OGH 15Os108/94(15Os109/94)

OGH15Os108/94(15Os109/94)29.7.1994

Der Oberste Gerichtshof hat am 29.Juli 1994 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch, Dr.Rouschal, Dr.Holzweber und Dr.Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Holzleithner als Schriftführer, in der Strafsache gegen Friedrich K***** wegen des Verbrechens nach §§ 12 Abs 1, Abs 3 Z 3 SGG und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 2.März 1994, GZ 6 b Vr 12142/92-52, sowie über die Beschwerde des Angeklagten gegen den gleichzeitig mit diesem Urteil gefaßten Beschluß gemäß § 494 a Abs 1 Z 4 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

I. Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben; es werden das angefochtene Urteil, das im Schuldspruch wegen des Vergehens nach § 16 Abs 1 SGG (Punkt B) unberührt bleibt, im Schuldspruch wegen des Verbrechens nach § 12 Abs 1, Abs 3 Z 3 SGG (Punkt A) und demzufolge im Strafausspruch (einschließlich des Ausspruches über die Vorhaftanrechnung) sowie der Beschluß auf Widerruf der zum AZ 3 d E Vr 10.210/91 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien gewährten bedingten Strafnachsicht aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Strafsache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

II. Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.

III. Auf die kassatorische Entscheidung werden die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte mit ihren Berufungen und der Angeklagte mit seiner Beschwerde verwiesen.

Text

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Friedrich K***** (A) des Verbrechens nach § 12 Abs 1, Abs 3 Z 3 SGG sowie (B) des Vergehens nach § 16 Abs 1 SGG schuldig erkannt.

Darnach hat er den bestehenden Vorschriften zuwider in Wien

(zu A) in der Zeit zwischen 1989 und Mai 1992 durch den Verkauf von insgesamt 150 Gramm Heroin an den abgesondert verfolgten Robert M***** sowie durch Verkauf von höchstens einem Gramm Heroin an den abgesondert verfolgten Herbert D***** in einer Menge, welche die in § 12 Abs 1 SGG genannte Menge um das 25fache übersteigt, in Verkehr gesetzt sowie

(zu B) in der Zeit zwischen 1989 und Mitte Dezember 1992 wiederholt Haschisch und Opiate erworben und besessen.

Nach dem Rechtsmittelantrag der gegen dieses Urteil erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten wird begehrt, der "Nichtigkeitsbeschwerde Folge zu geben, nach § 288 a StPO die Hauptverhandlung zu vernichten und die Sache zur nochmaligen Verhandlung vor das Erstgericht erster Instanz zu verweisen bzw das angefochtene Urteil aufzuheben". Nach dieser Erklärung wird demnach das Urteil dem gesamten Umfang nach angefochten. Zum Schuldspruch wegen des Vergehens nach § 16 Abs 1 SGG (Punkt B) finden sich jedoch keine Ausführungen. Mangels deutlicher und bestimmter Bezeichnung von diesen Schuldspruch betreffenden Nichtigkeitsgründen war daher die Nichtigkeitsbeschwerde insoweit zurückzuweisen (§ 285 d Abs 1 Z 1 StPO).

Nicht nachvollziehbar ist im übrigen auch der Rechtsmittelantrag, "nach § 288 a StPO die Hauptverhandlung zu vernichten". Denn der Nichtigkeitsgrund des § 281 a StPO (Entscheidung eines unzuständigen Oberlandesgerichtes über einen Anklageeinspruch oder eine Versetzung in den Anklagestand), auf den § 288 a StPO abstellt, konnte im vorliegenden Verfahren, in welchem ein Oberlandesgericht gar nicht angerufen wurde, von vornherein nicht verwirklicht worden sein.

Im Ergebnis zu Recht rügt der Beschwerdeführer indes einen Begründungsmangel (§ 281 Abs 1 Z 5 StPO).

Das Schöffengericht begründete zwar, aus welchen Erwägungen es die Verantwortung des Angeklagten, an M***** überhaupt kein Suchtgift verkauft zu haben für unglaubwürdig hielt und den - auch sich selbst belastenden - Angaben des Zeugen M***** über den Ankauf von Suchtgift vom Angeklagten folgte. Es setzte sich jedoch überhaupt nicht mit den divergierenden Mengenangaben des Zeugen M***** auseinander, der in seiner Vernehmung vor der Polizei die vom Angeklagten erstandene Menge mit ca 150 bis 200 Gramm Heroin angab (S 311 = S 325), in der Hauptverhandlung vom 1.September 1993 jedoch die Menge mit "vielleicht 80 oder 100 Gramm" angab und 150 Gramm (bloß) als "möglich" bezeichnete (S 393).

Diese Diskrepanz könnte nach der bisherigen Verfahrenslage jedenfalls für die Annahme der Qualifikation des § 12 Abs 3 Z 3 SGG entscheidungsrelevant sein. Ausgehend davon, daß nach ständiger Judikatur bei 1,5 Gramm Reinsubstanz an Heroin der Tatbestand des § 12 Abs 1 SGG erfüllt ist, was das Erstgericht an sich zutreffend erkannte, läge die für die Qualifikation nach § 12 Abs 3 Z 3 SGG erforderliche "Übermenge" bei 37,5 Gramm Reinsubstanz an Heroin. Auf der Basis der Erfahrungstatsache jedoch, daß insbesondere bei Abgabe an "Letztverbraucher" Heroin häufig gestreckt zu werden pflegt, kann bei einer vom Zeugen M***** (auch) genannten Heroinmenge von 80 Gramm - zum Reinheitsgrad traf das Schöffengericht überhaupt keine Feststellungen - nicht gesagt werden, daß die "Übermenge" unter allen Umständen überschritten worden wäre; schon bei einem Streckungsverhältnis von etwa 1 : 1 stünde diese Qualifikation in Frage.

Aus den angeführten Gründen werden in einem erneuerten Verfahrensgang im Urteil beweiswürdigende Auseinandersetzungen darüber erforderlich sein, welchen der verschiedenen Mengenangaben des Zeugen M***** das Gericht aus welchen Erwägungen folgt.

Da es untunlich ist, die Beweiswürdigung in bezug auf ein und dieselbe Person in verschiedenen Verfahrensgängen vorzunehmen und somit in dieser Beziehung ein untrennbarer Zusammenhang im Sinn des § 289 StPO besteht, war der Schuldspruch wegen des Verbrechens nach § 12 Abs 1, Abs 3 Z 3 SGG (Punkt A) insgesamt aufzuheben, ohne daß es noch erforderlich war, auf die Tatsachenrüge (Z 5 a) einzugehen; notwendige Folge ist die Kassation des Strafausspruches und des Widerrufsbeschlusses.

Auf die kassatorische Entscheidung waren die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte mit ihren Berufung und der Angeklagte mit seiner Beschwerde zu verweisen.

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