OGH 9ObA207/94

OGH9ObA207/9428.9.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Petrag sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Barbara Hopf und Helmuth Prenner als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Betül Y*****, Angestellte, ***** vertreten durch Dr.Amhof und Dr.Damian Partnerschaft, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Eveline U*****, Wirtschaftstreuhänderin und Steuerberaterin, ***** ***** vertreten durch Dr.Walter Pfliegler, Rechtsanwalt in Wien, wegen 3.400 S brutto sA, infolge außerordentlicher Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24.November 1993, GZ 33 Ra 125/93-19, womit infolge Berufung der Klägerin das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 29.März 1993, GZ 4 Cga 1561/92-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie zu lauten haben:

"Die Beklagte ist schuldig, der Klägerin einen Betrag von 3.400 S brutto samt 4 % Zinsen seit 19.November 1992 binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Die beklagte Partei ist ferner schuldig, der Klägerin die mit 4.314,52 S bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz (darin 704,92 S Umsatzsteuer und 80 S Barauslagen) sowie die mit 1.511,04 S bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin 251,84 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen."

Die Beklagte ist weiters schuldig, der Klägerin die mit 1.812,48 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 302,08 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war bei der Beklagten ab 4.September 1991 als Büropraktikantin mit einem Monatsgehalt von 5.100 S beschäftigt; das Dienstverhältnis wurde von der Beklagten mit Schreiben vom 16.März 1992 zum 30.April 1992 aufgekündigt, wobei der Klägerin anheimgestellt wurde, ihren Gebührenurlaub während der Kündigungsfrist zu verbrauchen. Die Klägerin konsumierte ihren Urlaub ab dem 30.März 1992. Mit der Gehaltsabrechnung April 1992 erhielt die Klägerin je 1.700 S brutto an Weihnachtsremuneration und Urlaubszuschuß.

Auf das gegenständliche Dienstverhältnis ist der Kollektivvertrag für die Angestellten der Wirtschaftstreuhänder (im folgenden: KV) anzuwenden, der über die Sonderzahlungen folgende Regelung enthält:

"XIII. Sonderzahlungen

1. Den Angestellten in Wirtschaftstreuhandkanzleien gebühren im Sinne des § 16 des Angestelltengesetzes alljährlich zwei Sonderzahlungen in der Höhe von 100 % des ihnen für den Monat der Auszahlung zustehenden tatsächlichen Monatsgehaltes. Eine Sonderzahlung ist jeweils bei Antritt des gesetzlichen Urlaubes, falls dieser in Teilen gewährt wird, bei Antritt des längeren, bei gleich großen Urlaubsteilen, bei Antritt des ersten Urlaubsteiles, spätestens aber am 30.September, die zweite Sonderzahlung am 30.November auszuzahlen.

2. Der während eines Jahres ein- oder austretende Angestellte erhält den aliquoten Teil dieser Sonderzahlungen.

3. Wenn ein Angestellter nach Erhalt einer oder beider der für das laufende Kalenderjahr gebührenden Sonderzahlungen sein Dienstverhältnis selbst aufkündigt, aus seinem Dienstverhältnis ohne wichtigen Grund vorzeitig austritt oder infolge Vorliegens eines wichtigen Grundes vorzeitig entlassen wird, muß er sich die im laufenden Kalenderjahr anteilsmäßig zuviel bezogenen Sonderzahlungen auf seine ihm aus dem Dienstverhältnis zustehenden Ansprüche in Anrechnung bringen lassen...."

Die Klägerin begehrt 3.400 S brutto sA an weiterem Urlaubszuschuß und brachte vor, dieser sei nach dem Kollektivvertrag zur Gänze bei Antritt des Urlaubes fällig gewesen.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens; der Klägerin stehe nach Art XIII Abs 2 KV nur ein anteiliger Urlaubszuschuß für die Dauer der Beschäftigung zu.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil und sprach aus, daß die Revision nicht zulässig sei. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß Art XIII Abs 2 KV eine Sonderregelung für den Fall enthalte, daß das Dienstverhältnis nicht das ganze Jahr bestehe und nicht nur dann anzuwenden sei, wenn kein Urlaub konsumiert worden sei. Aus Art XIII Abs 3 sei für die Klägerin nichts zu gewinnen, weil darin ohnehin eine Aliquotierung vorgesehen sei. Folgte man der Auffassung der Klägerin, hätte sie bei Eingehen eines neuen Dienstverhältnisses erneut Anspruch auf den vollen Urlaubszuschuß. Dies widerspreche den bei Auslegung von Kollektivverträgen zu beachtenden Grundsätzen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, da die Auslegung von Kollektivverträgen in der Regel eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat und zur vorliegenden Auslegungsfrage, soweit überblickbar, eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht besteht (9 Ob A 189/91).

Die Revision ist auch berechtigt.

Kollektivverträge sind im normativen Teil nach herrschender Lehre und Rechtsprechung nach den Regeln, die für die Auslegung von Gesetzen gelten (§ 6 und 7 ABGB) auszulegen. Hiebei ist im Zweifel davon auszugehen, daß die Kollektivvertragsparteien eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen wollten (siehe Schwarz/Löschnigg Arbeitsrecht4 72; Kuderna, Die Auslegung kollektivrechtlicher Normen und Dienstordnungen sowie deren Ermittlung im Prozeß, DRdA 1975, 161 ff [169 f]; Arb 10.815 = SZ 62/135 uva).

In Art XIII Abs 1 KV wird die Fälligkeit der beiden Sonderzahlungen unterschiedlich geregelt; während die erste Sonderzahlung grundsätzlich bei Antritt des Urlaubs und nur für den Fall, daß der Antritt nicht vor dem 30.September erfolgt, erst zu diesem Zeitpunkt fällig wird, tritt die Fälligkeit der zweiten Sonderzahlung am 30. November ein. Dies ist damit zu erklären, daß die erste Sonderzahlung als Urlaubszuschuß zur Finanzierung des mit dem laufenden Gehalt allenfalls nicht abzudeckenden Mehraufwandes während des Urlaubsverbrauches dienen soll und daher grundsätzlich nicht zu einem fixen Termin, sondern bei Antritt des zumindest die Hälfte des jährlichen Urlaubsanspruches erfassenden Urlaubs fällig wird. Da die Klägerin ihren nach Absolvierung einer Dienstzeit von mehr als sechs Monaten in voller Höhe entstandenen Urlaubsanspruch im Einvernehmen mit der Beklagten ab 30.März 1992 jedenfalls zum Großteil konsumierte, war die erste Sonderzahlung bereits mit Antritt des Urlaubs fällig und wäre ihr daher zu diesem Zeitpunkt in voller Höhe auszuzahlen gewesen, um die mit der Konsumation des Urlaubs üblicherweise verbundene finanzielle Mehrbelastung zu decken. Mit dem die Rückverrechnung des über den der zurückgelegten Dienstzeit entsprechenden Betrag hinausgehenden Teiles der Sonderzahlung nur für bestimmte Endigungsarten vorsehenden Art XIII Abs 3 KV verfolgten die Kollektivvertragsparteien ganz offenbar den Zweck, Angestellten, die die Zurücklegung der der erhaltenen vollen Sonderzahlung entsprechenden Dienstzeit entweder durch Kündigung oder unberechtigten vorzeitigen Austritt oder Setzung eines Entlassungsgrundes verhindern, den der nicht zurückgelegten Dienstzeit entsprechenden Teil der erhaltenen Sonderzahlung zu entziehen. Daraus ergibt sich aber die weitere Absicht der Kollektivvertragsparteien, Angestellten, denen die Zurücklegung der der erhaltenen Sonderzahlung entsprechenden Dienstzeit aus anderen Gründen - etwa Kündigung durch den Dienstgeber - nicht möglich ist, die erhaltene volle Sonderzahlung zu belassen. Hätte die Beklagte daher der Klägerin die ihr gemäß Art XIII Abs 1 KV mit Antritt des Urlaubs gebührende Sonderzahlung gezahlt, wäre die Beklagte, da das Dienstverhältnis nicht auf eine der in Art XIII Abs 3 KV genannten Arten endete, nicht zur Rückforderung (Rückverrechnung) der über den aliquoten Teil hinausgehenden Sonderzahlung berechtigt gewesen. Bei rechtmäßigem Verhalten hätte die Beklagte daher den vollen Urlaubszuschuß bereits vor Beendigung des Dienstverhältnisses auszuzahlen gehabt, ohne daß eine Rückforderungsmöglichkeit bestanden hätte. Der Klägerin steht daher der ihr von der Beklagten rechtswidrig vorenthaltene Rest des Urlaubszuschusses zu.

Soweit die Revisionswerberin vermeint, Art XIII Abs 2 KV sei bei dieser Auslegung sinnlos, übersieht sie, daß diese, die Regelung des § 16 AngG wiederholende Bestimmung zum Tragen kommt, wenn das Dienstverhältnis erst während des Kalenderjahres begonnen hat oder vor Fälligkeit der Sonderzahlungen endet.

Schließlich teilt der erkennende Senat auch nicht die Auffassung des Berufungsgerichtes, es widerspreche dem bei Auslegung von Kollektivverträgen zu beachtenden Grundsätzen, wenn die Klägerin nach Erhalt des vollen Urlaubszuschusses im selben Kalenderjahr in einem neuen Dienstverhältnis wieder einen vollen Urlaubszuschuß erlangen könne. Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß zufolge der Aliquotierungsregel des Art XIII Abs 2 KV bei Ermittlung der für das laufende Kalenderjahr gebührenden Sonderzahlung der vom Beginn des Kalenderjahres bis zum Antritt des Dienstverhältnisses verstrichene Zeitraum durch eine entsprechende Kürzung im vorhinein zu berücksichtigen ist, so daß die Klägerin nach den Bestimmungen des vorliegenden KV im laufenden Kalenderjahr (1992) keinen weiteren Anspruch auf vollen Urlaubszuschuß erwerben konnte. Darüber hinaus entsteht gemäß § 2 Abs 2 UrlG der volle Urlaubsanspruch bereits nach Zurücklegung einer Dienstzeit von sechs Monaten, ab dem zweiten Arbeitsjahr aber bereits mit Beginn des Arbeitsjahres, so daß auch der Gesetzgeber im Falle eines Dienstgeberwechsels den Erwerb zweier voller Urlaubsansprüche und der damit verbundenen finanziellen Vorteile in einem Kalenderjahr ermöglicht.

Der Revision war daher Folge zu geben.

Die Entscheidung über die Kosten sämtlicher Instanzen beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Stichworte