OGH 11Os79/94(11Os80/94)

OGH11Os79/94(11Os80/94)19.7.1994

Der Oberste Gerichtshof hat am 19.Juli 1994 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Lachner als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Hager, Dr.Schindler, Dr.Mayrhofer und Dr.Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Kriz als Schriftführer, in der Strafvollzugssache des Eduard W***** wegen bedingter Entlassung aus einer Freiheitsstrafe über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Beschlüsse des Landesgerichtes Leoben vom 28. Jänner 1994, GZ 20 BE 71/92-33, und des Oberlandesgerichtes Graz vom 3.März 1994, AZ 11 Bs 72/94, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Erster Generalanwalt Dr.Kodek, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Text

Gründe:

Mit dem Urteil des Geschworenengerichtes beim (vormals Kreis- jetzt) Landesgericht Leoben vom 19.Juni 1978, GZ 11 Vr 1/78-18, wurde der am 23. April 1959 geborene Eduard W***** der - am 31.Dezember 1977 begangenen - Verbrechen des Mordes und des schweren Raubes nach §§ 75; 142 Abs 1, 143 StGB schuldig erkannt und hiefür nach §§ 28, 75 StGB zu zwanzig Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, welche er derzeit (sowie zwei weitere Freiheitsstrafen wegen Diebstahls von zwei und drei Monaten) verbüßt.

Mit Beschluß vom 28.Jänner 1994, GZ 20 BE 71/92-33, lehnte das Landesgericht Leoben als Vollzugsgericht - nach Einholung von zwei psychiatrischen Gutachten und Bemühungen um Sicherung eines geschützten Arbeitsplatzes - die bedingte Entlassung des Eduard W***** aus der Freiheitsstrafe gemäß § 46 Abs 2 StGB (neuerlich) im wesentlichen mit der Begründung ab, daß auf Grund der Ergebnisse des durchgeführten Verfahrens, insbesondere der Gutachten der beiden Sachverständigen Dr.Z***** und Dr.***** neben einer Wohnmöglichkeit allein die Betreuung durch einen Bewährungshelfer im speziellen Fall nicht ausreichend sei und die Nichtverfügbarkeit eines geschützten Arbeitsplatzes einen jener besonderen Gründe des § 46 Abs 2 StGB darstelle, der die Begehung weiterer strafbarer Handlungen in der Freiheit befürchten lasse.

Der gegen diesen Beschluß gerichteten Beschwerde des Strafgefangenen gab das Oberlandesgericht Graz mit Beschluß vom 3.März 1994, AZ 11 Bs 72/94 (ON 36), nicht Folge. Es schloß sich der vom Erstgericht vertretenen Rechtansicht an und führte dazu noch aus, daß angesichts der Schwere der Tat des Beschwerdeführers und der Größe seiner Schuld auch generalpräventive Erwägungen gegen eine bedingte Entlassung sprächen; wäre es doch für den überwiegenden Teil der Bevölkerung unverständlich, wenn ein (Raub-)Mörder, der - wie im vorliegenden Fall - die Mordtat überaus grausam und in einer für das Mordopfer äußerst qualvollen Weise verübt hat, bereits nicht allzulange Zeit nach Verbüßung von zwei Drittel der Haftstrafe aus dieser entlassen werde. Dabei dürften weder die erschreckend hohe Quote der Verbrechen gegen Leib und Leben noch der Aspekt der Erhaltung und Stärkung der allgemeinen Normentreue außer Betracht bleiben.

Rechtliche Beurteilung

Nach Auffassung der Generalprokuratur wurde durch die bezeichneten Beschlüsse das Gesetz in der Bestimmung des § 46 Abs 2 StGB, durch die Entscheidung des Beschwerdegerichtes auch in der Bestimmung des § 46 Abs 3 StGB verletzt. In ihrer deshalb gemäß § 33 Abs 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde hat sie hiezu (ua) ausgeführt:

"Nach dieser Gesetzesstelle (§ 46/2 StGB) ist einem Rechtsbrecher, der zwei Drittel der im Urteil verhängten oder im Gnadenweg festgesetzten zeitlichen Freiheitsstrafe, mindestens aber drei Monate, verbüßt hat, der Rest der Strafe unter Bestimmung einer Probezeit nachzusehen, es sei denn, daß besondere Gründe befürchten lassen, der Rechtsbrecher werde in Freiheit weitere strafbare Handlungen begehen. Aus spezialpräventiver Sicht wird somit keineswegs auf eine positive Prognose abgestellt; die bedingte Entlassung darf vielmehr nur dann verweigert werden, wenn die Prognose aus besonderen Gründen negativ ist (Steininger, StGB3 RN 11 zu § 46). Allein das Fehlen einer bestimmten Beschäftigungsmöglichkeit (hier: durch Zuweisung eines geschützten Arbeitsplatzes) kann einen solchen Grund nicht darstellen, wäre doch dann die bedingte Entlassung vom Wohlwollen oder der Effektivität einer Behörde abhängig. Die Meinung des Erstgerichtes, nach den Sachverständigengutachten sei eine positive Prognose von der Zuweisung eines geschützten Arbeitsplatzes abhängig, findet in diesen Gutachten keine Deckung: Der Sachverständige Dr.Z***** hat als Voraussetzung einer günstigen Prognose Unterkunft, Arbeitsplatzsicherung sowie Beistellung eines Bewährungshelfers genannt (S 33), nicht aber die Unterbringung an einem geschützten Arbeitsplatz. Der zweite Sachverständige Dr.H***** meinte zwar, ein geschützter Arbeitsplatz wäre "möglichst anzustreben", er hielt aber nur Wohnmöglichkeit und Betreuung durch einen Bewährungshelfer als unbedingt erforderlich (S 93). Diese Voraussetzungen sind aber nach der Aktenlage (Wohnmöglichkeit bei den Eltern des Strafgefangenen) gegeben. Darüber hinaus hat das Erstgericht festgestellt, daß Eduard W***** nach der Auskunft des Sozialen Dienstes bei der Justizanstalt L***** nach der Haftentlassung der Besuch eines Beruffindungskurses offen stehe (siehe S 151). Darauf hat auch der Strafgefangene in seiner Beschwerde verwiesen (ON 34). Wenn das Beschwerdegericht meint, ein solcher Kurs könne die Sicherung eines geschützten Arbeitsplatzes nicht ersetzen, läßt es unberücksichtigt, daß die Zulassung zu einem solchen Kurs auf Kosten des Arbeitsamtes, mag dies auch nur eine Starthilfe darstellen, doch dem Rechtsbrecher zunächst ein Einkommen sichert und eine Voraussetzung dafür schafft, daß er in der Folge einen geschützten Arbeitsplatz erhalten kann. Allerdings können allein Schwierigkeiten bei Vermittlung eines Arbeitsplatzes grundsätzlich keinen Grund für die Erstellung einer negativen Prognose abgeben, zumal diese sogar in verstärktem Maß nach Verbüßung der ganzen Strafe auftreten könnten, dann aber die Günstigkeitsprognose - abgesehen von dem vom Sozialen Dienst angeführten höheren Alter des Strafgefangenen (vgl S 9) - schon durch das Fehlen der Möglichkeit des Widerrufs eines Strafrestes und eines daraus resultierenden (zusätzlichen) Druckes auf den Entlassenen zum Wohlverhalten, vor allem aber mangels Betreuungsmöglichkeit durch einen Bewährungshelfer wesentlich ungünstiger wäre.

Aspekte der Generalprävention, die vom Beschwerdegericht als weiterer Versagungsgrund der bedingten Entlassung herangezogen wurden, sind zwar einzelfallbezogen auch bei der bedingten Entlassung nach § 46 Abs 2 StGB zu berücksichtigen (Steininger aaO RN 12), können aber zur Verweigerung der bedingten Entlassung nur führen, wenn die besonderen Gründe, aus denen es der Vollstreckung des Strafrestes bedarf, um der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken (§ 46 Abs 3 StGB), konkretisiert werden können. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Über den Strafgefangenen wurde wegen eines im Alter von 18 Jahren unter dem bestimmenden Einfluß seines Komplizen begangenen schweren Verbrechens die (damals zulässige) Höchststrafe verhängt (nach der derzeitigen Rechtslage wäre er als Jugendlicher mit einer Höchststrafe von 15 Jahren bedroht). Von der verhängten Freiheitsstrafe hat er nunmehr mehr als drei Viertel verbüßt, dies im Erstvollzug. Er ist inzwischen gereift und hat seine Aggressionstendenzen überwunden. Deshalb, weil weiterhin von anderen Tätern immer wieder Aufsehen erregende Gewalttaten begangen werden, ist die gänzliche Verbüßung der Freiheitsstrafe wegen einer längst aus dem Bewußtsein der Öffentlichkeit entschwundenen Tat nicht erforderlich. Es darf auch nicht übersehen werden, daß das Gewicht der einer bedingten Entlassung entgegenstehenden generalpräventiven Erwägungen von der Dauer des Strafvollzuges abhängt. Gründe der Generalprävention verlieren aber nach Verbüßung eines Großteils der Freiheitsstrafe an Bedeutung."

Der Oberste Gerichtshof hat hiezu erwogen:

Entgegen der Meinung der Generalprokuratur, das Vollzugs- und Beschwerdegericht hätten vorliegend im Fehlen einer bestimmten Beschäftigungsmöglichkeit (eines geschützten Arbeitsplatzes) zu Unrecht einen solchen besonderen Grund erblickt, haben beide Vorinstanzen im Ergebnis zulässige und nach der Aktenlage zutreffende Kriterien für die Prüfung des Vorliegens der Erfordernisse jener besonderen Gründe, die befürchten lassen, daß der Strafgefangene wieder in Freiheit weitere strafbare Handlungen begehen werde, herangezogen, indem sie - in zusammenfassender Würdigung der Persönlichkeitsstruktur des Verurteilten und der Ergebnisse der Sachverständigengutachten - davon ausgingen, daß in der Situation des Eduard W***** nur eine Arbeitsplatzsicherung (in einer der Persönlichkeitsentwicklung des Strafgefangenen adäquaten Art) und eine entsprechende Betreuung durch einen Bewährungshelfer die sonst seiner bedingten Entlassung entgegenstehende qualifiziert ungünstige Prognose abzuwenden vermögen. Die Frage aber, ob diesen Umständen nach der konkreten Fallgestaltung zutreffend ein die Entlassung zum gegebenen Zeitpunkt ausschließendes Gewicht zugebilligt wurde, entzieht sich als Ermessensentscheidung einer Überprüfung im Wege einer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes (13 Os 85,86/92; JBl 1976 442; RZ 1980, 39)

Daß die hier aktuelle Ermessensentscheidung auf einer unrichtigen Rechtsansicht beruht, läßt sich aus der Aktenlage ebensowenig entnehmen, wie sonst eine Gesetzesverletzung durch die von der Beschwerde kritisierten Entscheidungen.

Letztlich verfehlt ist auch die von der Generalprokuratur vertretene Ansicht, das Beschwerdegericht hätte im vorliegenden Fall die Bedeutung der besonderen generalpräventiven Gründe, aus denen es der Vollstreckung des Strafrestes bedarf, um der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken (§ 46 Abs 3 StGB), verkannt. Das Beschwerdegericht hat vielmehr die Frage, ob insoweit besondere, gegen die bedingte Entlassung sprechende Gründe vorliegen, einzelfallbezogen und damit im Rahmen des ihm vom Gesetz eingeräumten, insoweit mit Nichtigkeitsbeschwerde nicht bekämpfbaren Ermessens beurteilt, indem es insbesondere auf die Schwere der Tathandlungen des Verurteilten abstellte und dabei auch den Aspekt der Erhaltung und Stärkung der allgemeinen Normentreue (Integrationsprävention - vgl Leukauf-Steininger aaO RN 8) miteinbezog (15 Os 94,95/88; Mayerhofer-Rieder StPO3 § 292 E 7 ff).

Soweit die Generalprokuratur schließlich vermeint, im gegenständlichen Fall hätten Gründe der Generalprävention nach Verbüßung eines Großteils der Freiheitsstrafe an Bedeutung verloren, übersieht sie, daß sich auch diese Frage als Ermessensentscheidung einer Überprüfung im Wege einer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes entzieht. Daran vermag der Umstand nichts zu ändern, daß es sich nach der derzeitigen Gesetzeslage bei den Urteilstaten des Eduard W***** um Jugendstraftaten handeln würde, die bloß mit Freiheitsstrafe (von einem) bis zu fünfzehn Jahren bedroht wären (§§ 1, 5, 17 JGG).

Der Wahrungsbeschwerde mußte daher ein Erfolg versagt bleiben.

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