OGH 7Ob23/94

OGH7Ob23/9419.10.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Predrag A*****, vertreten durch Dr.Hansjörg Heiter, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei I*****-AG, ***** vertreten durch Dr.Hermann Rieger, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 155.000,-- sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 3.März 1994, GZ 6 R 504/94-22, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 6.September 1993, GZ 21 Cg 358/92-16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 8.370,-- (darin S 1.395,-- Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger hat mit der beklagten Partei für seinen PKW der Marke Renault 19 TSE einen Kaskoversicherungsvertrag abgeschlossen (dem die AFIB und die EKB 1986 zugrundelagen). Er hat dieses Fahrzeug am 10.2.1992 in einer Nebenfahrbahn des Wiedner Gürtels ordnungsgemäß versperrt geparkt, hatte allerdings wegen eines Services die Fahrzeugpapiere samt Typenschein in das versperrte Handschuhfach hineingelegt (und vergessen, diese nach dem Abstellen des Fahrzeuges wieder an sich zu nehmen). Der Kläger fand das Fahrzeug am folgenden Tag an der geparkten Stelle nicht mehr vor, das Fahrzeug ist nicht mehr aufgefunden worden. Grundsätzlich verwahrt der Kläger die Fahrzeugpapiere stets zu Hause. Der Wert des Fahrzeuges betrug im Diebstahlszeitpunkt S 155.000,--. Die Beklagte lehnte eine Zahlung mit der Begründung ab, daß das Zurücklassen des Typenscheines im Fahrzeug grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 61 VersVG darstelle, die Leistungsfreiheit nach sich ziehe.

Der Kläger begehrt gegenüber der Beklagten die Bezahlung von S 155.000,-- s.A. Sein Fahrzeug sei von unbekannten Tätern gestohlen worden.

Die beklagte Partei beantragte die Klagsabweisung und wiederholte - und nur mehr dies ist hier revisionsgegenständlich - den oben wiedergegebenen Standpunkt.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Das Belassen der Fahrzeugpapiere im geparkten PKW stelle keine Gefahrenerhöhung im Sinne des § 61 VersVG dar. Der Diebstahl sei durch das Auffinden der allenfalls zur Verwertung des Fahrzeuges benötigten Dokumente nicht erleichtert worden. Das Verhalten des Klägers sei weder grob fahrlässig noch dolos.

Das Berufungsgericht bestätigte mit der angefochtenen Entscheidung dieses Urteil. Es erklärte die Revision für zulässig. Das Auffinden der Fahrzeugpapiere im Handschuhfach erleichtere es dem Dieb, bei einer Polizeikontrolle nicht aufzufallen; dadurch werde aber der vorangegangene Diebstahl nicht begünstigt, sondern nur in der Folge die Verwertung erleichtert und die Wiederbeschaffung des gestohlenen Fahrzeuges erschwert. Eine Gefahrenerhöhung im Sinne des § 23 VersVG liege nur dann vor, wenn die eingetretene Veränderung nach herrschender Verkehrsauffassung dem Versicherer Anlaß geboten hätte, den Versicherungsvertrag aufzuheben oder nur gegen erhöhte Prämie fortzusetzen. Weitere Voraussetzung sei, daß sich dieser relevante Zustand über längere Dauer erstrecke. Im vorliegenden Fall fehle es an der Kausalität zwischen dem Zurücklassen der Fahrzeugpapiere im versperrten Handschuhfach und der Erleichterung eines Diebstahles. Überdies habe die Zurücklassung der Fahrzeugpapiere im versperrten Handschuhfach nur eine kurzfristige und daher rechtlich unerhebliche Änderung der Gefahrensituation geschaffen. Das versehentliche einmalige Zurücklassen der Fahrzeugpapiere im versperrten Handschuhfach stelle auch keine grobe Fahrlässigkeit dar, weil dies grundsätzlich jedem Versicherungsnehmer unter den gegebenen Umständen passieren könne.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung von der beklagten Partei erhobene Revision ist nicht berechtigt.

Zur Frage, ob das versehentliche, einmalige Zurücklassen der Fahrzeugpapiere samt Typenschein im Handschuhfach eine Gefahrenerhöhung im Sinne des § 23 VersVG bzw. eine grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 61 VersVG darstellt, erging noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes. Die etwa den Entscheidungen 7 Ob 6/91 (= VR 1992, 12 = VersR 1992, 520) und 7 Ob 14/92 (= VR 1993, 139 = VersR 1994, 79 = ZVR 1993/153) zugrundeliegenden Sachverhalte - im ersten Fall wurde das Abstellen eines unversperrten Fahrzeuges unter Zurücklassung der Zündschlüssel im unversperrten Handschuhfach in einem nicht abgesperrten Hof als grob fahrlässig angesehen, im anderen das Zurücklassen der Fahrzeugschlüssel in einer mit einem Nummernschloß versperrten Kassette im unversperrten Kofferraum eines Taxis, um dem das Taxi übernehmenden Fahrer die Wagenübernahme zu erleichtern als nur leichte Fahrlässigkeit gewertet - können mit dem vorliegenden Sachverhalt keinesfalls verglichen werden.

Gefahrerhöhung iS des § 23 VersVG ist eine nachträgliche Änderung der bei Vertragsabschluß tatsächlich vorhandenen gefahrerheblichen Umstände, die den Eintritt des Versicherungsfalles oder eine Vergrößerung des Schadens wahrscheinlicher macht (Prölss/Martin25 225). Es muß eine objektiv erhebliche Änderung der Umstände eintreten (Bruck-Möller VVG8 I 381; SZ 63/38). Ob die Gefahrerhöhung einen gewissen Dauerzustand voraussetzt, ist strittig. Nach einer Ansicht genügen einmalige, in ihrer Wirkung nicht fortdauernde Gefährdungshandlungen; die herrschende Meinung sieht als Gefahrerhöhung allerdings nur solche Gefährdungsvorgänge an, die nicht die Gefahr als solche alsbald verwirklichen, sondern ihrer Natur nach geeignet sind, einen neuen Gefahrzustand von so langer Dauer zu schaffen, daß er die Grundlage eines neuen natürlichen Schadensverlaufes bilden kann und damit den Eintritt des Versicherungsfalles generell zu fördern geeignet ist (Prölss/Martin aaO 228). Setzt die Annahme einer Gefahrerhöhung iS des § 23 VVG eine erhebliche Änderung der Umstände voraus, kann eine Gefahrerhöhung nicht bei einem jeglichen Verstoß gegen eine Vorsichtsmaßnahme angenommen werden (vgl SZ 63/38). Den Beweis für eine Gefahrerhöhung hat der Versicherer zu erbringen (Bruck-Möller aaO 382).

Das Revisionsgericht billigt deshalb die Ansicht der zweiten Instanz, daß das versehentliche Zurücklassen von Fahrzeugpapieren im Handschuhfach eines Kfz noch keine versicherungsrechtlich erhebliche Gefahrerhöhung darstellt, zumal nicht gesagt werden kann, der Diebstahl des Fahrzeuges werde hiedurch erleichtert.

Für die in der Revision geschilderte Annahme, der Dieb habe etwa ursprünglich nur Sachen aus dem Auto stehlen wollen und habe sich erst nach Auffinden der Fahrzeugpapiere zum Fahrzeugdiebstahl entschlossen, fehlt jeder Anhaltspunkt. Unter dieser Voraussetzung wäre im übrigen zwar das Verhalten des Klägers für den Diebstahl des Fahrzeuges kausal gewesen; doch kann nicht gesagt werden, wegen eines derartigen - vom Versicherer zu beweisenden! - besonderen Umstandes sei die Zurücklassung von Fahrzeugpapieren im Handschuhfach eines versperrt abgestellten Fahrzeuges generell geeignet, den Eintritt des Versicherungsfalles zu fördern, ihn wahrscheinlicher zu machen, und es sei deshalb eine erhebliche Änderung der Umstände eingetreten.

Es liegt aber auch keine grobe Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers im Sinne des § 61 VersVG vor (vgl. zur Konkurrenz mit § 23 VersVG Prölss-Martin aaO, 243). Auch hier fehlt der vom Versicherer zu erbringende Nachweis der Kausalität zwischen dem Verhalten des Versicherungsnehmers und dem Eintritt des Versicherungsfalles. Bei Beurteilung des Grades der Fahrlässigkeit ist auf den Einzelfall abzustellen. Als brauchbare Anhaltspunkte, von denen die Beurteilung im einzelnen abhängen kann, kommen die Gefährlichkeit der Situation, die zu einer Sorgfaltsanspannung führen sollte, der Wert der gefährdeten Interessen, das Interesse des Handelnden an seiner Vorgangsweise und schließlich die persönlichen Fähigkeiten des Handelnden in Betracht. In diesem Sinn ist für das Versicherungsvertragsrecht anerkannt, daß grobe Fahrlässigkeit nur dann gegeben ist, wenn schon einfachste, naheliegende Überlegungen nicht angestellt und Maßnahmen nicht ergriffen werden, die jedermann einleuchten müssen (SZ 56/166 = VersR 1984, 48). Das einmalige Vergessen der Autopapiere im Kfz kann dem sichtbaren Zurücklassen von Fahrzeugschlüsseln im versperrten Auto, was zweifelsfrei als grobe Fahrlässigkeit zu werten wäre, in keiner Weise gleichgehalten werden.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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