OGH 6Ob585/94

OGH6Ob585/9413.7.1994

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Vogel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel, Dr.Redl, Dr.Kellner und Dr.Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der Antragstellerin Reinelde P*****, vertreten durch Dr.Otmar Simma und andere Rechtsanwälte in Dornbirn, wider die Antragsgegner 1.) Lydia F*****, 2.) Siegfried W*****, 3.) Roswitha B*****, 4.) Elisabeth R*****, 5.) Peter R*****, 6.) Josef R*****, und 7.) Josef R*****, die Erst- und Zweitantragsgegner sowie die Viert- bis Siebtantragsgegner vertreten durch Dr.Wolfgang Ölz, Rechtsanwalt in Dornbirn, die Drittantragsgegnerin vertreten durch Dr.Ernst Hagen, Rechtsanwalt in Dornbirn, wegen Einräumung eines Notweges (Stw S 70.000,--), infolge Revisionsrekurses der Antragstellerin gegen den Beschluß des Landesgerichtes Feldkirch als Rekursgerichtes vom 1.April 1994, GZ 2 R 88/94-9, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Dornbirn vom 26. Jänner 1994, GZ 2 Nc 1113/93-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Antragstellerin ist schuldig, den Erst-, Zweit-, Viert-, Fünft-, Sechst-, und Siebtantragsgegnern die mit S 6.576,-- (darin S 1.095,98 USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Antragstellerin hat im Jahr 1990 die Liegenschaft EZ ***** Grundbuch D***** mit den Grundstücken Nr. 5220 und 3427 im Ausmaß von rund 2.200 m2 erworben.

Die Antragsgegner sind Miteigentümer der Liegenschaft EZ ***** Grundbuch D*****, Grundstück Nr. 19608. Dieses Grundstück ist als "Wegnachbarschaft" ausgestaltet. Es handelt sich um einen geschotterten, in der Mitte mit einer Grasnarbe versehenen 2,5 m breiten und rund 70 m langen Geh- und Fahrweg mit der Bezeichnung "K*****".

Bis zum Jahre 1949 bestand für diesen Weg ein Geh- und Fahrrecht für landwirtschaftliche Nutzung. Im Jahre 1949 schlossen die Rechtsvorgänger der Parteien eine Vereinbarung, daß dieses Geh- und Fahrrecht für Zwecke des beabsichtigten Bauvorhabens, nämlich die Errichtung eines Einfamilienhauses, erweitert wird. Diese Vereinbarung lautet: "Die Begrenzungslinie für den privaten Zufahrtsweg zu den Gp 5220 und 5221 über die Gp 5224 und 19608, für welchen das bisherige Geh- und Fahrrecht für nur landwirtschaftliche Nutzung nunmehr mit Zustimmung der Grundstücksbesitzer Geschwister N***** und der Wegnachbarschaft N*****, F*****, R*****, W***** für Zwecke des beabsichtigten Bauvorhabens der Frau Maria T***** und Frau Josepha H***** (das sind die Rechtsvorgänger der Antragstellerin und deren Nachbars) während und nach der Bauführung erweitert wird, wurde gemäß nachstehender Planskizze vereinbart und an Ort und Stelle ausgesteckt". Diese Vereinbarung erliegt im betreffenden Bauakt.

Die Liegenschaft der Antragstellerin sowie die westlich davon gelegenen Grundstücke sind als Baumischgebiet gewidmet, während es sich bei dem östlich davon gelegenen Grundstück 5219 und dem nordbzw nordwestlich gelegenen Grundstück 2524/1 (im Eigentum der Drittantragsgegnerin) um Bauerwartungsland handelt.

Der Sohn der Antragstellerin Ottmar P***** beabsichtigt, auf der Liegenschaft der Antragstellerin ein Mehrfamilienhaus mit insgesamt 13 Wohnungen zu errichten. Der Bauantrag wurde am 24.8.1992 überreicht. Ein Baubescheid ist bisher noch nicht ergangen, insbesondere deshalb, weil eine ausreichende Wegverbindung zum öffentlichen Straßennetz nicht vorliegt. Die Viert- und Fünftantragsgegner haben beim Bauamt der Stadt D***** deponiert, daß sie als Miteigentümer der Weggemeinschaft K***** nicht bereit seien, eine unzulässige Erweiterung der Dienstbarkeit der Antragstellerin zu dulden.

Am 4.3.1993 hatte die Antragstellerin als Klägerin gegen die Antragsgegner als Beklagte eine Klage mit dem Begehren eingebracht, es möge festgestellt werden, daß ihr als Eigentümerin der Liegenschaft die "angemessene Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens an der im Eigentum der Beklagten stehenden Liegenschaft Grundstück Nr. 19608 in EZ ***** Grundbuch D*****" zustehe und diese Dienstbarkeit auch das Gehen und Fahren zum Zweck des Errichtens und Bewohnens eines Mehrfamilienhauses auf der herrschenden Liegenschaft umfasse. Weiters wurden zwei Eventualbegehren gestellt. Alle Klagebegehren wurden mit rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichtes D***** vom 22.10.1993, 2 C 400/93g, abgewiesen. In diesem Verfahren wurde festgestellt (das Erstgericht hat in seinem Beschluß auf diese Feststellungen verwiesen) daß der Weg "K*****" zur Zu- und Abfahrt nur von den Anrainern und deren Gästen benützt wurde. Die Müllabfuhr fährt nicht bis zu den Grundstücken der Klägerin und ihres dahinter liegenden Nachbarn T*****; der Abfall muß bis zur Einmündung des Weges K***** in das öffentliche Wegnetz gebracht werden. Die Schneeräumung des gesamten Weges erfolgt auf Kosten der Antragstellerin sowie ihres südlichen Nachbarn T*****.

Nunmehr begehrt die Antragstellerin die Erweiterung der bestehenden Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens durch Einräumung eines Notweges derart, "daß die zur Nutzung durch ein nach den baugesetzlichen Vorschriften zulässiges Mehrfamilienhaus notwendigen Geh- und Fahrberechtigungen eingeräumt werden" und stellte den Eventualantrag "daß bei Begründung des beantragten Notweges erforderlichenfalls auch Teilflächen der an die Liegenschaft in EZ ***** Grundbuch D***** angrenzenden Liegenschaften einzelner der Antragsgegner im nötigen Ausmaß miteinbezogen werden". Die Antragstellerin brachte vor, im Sinne einer bestmöglichen Verwendung der Liegenschaft unter Berücksichtigung zeitgemäßer Entwicklungen im Wohnbau sei die Errichtung eines Mehrfamilienhauses mit 13 Wohnungen geplant. Dies sei aber nur möglich, wenn die nötigen Zufahrtsmöglichkeiten gegeben seien. Eine rechtliche Grundlage für eine solche Nutzung des Weges bestehe derzeit nicht.

Die Antragsgegner beantragten Abweisung und wandten ein, die Liegenschaft verfüge bereits über eine notwendige Wegverbindung mit dem öffentlichen Wegnetz. Die Errichtung des geplanten Bauvorhabens widerspreche der Flächenwidmung und stelle eine exzessive, unzulässige Nutzung dar. Außerdem stehe einer Baubewilligung unter anderem die Nichteinhaltung der Bauabstände entgegen. Der behauptete Wegmangel sei auf eine auffallende Sorglosigkeit der Antragstellerin zurückzuführen. Sie habe beim Erwerb der Liegenschaft in Kenntnis der eingeschränkten Dienstbarkeit die bestehende Zufahrtsmöglichkeit in Kauf genommen. Die begehrte Notwegvariante sei nicht die kürzeste Wegverbindung. Die Errichtung eines Wohnblockes solle nicht durch die Antragstellerin selbst vorgenommen werden und stelle auch eine unzumutbare Belastung für die Antragsgegner dar, für welche die Nachteile überwiegen würden.

Das Erstgericht wies den Antrag auf Einräumung eines Notweges ab. Eine ordentliche Benützung einer Liegenschaft im Sinne des Notwegegesetzes liege dann vor, wenn daraus der Nutzen gezogen werde, den sie nach ihrer Naturbeschaffenheit zu gewähren vermöge. Die Errichtung eines größeren Baues auf der Liegenschaft, die als Baugrund gewidmet sei, müsse nach dem Bedarf und nicht nach der derzeitigen Nutzung beurteilt werden. Der Einräumung eines Notwegerechtes stehe aber der Umstand entgegen, daß wegen der größeren Verkehrsdichte den Antragsgegnern "wohl größere Nachteile" erwachsen würden als der Antragstellerin und ihrem Sohn durch die Errichtung des Wohnblocks. Da für die Antragstellerin beim Erwerb der Liegenschaft klar sein mußte, daß für die vorgesehene intensivere Nutzung des Grundstückes eine ausreichende Zufahrt zum öffentlichen Wegnetz fehle, sei auch auffallende Sorglosigkeit anzunehmen.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragstellerin keine Folge. Die Tatsache, daß für die derzeitige Bewirtschaftung oder Benützung der Liegenschaft der Antragstellerin eine nötige Wegeverbindung vorliege, schließe die Einräumung eines Notweges nicht aus; diese sei auch bei Unzulänglichkeit einer bestehenden Wegverbindung möglich. Auch die Errichtung eines Mehrfamilienhauses gehöre zur ordentlichen Bewirtschaftung und Benützung eines Grundstückes. Dem Antrag wäre daher dann stattzugeben, wenn die Einräumung eines Notweges nicht nach § 2 Abs 1 NWG unzulässig oder die Benützung der zu belastenden Liegenschaft nicht unmöglich gemacht oder erheblich beeinträchtigt wäre (§ 4 Abs 2 NWG). Die letztere Voraussetzung könne nach den bisherigen Feststellungen zwar nicht beurteilt werden, sei aber nicht erforderlich, weil schon von auffallender Sorglosigkeit auszugehen sei. Der Erwerber eines Grundstückes habe grundsätzlich selbst Vorsorge zu treffen und Vorkehrungen für eine ordentliche Benützung und Bewirtschaftung schon bei der Planung zu machen. Bei einer beabsichtigten Bauführung müsse er sich daher schon vorher um die Sicherung einer hiefür notwendigen Wegverbindung kümmern. Die Antragstellerin hätte beim Erwerb der Liegenschaft zumindest erkennen können, daß eine erweiterte wesentlich intensivere Nutzung, wie sie nun durch ihren Sohn geplant sei und die nach dem Ausmaß des Grundstückes von immerhin 2.200 m2 und der westlich ihres Grundstückes bereits errichteten größeren Wohnanlagen naheliege, aufgrund der bestehenden Wegverbindung nicht möglich sei. Jedenfalls wäre sie verpflichtet gewesen, sich vor dem Erwerb der Liegenschaft über den Umfang der Wegdienstbarkeit zu erkundigen, deren eingeschränkter Umfang nach dem Wortlaut der im Bauakt erliegenden Vereinbarung leicht erkennbar gewesen wäre. Schon die Unterlassung der erforderlichen Erkundigungen stelle im Hinblick auf die erkennbare Möglichkeit der Nutzungsausdehnung eine auffallende Sorglosigkeit im Sinne des § 2 NWG dar, sodaß die Einräumung eines Notweges unzulässig sei.

Das Rekursgericht sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000,-- übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil keine höchstgerichtliche Judikatur zur Frage der auffallenden Sorglosigkeit im Zusammenhang mit der Erweiterung einer schon bestehenden Servitut bekannt sei.

Rechtliche Beurteilung

Dem Revisionsrekurs kommt keine Berechtigung zu.

Den Ausführungen des Rekursgerichtes ist zuzustimmen. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, daß die Bestimmungen des Notwegegesetzes einschränkend auszulegen sind und grundsätzlich davon auszugehen ist, daß der Erwerber eines Grundstückes für dessen hinreichende Verbindung mit dem öffentlichen Wegnetz selbst Vorsorge zu treffen und die diesbezüglichen Erfordernisse für eine ordentliche Benützung und Bewirtschaftung schon bei seiner Planung in Rechnung zu stellen hat (RZ 1989/45; 8 Ob 603/92 ua). Das Begehren um Einräumung eines Notweges ist gemäß § 2 Abs 1 NWG unzulässig, wenn der Mangel der Wegverbindung auf eine auffallende Sorglosigkeit des Grundeigentümers zurückzuführen ist. Ob auffallende Sorglosigkeit vorliegt, muß immer nach den gesamten Umständen des Einzelfalles beurteilt werden. Diese Grundsätze haben in gleicher Weise zu gelten, wenn bereits ein Zugang zum öffentlichen Wegnetz besteht, dieser Zugang sich aber wegen einer geplanten Ausdehnung oder Intensivierung einer möglichen Nutzung der Liegenschaft als unzureichend erweist.

Der Ankauf des Grundstückes ohne ausreichende Wegverbindung mit dem öffentlichen Wegnetz allein schließt die Einräumung oder Erweiterung eines Notweges noch nicht aus, wenn nicht besondere Umstände auf auffallender Sorglosigkeit des Erwerbers schließen lassen. Die Antragstellerin hat dem Einwand auffallender Sorglosigkeit beim Erwerb des Grundstückes durch Unterlassen der notwendigen Vorkehrungen für die beabsichtigte intensivere Nutzung durch Errichtung eines Wohnbaues aber nicht einmal entgegengesetzt, daß diese Ausdehnung der Nutzung beim Kauf noch nicht geplant oder absehbar gewesen sei. Dies kann, auch wenn keine ausdrückliche Feststellung hiezu getroffen wurde, schon nach dem eigenen Vorbringen der Antragstellerin und dem zeitlichen Ablauf der Ereignisse bei objektiver Betrachtung auch nicht angenommen werden. Der Baugrund im Stadtgebiet von D***** mit einem Ausmaß von 2.200 m2, auf welchem nach dem eigenen Vorbringen der Antragstellerin nur ein baufälliges Einfamilienhaus vorhanden war und, wie sich aus der gleich gebliebenen Wohnadresse der Klägerin ergibt, offenbar auch zur weiteren Eigenbenützung als Wohnhaus nicht dienen sollte, wurde 1990 erworben und liegt in unmittelbarer Nähe schon errichteter größerer Wohnsiedlungen. Das fertig ausgearbeitete Bauvorhaben wurde schon zwei Jahre später bei der Baubehörde eingereicht. Wenn die Antragstellerin die Liegenschaft nicht schon zu dem nunmehr beabsichtigten Zweck gekauft hat, so hätte sie bei der ihr zumutbaren sorgfältigen Vorausplanung eine solche Nutzung zumindest bei ihrer Kaufentscheidung mitberücksichtigen und die notwendigen Vorkehrungen und Verhandlungen mit den Wegeigentümern führen müssen. Die Vorinstanzen haben zutreffend ausgeführt, daß der Umfang der bestehenden Dienstbarkeit in der schriftlichen Vereinbarung aus dem Jahr 1949 klar umschrieben und auch in einem Lageplan genau festgehalten war. Überdies mußte schon nach den Verhältnissen in der Natur sowohl die Häufigkeit der Benützung des Weges (nur Schotterweg mit Grasnarbe in der Mitte) als auch insbesondere seine Breite von nur 2,50 m, die auf eine Länge von immerhin 70 m jedenfalls keinen Begegnungsverkehr von Fahrzeugen gestattet, ebenso eindeutig erkennbar sein wie der Umstand, daß der Servitutsweg für die geplante intensivere Nutzung ohne Beinträchtigung fremder Privatrechte nicht ausreichend geeignet war. Eine allfällige Unkenntnis, daß alle Baugesetze für die Bewilligung eines Bauvorhabens eine ausreichende Verbindung zum öffentlichen Wegnetz vorsehen, fiele aber der Antragstellerin zur Last (vgl auch 8 Ob 603/92; 4 Ob 529/79; 3 Ob 586/77).

Der Mangel der für die geplante Bauführung erforderlichen Wegverbindung zum öffentlichen Straßennetz ist nach den gesamten vorliegenden Umständen auf eine auffallende Sorglosigkeit der Antragstellerin zurückzuführen.

Dem Revisionsrekurs war daher ein Erfolg zu versagen.

Der Kostenausspruch beruht auf § 25 NWG.

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