OGH 11Os93/94

OGH11Os93/9430.8.1994

Der Oberste Gerichtshof hat am 30. August 1994 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Lachner als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hager, Dr. Schindler, Dr. Holzweber und Dr. Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart des Rechteramtsanwärters Mag. Kriz als Schriftführer, in der Strafsache gegen Otto Sch***** wegen des Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Klagenfurt vom 29. April 1994, GZ 15 Vr 2001/91-90, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Hauptmann, des Angeklagten und des Verteidigers Dr. Kapsch zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung der Staatsanwaltschaft wird dahin Folge gegeben, daß der Tagessatz auf 350 S erhöht wird.

Der Berufung der Staatsanwaltschaft im übrigen und der Berufung des Angeklagten wird nicht Folge gegeben.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Mit dem auf dem einstimmigen Wahrspruch der Geschworenen beruhenden angefochtenen Urteil wurde Otto Sch***** des Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB und des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 Z 4 StGB schuldig erkannt.

Darnach hat er am 5. Oktober 1991 in Graz

1. Beamte der Bundespolizeidirektion Graz mit Gewalt an einer Amtshandlung, nämlich an Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Auflösung einer behördlich untersagten Versammlung, dadurch zu hindern versucht, daß er RevInsp. Josef L***** mehrere Schläge versetzte;

2. anläßlich der zu 1. beschriebenen Tag den Beamten der Bundespolizeidirektion Graz RevInsp. Josef L***** während der Vollziehung seiner Aufgaben vorsätzlich am Körper verletzt.

Hingegen wurde er von der weiteren wegen des Verbrechens nach § 3 g VG wider ihn erhobenen Anklage gemäß § 336 StPO freigesprochen.

Während der Freispruch in Rechtskraft erwuchs, bekämpft der Angeklagte den Schuldspruch mit einer auf die Z 6, 8, 10 a und 11 lit a und b des § 345 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Unter Berufung auf den erstbezeichneten Nichtigkeitsgrund (Z 6) rügt der Beschwerdeführer die auf die Vergehen des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt und der schweren Körperverletzung gerichteten Hauptfragen 2 und 3, weil die Geschworenen durch die Art der Fragestellung dahin in Irrtum geführt worden seien, daß zwei verschiedene Tathandlungen vorlägen. Der Beschwerdeführer verkennt, daß § 312 Abs 2 StPO im Falle echter Idealkonkurrenz die Stellung besonderer Hauptfragen für jede der zusammentreffenden strafbaren Handlungen vorschreibt. Die Formulierung der - mit der modifizierten Anklage (Band II/S 63) übereinstimmenden - gerügten Fragen läßt deutlich erkennen, daß sie sich nur auf eine einzige Tat beziehen, welche den Tatbestand zweier strafbarer Handlungen zu erfüllen vermag. Die gerügte Fragestellung entsprach somit nicht nur der Vorschrift des § 312 Abs 2 StPO, sondern brachte auch die näheren Umstände der unter Anklage stehenden Tat zum Ausdruck, sodaß sie dem Erfordernis der nötigen Individualsierung der Tat ebenfalls gerecht wurde.

Mit seiner Instruktionsrüge (Z 8) bemängelt der Beschwerdeführer, daß in der den Geschworenen erteilten Rechtsbelehrung auf den Umstand nicht eingegangen worden sei, daß die Geschworenen über eine einzige Tathandlung zu urteilen hätten, welche die Tatbestände zweier strafbarer Handlungen zu erfüllen vermag. Gemäß § 321 Abs 2 StPO muß die Rechtsbelehrung - für jede Frage gesondert - eine Darlegung der gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlung, auf die die Haupt- oder Eventualfrage gerichtet ist, sowie eine Auslegung der in den einzelnen Fragen vorkommenden Ausdrücke des Gesetzes enthalten und das Verhältnis der einzelnen Fragen zueinander sowie die Folgen der Bejahung oder Verneinung jeder Frage klarlegen. Gegenstand der Rechtsbelehrung können somit nur rechtliche, nicht aber tatsächliche Umstände sein, sodaß in ihr auf den Sachverhalt des zur Beurteilung stehenden Falles nicht einzugehen ist. Die Zurückführung der in die Fragen aufgenommenen gesetzlichen Merkmale auf den ihnen zugrunde liegenden Sachverhalt ist vielmehr Sache der nach § 323 Abs 2 StPO abzuhaltenden Besprechung des Vorsitzenden mit den Geschworenen (Mayerhofer-Rieder, StPO3, § 345 Z 8 ENr 14). In diesem Sinne blieb die den Geschworenen erteilte schriftliche Rechtsbelehrung auf den vom Gesetz vorgesehenen Inhalt beschränkt, während die Besonderheit des Vorwurfs ideal konkurrierender strafbarer Handlungen - welche schon aus der Anklage hervorgeht - vom Vorsitzenden bei der mündlichen Besprechung mit den Geschworenen erörtert wurde (Band II/197). Der Inhalt einer nach § 323 Abs 2 StPO vorgenommenen Besprechung kann aber nicht zum Gegenstand einer Nichtigkeitsbeschwerde gemacht werden (Mayerhofer-Rieder, aaO, § 323 ENr 1).

Entgegen der Tatsachenrüge (Z 10 a) ergeben sich aus den Akten keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen. Vielmehr dokumentieren die polizeilichen Erhebungsergebnisse das gewalttätige Vorgehen des Angeklagten gegenüber der Polizei, sodaß sich der Beschwerdeführer nach Abspielen des im Akt erliegenden, von der Bundespolizeidirektion Graz aufgenommenen Videobandes - sowie weiterer Filme - in der Hauptverhandlung veranlaßt sah, das Versetzen mehrerer Faustschläge gegen den Polizeibeamten Josef L***** zuzugeben (Band II/53). Genausowenig ergeben sich solche erheblichen Bedenken gegen die von den Geschworenen - durch Verneinung der entsprechenden Zusatzfrage - getroffene Feststellung, daß die vom Angeklagten zu hindern versuchte Amtshandlung nicht gegen strafgesetzliche Vorschriften verstieß. Indem der Beschwerdeführer bloß für sich günstigere Tatsachenfeststellungen anstrebt, erschöpft sich seine Rüge ihrem Inhalt und ihrer Zielsetzung nach in einer Bekämpfung der Beweiswürdigung der Geschworenen nach Art einer Schuldberufung.

Mit seiner Rechtsrüge (Z 11 lit a) zielt der Beschwerdeführer auf den Freispruch vom Anklagevorwurf des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt ab, indem er die auf diese strafbare Handlung gerichtete Hauptfrage 2 als unrichtig gestellt und die den Geschworenen hiezu erteilte Rechtsbelehrung als unrichtig und mangelhaft rügt. Ein Schuldspruch kann aus dem geltend gemachten Nichtigkeitsgrund jedoch nur dann angefochten werden, wenn die dem Angeklagten nach dem Wahrspruch der Geschworenen zur Last fallende Tat mit Verletzung oder unrichtiger Anwendung des Gesetzes vom Gericht als gerichtlich strafbare Handlung erklärt worden ist. Voraussetzung für die erfolgreiche Geltendmachung dieses Nichtigkeitsgrundes ist somit das Festhalten an den durch den Wahrspruch festgestellten Tatsachen, wobei aus dem Wahrspruch selbst ein Rechtsirrtum aufgezeigt werden muß (Mayerhofer-Rieder, aaO, § 345 Z 11 a ENr 2). Da der Beschwerdeführer den Wahrspruch als solchen bekämpft, erweist sich seine Rechtsrüge als nicht dem Gesetz gemäß ausgeführt.

Gestützt auf den Nichtigkeitsgrund der Z 11 lit b des § 345 Abs 1 StPO behauptet der Beschwerdeführer die Verletzung des Verschlimmerungsverbotes im zweiten Rechtsgang, weil die Geschworenen im ersten Rechtsgang die nach dem Vergehen der schweren Körperverletzung gestellte Hauptfrage mit dem Zusatz beantwortet hatten, daß er (bloß) mit bedingtem Vorsatz gehandelt habe, wogegen der im zweiten Rechtszug ergangene Schuldspruch eine solche Einschränkung nicht enthalte. Abgesehen von der rechtlichen Gleichwertigkeit der Vorsatzform des § 5 Abs 1 StGB verkennt er, daß der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund bloß prozeßrechtliche Verfolgungshindernisse betrifft. Da ein solches mit der Rüge nicht geltend gemacht wird, gelangt die Rüge abermals nicht zur prozeßordnungsgemäßen Darstellung. Im übrigen bezieht sich das im § 293 Abs 3 StPO festgelegte Verbot der reformatio in peius für den neuen Rechtsgang nach herrschender Rechtsprechung nur auf die Straffrage, wogegen das erkennende Gericht in der rechtlichen Beurteilung frei ist (Foregger-Kodek, StPO6, § 290 Erl VI, Mayerhofer-Rieder, aaO, § 293 ENr 24, je mwN). Das Geschworenengericht ist aber im zweiten Rechtsgang gar nicht zu einer anderen rechtlichen Beurteilung der von der entsprechenden Hauptfrage umfaßten Tat gelangt und hat vor allem die ihm gemäß den §§ 293 Abs 3, 344 StPO iVm § 290 Abs 2 StPO durch das Ersturteil eingeschränkte Strafbefugnis nicht überschritten. Der Angeklagte ist daher durch den Umstand, daß die Geschworenen im zweiten Rechtsgang die nach dem Vergehen der schweren Körperverletzung gerichtete Hauptfrage 3 hinsichtlich der subjektiven Tatseite ohne Einschränkung beantwortet haben, in keiner Weise beschwert.

Die zur Gänze unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Geschworenengericht verhängte über den Angeklagten nach dem ersten Strafsatz des § 269 StGB unter Anwendung der Bestimmungen der §§ 28 Abs 1 und 37 Abs 1 StGB eine Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu 200 S, für den Fall der Uneinbringlichkeit 90 Tage Ersatzfreiheitsstrafe.

Dabei wertete es als erschwerend das Zusammentreffen von zwei Vergehen, als mildernd hingegen das - "allerdings erst sehr spät abgelegte" - Teilgeständnis des Angeklagten, seinen bisher ordentlichen Lebenswandel, seine heftige Gemütsbewegung zur Tatzeit und den Umstand, daß es teilweise beim Versuch geblieben ist. Es bezog in seine Strafbemessungserwägungen überdies ein, daß der Angeklagte als Lehrer Vorbild für die Jugend sein und sich schon deswegen zu derartigen Taten nicht hinreißen lassen sollte; schließlich berücksichtigte es, daß der Angeklagte selbst Verletzungen erlitt.

Gegen den Strafausspruch richten sich die Berufungen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten. Erstere begehrt die Erhöhung der Strafe sowohl hinsichtlich der Zahl der Tagessätze als auch der Höhe des einzelnen Tagessatzes, während der Angeklagte die Herabsetzung der über ihn verhängten Strafe und deren bedingte Nachsicht anstrebt.

Die Berufung des Angeklagten ist nicht begründet, jene der Staatsanwaltschaft nur, soweit sie sich gegen die Höhe des einzelnen Tagessatzes richtet.

Das Geschworenengericht hat die Strafbemessungsgründe im wesentlichen vollständig festgestellt und zutreffend gewürdigt. Entgegen dem Berufungsvorbringen des Angeklagten steht die Annahme des Zusammentreffens von zwei Vergehen als erschwerend mit dem Gesetz im Einklang (§ 33 Z 1 StGB, siehe dazu Mayerhofer-Rieder StGB3 E 3 zu § 33 Z 1). Die heftige Gemütsbewegung des Angeklagten zur Tatzeit hat das Geschworenengericht - wie dargelegt - ohnedies in seine Erwägungen aufgenommen.

Für die von der Staatsanwaltschaft ins Treffen geführte "besondere" Brutalität des Angeklagten fehlt es an einer aktenmäßigen Grundlage.

Angesichts der zutreffend festgestellten Strafbemessungstatsachen bestand zu einer Veränderung der schuldorientierten Zahl der Tagessätze kein Anlaß. Der Oberste Gerichtshof teilt überdies die Auffassung des Erstgerichtes, daß angesichts der minderen Effektivität und Präventivwirkung der Geldstrafe deren bedingte Nachsicht im vorliegenden Fall nicht in Betracht kam.

Hingegen kommt der Berufung der Staatsanwaltschaft Berechtigung zu, soweit sie die Erhöhung des einzelnen Tagessatzes mit dem Argument anstrebt, daß einerseits das monatliche Nettoeinkommen des Angeklagten durch das angefochtene Urteil unter Außerachtlassung des

13. und 14. Monatsbezuges zu niedrig angesetzt und überdies die Sorgepflicht für die über ein eigenes ausreichendes Einkommen verfügende Ehegattin zu Unrecht berücksichtigt worden sei (Leukauf-Steininger Komm3 § 19 RN 19). Ausgehend von der tatsächlichen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Angeklagten und seinen persönlichen Verhältnissen (zum Zeitpunkt des Urteils erster Instanz) war daher in teilweiser Stattgebung der Berufung der Staatsanwaltschaft die Höhe des einzelnen Tagessatzes auf 350 S anzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390 a StPO.

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