OGH 10ObS204/94

OGH10ObS204/9420.9.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Josef Fellner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Renate Klenner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Steva B*****, ohne Beschäftigung, *****, vertreten durch Dr. Alfred Richter, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. April 1994, GZ 31 Rs 17/94-27, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 7. Oktober 1993, GZ 11 Cgs 206/93a-19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 26.8.1950 im ehemaligen Jugoslawien geborene Kläger hat in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag (1.10.1992) keine qualifizierte Tätigkeit ausgeübt; nach seinen Behauptungen war er als Billeteur tätig. Auf Grund der im einzelnen festgestellten Leidenszustände kann er mittelschwere Arbeiten im Sitzen, Stehen und bis zu einem Drittel der Arbeitszeit auch im Gehen, dies aber nicht länger als eine Viertelstunde ununterbrochen, leisten. Arbeiten an erhöht exponierten Stellen sind nicht möglich.

Das Erstgericht wies das auf Gewährung der Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1.10.1992 gerichtete Klagebegehren ab. Es stellte fest, daß der Kläger noch folgende Tätigkeiten verrichten könne: Kunststoffspritzer (Bedienung einfacher Spritzmaschinen, Nachfüllung des Granulats, Herausnahme des Werkstückes) in der Plastikwarenerzeugung, Schleifer, Präger, Polierer, Punktschweißer (Arbeiten an einfachen Maschinen) in der Metallwarenerzeugung und Portier. Daraus folgerte das Erstgericht rechtlich, daß der Kläger nicht invalid iS des § 255 Abs 3 ASVG sei, weil er noch die genannten Verweisungstätigkeiten ausüben könne.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es verneinte das Vorliegen der gerügten Verfahrensmängel und führte aus, das Erstgericht habe seine Pflicht, von Amts wegen Beweise aufzunehmen, nicht verletzt, wenn es von der Einholung eines weiteren orthopädischen Gutachtens Abstand genommen habe. Sofern der Kläger dem Erstgericht eine Verletzung der Anleitungspflicht vorwerfe, unterlasse er jegliche Konkretisierung darüber, in welcher Hinsicht er in erster Instanz anzuleiten gewesen wäre und inwieweit sich die Verletzung dieser Pflicht auf den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt ausgewirkt hätte. Welche Untersuchungsmethoden ein adäquates Mittel zur Feststellung des Leidenszustandes seien, stelle eine medizinische Frage dar, deren Beurteilung den ärztlichen Sachverständigen überlassen bleiben müsse.

Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die nur auf den Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens gestützte Berufung des Klägers mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Klagestattgebung, hilfsweise Aufhebung und Zurückverweisung an eine der unteren Instanzen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Senates können auch in Sozialrechtssachen Verfahrensmängel erster Instanz, deren Vorliegen das Berufungsgericht verneint hat, im Revisionsverfahren nicht mehr mit Erfolg geltend gemacht werden (SSV-NF 7/74 mwN). Dies betrifft insbesondere den Vorwurf, das Erstgericht habe den Kläger nicht entsprechend angeleitet. Das Berufungsgericht setzte sich mit dieser Mängelrüge auseinander und erachtete sie als nicht berechtigt. Was die gerügte Unterlassung der Parteienvernehmung betrifft, so ist richtig, daß das Berufungsgericht nicht ausdrücklich darlegte, warum es die Parteienvernehmung für entbehrlich hielt. Der Revisionswerber führt dazu aus, die Parteienvernehmung wäre insbesondere deshalb notwendig gewesen, weil der Kläger vorgebracht habe, keinen Beruf erlernt zu haben und in den letzten 15 Jahren als Billeteur tätig gewesen zu sein. Es sei daher zu beurteilen gewesen, ob er in einem angelernten Beruf gemäß § 255 Abs 1 und 2 ASVG tätig gewesen sei; das hänge nicht von der allein vorgebrachten Berufssparte im allgemeinen, sondern davon ab, welche Anforderungen sein Arbeitsplatz an ihn gestellt habe. Dies sei aber nicht erörtert worden.

Es trifft zwar zu, daß die Frage, ob ein Versicherter Berufsschutz genießt, in allen Fällen, in denen bei Bestehen eines solchen die Verweisbarkeit fraglich wäre, von Amts wegen zu prüfen ist (SSV-NF 6/46 mwN). Nur dann, wenn jeglicher Anhaltspunkt dafür fehlt, daß ein Versicherter eine angelernte Tätigkeit ausgeübt hat, bedarf es keiner weiteren Erhebungen und Feststellungen über die genaue Art der Hilfsarbeitertätigkeiten, weil etwa schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch auch von jedem juristisch nicht Geschulten unter "Hilfsarbeiter" ein Arbeiter ohne besondere Qualifikation verstanden wird, also ein Arbeiter, der keine besondere Ausbildung besitzt und auch nicht angelernt ist (SSV-NF 3/46, 4/119). Dies trifft aber auch für den Beruf der Billeteure zu. Wie der Senat bereits entschieden hat, sind die Anforderungen an Billeteure allgemein bekannt, weil sich die Berufsausübung weitgehend unter den Augen der Öffentlichkeit abspielt, sodaß das Fehlen näherer Feststellungen über das Anforderungsprofil in diesem Beruf nicht schadet (SSV-NF 7/37). Ein angelernter Beruf liegt dann vor, wenn der Versicherte eine Tätigkeit ausübt, für die es erforderlich ist, durch praktische Arbeit qualifizierte Kenntnisse oder Fähigkeiten zu erwerben, welche jenen in einem erlernten Berufe gleichzuhalten sind (§ 255 Abs 2 ASVG). Es ist offenkundig, daß Billeteure, unabhängig davon auf welchem konkreten Arbeitsplatz sie arbeiten, keine solche qualifizierten Kenntnisse und Fähigkeiten besitzen müssen, sodaß die Annahme, Billeteure würden einen Berufsschutz nach § 255 Abs 1 ASVG genießen, nicht in Betracht zu ziehen ist. Die Mängelrüge des Klägers ist daher auch insoweit unberechtigt, als man ihr die Geltendmachung von der rechtlichen Beurteilung zuzuordnenden Feststellungsmängel entnehmen kann.

Der Revision war somit ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch an den unterlegenen Kläger aus Billigkeit wurden nicht dargetan und sind nach der Aktenlage nicht ersichtlich.

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