OGH 5Ob562/93

OGH5Ob562/9330.8.1994

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Zehetner als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schwarz, Dr.Floßmann, Dr.Adamovic und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Frieda T*****, Hotelier, ***** vertreten durch Dr.Fritz Schneider ua Rechtsanwälte in Bludenz, wider die beklagte Partei Günther L*****, vertreten durch Dr.Roland Piccolruaz, Rechtsanwalt in Bludenz, wegen S 566.659,09 s.A., infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 15.Juli 1993, GZ 2 R 169/93-12, womit das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 15.März 1993, GZ 8 Cg 444/92g-7, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die beklagte Partei errichtete im Auftrag der Klägerin im Jahre 1985 einen betonierten unterirdischen Verbindungsgang. Kurze Zeit nach Fertigstellung des Bauwerkes traten im Beton Risse auf, durch welche Wasser eindrang. Im Jahre 1987 wurde die beklagte Partei von den Wassereintritten verständigt. Nach einem im gleichen Jahr durchgeführten Lokalaugenschein vertraten beide Seiten die Meinung, zunächst abzuwarten. Mit Schreiben des von der Klägerin beauftragten Architekten vom 28.3.1988 wurde die beklagte Partei aufgefordert, die Mängel im Rahmen der Gewährleistung innerhalb von drei Monaten zu beheben, weil sich die Situation verschlechtert habe. Mit Schreiben vom 14.9.1988 forderte die Klägerin die beklagte Partei auf, den Zeitpunkt des Beginnes der Reparaturarbeiten mitzuteilen, und führte in diesem Zusammenhang unter anderem aus:

"Wie sich bei der letzten Besichtigung am 6.9.1988 herausgestellt hat, sind nicht nur Dichtungsmängel aufgetreten, sondern nach meiner Meinung liegen auch statische und errichtungstechnische Mängel vor."

Nach einer weiteren Urgenz der Klägerin vom 31.1.1989 übermittelte ihr die beklagte Partei am 26.2.1990 das folgende Schreiben:

"Die in Ihrem Schreiben vom 31.1.1989 bemängelte Undichtheit in Ihrem Verbindungsgang ist im wesentlichen auf die von Ihnen vorgenommene Einsparung der vorgesehenen gesamten Folienisolierung zurückzuführen. Die Entscheidung über diese Ausführungsänderung haben Sie ohne mein Einverständnis und Wissen getroffen und daher selbst zu verantworten. Der laut LV geforderte B 300 WU wurde von uns fachgerecht eingebaut und ist auch dicht. Die Abdichtung von Schwundrissen, welche bei Bauwerken dieser Größe entstehen, wäre Aufgabe der Folienisolierung. Eine absolute Dichtheit im Fugenbereich könnte nur durch Spezialfugenbänder erzielt werden, welche im LV im Hinblick auf die vorgesehene Folienabdichtung nicht erforderlich waren.

Da Sie die Kosten für die ausgeführten und noch notwendigen Fugenverpressungen nicht übernehmen wollen, können Sie von mir keine weiteren Leistungen mehr erwarten. Nach Beobachtung der bis heute ausgeführten Fugenpressungen rate ich Ihnen zum nachträglichen Einbau der fehlenden Folienteile."

Am 11.4.1990 ersuchte der Klagsvertreter die beklagte Partei, angesichts der nach wie vor bestehenden Undichtheit des Tunnels gemeinsam zu Verbesserungs- und Lösungsvorschlägen zu gelangen. Die beklagte Partei antwortete darauf am 12.4.1990 mit dem Ersuchen um Mitteilung eines Gesprächstermines.

In einem im August 1990 eingeholten Gutachten wurde vorgeschlagen, die Betonwände zu isolieren, um das Eindringen von Feuchtigkeit zu verhindern. Die unter Hinweis auf dieses Gutachten zur Bezahlung der Behebungskosten von S 177.744,.- aufgeforderte beklagte Partei beharrte mit Schreiben vom 11.9.1990 darauf, nicht für die Wassereintritte verantwortlich zu sein.

In einem weiteren, am 17.8.1992 erstatteten Gutachten wurde die Ansicht vertreten, daß die senkrecht zur Tunnelachse verlaufenden Risse durch Schwindkräfte entstanden seien und durch eine ausreichende Schwindarmierung vermieden worden wären.

Mit der am 21.12.1992 beim Erstgericht eingebrachten Klage brachte die Klägerin vor, die beklagte Partei habe den Beton der Tunnelröhre vereinbarungswidrig und gegen die Regeln der Technik nicht ausreichend armiert, sodaß Schwundrisse entstanden seien. Die wahre Ursache dieser Risse sei der Klägerin erstmals durch ein am 17.8.1992 erstattetes Gutachten bekannt geworden. Die Sanierung des Tummels erfordere einen Aufwand von netto S 566.659,09. Die beklagte Partei sei schuldig, diese Kosten zu ersetzen.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage und wendete ein, angesichts des Umstandes, daß im Tunnelbau Risse nie gänzlich vermieden werden könnten, sei die Umhüllung der Tunnelröhre mit einer Folie vorgesehen gewesen. Die Wassereintritte in den Tunnel seien darauf zurückzuführen, daß diese Isolierung nicht fachgerecht die ganze Tunnelröhre umhüllend angebracht worden sei. Das Klagebegehren sei im übrigen verjährt.

Das Erstgericht wies die Klage mit der Begründung ab, der Schadenersatzanspruch der Klägerin sei zum Zeitpunkt der Einbringung der Klage bereits verjährt gewesen, weil der Klägerin spätestens am 14.9.1988 bekannt gewesen sei, daß der Wassereintritt auf statische und errichtungstechnische Mängel des Tunnel zurückzuführen sei.

Das Berufungsgericht hob das Urteil des Erstgerichtes auf, verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück und sprach aus, daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei.

Rechtlich führte das Berufungsgericht im wesentlichen folgendes aus:

Die dreijährige Verjährungsfrist nach § 1489 ABGB beginne dann zu laufen, wenn dem Beschädigten der Eintritt des Schadens und die Person des Schädigers soweit bekannt seien, daß eine Klage mit Aussicht auf Erfolg angestellt werden könne. Zum Eintritt des Schadens gehöre auch die Kenntnis des Ursachenzusammenhanges. Im vorliegenden Fall sei der Klägerin bereits kurze Zeit nach Fertigstellung des Tunnel das Auftreten von Betonrissen, durch welche Wasser eindringen konnte, bekanntgewesen. Risse im Beton seien jedoch nicht von vornherein Indizien für eine nicht fachgerechte Ausführung, sondern - je nach Konstruktion - bis zu einem gewissen Ausmaß unvermeidbar. Aus der Tatsache der Rißbildung habe daher die Klägerin für sich allein noch nicht zwingend auf ein Vertrags- oder sonst rechtswidriges Verhalten der beklagten Partei als Grundlage für einen Schadenersatzanspruch schließen können. Es sei vielmehr erforderlich gewesen zu ergründen, ob die Rißbildungen im Bereich der Tunnelröhre trotz vereinbarungsgemäßer und fachgerechter Ausführung aufgetreten sind oder ob die beklagte Partei gegen vertragliche Pflichten verstossen habe, etwa durch Abweichen von den Konstruktionsplänen oder durch Verletzung ihrer Warnpflicht. Die Klärung dieser Umstände erfordere Fachkenntnisse, die bei der Klägerin nicht vorausgesetzt werden könnten. Die entscheidende Kenntnis des Ursachenzusammenhanges könnte in einem solchen Fall in der Regel nur unter Beiziehung eines Sachverständigen erlangt werden, hier konkret durch das Sachverständigengutachten vom August 1992. Daran ändere nichts, daß die Klägerin bereits im Jahre 1988 das Vorliegen statischer und errichtungstechnischer Mängel in ihrem Schreiben an den Beklagten behauptet habe. Darin seien bloße Mutmaßungen zu erblicken, die nicht ausreichten, den Lauf der Verjährungszeit in Gang zu setzen. Es komme auch nicht darauf an, ob es der Klägerin möglich gewesen wäre, die maßgeblichen Umstände früher festzustellen, weil die bloße Möglichkeit der Ermittlung einschlägiger Tatsachen ihr Bekanntsein nicht zu ersetzen vermöge: Kennen müssen reiche nicht aus.

Da sohin der von der Klägerin geltend gemachte Schadenersatzanspruch nicht verjährt sei, bedürfe es einer Ergänzung des Verfahrens über den Grund und die Höhe des geltend gemachten Anspruches durch das Erstgericht.

Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil im Hinblick auf die von der Klägerin bereits mit Schreiben vom 14.9.1988 ausgesprochene Meinung, es lägen statische und errichtungstechnische Mängel vor, ein rechtlicher Grenzfall anzunehmen sei, dessen Bedeutung über den Einzelfall hinausgehe und der einer Lösung durch den Obersten Gerichtshof bedürfe.

Gegen den Beschluß des Berufungsgerichtes richtet sich der Rekurs der Klägerin mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Klagebegehren abzuweisen; hilfsweise beantragte die Klägerin, den Beschluß des Berufungsgerichtes aufzuheben und diesem eine neuerliche Verhandlung und Entscheidung aufzutragen.

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Zutreffend ging das Berufungsgericht davon aus, daß die dreijährige Verjährungsfrist des § 1489 ABGB mit dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, in dem der Ersatzberechtigte sowohl den Schaden als auch den Ersatzpflichtigen soweit kennt, daß eine Klage mit Aussicht auf Erfolg erhoben werden kann. Die Kenntnis muß dabei den ganzen den Anspruch begründenden Sachverhalt umfassen, insbesondere auch die Kenntnis des Ursachenzusammenhanges zwischen dem Schaden und einem bestimmten dem Schädiger anzulastenden Verhalten, in Fällen der Verschuldenshaftung daher auch jene Umstände, aus denen sich das Verschulden des Schädigers ergibt. Dieses kann sich freilich auch aus der offenkundigen Rechtswidrigkeit seines Verhaltens ergeben (Schubert in Rummel, ABGB2 Rz 3 zu § 1489 mwN).

In der hier gegebenen besonderen Fallgestaltung ist zu beachten, daß der Schadenersatzanspruch der Klägerin auch nach § 1298 ABGB zu beurteilen ist, wonach demjenigen, der vorgibt, daß er an der Erfüllung seiner vertragsmäßigen oder gesetzlichen Verbindlichkeit ohne sein Verschulden verhindert worden sei, der Beweis obliegt, hier also dem Beklagten.

Nach dieser Gesetzesstelle hat der Gläubiger die Nicht- bzw. Schlechterfüllung zu beweisen, wogegen dem Schuldner der Entlastungsbeweis obliegt (Reischauer in Rummel, ABGB2, Rz 2 zu § 1298 mwN). Es ist also zu untersuchen, ob nicht durch das unstrittige Eindringen von Wasser in den vom Beklagten hergestellten Tunnel die Klägerin eine weitere Beweispflicht nicht mehr trifft, woraus folgen würde, daß ihr schon allein deswegen der ganze anspruchsbegründende Sachverhalt bekannt und daher die Einbringung der Klage mit Aussicht auf Erfolg möglich gewesen wäre. Dies ist jedoch aus folgenden Gründen zu verneinen:

Die Tatsache, daß dem Beklagten der Entlastungsbeweis offensteht, läßt den Grundsatz der Haftung bloß für Verschulden unberührt. Es wird lediglich die Beweislast für einzelne Merkmale des Tatbestandes, an den die Schadenersatzpflicht geknüpft ist, von der Klägerin auf den Beklagten verschoben. Die Klägerin mußte daher vor Einbringung der Klage das Verschulden des Beklagten am eingetretenen Schaden jedenfalls insoweit berücksichtigen, als sie den Erfolg des dem Beklagten obliegenden Entlastungsbeweises mitbedenken mußte. Nur ab tatsächlichem Bekanntsein von Umständen, die die Annahme eines Verschuldens des Beklagten rechtfertigten, wäre der Klägerin die Einbringung der Klage mit Aussicht auf Erfolg möglich gewesen (JBl 1987, 450 ua).

Es mag zwar sein, daß der Klägerin ein allfälliges Abweichen bei der Durchführung der Folienisolierung von den Vereinbarungen mit dem Beklagten (siehe Klagebeantwortung ON 3) über ihren Auftrag schon bekannt war. Dies allein würde aber noch nicht bedeuten, daß den Beklagten überhaupt keine Haftung für den Wassereintritt trifft:

Es wäre durchaus möglich, daß dieser Wassereintritt nicht nur auf die behauptete mangelhafte und möglicherweise vom Beklagten nicht zu verantwortende Isolierung zurückzuführen ist, sondern - abgesehen von unvermeidbaren Setzungsrissen - auch auf eine vertragswidrige und unsachgemäße Ausführungen der Betonarbeiten als solche. Will die Klägerin - wie sie es in der Klage auch tatsächlich tut - ihren Anspruch auf letzteres stützen, so bedarf es der Kenntnis eines diesbezüglichen Ursachenzusammenhanges, um die Klage mit Erfolge einbringen zu können.

Aus dem eingangs widergegebenen Schreiben der Klägerin vom 14.9.1988 ergibt sich keinesfalls die Kenntnis der Klägerin von einem solchen Ursachenzusammenhang, sondern lediglich eine in diese Richtung gehende Vermutung. Dies reicht aber nicht aus (vgl 6 Ob 559/80, worin der Oberste Gerichtshof trotz früherer Erstattung einer Strafanzeige wegen Verdachtes des Vorliegens eines ärztlichen Kunstfehlers den Beginn der Verjährungsfrist erst mit dem Zeitpunkt annahm, in dem dem Geschädigten der Inhalt eines diesen Kunstfehler bestätigenden Sachverständigengutachtens bekannt war). Die Verjährungsfrist beginnt eben nicht, solange der Geschädigte als Laie keinen Einblick in die für das Verschulden maßgeblichen Zusammenhänge hat und erst durch ein Sachverständigengutachten hievon Kenntnis erhält. Die bloße Möglichkeit der Ermittlung einschlägiger Tatsachen vermag ihr Bekanntsein nicht zu ersetzen, Kennenmüssen reicht nicht aus (Schubert in Rummel, ABGB2, Rz 3 zu § 1489 mwN). Freilich reicht die bloße Behauptung, man habe erst jetzt vom Ursachenzusammenhang Kenntnis erlangt, nicht aus, wenn nicht gleichzeitig stichhältige Gründe dafür angegeben werden, weshalb diese Kenntnis nicht schon früher bestand (6 Ob 559/80). Gerade solche Gründe wurden aber von der Klägerin durch den Hinweis auf das erst später eingeholte Sachverständigengutachen genannt. Umstände, die auf eine tatsächliche Kenntnis der Klägerin des in diesem Sachverständigengutachten dargestellten Ursachenzusammenhanges hinwiesen, haben sich im Verfahren nicht ergeben. Das Verlangen der Klägerin auf Schadensbehebung unter Berufung auf die den Beklagten treffende Gewährleistung läßt einen Schluß auf Kenntnis der Klägerin auf einen auch das Verschulden des Beklagten umfassenden Ursachenzusammenhang nicht zu, weil der Gewährleistungsanspruch verschuldensunabhängig ist.

Die Kenntnis der Person des Ersatzpflichtigen muß sich der Geschädigte dann, wenn er auf Grund ihm bekannter Umstände zumutbarer Weise und ohne nennenswerte Mühe Namen und Anschrift des Ersatzpflichtigen in Erfahrung bringen konnte, mit dem Zeitpunkt zurechnen lassen, in welchem sie ihm bei entsprechenden Erkundigung zu Teil geworden wäre. Der Geschädigte darf sich nicht einfach passiv verhalten und es darauf ankommen lassen, daß er von der Person des ersatzpflichtigen eines Tages zufällig Kenntnis erhält (ZVR 1982/277). Diese Erkundigungspflicht des Geschädigten, die auch bezüglich der Kenntnis von Name und Anschrift des Schädigers nach der genannten Entscheidung nicht überspannt werden darf, ist auf den Fall der Unbekanntheit des Ursachenzusammenhanges zwischen eingetretenem Schaden und einem bestimmten Verhalten des vermutlichen Schädigers, das ihm noch dazu als Verschulden zuzurechnen sein muß, nicht anzuwenden. Im erstgenannten Fall sind nämlich dem Schädiger sowohl der Ursachenzusammenhang als auch die Person des Schädigers bekannt, letztere allerdings nicht mit den für die Einbringung einer Klage erforderlichen Merkmalen (Namen und Anschrift), wogegen in einem Fall wie den hier zu beurteilenden der Ursachenzusammenhang des Verhaltens des Schädigers und dessen Verschulden daran dem Geschädigten unbekannt sind.

Richtig ist allerdings - wie der Beklagte zur Stützung seines Standpunktes vorbringt - daß dann, wenn dem Geschädigten der Schade und die Person des Schädigers nicht bekannt wurden, die Entschädigungsklage innerhalb von 30 Jahren eingebracht werden kann. Dies ist der vom Gesetzgeber in § 1489 letzter Satz ABGB eingenommene Standpunkt.

Dem Rekurs war daher der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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