jedenfalls) zur Durchführung eines Oralverkehrs bzw zur Duldung des Betastens an der Brust und im Genitalbereich, zu nötigen versucht.

Diesen Schuldspruch bekämpfen sowohl die Anklagebehörde als auch der Angeklagte mit Nichtigkeitsbeschwerde, mit der die Staatsanwaltschaft den Nichtigkeitsgrund der Z 10 und Heinz L* die Gründe der Z 4, 5 und 5 a des § 281 Abs 1 StPO geltend machen.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten:

Vorweg ist anzumerken, daß das gesamte Vorbringen des Beschwerdeführers unter Zitierung umfangreicher Teile des Hauptverhandlungsprotokolls im Ergebnis (bloß) darauf abzielt, die Glaubwürdigkeit der ihn belastenden Angaben der Zeugin Eva A* in Frage zu stellen und seiner eigenen leugnenden Darstellung zum Durchbruch zu verhelfen. Insoweit liegt eine ‑ vom Angeklagten ursprünglich auch angemeldete (vgl S 185 und 186) ‑ im schöffengerichtlichen Verfahren jedoch unzulässige (und vom Verteidiger im Gerichtstag ausdrücklich zurückgezogene) Schuldberufung vor.

Entgegen dem Einwand in der Verfahrensrüge (Z 4) wurden durch die Abweisung des vom Verteidiger des Beschwerdeführers in der Hauptverhandlung gestellten Antrages auf Durchführung eines Lokalaugenscheins unter Vornahme einer "Stellprobe" zum Beweis dafür, daß "es nicht möglich ist, im Büro auf einen Sessel zu fallen, wie es von der Zeugin geschildert wurde" (S 149, 151), Verteidigungsrechte des Angeklagten nicht beeinträchtigt.

Es liegt auf der Hand, daß aus der jeweiligen Lage einzelner Möbelstücke im Büroraum keine Rückschlüsse auf den Tatablauf gezogen werden können, wie dies auch vom Erstgericht in seinem abweislichen Zwischenerkenntnis zutreffend erkannt wurde.

Die in diesem Zusammenhang erst in der Beschwerdeschrift vorgebrachten ‑ jedoch nur auf hier unerheblichen Aspekten (wie die exakten Ausmaße des Büroraumes) sowie auf spekulativen Überlegungen (ob für das Opfer eine Fluchtmöglichkeit bestand, aus welchen Gründen es Hilferufe unterlassen hat oder ob Passanten Sicht auf den Tatort hatten) beruhenden ‑ Einwände haben schon deshalb außer Betracht zu bleiben, weil das vom Erstgericht gefällte Zwischenerkenntnis ausschließlich nach jener Verfahrenslage zu überprüfen ist, die im Zeitpunkt der Antragstellung gegeben war (Mayerhofer‑Rieder StPO3 § 281 Z 4 E 40 f). Gleiches gilt für die gemäß § 35 Abs 2 StPO erstatteten Ausführungen, weil diesbezüglich auch sie über den Antrag in erster Instanz weit hinausgehen. Lokalaugenschein und Stellprobe sollten nämlich nur dazu dienen, nachzuweisen, "daß es nicht möglich ist, im Büro auf einen Sessel zu fallen, wie es von der Zeugin (= A*) geschildert wurde" (S 149), nicht aber, warum sie nicht geflüchtet ist.

In der Mängelrüge (Z 5) behauptet der Beschwerdeführer im Urteil unerörtert gebliebene Widersprüche in den Angaben der Zeugin A* darüber, "ob sie sich zur Gänze entkleiden mußte oder nicht". Widersprüchliche Angaben dieser Zeugin zu diesem Thema liegen aber in Wahrheit nicht vor, hat sie doch stets gleichlautend vorgebracht, daß der Beschwerdeführer ihre Jeanshose hinuntergezogen hat (S 26, 34, 117, 119, 131).

Entgegen der vom Beschwerdeführer weiters vermißten Erörterung der Angaben der Zeugen Necdet Ö* (S 41), Erwin W* (S 45) und Ismael Y* (S 49 f) ‑ aus denen der Beschwerdeführer abermals nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung den Beweiswert der Aussage der Hauptbelastungszeugin A* zu erschüttern trachtet ‑ sind die Tatrichter ohnedies davon ausgegangen, daß das spätere Auftreten der drei Freunde dieser Zeugin (jedenfalls primär) die Herausgabe des ihr zustehenden Arbeitslohnes zum Ziele hatte (US 6). Im übrigen negiert der Beschwerdeführer in seiner Rüge, daß die Zeugen Necdet Ö* und Ismael Y* bei ihrer Vernehmung vor der Sicherheitsbehörde ausdrücklich bekundeten, Eva A* habe ihnen weinend von dem an ihr vom Angeklagten verübten "Nötigungs‑" bzw "Vergewaltigungsversuch" berichtet (S 41, 49).

Auch in seiner Tatsachenrüge (Z 5 a), mit welcher der Beschwerdeführer seine vom Erstgericht abgelehnte Verantwortung plausibel zu machen und die ihn belastenden Angaben des Tatopfers als Racheakt darzustellen sucht, vermag er keine sich aus den Akten ergebenden erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen aufzuzeigen. Zu solchen Bedenken bietet auch die an Hand des Beschwerdevorbringens und der gemäß § 35 Abs 2 StPO erstatteten Äußerung vorgenommene Überprüfung des Urteils durch den Obersten Gerichtshof keinen Anlaß.

Die zur Gänze unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher zu verwerfen.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:

Zu Recht zeigt die Anklagebehörde in ihrer Rechtsrüge (Z 10) auf, daß die vom Erstgericht als erwiesen angenommene Tat rechtsrichtig den Bestimmungen der §§ 15, 202 Abs 1 StGB zu unterstellen ist, weil der spezielle Tatbestand der geschlechtlichen Nötigung (§ 202 Abs 1 StGB) dem (allgemeinen) Nötigungstatbestand (§ 105 StGB) vorgeht, was übrigens der Schöffensenat in der Urteilsbegründung zutreffend ‑ wenn auch zu spät ‑ erkannte (s US 10). Denn die geschlechtliche Nötigung ist ein Sonderfall der Nötigung (und damit lex specialis) mit einer gegenüber dem Delikt nach § 105 Abs 1 StGB strengeren Strafdrohung (vgl Leukauf‑Steininger Komm3 § 105 RN 31).

Nach den (vom historischen Anklagesachverhalt gedeckten) mängelfreien erstrichterlichen Urteilsannahmen hat der Angeklagte seinem Opfer eine Strafanzeige wegen versuchten Diebstahls in Aussicht gestellt, sohin zumindest mit einer Verletzung an der Ehre gedroht, um es solcherart für sein Vorhaben gefügig zu machen (US 5 ff).

Eine Drohung mit einer Verletzung an der Ehre ist aber gemäß § 74 Z 5 StGB als gefährliche Drohung anzusehen, die geeignet ist, beim Bedrohten mit Rücksicht auf die Verhältnisse und seine persönliche Beschaffenheit oder die Wichtigkeit des angedrohten Übels ‑ unter Anlegung eines gemischt objektiv‑individuellen Maßstabes (Kienapfel BT I3 § 105 Rz 44) ‑ begründete Besorgnisse einzuflößen. Ist eine Drohung daher gegen das bezeichnete Rechtsgut gerichtet, so entspricht sie den Begriffsmerkmalen des § 74 Z 5 StGB dann, wenn damit eine Minderung des Ansehens und der Achtung einer Person in den Augen der für sie maßgeblichen Umwelt verbunden ist (Leukauf‑Steininger Komm3 § 74 RN 22). Diese objektive Voraussetzung liegt hier vor, weil die Bekanntgabe eines ‑ auch wahren ‑ strafbaren Verhaltens jedenfalls eine rechtserhebliche Einbuße an Ehre, allenfalls auch am Vermögen und an der Freiheit bedeutet (Mayerhofer‑Rieder StGB4 § 74 E 44, ähnlich E 44 a, 45 a, 45 b).

Nach den ausdrücklichen erstrichterlichen Tatsachenfeststellungen hat der Angeklagte mit dem (auch) für die Verwirklichung des Vergehens nach § 202 Abs 1 StGB erforderlichen ‑ wenigstens bedingten - Vorsatz (§ 5 Abs 1 StGB) gehandelt, Eva A* zur Duldung bzw zur Vornahme typisch sexualbezogener Handlungen von einigem Gewicht zu zwingen, wobei er sich der Ernstlichkeit des widerstrebenden Willens des Opfers bewußt war (US 5 f, 10). Somit fällt Heinz L* - bei rechtsrichtiger Tatbeurteilung ‑ das Vergehen der versuchten geschlechtlichen Nötigung nach §§ 15202 Abs 1 StGB zur Last.

Da die ausreichend begründeten Feststellungen im Ersturteil zur rechtlichen Beurteilung der Tat des Angeklagten als Vergehen nach den vorbezeichneten Gesetzesstellen ausreichen, konnte der Oberste Gerichtshof sogleich in der Sache selbst erkennen (§ 288 Abs 2 Z 3 StPO).

Bei der nach § 202 Abs 1 StGB (Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren) vorzunehmenden Strafbemessung wertete der Oberste Gerichtshof als erschwerend, daß der Angeklagte seine Position als Arbeitgeber gegenüber dem sozial schwächeren Opfer rücksichtlos ausnutzte (§ 32 StGB), als mildernd hingegen das tadelsfreie Vorleben des Angeklagten und den Umstand, daß es beim Vesuch geblieben ist.

Die Größe der vorliegenden Schuld erfordert im vorliegenden Fall die Verhängung einer sechs Monate deutlich übersteigenden Freiheitsstrafe, deren gänzliche bedingte Nachsicht indes aus Gründen der Generalprävention ausgeschlossen war. Gemäß § 43 a Abs 2 StGB konnte jedoch an Stelle eines Teiles der Freiheitsstrafe auf eine Geldstrafe von 200 Tagessätzen (im Uneinbringlichkeitsfall 100 Tage Ersatzfreiheitsstrafe) erkannt und mit Rücksicht darauf der verbleibende Teil der Freiheitsstrafe im Ausmaß von sechs Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen werden. Die mit 200 S festgesetzte Höhe des Tagessatzes entspricht der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Angeklagten.

Mit seiner Berufung (wegen Strafe) war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen, ebenso wie die Anklagebehörde mit ihrer angemeldeten (ON 14), aber nicht ausgeführten Berufung. Eine Zurückweisung der letztgenannten Berufung (gemäß §§ 294 Abs 2 und 4, 296 Abs 2 StPO) kam ‑ entgegen der Ansicht der Generalprokuratur ‑ nicht in Frage, weil das Urteil keinen Ausspruch über privatrechtliche Ansprüche, sondern nur einen Ausspruch über die Strafe enthält, wobei nur eine (Geld‑)Strafe und sonst keine Unrechtsfolge verhängt worden ist. Es bedurfte daher keiner weiteren Erklärung, durch welche Punkte sich die Staatsanwaltschaft beschwert erachtet (Mayerhofer‑Rieder, StPO3 § 294 Anmerkung 4 a).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390 a StPO.

 

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