OGH 14Os102/94(14Os103/94)

OGH14Os102/94(14Os103/94)6.9.1994

Der Oberste Gerichtshof hat am 6.September 1994 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Massauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Strieder, Dr.Ebner, Dr.E.Adamovic und Dr.Holzweber als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Kriz als Schriftführer, in der Strafsache gegen Michal K***** wegen der Verbrechen des vollendeten und des versuchten Mordes nach §§ 75 und 15 StGB sowie anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Jugendgerichtshofes Wien als Schöffengericht vom 13.April 1994, GZ 3 a Vr 1.400/93-89, ferner über die Beschwerde des Angeklagten (§§ 494 a Abs 4, 498 Abs 3 StPO) nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Jugendliche Michal K***** (geboren am 23.August 1978) der Verbrechen des vollendeten und des versuchten Mordes nach §§ 75 und 15 StGB (A, B), des teils vollendeten, teils versuchten schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall und 15 StGB (C/1, 2), der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB (D), des verbrecherischen Komplotts nach § 277 (zu ergänzen:) Abs 1 StGB (F) und des teils vollendeten, teils versuchten schweren gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch und mit Waffen nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 2 und 4, 129 Z 1, 2 und 4, 130 "letzter Fall" (gemeint: zweiter Satz) und 15 StGB (G/I/1-7, II/1-3) sowie der Vergehen des Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach § 269 Abs 1 erster Fall StGB (E), der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (H) und nach § 36 Abs 1 Z 1 WaffG (I) schuldig erkannt und zu neun Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Gleichzeitig wurde eine bedingte Strafnachsicht widerrufen.

Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat der Angeklagte im einverständlichen Zusammenwirken mit dem gesondert verfolgten Erwachsenen Robert P*****

A/ am 6.November 1993 in Obersiebenbrunn den Sicherheitswachebeamten Johann S***** durch einen Kopfschuß aus einer Pistole vorsätzlich getötet;

B/ am selben Tag in Groß-Enzersdorf den Gendarmeriebezirksinspektor Adolf R***** durch einen Pistolenschuß, der eine blutende Verletzung der linken Hand zur Folge hatte, vorsätzlich zu töten versucht;

C/ am selben Tag in Wien den Valentin C***** mit vorgehaltener Pistole, sohin durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben unter Verwendung einer Waffe fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern,

1. abgenötigt, und zwar einen PKW Marke BMW 633 CSI samt Schlüssel bzw

2. abzunötigen versucht, und zwar einen Geldbetrag von 500 S;

D/ am selben Tag anläßlich der unter C/ geschilderten Straftat den Valentin C***** mit vorgehaltener Pistole, sohin durch gefährliche Drohung mit dem Tod zum Anbringen von Kraftfahrzeugkennzeichen am PKW BMW 633 CSI genötigt;

E/ am 30.Oktober 1993 auf der Südautobahn A 2 im Gebiet von Aspang die Polizeibeamten Robert R***** und Erich O*****, durch Abgabe von zumindest sieben Pistolenschüssen gegen deren Polizeieinsatzfahrzeug aus einer Entfernung von etwa 50 m, sohin mit Gewalt an einer Amtshandlung, nämlich seiner und des Robert P***** Festnahme gehindert;

F/ um den 24.Oktober 1993 die gemeinsame Ausführung eines schweren Raubes, nämlich eines bewaffneten Überfalles auf die R*****kasse in S***** verabredet;

G/ (zusammengefaßt wiedergegeben) von Mitte Oktober bis zum 6. November 1993 in verschiedenen Orten Niederösterreichs und der Steiermark fremde bewegliche Sachen in einem insgesamt 25.000 S übersteigenden Wert im Urteilsspruch namentlich genannten Personen überwiegend durch Einbruch, teilweise aus der Religionsübung dienenden Räumen und durch Aufbrechen von Behältnissen mit dem Vorsatz, sich durch die Sachzueignung unrechtmäßig zu bereichern sowie in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung der Tat (ersichtlich gemeint: von Einbruchsdiebstählen) eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, in sieben Angriffen weggenommen - darunter zuletzt (I/7) dem Johann H***** (Tankstelle G*****) 52,7 l Treibstoff im Wert von 527 S - und in drei Angriffen wegzunehmen versucht;

H/ am 5.November 1993 in Wien Urkunden, über die er nicht verfügen durfte, nämlich beide Kennzeichentafeln W 59.662 C des Christian S***** durch Abmontieren und Mitnehmen mit dem Vorsatz unterdrückt, zu verhindern, daß sie im Rechtsverkehr zum Beweis von Rechten, Rechtsverhältnissen und Tatsachen gebraucht werden;

I/ in der Zeit vom 24.Oktober bis zum 6.November 1993 unbefugt Faustfeuerwaffen besessen und geführt.

Rechtliche Beurteilung

Den Schuldspruch ficht der Angeklagte mit einer auf § 281 Abs 1 Z 3, 5, 5 a, 9 lit a und 9 lit b und 10 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde an. Den Strafausspruch bekämpfen er und die Staatsanwaltschaft mit Berufung; der Angeklagte hat außerdem gegen den Widerrufsbeschluß Beschwerde erhoben.

Der Verfahrensrüge (Z 3) ist zwar zuzugeben, daß durch die Unterlassung der erforderlichen Wiederholung einer Beeidigung der beiden Jugendschöffen gegen die Bestimmung des § 240 a StPO verstoßen wurde. Allerdings ist unzweifelhaft erkennbar, daß diese Formverletzung nach Lage des Falles auf die Entscheidung keinen dem Angeklagten nachteiligten Einfluß üben konnte (§ 281 Abs 3 StPO), weil - nach einem vom Obersten Gerichtshof gemäß § 285 f StPO eingeholten aufklärenden Bericht der Vorsitzenden - beide Schöffen vor Beginn der Hauptverhandlung am 13.April 1994 an den von ihnen am 21. April 1993 abgelegten - wenngleich rechtsirrtümlich - noch als wirksam bezeichneten Eid erinnert worden sind, sie selbst vom aufrechten Bestand ihrer eidlichen Verpflichtung überzeugt waren und ihnen überdies durch die Beeidigung der Ersatzschöffin der Inhalt der Eidesformel neuerlich vollständig zu Bewußtsein gebracht worden ist (vgl 13 Os 64/87).

Der Erörterung der Rechtsrüge (Z 9 lit a) ist voranzustellen, daß die Strafprozeßordnung nicht vorschreibt, an welcher Stelle des Urteiles die entscheidungswesentlichen Tatsachen anzuführen sind, weshalb Feststellungen auch im Rahmen der Beweiswürdigung getroffen werden können.

Der gegen die tatsächlichen Ausführungen zur subjektiven Tatseite des Mordes und Mordversuchs (A und B) gerichtete Einwand, es sei in sich widersprüchlich (der Sache nach Z 5) sowohl "direkter" als auch "indirekter" Tötungsvorsatz angenommen worden, ist - abgesehen von der begrifflichen Unschärfe dieser Vorsatzbezeichnungen (vgl Leukauf-Steininger Komm3 § 5 RN 24) - schon deshalb nicht berechtigt, weil sich die Feststellung der Absicht des Angeklagten auf die Erzwingung der Freigabe des Fluchtweges, die des bedingten Vorsatzes hingegen auf die Tötung bezieht (S 513, 515/V), womit nicht nur kein Gegensatz, sondern die typische Konstellation eines Eventualvorsatzes dargestellt wird.

Mit dem weiteren Einwand, das Erstgericht hätte keine Feststellungen über die "Gellerwirkung" der Schüsse getroffen, setzt sich der Beschwerdeführer über die Konstatierung des Tötungsvorsatzes (S 515/V) und zudem über die detaillierte Beschreibung der Flugbahn der die beiden Opfer treffenden Geschoße (S 505 und 507/V) hinweg. Er verfehlt somit die gesetzmäßige Darstellung des geltend gemachten materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrundes (Z 9 lit a), vermag damit aber auch keinen formellen Begründungsmangel (Z 5) aufzuzeigen.

Die gegen die Annahme des Tötungsvorsatzes (A, B) vorgebrachten erheblichen Bedenken (Z 5 a) vermag der Oberste Gerichtshof nach Prüfung der Akten anhand des Vorbringens nicht zu teilen.

Mit der Behauptung, das verbrecherische Komplott (F) sei nicht über das Vorbereitungstadium hinausgediehen, weil nach den Vorstellungen der Täter vor der endgültigen Fassung des Tatentschlusses noch Waffen besorgt werden sollten, übersieht der Beschwerdeführer, daß nach rechtem Verständnis der diesbezüglichen Urteilsfeststellungen der Angeklagte und Robert P***** bereits in voller Tatbereitschaft zusammengetreten und zur Tat ernstlich entschlossen waren (verbis: "beschlossen" und "vereinbarten" - S 497/V), und daß die Besorgung der Waffen schon der konsequenten Vorbereitung des Raubes selbst dienen sollte.

Sein gegen diesen Schuldspruch zielender, tätige Reue (§ 277 Abs 2 StGB) reklamierender weiterer Einwand (Z 9 lit b) aber läßt unberücksichtigt, daß als Grund des Unterbleibens des verabredeten Raubüberfalls die Erkenntnis bereits eingeleiteter Fahndungsmaßnahmen nach Robert P***** festgestellt ist (S 499/V).

Die Feststellung des Bereicherungsvorsatzes beim Diebstahl vom 6. November 1993 zum Nachteil des Johann H***** (G/I/7) ergibt sich deutlich genug aus dem Urteilsspruch in Verbindung mit den Entscheidungsgründen (S 483, 503/V).

Es trifft auch nicht zu, daß das Erstgericht keine Feststellung "im Sinne des § 10 JGG 1961" (gemeint: zum Alter der problematischen Reife nach § 4 Abs 2 Z 1 JGG 1988) getroffen habe (Z 9 lit b). Die Ausführungen im Urteil, wonach der Angeklagte in den Tatzeitpunkten diskretions- und dispositionsfähig bzw "für seine Taten voll verantwortlich" war (S 493, 509/V), sind eindeutig als eigenständige Konstatierungen des Gerichtes zu erkennen und - einem weiteren Einwand (Z 5) zuwider - mit den Gutachten der Sachverständigen Dr.P***** und Dr.Q***** auch zureichend begründet worden (S 509/V).

Die Subsumtionsrüge (Z 10) zum Faktum C/1 schließlich, mit welcher der Angeklagte die Beurteilung der Tat als Nötigung anstrebt, läßt den festgestellten Tätervorsatz außer acht, das Kraftfahrzeug in seinen Gewahrsam zu bringen, um es wie ein Eigentümer für unbestimmte Zeit zu behalten und zu gebrauchen (S 511/V).

Somit war die Nichtigkeitsbeschwerde schon bei einer nichtöffentlichen Beratung als teils offenbar unbegründet, teils nicht gesetzmäßig ausgeführt sofort zurückzuweisen (§ 285 d StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichtes Wien zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde folgt (§§ 285 i, 498 Abs 3 StPO).

Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten ist in § 390 a StPO begründet.

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