OGH 10ObS218/94

OGH10ObS218/9418.10.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dipl.Ing. Dr. Hans Peter Bobek (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Klaus Hajek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Franz S*****, Metzger, derzeit ohne Beschäftigung, *****, vertreten durch Dr. Norbert Bergmüller, Rechtsanwalt in Schladming, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 7. Juli 1994, GZ 8 Rs 35/94-23, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Leoben als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 16. November 1993, GZ 21 Cgs 184/92-19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 20.1.1949 geborene Kläger hat nach Absolvierung der Pflichtschule von 1963 bis 1966 die Lehre als Fleischer mit der Lehrabschlußprüfung abgeschlossen. Auf Grund verschiedener krankheitsbedingter Veränderungen kann der Kläger nur mehr leichte Arbeiten uneingeschränkt durchführen. Mittelschwere Arbeiten sind um die Hälfte eines Arbeitstages zu verkürzen und auf diesen gleichmäßig zu verteilen. Arbeiten auf Leitern und Gerüsten sind nicht mehr zumutbar, eine Steighilfe kann verwendet werden. Arbeiten in gebückter Körperhaltung sind auf ein Drittel des Arbeitstages zu verkürzen und auf diesen gleichmäßig zu verteilen. Bei geringer Anforderung an die praktische Intelligenz ist Umschulungs- und Verweisungsfähigkeit gegeben. Das Lenken eines Fahrzeuges, Akkordarbeiten und Tätigkeiten unter erhöhtem Zeitdruck, Nachtschichten oder Wechselschichten sind dem Kläger nicht mehr zumutbar. Krankenstände sind bis zu vier Wochen jährlich zu erwarten.

Mit Bescheid der beklagten Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter vom 13.7.1992 wurde der Antrag des Klägers vom 21.2.1992 auf Zuerkennung einer Invaliditätspension abgelehnt, da er nicht invalid sei.

Mit der rechtzeitigen Klage begehrte der Kläger die Zuerkennung der Invaliditätspension ab 1.3.1992. Er sei in seiner beruflichen Laufbahn überwiegend als Metzger beschäftigt gewesen, könne diese Tätigkeit aber nicht mehr ausüben.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und stellte noch fest, der Kläger habe in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag 125 Versicherungsmonate (Beitragsmonate) erworben, davon weniger als die Hälfte als Metzger. Daher sei die Invalidität nach § 255 Abs 3 ASVG zu beurteilen. Das Leistungskalkül werde bei der Verweisungstätigkeit eines Botengängers oder Aufsehers nicht überschritten. Auf den Einwand des Klägers, er sei im Jahr 1971 wegen verschiedener Autoeinbrüche rechtskräftig verurteilt worden und habe deswegen eine Freiheitsstrafe von insgesamt drei Jahren verbüßt, sei nicht einzugehen, weil dies auf die Zumutbarkeit der Verweisungstätigkeiten ohne Relevanz sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es führte aus, selbst nach dem Berufungsvorbringen könnte sich für den 15-jährigen Beobachtungszeitraum nur ergeben, daß der Kläger maximal 56 Beitragsmonate im erlernten Beruf eines Fleischers (Metzgers) gearbeitet habe, so daß die Feststellung, daß er in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag weniger als die Hälfte der 125 erworbenen Beitragsmonate als Metzger gearbeitet habe, jedenfalls gedeckt erscheine. Die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes sei zutreffend. Die Argumentation, wegen einer vor rund 20 Jahren erfolgten strafrechtlichen Verurteilung sei nunmehr ein Ausschluß vom Arbeitsmarkt gegeben, erscheine besonders vor dem Hintergrund einer nachfolgenden langjährigen Berufstätigkeit des Klägers "schlechthin absurd".

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist nicht berechtigt.

Unter dem Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens rügt der Kläger, daß das Erstgericht einen Akt der Landesversicherungsanstalt Oberbayern nicht beigeschafft und die in diesem Akt erliegenden Sachverständigengutachten nicht verwertet habe. Diesen Verfahrensmangel erster Instanz hat der Kläger bereits in seiner Berufung geltend gemacht, er wurde vom Berufungsgericht als nicht gegeben angesehen. Nach ständiger Rechtsprechung des Senates können auch in Sozialrechtssachen Verfahrensmängel erster Instanz, deren Vorliegen vom Berufungsgericht verneint wurde, nicht neuerlich mit Erfolg in der Revision geltend gemacht werden (SSV-NF 7/74 mwN). Dieselben Erwägungen gelten für die weiters gerügte Unterlassung der mündlichen Erörterung des vom berufskundlichen Sachverständigen erstellten Gutachtens. Das Berufungsgericht hat in diesem Zusammenhang einen Verfahrensmangel verneint und darauf verwiesen, daß die Frage, ob dem Kläger Berufsschutz zukomme, rechtliche Beurteilung darstelle und nicht vom Sachverständigen zu beantworten sei. Auch die weitere Frage, ob eine Verweisung des Klägers auf Tätigkeiten eines Botengängers oder Aufsehers wegen dessen Vorstrafe möglich sei, sei nicht vom Sachverständigen zu beantworten. Ein Mangel des Berufungsverfahrens wird damit in der Revision nicht aufgezeigt.

Auf den von den Vorinstanzen verneinten Berufsschutz als Fleischer kommt der Kläger in seiner Revision nicht mehr zurück. Ein solcher Berufsschutz läge nur dann vor, wenn der Kläger überwiegend in seinem erlernten Beruf tätig gewesen wäre. Als überwiegend gelten solche erlernte oder angelernte Berufstätigkeiten, wenn sie in mehr als der Hälfte der Beitragsmonate nach dem ASVG während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag ausgeübt wurden (§ 255 Abs 2 ASVG). Dies war nach den unbekämpften Feststellungen der Tatsacheninstanzen aber nicht der Fall.

Die Rechtsrüge beschäftigt sich vielmehr nur mit der rechtskräftigen Verurteilung des Klägers zu einer dreijährigen Haftstrafe wegen verschiedener Autoeinbrüche im Jahr 1971. Er leitet daraus ab, daß er nicht auf die Tätigkeiten eines Aufsehers oder Botengängers verwiesen werden könne, weil in diesen Berufen gefordert werde, daß der Arbeitnehmer eine besondere Vertrauenswürdigkeit, eine entsprechende psychische Einstellung und besondere Zuverlässigkeit aufweisen müsse. Jeder Arbeitgeber, der vom Vorleben und der physischen und psychischen Konstellation des Klägers Bescheid wisse, wobei außer der genannten Vorstrafe noch besonders darauf hingewiesen werde, daß der Kläger typische Zeichen eines chronischen Alkoholikers zeige, werde sagen, daß er nicht die Vorausetzungen für die genannten Verweisungsberufe habe.

Diesen Argumenten ist zunächst einmal entgegenzuhalten, daß ein Dienstnehmer grundsätzlich nicht verpflichtet ist, beim Einstellungsgespräch Fragen des Dienstgebers nach allfälligen Vorstrafen zu beantworten und auch nicht von sich aus auf derartige

Vorstrafen hinweisen muß (Arb 10.245 = ZAS 1984, 188 mit Besprechung

von Müller = DRdA 1986, 209 mit Besprechung von Petrovic;

Martinek-Schwarz, Angestelltengesetz7 613). Ob bei Vorstrafen eine Ausnahme dann anzuerkennen sein werde, wenn zwischen dem vereinbarten Tätigkeitsbereich des Arbeitnehmers und dem begangenen Delikt eine besondere Interdependenz bestehe und der Verlust der Vertrauenswürdigkeit nach Maßgabe der Unzumutbarkeitsbewertung angenommen werden müsse (Schwarz-Löschnig, Arbeitsrecht4 175), kann dahingestellt bleiben, weil Fragen nach Vorstrafen selbst in solchen Fällen nur insoweit zulässig, d.h. wahrheitsgemäß zu beantworten wären, als es sich um noch ungetilgte Verurteilungen handelt, die den Bewerber für die angestrebte berufliche Tätigkeit objektiv ungeeignet erscheinen lassen (zutreffend Petrovic aaO 214). Im Fall des Klägers ist aber davon auszugehen, daß seine Verurteilung nach den Bestimmungen des Tilgungsgesetzes (bei einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren beträgt die Tilgungsfrist 10 Jahre - § 3 Abs 1 TilgG) längst getilgt ist und der Kläger auf keinen Fall verpflichtet wäre, eine getilgte Vorstrafe offenzulegen.

Die Vorstrafe bildet aber noch aus einem anderen Grund keinen Ausschluß des Klägers vom allgemeinen Arbeitsmarkt. Der Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit nach § 255 ASVG setzt nämlich voraus, daß die Arbeitsfähigkeit infolge des körperlichen oder geistigen Zustandes "herabgesunken ist" und daß der Versicherte wegen dieses Zustandes "nicht mehr imstande ist", durch eine Tätigkeit noch ein entsprechendes Einkommen zu erzielen. Es muß also bei dem Versicherten eine Verschlechterung der Arbeitsfähigkeit in dem Maße eingetreten sein, daß seine Arbeitsfähigkeit nun unter der Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten liegt. Die Ursache für die Minderung der Arbeitsfähigkeit muß der körperliche oder geistige Zustand des Versicherten sein. Umstände, die zwar eine geminderte Arbeitsfähigkeit nach sich ziehen, mit dem Gesundheitszustand aber nicht zusammenhängen, führen nicht zur Invalidität oder Berufsunfähigkeit. Ausschließlich dies ist der in der Pensionsversicherung durch die Versicherungsfälle der Minderung der Arbeitsfähigkeit abgedeckte Risikobereich; für den Schutz gegen andere Risken ist die Pensionsversicherung in ihrer derzeitigen Ausgestaltung nicht zuständig (SSV-NF 6/26 für den Fall der Unkenntnis der deutschen Sprache; vgl. auch Wachter, Entscheidungsbesprechung ZAS 1989, 18 unter Hinweis auf das Beispiel des Führerscheinentzuges bei einem Berufskraftfahrer). Selbst wenn also der Kläger durch eine Vorstrafe vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen wäre, stellte dies kein Risiko dar, für das die Pensionsversicherung aufzukommen hätte. Der Alkoholismus des Klägers wurde im medizinischen Leistungskalkül berücksichtigt.

Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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