Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der am 13.10.1944 geborene Kläger, der in den letzten 15 Jahren überwiegend als selbständiger Trafikant tätig war, stellte am 28.1.1993 bei der beklagten Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft den Antrag auf Feststellung der Erwerbsunfähigkeit. Mit Bescheid vom 21.7.1993 sprach die Beklagte aus, daß Erwerbsunfähigkeit des Klägers gemäß § 133 GSVG nicht vorliege, weil er noch in der Lage sei, leichte Arbeiten im Sitzen, eingeschränkt auch im Stehen und Gehen zu verrichten. Seine Erwerbsfähigkeit sei daher noch nicht so gemindert, daß er nicht mehr imstande wäre, einem regelmäßigen Erwerb nachzugehen.
Das Erstgericht gab der dagegen erhobenen Feststellungsklage statt und sprach aus, daß der Kläger seit 28.1.1993 erwerbsunfähig sei. Es stellte fest, daß der Kläger auf Grund verschiedener krankheitsbedingter Veränderungen nur mehr leichte, halbzeitig auch mittelschwere Arbeiten im Sitzen verrichten könne, kurzfristiges Gehen oder Stehen seien möglich. Der Weg zur Arbeit sei nur unter städtischen Bedingungen bei günstigen Witterungsbedingungen möglich. Bei Schnee, Glatteis oder dann, wenn Laub auf der Straße liege, könne der Kläger nicht alleine die Straße betreten. Bei guter Straßenlage könne er 800 bis 1000 Meter gehen. Auf Grund dieser Leistungseinschränkungen sei der Kläger nicht mehr in der Lage, eine Tabak-Trafik zu führen. Er müsse sich jedoch eine Verweisung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gefallen lassen. Eine solche Verweisung komme jedoch nicht in Frage, da wegen der starken Einschränkungen bei der Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes keine Möglichkeit einer Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestehe. Der Kläger sei daher erwerbsunfähig nach § 133 Abs 1 GSVG.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und änderte das Urteil im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens ab. Nach ständiger Rechtsprechung bewirke eine Einschränkung der Gehleistung auf eine Wegstrecke von 800 bis 1000 Meter nicht den Ausschluß vom allgemeinen Arbeitsmarkt, wenn der Versicherte ohne wesentliche Einschränkung ein öffentliches Verkehrsmittel benützen könne. Nur wenn der Versicherte nicht mehr imstande sei, eine Wegstrecke von 500 Meter auf die angeführte Art zu bewältigen, seien seine körperlichen oder geistigen Fähigkeiten so weit eingeschränkt, daß er schon nach allgemeiner Anschauung nicht mehr arbeitsfähig sei. Der Kläger sei imstande, eine Wegstrecke von 800 bis 1000 Meter zurückzulegen. Daran ändere nichts, daß er bei schlechten Straßenverhältnissen wie Schnee, Glatteis und wenn Laub auf der Straße liege, was bei städtischen Verhältnissen jedenfalls unberücksichtigt bleiben könne, nicht in der Lage sei, den Arbeitsplatz zu erreichen. Solche Verhältnisse seien zumindest in Großstädten infolge der den Eigentümer von Liegenschaften in Ortsgebieten gemäß § 93 Abs 1 StVO treffenden Pflicht, Gehsteige und Gehwege von Schnee und Verunreinigungen sowie bei Schnee und Glatteis zu säubern, nur in Ausnahmefällen gegeben, in denen erfahrungsgemäß auch die nicht gehbehinderten Berufstätigen den Arbeitsplatz nicht oder nicht rechtzeitig erreichen könnten. Auf dieses Ausnahmeverhältnis sei nicht Bedacht zu nehmen. Aufgrund der unbekämpften Feststellungen sei davon auszugehen, daß dem Kläger die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zugemutet werden könne. Da ihm eine große Zahl von Verweisungsberufen offen stehe, von denen beispielhaft grobe Sortiertätigkeiten im Rahmen der Massenfertigung von Waren und Gütern zB in der Kunststoff- und Metallindustrie angeführt würden, liege Erwerbsunfähigkeit gemäß § 133 Abs 1 GSVG nicht vor.
Die Revision des Klägers ist nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO). Die erstgerichtlichen Feststellungen über das medizinische Leistungskalkül des Klägers enthielten keine Einschränkung dahin, daß der Kläger keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen könne. Das Berufungsgericht konnte daher mit Recht davon ausgehen, daß dem Kläger die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zugemutet werden könne. Diese Schlußfolgerung des Berufungsgerichtes ist jedoch aus folgenden Erwägungen nicht entscheidungswesentlich:
Der Begriff der Erwerbsunfähigkeit iS des § 133 Abs 1 GSVG stellt eine strengere Voraussetzung dar als der Begriff der Invalidität in der Pensionsversicherung der Arbeiter oder der Begriff der Berufsunfähigkeit in der Pensionsversicherung der Angestellten, weil bei der Erwerbsunfähigkeit die gänzliche Unfähigkeit, einem regelmäßigen Erwerb nachzugehen, nachgewiesen werden muß und sich der Versicherte auf jede wie immer geartete - selbständige oder unselbständige - Tätigkeit auf dem Arbeitsmarkt verweisen lassen muß (SSV-NF 4/81 mwN). Ähnlich wie bei Beurteilung der Minderung der Erwerbsfähigkeit in der gesetzlichen Unfallversicherung ist auch bei Prüfung der Erwerbsunfähigkeit die Möglichkeit der Heimarbeit zu berücksichtigen (vgl. SSV-NF 6/96; zuletzt 19.7.1994, 10 Ob S 156/94). Daß der Kläger, der noch leichte und halbzeitig mittelschwere Arbeiten vorwiegend im Sitzen verrichten kann, in diesem Sinne dauernd außerstande wäre, (irgendeinem) regelmäßigen Erwerb - etwa auch in Form der Heimarbeit - nachzugehen, ist nicht anzunehmen und würde schon der allgemeinen Lebenserfahrung widersprechen. Ob der Kläger noch als Trafikant arbeiten könnte, ist vor der Vollendung des 50. Lebensjahres (§ 133 Abs 2 GSVG idF der 19. Novelle BGBl. 1993/336) ebenfalls nicht ausschlaggebend.
Der Revision war sohin ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch an den unterlegenen Kläger aus Billigkeit wurden nicht dargetan und sind nach der Aktenlage nicht ersichtlich.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)