Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der 1943 geborene Kläger ist seit 1962 beruflich lärmexponiert tätig und leidet an einer bereits 1971 festgestellten Innenohrschwerhörigkeit. Seit 1984 trägt der Kläger am linken Ohr ein Hörgerät. Die dadurch bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit beträgt ab 4.3.1993 60 v.H. Bei der bestehenden Innenohrschwerhörigkeit handelt es sich um eine ganz überwiegend anlagebedingte (rezessiv vererbte) Erkrankung, begleitet von leichten Sprachstörungen, die auf eine bereits in früher Kindheit entstandene Störung des Hör- und Sprachzentrums hinweisen. Dieses Leiden ist dynamisch und schreitet beginnend etwa mit dem 20.Lebensjahr und unabhängig von allfälligen Lärmkomponenten progredient fort. Aufgrund der anlagebedingt vorgegebenen laufenden Verschlechterung des Leidens tritt der theoretische Anteil einer zusätzlich bestehenden lärmbedingten Komponente (etwa durch ständige Lärmexposition) immer mehr in den Hintergrund. In der Praxis ist die Auswirkung einer derartigen (parallel vorhandenen) Lärmkomponente auf den Hörverlust nicht meßbar. Der Kurvenverlauf des Audiogramms ist typisch für eine lärmfremde Innenohrschwerhörigkeit, wobei die Vorschädigung schon so groß ist, daß in dem speziellen Teil des Kurvenverlaufes (im Hochtonbereich) ein lärmbedingter Anteil gar nicht mehr abgelesen werden kann. Damit steht das vor Beginn der Lärmexposition des Klägers vorhandene Erbleiden eindeutig im Vordergrund. Es ist der wesentliche Faktor an der zur Zeit bestehenden (an Taubheit grenzenden) schweren Beeinträchtigung des Hörorgans des Klägers. Eine allfällige lärmbedingte Verschlechterung dieses Leidens bzw ein lärmbedingter Anteil am vorliegenden Hörverlust ist nicht nachweisbar und tritt hinsichtlich der Auswirkungen auf die Funktion des Organs jedenfalls in den Hintergrund.
Gegen die mit Bescheid vom 16.Juni 1993 erfolgte Ablehnung seines Rentenansuchens richtet sich die Klage mit dem Begehren auf Gewährung einer Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß ab 4.3.1993.
Die beklagte Partei beantragte die Klageabweisung.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Der dagegen erhobenen Berufung gab das Gericht der zweiten Instanz nicht Folge. Auch bei modifizierter Anwendung der Regeln des Anscheinsbeweises in Sozialrechtssachen sei dem Kläger der ihm obliegende Beweis, daß die beruflich bedingte Lärmexposition zu dem jetzt bestehenden Gehörschaden im Sinne der Theorie der wesentlichen Bedingung ursächlich beigetragen habe, nicht gelungen. Der Anscheinsbeweis, daß ein Gehörschaden typische Folge einer langdauernden Lärmexposition ist, sei dadurch entkräftet, daß überwiegende Ursache des bestehenden Gehörverlustes eine rezessiv vererbte Krankheit ist. Eine allfällige berufsbedingte Lärmexposition als Ursache für den Hörverlust gegenüber dem Anlageleiden trete soweit in den Hintergrund, daß der Eintritt einer lärmbedingten Verschlechterung des Leidens überhaupt nicht feststeht.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens sowie der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Klagestattgebung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Die gerügte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Der bereits vom Berufungsgericht verneinte, in der Berufung gerügte Verfahrensmangel durch Nichteinholung eines Fakultätsgutachtens kann nach ständiger Rechtsprechung des Senates nicht mehr als Mangel des Berufungsverfahrens mit Revision geltend gemacht werden (SSV-NF 7/74 ua).
Die Unterlassung der Feststellung, daß aufgrund der 31 Jahre währenden Lärmexposition ein Teil der Schwerhörigkeit sicher berufsbedingt sei oder es theoretisch möglich sein könne, daß die lärmexponierte jahrzehntelange Tätigkeit keine Lärmschwerhörigkeit oder aber auch einen maximalen zu erleidenden Lärmschaden hervorgerufen habe, ist im Beweisergebnis begründet und bildet keinen der rechtlichen Beurteilung zuzuordnenden Feststellungsmangel. Der Umstand, daß die Vorinstanzen das Abgehen des Sachverständigen von seinem schriftlichen Gutachten als begründet ansahen und dem mündlichen Gutachten folgten, beruht auf Erwägungen der irrevisiblen Beweiswürdigung der Vorinstanzen (SSV-NF 3/14, SSV-NF 3/19; SSV-NF 3/160). Der Sachverständige gelangte letztlich zu dem Ergebnis, daß ein lärmbedingter Anteil der Verstärkung der schon vorhandenen Innenohrschwerhörigkeit durch die Lärmexposition nicht nachgewiesen werden könne. Es sei aufgrund der Anamnese und des Kurvenverlaufes des Audigramms klar, daß nicht die Lärmexposition die wesentliche Ursache der Innenohrschwerhörigkeit des Klägers sei. Ein Verstoß gegen zwingende Denkgesetze im Sinne einer unlogischen Widersprüchlichkeit des in seiner Gesamtheit zu beurteilenden Gutachtens des Sachverständigen liegt nicht vor (SSV-NF 3/14). Im konkreten Fall ist im Gegensatz zu den Ausführungen der Revision davon auszugehen, daß beim Kläger eine lärmfremde, schon vor Beginn der Lärmexposition gegebene Innenohrschwerhörigkeit vorliegt, die so groß ist, daß eine lärmbedingte Verschlechterung nicht mehr erfolgte. Damit ist aber der Anscheinsbeweis, daß eine Innenohrschwerhörigkeit typischerweise durch die beruflich bedingte Lärmexposition verursacht wird, entkräftet, weil im konkreten Fall der Gegenbeweis erbracht ist. Die Erwerbsfähigkeit des Klägers ist daher nicht durch die Folgen einer Berufskrankheit (über 3 Monate nach dem Eintritt des Versicherungsfalles hinaus) um mindestens 20 v.H. vermindert (§ 203 Abs 1 ASVG).
Der Revision ist daher keine Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.
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