OGH 15Os102/94

OGH15Os102/9413.7.1994

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. Juli 1994 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Reisenleitner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuch, Mag. Strieder, Dr. Rouschal und Dr. Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Würzburger als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Behcet E* wegen des Verbrechens nach § 12 Abs 1 vierter Fall und Abs 3 Z 3 SGG und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Schöffengericht vom 22. Februar 1994, GZ 20 Vr 813/93‑22, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1994:0150OS00102.9400000.0713.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Über die Berufungen wird das Oberlandesgericht Innsbruck zu entscheiden haben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

 

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Behcet E* des Verbrechens nach § 12 Abs 1 vierter Fall und Abs 3 Z 3 SGG (I.) sowie des Vergehens nach § 14 a SGG (II.) schuldig erkannt, weil er (zu I.) Ende 1990 in Hohenems den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift in einer Menge, die zumindest das 25‑fache jener im Abs 1 angeführten Menge ausmachte, deren Weitergabe geeignet wäre, in großem Ausmaß eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen entstehen zu lassen, in Verkehr gesetzt hat, indem er dem Rainer J* 150 Gramm Heroin zum kommissionsweisen Verkauf übergab, und (zu II.) von Ende 1990 bis Mai 1991 in Feldkirch Suchtgift in einer großen Menge (§ 12 Abs 1) mit dem Vorsatz erworben und besessen hat, daß es in Verkehr gesetzt werde, indem er 350 Gramm Heroin bei sich zu Hause versteckte.

Der Sache nach nur gegen den Schuldspruch laut Punkt I. des Urteilssatzes richtet sich die auf den zweiten Fall der Z 11 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde, die ‑ als verspätet ausgeführt ‑ zurückzuweisen war.

Nach Verkündung des Urteils und Erteilung der Rechtsmittelbelehrung durch den Vorsitzenden erbat der Angeklagte zunächst drei Tage Bedenkzeit (98), meldete sodann rechtzeitig am 24.Februar 1994 durch seinen gewählten Verteidiger Dr.Rolf P* beim Erstgericht eine Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an, ohne zugleich einen der in § 281 Abs 1 Z 1 bis 11 StPO angegebenen Nichtigkeitsgründe deutlich und bestimmt zu bezeichnen (ON 23). Nachdem dem Wahlverteidiger am 10.März 1994 eine Urteilsausfertigung (ON 22) zugestellt worden war (RS blau bei 100), überreichte er mit Schriftsatz vom 7.April 1994 ‑ also knapp vor Ablauf der vierwöchigen Ausführungsfrist des § 285 Abs 1 StPO - dem Landesgericht Feldkirch eine "Mitteilung vom Erlöschen der Vollmacht" (ON 29). In der Folge unterblieb ‑ entgegen dem (auch anläßlich des StrafprozeßänderungsG 1993 unverändert gebliebenen) § 11 Abs 2 RAO ‑ die Rechtsmittelausführung.

Ohne einen Antrag des Angeklagten beschloß der Vorsitzende des Schöffengerichtes am 7.April 1994 die "Beigebung eines Verteidigers nach § 41 Abs 2 StPO für die Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung gegen das Urteil vom 22.Februar 1992 (ON 22), sowie das Rechtsmittelverfahren" und verfügte unter einem die Zustellung eines Formulars StPOForm.VH 2 (Beigebung eines Verteidigers nach § 41 Abs 2 StPO), auf dem in der Fußnote 1) darauf hingewiesen wird, daß die "Fristen für Ausführung eines Rechtsmittels ... mit der Zustellung des Bescheides über die Verteidigerbestellung sowie der Urteilsausfertigung ... an den Verteidiger von neuem zu laufen (§ 43 a StPO)" beginnen (117 iVm der richterlichen Verfügung auf der letzten Seite der ON 29). Mit Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer für Vorarlberg vom 11.April 1994, Zl. Stv. 135/94, wurde Rechtsanwalt Dr.Reinhold N* gemäß § 45 RAO zum Verteidiger des Angeklagten im Rahmen der Beigebung bestellt (118). Die Übernahme dieses Bestellungsdekretes sowie einer Urteilsausfertigung bestätigte der genannte Verfahrenshilfeverteidiger eigenhändig am 13.April 1994 (RS weiß 100 und 117). Die dem Angeklagten zugestellte Ausfertigung des Bestellungsdekretes kam am 15.April 1994 mit dem Vermerk des Zustellers "unbekannt verzogen laut Auskunft d.Schwester/14.4.94" zurück (ON 31).

Am 25.April 1994 beantragte Dr.N* beim Erstgericht, "die Bestellung als Verteidiger nach § 41 Abs 2 StPO vom 7.4.1994 aufzuheben", weil (nach seiner ‑ ersichtlich auf § 41 Abs 2 StPO aF beruhenden ‑ Rechtsansicht) die Beigebung eines Verteidigers nach § 41 Abs 2 StPO "ohne Antrag" des Angeklagten "rechtswidrig" gewesen sei und die (durch die seinerzeitige Zustellung der Urteilsausfertigung an den Wahlverteidiger in Gang gesetzte) Rechtsmittelfrist mangels eines Antrages des Angeklagten gemäß § 43 a StPO auch bereits "ordnungsgemäß abgelaufen ist" (ON 32). Diesem Antrag gab der Vorsitzende mit Beschluß vom 26.April 1994 im wesentlichen mit dem Hinweis auf die aktenkundigen Einkommens‑ und Vermögensverhältnisse des Rechtsmittelwerbers sowie auf "§ 41 Abs 2 in Verbindung mit Abs 4 StPO" (nF) nicht Folge, wobei er hinzufügte, § 43 a StPO habe analog auch für die Bestellung eines Verfahrenshelfers nach § 41 Abs 2 iVm mit Abs 4 (nF) StPO zu gelten (ON 33). Eine dagegen erhobene Beschwerde des Verfahrenshilfeverteidigers (ON 35) wies das Oberlandesgericht Innsbruck mit Beschluß vom 14.Juni 1994 als unzulässig zurück und bestätigte in der Begründung des Beschlusses unter anderem überdies die Rechtmäßigkeit der vom Erstgericht gewählten Vorgangsweise (ON 38). Eine Ausfertigung dieser Beschwerdeentscheidung wurde dem Verteidiger Dr.N* am 24.Juni 1994 zu eigenen Handen zugestellt (RS blau 141), worauf er am 30.Juni 1994 unter anderem eine Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung beim Erstgericht überreichte (ON 39).

Rechtliche Beurteilung

Die Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde ist indes aus folgenden Erwägungen verspätet:

Beantragt der Beschuldigte (Angeklagte) innerhalb der für die Ausführung eines Rechtsmittels offenstehenden Frist die Beigebung eines Verteidigers (§ 41 Abs 2), so beginnt diese Frist mit der Zustellung des Bescheides über die Verteidigerbestellung sowie des Aktenstückes an den Verteidiger, das die Frist sonst in Lauf setzt, oder mit der Zustellung des den Antrag abweisenden Beschlusses an den Beschuldigten von neuem zu laufen (§ 43 a StPO). Diese durch das StrafprozeßanpassungsG, BGBl 423/1974, eingeführte Bestimmung korrespondiert mit dem bis zum Inkrafttreten des Strafprozeßänderungsgesetzes 1993, BGBl 526, (1.Jänner 1994) in Geltung gestandenen § 41 Abs 2 StPO aF, demzufolge dem Beschuldigten (Angeklagten) unter den dort genannten weiteren Prämissen (nur) "auf Antrag" des Beschuldigten (Angeklagten) ein Verfahrenshelfer beigegeben werden konnte. Nach der seit 1.Jänner 1994 geltenden (erweiterten) Bestimmung des § 41 Abs 4 StPO nF ist hingegen in den Fällen des Abs 1 dem Beschuldigten, sofern weder er noch sein gesetzlicher Vertreter einen Verteidiger wählt oder die Beigabe eines Verfahrenshilfeverteidigers nach Abs 2 beantragt, auch ohne einen solchen Antrag ein Verfahrenshilfeverteidiger beizugeben, wenn die sonstigen Voraussetzungen des Abs 2 vorliegen. Es spricht trotz des unverändert gebliebenen Wortlautes des § 43 a StPO nichts dagegen, daß die Frist zur Ausführung eines Rechtsmittels auch dann von neuem zu laufen beginnt, wenn der Angeklagte innerhalb dieser Frist keinen Antrag auf Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers gestellt, sondern das Gericht amtswegig einen solchen Verteidiger nach § 41 Abs 4 StPO nF (auch ohne einen solchen Antrag) bestellt hat. Denn nach den Intentionen des Gesetzgebers soll die Bestimmung des § 43 a StPO gewährleisten, daß auch bei Beigebung eines Verteidigers während des Laufes der Rechtsmittelfrist diesem die volle Frist zur Ausführung des Rechtsmittels zur Verfügung steht (1257 BlgNR 13.GP Bericht des JA 4), und somit eine wirksame Verteidigung iSd Art 6 Abs 3 lit b und c EMRK sichern. Mangels eines sachlich gerechtfertigten Unterscheidungskriteriums gilt diese Erwägung gleichermaßen für den Fall der Beigebung eines Verteidigers auf Antrag wie für jenen der Beigebung ohne Antrag gemäß § 41 Abs 4 (nF) iVm Abs 2 StPO. Der unterbliebenen Anpassung des Wortlautes des § 43 a StPO an die Regelung des § 41 Abs 4 StPO anläßlich des StrafprozeßänderungsG 1993 kommt demnach nur die Bedeutung einer durch ein offenkundiges Redaktionsversehen entstandenen planwidrigen Gesetzeslücke zu, die im Weg einer ‑ im Bereich der Strafverfahrensgesetze keineswegs unstatthaften ‑ Analogie ausgefüllt werden kann.

§ 41 Abs 7 StPO hinwieder läßt nur in zwei Fällen eine Beschwerde des Beschuldigten (Angeklagten) zu, und zwar gegen die Abweisung eines Antrages nach Abs 2 und gegen die Bestellung eines Verteidigers nach Abs 3 (Amtsverteidiger). Eine Erweiterung des Beschwerderechtes auch auf andere Fälle ist weder dem klaren Wortlaut des Gesetzes noch den Gesetzesmaterialien (924 BlgNR 18.GP RV 18 f Punkte III. und V.) zu entnehmen.

Aus all dem folgt, daß in dem hier zu beurteilenden Fall gemäß § 43 a StPO der Beginn der (vierwöchigen) Frist zur Ausführung der angemeldeten Nichtigkeitsbeschwerde mit der Zustellung des Bescheides über die Verteidigerbestellung sowie der Urteilsausfertigung an den Verfahrenshilfeverteidiger Dr.Reinhold N* am 13.April 1994 neu zu laufen begonnen hat. Dessen (verfehlter) Antrag auf Aufhebung seiner Bestellung als Verteidiger nach § 41 Abs 2 StPO vermochte den Beginn und den Ablauf der neu in Gang gesetzten Rechtsmittelfrist ebensowenig zu beeinflussen wie das anschließende Beschwerdeverfahren. Dafür spricht auch die Tatsache, daß selbst bei Umbestellung eines Verteidigers während der Rechtsmittelfrist diese nur dann mit Zustellung einer Urteilsausfertigung an den neu bestellten Verteidiger neuerlich zu laufen beginnt, wenn die Umbestellung aus den im § 45 Abs 4 RAO angeführten Gründen erfolgt (EvBl 1993/55, RZ 1990/70).

Die erst am 30.Juni 1994 dem Gericht überreichte Ausführung einer Nichtigkeitsbeschwerde erfolgte demnach außerhalb der gesetzlichen Frist.

Die verspätete Nichtigkeitsbeschwerde wäre sohin schon vom Vorsitzenden des Schöffensenates zurückzuweisen gewesen (§§ 285 a Z 1, 285 b Abs 1 StPO). Da dies unterblieb, war sie vom Obersten Gerichtshof bereits bei einer nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285 d Abs 1 Z 1 StPO).

Über die Berufung des seit 5.Juli 1994 auf Grund des Haftbefehls vom 1.Juli 1994 (ON 41) zur Verhaftung ausgeschriebenen (ON 42) Angeklagten wird demzufolge der zuständige Gerichtshof zweiter Instanz zu entscheiden haben (§ 285 i StPO).

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