OGH 4Ob563/94

OGH4Ob563/9420.9.1994

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek, Dr.Niederreiter, Dr.Redl und Dr.Griß als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag.Helmut K*****, vertreten durch Dr.Michael Cermak, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei S***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr.Christian Ebert und Dr.Thomas Huber, Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung (Streitwert S 45.600), infolge Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 2.März 1994, GZ 48 R 1285/93-8, mit dem das Urteil des Bezirksgerichtes Hernals vom 4. Oktober 1993, GZ 6 C 2113/92g-3, abgeändert wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Aus Anlaß der Revision werden die Entscheidungen der Vorinstanzen und das ihnen zugrunde liegende Verfahren als nichtig aufgehoben; die Klage wird zurückgewiesen.

Der Kläger ist schuldig, der Beklagten die mit S 16.771,92 bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen (darin S 2.488,32 USt und S 1.842,- Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Der Großvater des Klägers, Dr.Alois S*****, mietete am 23.12.1958 die Wohnung top Nr 6 (neu) im Haus W*****, Z*****gasse 40, das nunmehr im Eigentum der Beklagten steht. Nach dem Tod von Dr.Alois S***** trat seine Witwe, Johanna S*****, in die Mietrechte ein. Der Kläger bewohnt seit 1982 ein Zimmer dieser Wohnung, während seine Großmutter zwei Zimmer benützte. 1992 übersiedelte Johanna S***** in das Pensionistenheim A*****. Mit einem auch von seiner Großmutter unterfertigten Schreiben teilte der Kläger am 7.5.1992 der Hausverwaltung mit, daß die Hauptmieterechte gemäß § 12 MRG auf ihn übergegangen seien. Die Beklagte akzeptierte den Mietrechtsübergang nicht.

Mit der am 9.12.1992 überreichten Klage begehrt der Kläger die Feststellung, daß zwischen ihm und der Beklagten "ein voll dem MRG unterliegender Hauptmietvertrag hinsichtlich der Wohnung ***** W*****, Z*****gasse 40, top Nr 6 (neu) besteht". Die Klage wurde der Beklagten am 17.12.1992 zugestellt. Bereits am 12.10.1992 war dem Kläger die Klage der Beklagten (Klägerin) auf Feststellung, daß zwischen ihr und dem Kläger (Beklagten) "betreffend die Wohnung ***** W*****, Z*****gasse 40, top Nr 6, kein wirksamer Bestandvertrag besteht und der Beklagte auch nicht wirksam Mietrechte an dieser Wohnung abgetreten erhalten hat", zugestellt worden (6 C 1673/92a BG Hernals). Mit diesem Feststellungsbegehren war ein Räumungsbegehren verbunden. Die Verfahren wurden zur gemeinsamen Verhandlung verbunden, vor der Entscheidung jedoch wieder getrennt.

Das Erstgericht wies das Feststellungsbegehren des Klägers ab; dem zu 6 C 1673/92a erhobenen Räumungs- und Feststellungsbegehren der Beklagten gab es Folge. Das Berufungsgericht änderte die beiden Entscheidungen dahin ab, daß es dem Feststellungsbegehren des Klägers stattgab, das Feststellungs- und Räumungsbegehren der Beklagten aber abwies. Das Berufungsgericht sprach in beiden Verfahren aus, daß die Revision nicht zulässig sei. Die gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes über das Feststellungs- und Räumungsbegehren der Beklagten erhobene außerordentliche Revision wies der Oberste Gerichtshof mit Beschluß vom 28.6.1994, 4Ob 1568/94 als unzulässig zurück.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes über das Feststellungsbegehren des Klägers eingebrachte außerordentliche Revision der Beklagten ist wegen Vorliegens eines die Rechtssicherheit beeinsichtigenden Nichtigkeitsgrundes (Petrasch, ÖJZ 1983, 169 [178] zulässig.

Mit der Zustellung der Klage an den Beklagten wird der geltend gemachte Anspruch streitanhängig; während der Dauer der Streitanhängigkeit darf über denselben Anspruch weder bei demselben noch bei einem anderen Gericht ein Rechtsstreit durchgeführt werden. Eine während der Streitanhängigkeit wegen desselben Anspruchs eingebrachte Klage ist auf Antrag oder von Amts wegen zurückzuweisen (§ 233 Abs 1 ZPO). Trotz Streitanhängigkeit geführte Verfahren sind nichtig (SZ 44/81; EvBl 1975/240; JBl 1983, 91). Streitanhängigkeit liegt vor, wenn die Parteien und der Streitgegenstand ident sind; daß die Parteirollen im Folgeprozeß vertauscht sind, hindert die Streitanhängigkeit nicht (Fasching ZPR2 Rz 1186). Der Streitgegenstand ist ident, wenn Begehren und rechtserzeugender Sachverhalt in beiden Verfahren gleich sind; Streitanhängigkeit besteht auch dann, wenn die Begehren nicht gleich sind, sondern ein Begehren das begriffliche Gegenteil des anderen Begehrens ist (Fasching aaO Rz 1187). Die Begehren müssen jedenfalls nach ihrem Inhalt in einem solchen Verhältnis stehen, daß die Sachentscheidung über die weitere Klage die erschöpfende Lösung der Rechtsfrage des bereits anhängigen Rechtsstreites zwingend zur Folge haben müßte (MietSlg 17.771; s auch Fasching III 91 ff).

Im vorliegenden Verfahren begehrt der Kläger die Feststellung, daß zwischen ihm und der Beklagten ein voll dem MRG unterliegender Hauptmietvertrag besteht; Gegenstand des Verfahrens 6 C 1673/92a war (auch) das Feststellungsbegehren, daß zwischen der Beklagten und dem Kläger kein wirksamer Bestandvertrag besteht und dem Kläger auch nicht wirksam Bestandrechte abgetreten wurden. Beide Verfahren beziehen sich auf die Wohnung W*****, Z*****gasse 40, top Nr 6.

Der rechtserzeugende Sachverhalt ist in beiden Verfahren ident; es sind dieselben Parteien, wenn auch in verschiedenen Parteirollen, beteiligt; das Begehren der zuerst eingebrachten Klage ist das begriffliche Gegenteil der späteren Klage, wobei jedoch der Kläger die Feststellung anstrebt, daß zwischen ihm und der Beklagten "ein voll dem MRG unterliegender Hauptmietvertrag" besteht, während nach dem vorangegangenen Urteilsantrag der Beklagten das "Nichtbestehen eines wirksamen Bestandvertrages" festgestellt werden soll. Dieser Unterschied hindert die Streianhängigkeit nicht, kann doch über die Feststellungsklage des Klägers nur entschieden werden, wenn, wie von der Beklagten mit der früheren Klage angestrebt, geklärt ist, ob zwischen den Streitteilen kein wirksamer Bestandvertrag besteht. Weder das Vorbringen noch die Feststellungen bieten auch nur den geringsten Anhaltspunkt dafür, daß der strittige Bestandvertrag etwas anderes als ein "voll dem MRG unterliegender Hauptmietvertrag" gewesen sein könnte.

Der - später zugestellten - Feststellungsklage des Klägers steht (stand) daher das Prozeßhindernis der Streitanhängigkeit entgegen; dieses ist, ebenso wie das seit Rechtskraft der zu 6 C 1673/92a des BG Hernals ergangenen Entscheidung bestehende Prozeßhindernis der entschiedenen Streitsache (vgl Fasching aaO Rz 1184), in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen (§ 240 Abs 3 ZPO). Aus Anlaß der Revision sind daher die Entscheidungen der Vorinstanzen und das ihnen zugrunde liegende Verfahren als nichtig aufzuheben und die Klage ist zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 51 Abs 1 ZPO. Dem Kläger war bei Einbringung seiner Feststellungsklage die Feststellungs- und Räumungsklage der Beklagten bereits zugestellt und daher bekannt; es ist ihm vorzuwerfen, ein Feststellungsbegehren erhoben zu haben, obwohl über denselben Anspruch bereits ein (Feststellungs-)Verfahren mit der Beklagten anhängig war.

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