OGH 10ObS159/94

OGH10ObS159/9427.9.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Heinrich Matzke (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Herbert Lohr (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Alois P*****, Pensionist, *****, vertreten durch Dr. Jörg Hobmeier, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, wegen Pflegegeld, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19. April 1994, GZ 5 Rs 36/94-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 20. Jänner 1994, GZ 44 Cgs 162/93t-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit S 2.029,44 bestimmten halben Kosten der Revision (darin enthalten S 338,24 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 8.5.1934 geborene Kläger erlitt bei einem Arbeitsunfall eine Verletzung des Armnervengeflechtes links, was eine sensible Störung, eine motorische Lähmung und eine nerval ausgelöste Muskelathrophie zur Folge hatte. Die Finger der linken Hand sind vollständig unbeweglich, mit dem linken Handgelenk sind nur Wackelbewegungen möglich, so daß eine praktische Funktionslosigkeit der linken Hand gegeben ist. Damit sind höchstens grobe ungerichtete Stützfunktionen durchführbar, wie sie zB nötig sind, um eine Hose beim Anziehen an der linken Seite an den Leib zu pressen. Der Kläger ist imstande, sich selbst mit der rechten Hand den Hosenbundknopf zu schließen. Bei den Schuhen wird er auf Schlüpfschuhe und Reißverschlußstiefel ausweichen. Dem Problem mit dem rechten Hemdsärmelknopf kann dadurch begegnet werden, daß mit Versetzen des Knopfes die Manschette weit genug für ein selbständiges Hinein- und Herausschlüpfen gebildet wird. Der Kläger kann sich also allein an- und auskleiden, die Notdurft verrichten und bei völlig freier Beweglichkeit des rechten Armes am ganzen Körper reinigen. Beim Einnehmen der Mahlzeit ist er darauf angewiesen, daß ihm das Essen mundgerecht serviert wird: Er kann also kein Fleisch schneiden. Die Zubereitung der Nahrung stößt auf weitgehend unüberwindliche Schwierigkeiten: Er kann kein Gemüse putzen, kein Fleisch oder Brot schneiden, keine Pfannen und Töpfe halten, während umgerührt werden muß. Der Kläger kann mit Geld manipulieren und sich Nahrungsmittel und Medikamente selbst nach Hause schaffen. Seine im 4. Stock gelegene Wohnung ist mit einem Lift erreichbar und wird mit einer Ölzentralheizung beheizt. Bei der Reinigung der Wohnung und der persönlichen Gebrauchsgegenstände kann der Kläger nur oberflächlich Staub wischen und mit einem Handstaubsauger zusammensaugen. Für gründliche Reinigungsarbeiten, aber auch zum Reinigen seiner dritten Zähne braucht er fremde Hilfe. Das Waschen der Leib- und Bettwäsche in der Maschine ist möglich, er braucht aber Hilfe beim Aufhängen von großen Wäschestücken und beim Bügeln. Hilfe bei der Fortbewegung ist nicht nötig. Das nächste Lebensmittelgeschäft ist etwa 250 m vom Haus des Klägers entfernt, die nächste Haltestelle eines öffentlichen Verkehrsmittels etwa 200 m und die nächste Ordination eines praktischen Arztes cirka 800 m.

Mit Bescheid der beklagten Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter vom 25.8.1993 wurde der Antrag des Klägers vom 26.5.1993 auf Gewährung des Pflegegeldes abgelehnt. Mit der dagegen erhobenen rechtzeitigen Klage begehrte der Kläger die Gewährung des Pflegegeldes in Höhe der Stufe 1 ab 1.7.1993, weil er einen Pflegebedarf von mehr als 50 Stunden monatlich habe. Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es ging davon aus, daß der Kläger Hilfe bei der Zubereitung und der Einnahme von Mahlzeiten bedürfe, die gründliche Wohnungsreinigung nicht vornehmen und größere Wäschestücke nicht aufhängen und bügeln könne. Sein durchschnittlicher Pflegebedarf betrage daher nur 30 Stunden monatlich.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Wenngleich der Kläger für die Zubereitung der Mahlzeiten betreuungsbedürftig sei und ihm das Essen mundgerecht serviert werden müsse, weil er insbesondere kein Fleisch schneiden könne, sei nicht davon auszugehen, daß er beim Einnehmen der Mahlzeiten fremder Hilfe bedürfe. Das Einnehmen der Mahlzeiten könne er nämlich alleine durchführen. Das mundgerechte Vorbereiten von Speisen gehöre aber zur Zubereitung von Mahlzeiten iS des § 1 Abs 4 EinstV, ohne daß dabei der Wortsinn der zitierten Bestimmung überbeansprucht würde. Es könne nämlich im Rahmen der Zubereitung der Mahlzeiten bereits auf die für den Kläger notwendige mundgerechte Vorbereitung der Speisen Bedacht genommen werden. Unter Einnahme von Mahlzeiten sei im wesentlichen das Aufnehmen der Speisen vom Teller und das Führen zum Munde zu verstehen. Da dies dem Kläger aber ohne jede Hilfe möglich sei, könne von einem Betreuungsbedarf im Bereich der Einnahme von Speisen keine Rede sein. Ein Betreuungsbedarf sei daher lediglich für die Zubereitung von Mahlzeiten anzunehmen, und zwar in der Höhe von 30 Stunden monatlich, nicht jedoch für die Einnahme der Mahlzeiten. Zähle man dazu den Hilfsbedarf für die Reinigung der Wohnung und die Pflege der Leib- und Bettwäsche von jeweils 10 Stunden monatlich, so ergebe sich ein gesamter Pflegebedarf von genau 50 Stunden, während ein Anspruch auf Pflegegeld der Stufe 1 voraussetze, daß der Pflegebedarf mehr als 50 Stunden monatlich betrage. Somit erreiche der Pflegebedarf des Klägers nicht die für das Pflegegeld der Stufe 1 bestehende Untergrenze.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist nicht berechtigt.

Die Revisionsausführungen stellen den vom Berufungsgericht angenommenen Pflegebedarf von 50 Stunden für die Zubereitung von Mahlzeiten, die Reinigung der Wohnung und die Pflege der Leib- und Bettwäsche nicht in Frage. Sie beschäftigen sich lediglich mit der Frage, ob der Kläger nicht nur bei der Zubereitung, sondern auch beim Einnehmen von Mahlzeiten betreut werden muß, ob also ein weiterer zusätzlicher Betreuungsaufwand iS des § 1 Abs 4 EinstV von 30 Stunden monatlich bestehe. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes entspreche es der allgemeinen Lebenserfahrung, unter dem "Einnehmen von Mahlzeiten" nicht nur das bloße Aufnehmen der Speisen vom Teller und das Führen zum Mund zu verstehen, sondern auch das Zerkleinern und mundgerechte Aufbereiten der gekochten Mahlzeiten auf dem Teller selbst. Das Wesen mancher Speisen bestehe darin, daß sie sich nach ihrer Zubereitung noch nicht im mundgerechten Zustand befinden würden und erst mit Messer und Gabel zerkleinert werden müßten. Nach den Feststellungen sei der Kläger aber nicht mehr in der Lage, sich solche Speisen selbst auf dem Teller mundgerecht vorzubereiten. Daher seien weitere 30 Stunden monatlich für die Einnahme von Mahlzeiten zuzuerkennen.

Diese Ausführungen vermögen den Obersten Gerichtshof nicht zu überzeugen. Nach § 1 Abs 4 der Einstufungsverordnung zum Bundespflegegeldgesetz, BGBl 1993/314 (EinstV) werden einerseits für die Zubereitung von Mahlzeiten, andererseits für das Einnehmen von Mahlzeiten jeweils eine Stunde als zeitliche Mindestwerte festgelegt. Dem Berufungsgericht ist darin beizustimmen, daß das mundgerechte Vorbereiten von Speisen, also etwa das Anrichten einer vorgeschnittenen oder auch einer breiigen Nahrung, zur Zubereitung von Mahlzeiten zu zählen ist, während das Einnehmen der Mahlzeiten darin besteht, daß die Speisen vom Teller aufgenommen und zum Mund geführt werden (vergleichbar dem "Füttern" eines Kleinkindes). Die Richtigkeit dieser Überlegung ergibt sich vor allem auch daraus, daß der Verordnungsgeber für das Einnehmen von Mahlzeiten einen Mindestwert von täglich einer Stunde angenommen hat, während etwa das Vorschneiden von gekochtem oder gebratenem Fleisch nur ganz wenige Minuten in Anspruch nehmen kann. Der Senat ist daher der Auffassung, daß dann, wenn eine vorgeschnittene oder auch eine breiige Nahrung selbständig aufgenommen werden kann, kein gesonderter Pflegebedarf für das Einnehmen von Mahlzeiten besteht. Es sei betont, daß dem Kläger infolge seiner praktischen Einarmigkeit wohl das Schneiden mit einem Messer, nicht aber das Zerkleinern von Speisen mit der Gabel verwehrt ist. Die dies in Frage stellenden Revisionsausführungen sind nicht zutreffend.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG (SSV-NF 6/61 ua).

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