OGH 4Ob528/94

OGH4Ob528/9420.9.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek, Dr.Niederreiter, Dr.Redl und Dr.Griß als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B***** GmbH, ***** vertreten durch DDr.Hubert Fuchshuber und Dr.Christian Fuchshuber, Rechtsanwälte in Innsbruck, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, wegen S 5,374.622,70 sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 18.Jänner 1994, GZ 1 R 325/93-19, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 1.Oktober 1993, GZ 18 Cg 1061/92i-14, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 26.437,45 bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Begründung

Mit Schlußbrieß vom 6.November 1987 erteilte die Beklagte durch das Amt der Tiroler Landesregierung der Klägerin und der A***** GmbH, welche sich zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen hatten, den Auftrag zur Errichtung zweier Lawinengalerien und eines Tunnels im Baulos "Tieftaltobel" der Lechtaler Bundesstraße. Dem Auftrag lag ein neun Kapitel umfassendes Leistungsverzeichnis zugrunde. Die Kapitel 1 bis 6 betrafen insbesondere das Einrichten der Baustelle (Position 1011), die Vor- und Instandhaltung der Baustelleneinrichtung (Position 1012), die Bauregie (Position 1014) und den Abbau und Abtransport der Baustelleneinrichtung, sowie die Rekultivierung der beanspruchten Grundstücke (Position 1020); diese Positionen umfassten eine Auftragssumme von S 4,884.932,08. Kapitel 7 und 8 des Leistungsverzeichnisses betrafen die Leistungen für die Errichtung der beiden Lawinengalerien, Kapitel 9 die Tunnelarbeit. Das Leistungsverzeichnis (LV) enthält im Kapital Tunnelarbeiten (Seite 125) folgende Vertragsbestimmung:

"Die Art des erforderlichen Ausbaues ist von den angetroffenen Gebirgs- und Bergwasserverhältnissen abhängig. Es sind daher auch größere Änderungen der hier ausgeschriebenen Mengen möglich.

Eine Änderung der Einheitspreise und Pauschalien tritt dadurch nicht ein, es sei denn, die gesamte Gruppe 9000 erfährt in Summe bei der Abrechnung eine Änderung von ] +/- 20% gegenüber dem Anbot und dadurch bedingte Preisänderungen sind kalkulatorisch begründet (siehe RVS 10.111 Punkt 2. 33)".

Punkt 2. 33 der rechtlichen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen an Bundesstraßen (RVS) 10.111 lautet:

"Beeinflußt die Änderung des Projektes bzw. der Art oder Menge einer Leistung deren Preis, so ist ein neuer Preis, unter Berücksichtigung der Komponenten des ursprünglichen Auftrages (Preiszergliederung des Hauptauftrages) zu errechnen:

Bei einer Mengenänderung sind über Verlangen des Auftraggebers oder Auftragnehmers neue Preise nur dann zu vereinbaren, wenn es zu einer Abweichung von mehr als 20 % gegenüber dem im Vertrag für eine Gruppe gleichartiger Leistungen sich ergebenden Gesamtpreis kommt, vorausgesetzt, daß eine Änderung der Einheitspreise kalkulationsmäßig begründet ist.

Bei der vom Auftraggeber veranlaßten Änderung der Art oder Menge einer Leistung ist der neue Preis vor Ausführung der Leistung zu vereinbaren......"

Nach den "Besonderen Hinweisen" des Leistungsverzeichnisses geht das Leistungsverzeichnis den übrigen Vertragsgrundlagen, zu welchen insbesondere die RVS 10.111 gehören, im Falle von Widersprüchen vor.

Im Zuge der Tunnelbauarbeiten trug die Beklagte der ARGE wegen der besonderen geologischen Verhältnisse mit Eintragung im Baubuch vom 6. September 1988 auf, nicht bloß - wie im Auftrag vorgesehen - eine kurze Strecke des Tunnels mit Folienisolierung und Schalbeton zu versehen sondern den gesamten Tunnel auf diese Art und Weise auszukleiden. Der Oberbauleiter der Klägerin nahm diese Erweiterung zur Kenntnis. Über Mehrkosten dieser Arbeiten wurde zwischen den Streitteilen nicht gesprochen. Insbesondere wurde auch nicht darüber gesprochen, daß zufolge der Massemehrungen im Bauteil Tunnel (Kapitel 9) Mehrkosten in den Kapiteln 1 bis 6 entstehen würden; dies deshalb, weil der Oberbauleiter der Klägerin der Ansicht war, dazu aufgrund des abgeschlossenen Bauvertrages nicht verpflichtet zu sein.

Durch die zusätzliche Auftragserteilung kam es zwar insgesamt zu keiner Verlängerung der Bauzeit, doch konnten die Tunnelarbeiten nicht - wie geplant - im Jahr 1988 fertiggestellt werden. Nach der winterbedingten Arbeitsunterbrechung wurde die Tunnelauskleidung erst im Sommer 1989 begonnen. Da zu diesem Zeitpunkt der für die Tunnelverkleidung vorgesehene Schalwagen bei den Lawinengalerien im Einsatz war, mußte die Klägerin für den Tunnel einen weiteren Schalwagen mieten. Auf damit verbundenen Mehrkosten wurde die Beklagte ebenfalls nicht hingewiesen. Schon vor der Inangriffnahme der mit der Erweiterung verbundenen Mehrarbeiten, nämlich am 10.März 1989, hatte der Bauleiter der Klägerin intern die neuen Gesamtkosten der Tunnelbauarbeiten ermittelt und dabei festgestellt, daß die angeordneten Massenmehrungen gegenüber dem ursprünglichen Angebot eine Kostensteigerung in Kapitel 9 von mehr als 20 % bewirken werden. Erst mit Schreiben vom 28.September 1989 meldete die Klägerin die mit der Massenmehrung verbundenen Mehraufwendungen dem Grunde nach an.

Die durch die Gesamtauskleidung des Tunnels veranlaßten Mehrkosten wurden der Klägerin abgegolten.

Mit der vorliegenden, mit Zustimmung des zweiten Gesellschafters der Arbeitsgemeinschaft eingebrachten Klage begehrte die Klägerin von der Beklagten die Zahlung von S 5,374.662,70 an behaupteten Mehrkosten bei den eingangs erwähnten Positionen des Kapitels 1 bis 6 des Leistungsverzeichnisses.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei.

Die zwischen den Streitteilen strittige Frage, ob die Klägerin berechtigt war, solche Mehrkosten - ohne vorherige Neuberechnung und -vereinbarung - in die Schlußabrechnung aufzunehmen, oder ob sie - bei sonstigem Anspruchsverlust - verpflichtet gewesen wäre, den neuen Preis vor Ausführung der Leistung mit der Beklagten zu vereinbaren, haben die Vorinstanzen in Auslegung der Vertragsbestimmung über die Tunnelbauarbeiten (LV Seite 125) im Zusammenhalt mit dem dort enthaltenen Hinweis auf Punkt 2. 33 der RVS 10.111 dahin gelöst, daß die Klägerin verpflichtet gewesen wäre, vor Ausführung der Tunnelinnenauskleidung mit der Beklagten den neuen Preis (Einheitspreise oder Pauschalien der Kapitel 1 bis 6) zu vereinbaren. Das Berufungsgericht leitete aus der Verweisung im LV Seite 125 auf Punkt 2. 33 der RVS 10.111 ab, daß dieser Punkt der RVS im Rahmen des Bauvertrages - entgegen der sonstigen Rangfolge der Vertragsgrundlagen im Falle von Widersprüchen - unmittelbar anzuwenden sei, weil der Hinweis sonst unverständlich und inhaltsleer wäre. Damit wäre es Sache der Klägerin gewesen, die mit der Erweiterung der Tunnelauskleidung verbundenen Kosten (bei anderen Positionen des Leistungsverzeichnisses) zu kalkulieren, die Beklagte von der - tatsächlich auch vor Arbeitsbeginn errechneten - Preissteigerung um mehr als 20 % (gegenüber dem Auftrag) zu verständigen und vor Ausführung der Arbeiten neue Einheits- oder Pauschalpreise zu vereinbaren, um eine Verwirkung des Anspruches auf diese Mehrkosten zu vermeiden. Das habe insbesondere die Einheits- und Pauschalpreise der Kapitel 1 bis 6 des Leistungsverzeichnisses betroffen. Ob die intern ermittelte Preissteigerung im Kapitel 9 des Leistungsverzeichnisses auch der Geschäftsführung der Klägerin bekannt geworden sei, sei ohne Belang, weil jedenfalls die Behauptung der Klägerin widerlegt worden sei, daß diese Überschreitung der Tunnelbaukosten nicht abschätzbar gewesen sei.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen von der Klägerin erhobene Revision ist - entgegen dem nicht bindenden Ausspruch (§ 508 a ZPO) des Berufungsgerichtes, daß die ordentliche Revision zulässig sei - mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

Das Berufungsgericht hat seinen Zulässigkeitsausspruch damit begründet, daß die Auslegung der RVS 10.111 wiederholt Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen sei, so daß diese in ihrer Bedeutung über den Einzelfall erheblich hinausreiche. Entgegen diesen Ausführungen geht es hier aber nicht um die Auslegung der genannten ABG für Bundesstraßenbauarbeiten sondern um die Auslegung des Leistungsverzeichnisses für das gegenständliche Bauprojekt, welches im Kapitel 9 (Tunnelbauarbeiten) eine Regelung über die Änderung von Einheitspreisen und Pauschalien im Fall von Änderungen der dem Leistungsverzeichnis zugrundeliegenden Mengen gegenüber der Ausschreibung enthält und nur dabei auf Punkt 2. 33 der RVS 10.111 verweist. Auszulegen ist demnach die Bestimmung in einem singulären Vertragswerk über die Errichtung eines bestimmten Bauloses. Es besteht kein Anhaltspunkt dafür, daß die Beklagte die vorliegende Vertragsklausel eines Einzelvertrages generell in weiteren Leistungsverzeichnissen für Tunnelarbeiten verwenden werde. Ist aber die Beantwortung von Fragen der Vertragsauslegung nur für den Einzelfall von Bedeutung, so liegt keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO vor (MietSlg 38.602/32; MR 1989, 210; vgl ZVR 1988/143 und VR 1989, 99)

Aber auch eine krasse Fehlbeurteilung, welche aus Gründen der Rechtssicherheit sogar in einem singulären Fall eine erhebliche Rechtsfrage begründen könnte (EFSlg 46.695; MietSlg 38.602/32) liegt hier nicht vor. Die Worte "eine Änderung der Einheitspreise und Pauschalien tritt dadurch nicht ein, es sei denn, die gesamte Gruppe 9000 erfährt in Summe bei der Abrechnung eine Änderung von ] +/- 20 %......" können im Zusammenhang mit den Bestimmungen des Punktes 2. 33 der RVS 10.111, wonach bei einer Beeinflussung des Preises einer Leistung durch eine Änderung des Projektes, der Art oder der Menge einer Leistung ein neuer Preis zu errechnen ist, wobei bei einer vom Auftraggeber verlangten Änderung der Art oder Menge einer Leistung der neue Preis vor Ausführung der Leistung zu vereinbaren ist, unter Zugrundelegung der Auslegungsregeln der §§ 914 f ABGB durchaus dahin verstanden werden, daß die Klägerin schon nach Kenntnis von der Mengenänderung verpflichtet war, zu berechnen, welche Änderung der Preis für die Tunnelarbeiten bei der Abrechnung erfahren werde, und daher noch vor der Ausführung der zusätzlichen Leistungen die dadurch kalkulatorisch begründeten Änderungen der Einheitspreise und Pauschalien bei anderen Kapiteln mit der Beklagten zu vereinbaren, wenn sich der neue Preis der Tunnelarbeiten gegenüber den Anbot um mehr als 20 % erhöht. Zutreffend hat das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang auf den Zweck des Punktes 2. 33 der RVS 10.111 hingewiesen, nämlich die Beklagte bei öffentlichen Bauvorhaben an Bundesstraßen vor überraschenden, wenngleich vom Auftragnehmer kalkulatorisch begründbaren Nachforderungen zu schützen. Wurde aber wegen der Änderung von Mengen kein neuer Preis für andere Positionen vereinbart, dann hat die Klägerin aufgrund des vorliegenden Vertrages keinen Anspruch auf Zahlung höherer Einheitspreise oder Pauschalien bei den Kapiteln 1 bis 6 des Leistungsverzeichnisses.

Mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage ist die Revision daher unzulässig.

Die Entscheidung über die Kosten der Revisionsbeantwortung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO; die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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