European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1994:0150OS00134.940000.0922.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Durch den angefochtenen Beschluß wurden Robert und Sabine M***** im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Gründe:
Rechtliche Beurteilung
Gegen die deutschen Staatsangehörigen Robert und Sabine M***** liegen insgesamt fünf Haftbefehle deutscher Behörden vor:
1. Der Haftbefehl des Amtsgerichtes Ingolstadt vom 25. Juni 1994, GZ 13 Js 9702/94. Darin wird ihnen zur Last gelegt, am 21. Juni 1994 die dreizehn Jahre alte Sarah P***** durch List dem Kreisjugendamt Ansbach als Amtspfleger entzogen zu haben, indem sie heimlich mit ihren beiden ehelichen Kindern im Alter von vier und acht Jahren sowie dem Pflegekind Sarah P***** das angemietete Anwesen in L**********verließen und seitdem unbekannten Aufenthaltes waren, nachdem die Gemeinde G***** die Erteilung des Kindesausweises für einen Urlaub in Italien abgelehnt hatte.
2. Der Haftbefehl des Landgerichtes Ingolstadt vom 28. Juni 1994, GZ 1 Kls 24Js 12493/93. Dieser lastet Robert M***** neun, Sabine M***** acht Betrugshandlungen mit einem Gesamtschadensbetrag von ca 500.000 DM an.
3. Der Haftbefehl der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Ingolstadt vom 23. Juni 1994, Gnr 24 Vrs 5980/93. Dieser wurde bezüglich des Robert M***** zum Zwecke des Vollzuges einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten, abzüglich der Untersuchungshaft in der Dauer von 41 Tagen erlassen.
4. Der Sabine M***** betreffende Haftbefehl der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Ingolstadt vom 23. Juni 1994, GNr 24VRs 5980/93, wegen des offenen Vollzugs einer Freiheitsstrafe in der Dauer von acht Monaten, abzüglich ein Tag Untersuchungshaft.
5. Im Haftbefehl des Amtsgerichtes Ingolstadt vom 18. Juli 1994, GZ 24 Js 11537/94, wird Robert und Sabine M***** vorgeworfen, in zwei Fällen Betrügereien im März und April 1991 mit einem Gesamtschaden in Höhe von 2.251,75 DM begangen zu haben.
Am 26. Juni 1994 um 7,30 Uhr wurden Robert und Sabine M***** in R***** festgenommen, am darauffolgenden Tag wurde über sie die Auslieferungshaft auf Grund der oben zu 1. bis 4. bezeichneten Haftbefehle wegen des Haftgrundes der Fluchtgefahr gemäß § 29 Abs 1 ARHG iVm § 180 Abs 1, Abs 2 Z 1 StPO verhängt. Da der Untersuchungsrichter des Landesgerichtes Wels die gemäß § 181 Abs 2 Z 1 StPO vorzunehmende Haftverhandlung (statt richtigerweise spätestens am 11. Juli 1994) erst am 12. Juli 1994 durchgeführt und die Fortsetzung der Auslieferungshaft aus den Gründen der Z 1 und Z 3 lit b des § 180 Abs 2 StPO beschlossen hatte, hob das Oberlandesgericht Linz mit Beschluß vom 19. Juli 1994, AZ 7 Bs 260,261/94, in Stattgebung einer von den Eheleuten M***** dagegen erhobenen Beschwerde die Auslieferungshaft wegen Versäumung der in § 181 Abs 2 Z 1 StPO normierten Frist durch den Untersuchungsrichter auf.
Noch am selben Tage verhängte der Untersuchungsrichter des Landesgerichtes Wels über Robert und Sabine M***** (erneut) die Auslieferungshaft, diesmal auf Grund des zu 5. angeführten Haftbefehls. In der am 2. August 1994 (diesmal rechtzeitig) durchgeführten Haftverhandlung wurde beschlossen, die Auslieferungshaft nach § 29 Abs 1 ARHG iVm § 180 Abs 1 und Abs 2 Z 1 StPO fortzusetzen. Den unter anderem dagegen von Robert und Sabine M***** erhobenen Beschwerden gab das Oberlandesgericht Linz mit Beschluß vom 4. August 1994, AZ 7 Bs 289-292/94, nicht Folge.
Durch diesen Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz erachten sich Robert und Sabine M***** im Grundreht auf persönliche Freiheit verletzt. Sie führen in ihrer Grundrechtsbeschwerde aus, durch den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz vom 19. Juli 1994 sei die Wirksamkeit der erwähnten Haftbefehle 1. bis 4. verbraucht; auf den fünften Haftbefehl könne ein Auslieferungsbegehren nicht gestützt werden, weil der diesem Haftbefehl zugrunde liegende Sachverhalt gemäß § 11 Abs 1 ARHG nicht auslieferungsfähig sei. Darüberhinaus wird das Vorliegen eines dringenden Tatverdachtes in Zweifel gezogen und Unverhältnismäßigkeit der bisherigen Auslieferungshaftdauer behauptet.
Die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Linz vom 4. August 1994 hat Robert und Sabine M***** im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.
Durch den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz vom 19. Juli 1994 wurde der Gegenstand des die Beschwerdeführer betreffenden Auslieferungsverfahrens in seinem Umfang in keiner Weise berührt; es wurde lediglich die über die Genannten verhängte Auslieferungshaft aufgehoben, weil der Untersuchungsrichter des Landesgerichtes Wels eine Haftfrist versäumt hatte. Durch diesen Fehler des Untersuchungsrichters wurden aber keineswegs die in den Haftbefehlen
1. bis 4. umschriebenen Sachverhalte "verbraucht", wie die Beschwerdeführer es ausdrücken.
Gemäß dem Grundsatz "ne bis in idem" war nur bei unveränderter Sach- und Rechtslage die neuerliche Verhängung der Auslieferungshaft unzulässig. Nach Lage des Falls ist aber nach Aufhebung der Auslieferungshaft ein weiterer Anschuldigungsgrund, nämlich der dem Haftbefehl Nr 5 zugrunde liegende Sachverhalt bekannt geworden. Unstrittig ist, daß dieser Sachverhalt für sich allein gemäß § 11 Abs 1 ARHG nicht der Auslieferung unterliegt. Im Zusammenhang mit jenen Sachverhalten, die Gegenstand der Haftbefehle 1. bis 4. sind und die - um es nochmals mit Deutlichkeit auszusprechen - weiterhin Gegenstand des Auslieferungsverfahrens sind, ist aber auch der den Beschwerdeführern zur Last gelegte Betrugsvorwurf laut Haftbefehl Nr 5 auslieferungsfähig (§ 11 Abs 3 ARHG).
Die Bestreitung des hinreichenden Tatverdachtes betreffend das Sachverhaltssubstrat laut dem Haftbefehl des Amtsgerichtes Ingolstadt vom 18. Juli 1994 beruht auf der durch keinerlei konkrete Anhaltspunkte gestützten bloßen Vermutung der Beschwerdeführer, daß die deutsche Anklagebehörde den Sachverhalt ursprünglich nicht als Betrug gewertet oder überhaupt von dessen Verfolgung abgesehen habe. Derartige Spekulationen begründen aber keine erheblichen Bedenken gegen die Auslieferungsunterlagen (§ 31 Abs 1 ARHG). Bei einem - nach Lage des Falls - schlüssigen ausländischen Haftbefehl ist eine strenge Verdachtsprüfung wie etwa im Falle der Verhängung oder Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft (in einem österreichischen Strafverfahren) nicht anzustellen (vgl Linke ua, Internationales Strafrecht, E 2 zu § 29 ARHG und E 3 zu § 31 leg.cit .).
Die Verhängung der Untersuchungshaft ist - isoliert betrachtet - bei hier gegebener und von den Beschwerdeführern nicht bestrittener Fluchtgefahr sogar bei einem nur in die Zuständigkeit des Bezirksgerichtes (hier § 146 StGB) fallenden Delikts zulässig (§ 452 Z 3 StPO). Abgesehen davon steht die infolge Überschreitens der Haftfrist des § 181 Abs 2 Z 1 StPO erfolgte Aufhebung der Auslieferungshaft einer Berücksichtigung aller jener Tatbestände, die bis dahin dem Auslieferungsverfahren zugrunde gelegen sind, nicht entgegen, sodaß im Hinblick auf den Verdacht der Verübung einer Vielzahl gleichartiger Betrugsfakten die Annahme gewerbsmäßiger Tatbegehung auch bezüglich der im Haftbefehl Nr 5 bezeichneten Taten im März und April 1991 zulässig ist.
Die Rechtsmeinung der Beschwerdeführer, bei einer (hier aus dem "formal-juristischen Grund" der Überschreitung der Fallfrist des § 181 Abs 2 Z 1 StPO vorzunehmenden) formellen Trennung der Verfahren sei eine materiell-rechtliche Verknüpfung der nun gesondert zu beurteilenden Betrugsfakten gemäß dem fünften Haftbefehl mit den neuen Betrugsfakten aus den Jahren 1992 und 1993 (zweiter Haftbefehl) zu einem gewerbsmäßigen schweren Betrug nicht mehr möglich, geht fehl; soll doch die Trennung von an sich zusammengehörigen Strafsachen dem Beschuldigten weder zum Nachteil (zu dessen Hintanhaltung die Strafbemessungsvorschriften der §§ 31 und 40 StGB bzw 55d StGB) dienen, noch (wie die Beschwerdeführer offenbar vermeinen) zum Vorteil gereichen.
Letztlich ist, ausgehend von der Annahme, daß bloß die im Haftbefehl Nr 5 zugrunde liegenden Taten zu einem Schuldspruch führen würden und bei möglicher Bedachtnahme auf zwei zwischenzeitig in Deutschland gegen die Beschwerdeführer ergangene Urteile, die bisherige Dauer der Auslieferungshaft noch nicht unverhältnismäßig, weil die Aktenlage eben gewichtige Anhaltspunkte für eine gewerbsmäßige Tatbegehung im Sinn des § 148 StGB in diesen Auslieferungsfakten bietet.
Da in der bekämpften Entscheidung keine Verletzung des Grundrechts auf persönliche Freiheit zu erblicken ist, war die Beschwerde ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.
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