OGH 10ObS190/94

OGH10ObS190/9420.9.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr.Josef Fellner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr.Renate Klenner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Emmerich H*****, ohne Beschäftigungsangabe,***** vertreten durch Dr.Reinhard Tögl und Dr.Nicoletta Wabitsch, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert Stifter-Straße 65, vertreten durch Dr.Vera Kremslehner, Dr.Josef Milchram und Dr.Anton Ehm, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 11.Mai 1994, GZ 7 Rs 38/94-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 13.Dezember 1993, GZ 32 Cgs 209/93m-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 27.10.1993 lehnte die Beklagte den Anspruch des Klägers auf Leistungen gemäß § 173 ASVG aus Anlaß seines Unfalls vom 19.4.1993 ab, weil sich der Unfall nicht im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung ereignet habe.

Das auf "Leistungen gemäß § 173 ASVG im gesetzlichen Ausmaß" gerichteten Klagebegehren stützt sich darauf, daß sich der Unfall auf einem mit der versicherten Beschäftigung zusammenhängenden Weg von der Arbeitsstätte zur Wohnung ereignet habe und daher ein Arbeitsunfall sei. Durch dessen Folgen sei die Erwerbsfähigkeit um 100 vH gemindert.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Sie wendete ein, daß der Unfall nicht mehr im zeitlichen Zusammenhang mit der versicherten Beschäftigung stehe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Es traf folgende unbekämpft gebliebene wesentliche Tatsachenfeststellungen:

Der damals bei einem Dienstgeber in *****, als Dienstnehmer beschäftigte (und dadurch ua in der Unfallversicherung nach dem ASVG versicherte) Kläger arbeitete am 19.4.1993 bis etwa 18.30 Uhr. Nachdem er sich gereinigt und angezogen hatte, verließ er die Arbeitsstätte gegen 19.00 Uhr. Er ging jedoch nicht sofort bis zu seiner Wohnung in *****, sondern begab sich zunächst in den Augarten. Dort verbrachte er einige Zeit sitzend auf einer Parkbank, döste und schlief. Zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt ging er zum Gasthaus ***** weiter, wo er "eine Mischung" konsumierte. Als er um

22.45 Uhr versuchte, die auf seinem Heimweg liegende Kreuzung Schönau-Gürtel - Conrad v. Hötzendorf-Straße zu überqueren, wurde er von einem Pkw niedergestoßen und schwert verletzt. Ein Fußgänger braucht für den Weg von der Arbeitsstätte zur Wohnung des Klägers höchstens 1/2 Stunde.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsansicht, daß der Unfall, der sich mehr als vier Stunden nach Arbeitsende ereignet habe, nicht mehr im zeitlichen Zusammenhang mit der versicherten Beschäftigung stünde.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge.

Während einer privaten Verrichtungen dienenden erheblichen Unterbrechung des Weges von der Arbeitsstätte zur Wohnung bestehe kein Versicherungsschutz. Dieser lebe jedoch nach der Unterbrechung auf dem weiteren Heimweg wieder auf, falls nicht aus den näheren Umständen der Unterbrechung auf eine endgültige Lösung des Zusammenhanges zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Heimweg geschlossen werden könne. Da der Heimweg zu Fuß leicht in 30 Minuten zu bewältigen gewesen wäre, wäre die Einschiebung einer längeren Ruhe- oder Erholungspause nicht erforderlich gewesen. Wenn sich der Kläger in seinem Wohnbezirk stundenlang im Park bzw im Gasthaus aufgehalten und erst dann seinen Heimweg fortgesetzt habe, stünde dieser Teil des Weges in keinem Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung. Der Kläger hätte sich ebensogut zunächst zu seiner Wohnung und dann zum nahegelegenen Gasthaus begeben können, um dort seine Freizeit zu verbringen. Überdiese habe die nächtliche Fortsetzung des Heimweges auch zu einem größeren Unfallsrisiko geführt.

In der Revision macht der Kläger unrichtige rechtliche Beurteilung geltend und beantragt, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinn abzuändern oder es allenfalls aufzugeben.

Rechtliche Beurteilung

Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben. Die nach § 46 Abs 3 ASGG zulässige Revision ist nicht berechtigt.

Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes folgt der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (SSV-NF 3/61, 65 und 103; 4/20 und 6/129 jeweils mwN), der von der Lehre zugestimmt wird (zB Tomandl in Tomandl, SV-System 7. ErgLfg 316 mit FN 56 bis 60a und Hinweisen auf die deutsche Lehre). Im vorliegenden Fall hat der Kläger seinen mit der Beschäftigung zusammenhängenden Weg von der Arbeitsstätte zu seiner etwa 30 Gehminuten entfernten Wohnung, zweimal aus privatwirtschaftlichen Gründen unterbrochen: das erste Mal zu einer Rast im Augartenpark, das zweite Mal zu einem Gasthausbesuch. Wie lange jede dieser Unterbrechungen dauerte, ist nicht entscheidungswesentlich. Wird der Weg von der Arbeitsstätte nämlich aus persönlichen Gründen mehrfach unterbrochen, dann sind die einzelnen Unterbrechungen vor allem hinsichtlich ihrer Dauer nicht gesondert auf eine Lösung des inneren Zusammenhanges zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Heimweg zu prüfen. Entscheidend ist vielmehr die Gesamtdauer der Unterbrechung (sa Brackmann, Handbuch der SV II 72. Nachtrag 487 l und die dort zit Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes). Da der Kläger seinen Heimweg gegen 19.00 Uhr antrat und um 22.45 Uhr auf der Kreuzung Schönaugürtel - Conrad v. Hötzendorf-Straße verunglückte - die reine Gehzeit von der Arbeitsstätte bis zur Unfallstelle beträgt etwa 25 Minuten - hatte er seinen kurz vor der genannten Kreuzung wiederaufgenommenen Heimweg durch die Aufenthalte im Augartenpark und im Gasthaus für eine Gesamtdauer von fast 3,5 Stunden unterbrochen. Aus der Art dieser beiden weder durch die beendete Tagesarbeit noch durch Umstände des Heimweges bedingten lediglich privatwirtschaftlichen Interessen dienenden Unterbrechungen und aus ihrer langen Dauer haben die Vorinstanzen ohne Rechtsirrtum auf eine endgültige Lösung des Zusammenhanges zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Weg vom Ort derselben geschlossen. Der Kläger befand sich zur Zeit seines Unfalls nicht mehr auf einem mit der Beschäftigung zusammenhängenden Weg von der Arbeitsstätte zur Wohnung, sondern auf dem mit der Beschäftigung nicht mehr zusammenhängenden, rund 3,5 Stunden nach Verlassen der Arbeitsstätte angetretenen, nicht nach § 175 Abs 2 Z 1 ASVG versicherten nächtlichen Heimweg von einem Gasthausbesuch.

Entgegen der Rechtsansicht des Revisionswerbers ist sein Fall dem der Entscheidung SSV-NF 6/129 zugrunde liegenden nicht ähnlich. Der damalige Kläger, ein Schüler, der auf dem Heimweg von der Schule die Wohnung seiner Großmutter aufgesucht und dort seine schriftlichen Hausaufgaben gemacht und gelernt hatte, hatte durch diese vor der Fortsetzung seines Heimweges verrichteten Lerntätigkeiten auch nach allgemeiner Anschauung den Zusammenhang zwischen der Ausbildung in der Schule und dem weiteren Heimweg nicht endgültig gelöst. Im Fall des nunmehrigen Klägers fehlen jedoch besondere Umstände für die Annahme, daß die etwa 3,5 Stunden dauernde Aufenthalte in einem Park und in einer Gaststätte den Zusammenhang des Heimweges von der Arbeitsstätte nicht endgültig gelöst hätten. Da sich der Unfall nicht mehr auf einem versicherten Weg ereignete, ist auf die vom Berufungsgericht hilfsweise erwähnte "gewisse" Risikovergrößerung durch die nächtliche Fortsetzung des Weges nicht mehr einzugehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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