OGH 10ObS167/94

OGH10ObS167/9419.7.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter aus dem Kreis der Arbeitgeber Dr.Elmar A.Peterlunger und Dr.Friedrich Stefan in der Sozialrechtssrechtssache der klagenden Partei Wilhelmine H*****, vertreten durch Dr.Ulrich Brandstetter und Dr.Ernst Politzer, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Bauern, 1031 Wien, Ghegastraße 1, vertreten durch Dr.Herbert Macher, Rechtsanwalt in Wien, wegen Rückforderung eines Überbezuges infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29.März 1994, GZ 34 Rs 3/94-12, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 19.Mai 1993, GZ 19 Cgs 220/93v-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Beklagte hat der Klägerin binnen vierzehn Tagen die einschließlich 1.267,50 S Umsatzsteuer mit 7.605 S bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 10.4.1989 beantragte die Klägerin bei der Beklagten, ihr nach § 71 Abs 4 ff BSVG (in der seit 1.1.1989 geltenden Fassung der 13. BSVGNov BGBl 1988/751) die Hälfte der ihrem Ehemann gebührenden Pension auszuzahlen. Die Beklagte gab diesem Antrag mit rechtskräftigem Bescheid vom 22.5.1989 statt. Sie zahlte der Klägerin vom 1.6.1989 bis 31.12.1991 die Hälfte der genannten Pension aus, und zwar in der Zeit vom 1.6.1990 bis 31.12.1991 128.996,90 S. Am 27.3.1990 wurde die Ehe zwischen der Klägerin und dem Pensionsberechtigten rechtskräftig geschieden. In einem Vergleich vom selben Tag verzichteten die Ehegatten gegenseitig auf Unterhalt. Im Zuge des Scheidungsverfahrens wurde die Klägerin nicht darauf hingewiesen, daß nach der Scheidung eine getrennte Pensionsauszahlung nicht mehr möglich sei. Am 2.4.1990 sprach die Klägerin bei der Beklagten vor und beantragte die Weiterversicherung in der Krankenversicherung (und die Herabsetzung der Beitragsgrundlage in dieser Versicherung). Dabei gab sie ihren Familienstand mit "geschieden seit 27.3.1990" an und verwies auch auf den Bezug des Anteils an der Pension des Gatten. Das Formblatt wurde jedoch nicht von ihr, sondern von einem Angestellten der Beklagten ausgefüllt. (In diesem Formblatt sind ua angeführt: die Versicherungsnummer 2567 170827-2P1 und die AZ 2567-170827 der Beklagten (Versicherungsnummer und AZ beziehen sich offensichtlich auf den geschiedenen Ehemann der Klägerin, da diese, wie sich aus ihrer Vernehmung als Partei ergibt, nicht am 17.8.1927, sondern am 7.4.1933 geboren wurde), daß die Klägerin seit 27.3.1990 geschieden ist, daß die Klägerin keine Pension (Rente) aus eigener Versicherung bezieht oder bezog, allerdings einen Anteil aus der Pension des Gatten, und daß sie die Beiträge zur Weiterversicherung ab 28.3.1990 entrichten möchte. Die für die Personaldaten des Ehepartners vorgesehenen beiden Zeilen des Formblattes blieben unausgefüllt. In dem für Angaben über die Beschäftigungsverhältnisse vorgesehenen Raum auf der Rückseite des Formblattes findet sich der Vermerk "sh. Akt d. Gatten".) Es kann nicht festgestellt werden, daß die Klägerin anläßlich dieser Antragstellung darauf hingewiesen wurde, sie müsse die Scheidung bei der Beklagten gesondert melden. Innerhalb der Abteilungen der Beklagten erfolgte keine automatische Weitermeldung der Scheidung. Wenn der Sachbearbeiter ahnt, daß ein bekanntgewordener Umstand für eine Leistung maßgeblich ist, ist es aber üblich, dies an eine andere (die dafür zuständige) Abteilung weiterzumelden. "Die Klägerin sah keinen Zusammenhang zwischen der Krankenversicherung, der Scheidung und der Pension." (Nachdem die Klägerin am 19.11.1991 einen neuerlichen Antrag auf Herabsetzung der Beitragsgrundlage in der Krankenweiterversicherung eingebracht und die Beitragsabteilung telefonisch die Höhe der Pensionsteilung ab 1.1.1992 erhoben hatte, wurde die Pensionsabteilung der Beklagten darauf aufmerksam, daß die Klägerin vom Pensionsberechtigten geschieden ist. Nunmehr stellte die Beklagte die getrennte Auszahlung der Pension ab 1.1.1992 ein.)

Mit Bescheid vom 3.7.1992 stellte die Beklagte fest, daß die Pensionsteilung gemäß § 71 Abs 4 BSVG auf Grund der Scheidung der Klägerin von ihrem Ehegatten mit Ablauf des Monates Mai 1990 endete. Weiters forderte sie den in der Zeit vom 1.6.1990 bis 31.12.1991 entstandenen Überbezug von 128.996,90 S nach § 72 Abs 1 BSVG zurück, weil die Klägerin die Scheidung nicht gemeldet habe.

Das auf Feststellung, daß dieser Überbezug nicht zurückgezahlt werden muß, gerichtete Klagebegehren stützt sich im wesentlichen darauf, die Klägerin habe am 2.4.1990 bei der Beklagten anläßlich ihres Antrages auf Weiterversicherung in der Krankenversicherung angegeben, daß sie seit 27.3.1990 geschieden sei und die Hälfte der Pension ihres geschiedenen Ehegatten beziehe. Daraus hätte die Beklagte erkennen müssen, daß diese Leistung der Klägerin (seit ihrer Scheidung vom Pensionsberechtigten) zu Unrecht erbracht worden sei. Da die Beklagte die für eine bescheidmäßige Feststellung erforderlichen Maßnahmen innerhalb einer angemessenen Frist unterlassen habe, habe sie nach § 72 Abs 2 BSVG kein Recht, die zu Unrecht erbrachte Leistung nach Abs 1 leg cit zurückzufordern.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Sie wendete ein, daß der Antrag der Klägerin auf Weiterversicherung in der Krankenversicherung vom 2.4.1990 keine Meldung der Ehescheidung darstelle.

Das Erstgericht stellte fest, daß in der Zeit vom 1.6.1990 bis 31.12.1991 ein Überbezug der Klägerin von 128.996,90 S entstanden ist, erkannte die Beklagte aber schuldig, von der Rückforderung dieses Überbezuges Abstand zu nehmen.

Nach der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes habe die Beklagte nach § 72 Abs 2 lit a BSVG kein Recht auf Rückforderung des Überbezuges. Sie habe nämlich auf die ihr zwar nicht gesondert gemeldete, aber im Antrag auf Weiterversicherung in der Krankenversicherung "auf andere Art" zur Kenntnis gebrachte Tatsache der Scheidung der Klägerin (vom Pensionsberechtigten) erst nach Jahren reagiert. Daß diese (für den Überbezug) ganz erhebliche Information nicht an die zuständige Abteilung der Beklagten weitergeleitet wurde, stelle einen von ihr zu vertretenden Organisationsmangel dar.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten, die sich entgegen der Anfechtungserklärung nur gegen den die Berufungswerberin beschwerenden Ausspruch über die Rückforderung richtete, nicht Folge. Da die Scheidung der Ehe zwischen der Klägerin und dem Pensionsberechtigten und die anteilige Auszahlung der Pension aus dem am 2.4.1990 aufgenommenen Antrag ersichtlich gewesen seien, hätte die Beklagte bei gehöriger Aufmerksamkeit erkennen müssen, daß der Klägerin kein Anteil der Pension ihres geschiedenen Ehegatten mehr gebührte. Das Wissen, daß eine Ehescheidung Auswirkungen auf den Pensionsanspruch haben könne, müsse bei einem als Sachbearbeiter tätigen Angestellten eines Sozialversicherungsträgers vorausgesetzt werden.

In der Revision macht die Beklagte unrichtige rechtliche Beurteilung (der Sache) geltend und beantragt, das angefochtene Urteil im klageabweisenden Sinn abzuändern und der Klägerin die Rückzahlung des Überbezuges von 128.996,90 S aufzuerlegen.

Die Klägerin erstattete eine Revisionsbeantwortung und beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist nach § 46 Abs 1 Z 2 ASGG zulässig, weil der Streitgegenstand, über den das Berufungsgericht entschieden hat, nämlich die Feststellung der Pflicht der Klägerin zum Rückersatz zu Unrecht empfangener Versicherungsleistungen von 128.996,90 S, 50.000 S übersteigt.

Rechtliche Beurteilung

Das Rechtsmittel ist nicht berechtigt.

Das Revisionsgericht hat sich in den E 12.9.1989 SSV-NF 3/96 und 28.4.1992 SSV-NF 6/48 unter Bedachtnahme auf die Materialien, die Lehre und seine eigene Rsp eingehend mit der Auslegung der seit 1.1.1986 geltenden wortgleichen Bestimmungen des § 107 Abs 2 lit a ASVG idF der 41. ASVGNov BGBl 1986/111, des § 72 Abs 2 lit a BSVG idF der 9. BSVGNov BGBl 1986/113 und des § 76 Abs 2 lit a GSVG idF der

10. GSVGNov BGBl 1986/112 auseinandergesetzt. Diese Gesetzesstellen verpflichten den Versicherungsträger schon ab dem Zeitpunkt, in dem er erkennen mußte, daß eine Leistung zu Unrecht erbracht worden ist, innerhalb angemessener Frist die für eine bescheidmäßige Feststellung dieser Leistung erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um (weitere) Überbezüge zu verhindern. Bei der Festlegung dieser von Schrammel in Tomandl, SV-System 5. ErgLfg 174 zutreffend als eine Art "Aufgriffsobliegenheit" bezeichneten Verpflichtung setzte der Gesetzgeber den mit dem durch die 29. ASVGNov eingeführten § 298 Abs 2 ASVG, dem § 146 Abs 2 BSVG und § 155 Abs 2 GSVG entsprechen, eingeschlagenen Weg fort. § 72 Abs 2 lit a BSVG und die entsprechenden Bestimmungen des ASVG und des GSVG wollen den Sozialversicherungsträger durch den drohenden Verlust des Rückforderungsrechtes zu einer möglichst raschen bescheidmäßigen Richtigstellung einer eindeutig erkennbar ungebührlich gewordenen Leistung bringen. Ignoriert der Versicherungsträger eine ihm, sei es durch eine Meldung des Zahlungsempfängers oder auf andere Art zugekommene Information, aus der er erkennen mußte, daß eine Leistung zu Unrecht erbracht worden ist, und erbringt er diese Leistung weiter, dann besteht das Recht auf Rückforderung der zu Unrecht erbrachten Leistung nicht. Dabei handelt es sich nicht um eine Verjährung des Rückforderungsrechtes, sondern um einen dem § 1432 letzter Fall ABGB ähnlichen Ausschluß des Rückforderungsrechtes. Der Gesetzgeber hält nämlich einen Versicherungsträger, der bei pflichtgemäßer Aufmerksamkeit hätte erkennen müssen, daß er eine nicht mehr ... gebührende Leistung erbringt, ebensowenig für schutzwürdig wie jemanden, der eine Zahlung leistet, von der er weiß, daß er sie nicht schuldet (sa SSV-NF 4/37).

Unter den festgestellten Umständen hätte den mit der Bearbeitung des Antrages der Klägerin vom 2.4.1990 auf Weiterversicherung in der Krankenversicherung und Herabsetzung der Beitragsgrundlage in der Krankenversicherung befaßten Bediensteten des beklagten Versicherungsträgers, der Träger der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung nach dem BSVG ist (§ 13 Abs 1 BSVG), bei entsprechender Ausbildung und gewöhnlicher Aufmerksamkeit, deren Mangel der Versicherungsträger zu vertreten hätte, auffallen müssen, daß der im Formblatt erwähnte Anspruch der Antragstellerin auf getrennte Auszahlung einer Hälfte der dem Pensionsberechtigten von der Beklagten gebührenden Pension infolge der bekanntgegebenen Scheidung der Ehe endete. Dabei muß auch berücksichtigt werden, daß im Antrag auf Weiterversicherung in der Krankenversicherung und Herabsetzung der diesbezüglichen Beitragsgrundlage die Versicherungsnummer des Pensionsberechtigten und auch die Zahl des ihn betreffenden Aktes der Beklagten angegeben wurden und auf diesen Akt auch ausdrücklich Bezug genommen wurde.

IS der zit Rsp hätte der beklagte Versicherungsträger die ihm erstmals im April 1990 zugekommene Information über die im März dieses Jahres ausgesprochene Scheidung der Ehe zwischen der Klägerin und dem Pensionsberechtigten in ihren Auswirkungen auf die getrennte Auszahlung der Pension nicht bis Ende des Jahres 1991, also mehr als 1 1/2 Jahre, ignorieren dürfen. Er hätte vielmehr innerhalb einer angemessenen Frist die für eine bescheidmäßige Feststellung erforderlichen Maßnahmen ergreifen müssen, um weitere Überbezüge zu verhindern. Da er dies unterlassen hat, hat er nach § 72 Abs 2 lit a BSVG kein Recht, die zu Unrecht erbrachten Geldleistungen nach Abs 1 leg cit rückzufordern.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.

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