OGH 2Ob517/94

OGH2Ob517/9430.6.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Svein Eiler T*****, vertreten durch Dr.Tobias Reinisch und Dr.Peter Zens, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Ingebjorg T*****, vertreten durch Dr.Helene Klaar, Rechtsanwältin in Wien, wegen Ehescheidung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 6.Oktober 1993, GZ 47 R 3062/93-12, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Döbling vom 10.Mai 1993, GZ 7 C 108/93s-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 4.348,80 (darin enthalten S 724,80 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile sind norwegische Staatsangehörige. Sie haben am 3.9.1955 in Oslo die Ehe geschlossen. Der Kläger ist auf eigenes Ansuchen von der ihm aufgrund seiner Funktion als Angestellter der internationalen Atomenergieorganisation in Wien zustehenden Immunität von der österreichischen Gerichtsbarkeit ausgenommen. Die Streitteile leben seit 1969 ständig in Wien, in Wien hatten sie auch ihren letzten gemeinsamen Wohnsitz.

Der Kläger nahm im Jahre 1979 zu einer anderen Frau eine Beziehung auf, welcher drei Kinder entstammen. Zumindest seit dem 27.6.1984 ist die eheliche Gemeinschaft der Streitteile auf Dauer aufgehoben.

Der Kläger begehrte die Scheidung der Ehe gemäß § 55 Abs.3 EheG. Das nach dem gemeinsamen Personalstatut der Ehegatten gemäß den §§ 9 Abs.1, 18 Abs.1 Z 1, 20 Abs.1 IPRG maßgebliche norwegische (Kollisions-)Recht verweise nach dem in Norwegen geltenden Wohnsitzgrundsatz auf das österreichische Recht zurück, sodaß österreichisches materielles Ehescheidungsrecht anzuwenden sei.

Die beklagte Ehegattin beantragte die Anwendung materiellen norwegischen Rechtes und für den Fall der Anwendung österreichischen Rechtes den Ausspruch des alleinigen Verschuldens des Klägers gemäß § 61 Abs.3 EheG.

Das Erstgericht schied die Ehe der Streitteile nach österreichischem Recht gemäß § 55 Abs.3 EheG und entsprach dem Antrag der Beklagten gemäß § 61 Abs.3 EheG. Im Bereich des (auch) für das Ehescheidungsrecht nicht autonom geregelten, gemäß den §§ 18 Abs.1 Z 1, 20 Abs.1 IPRG maßgeblichen norwegischen Rechtes sei grundsätzlich das Heimatrecht der betroffenen Person anzuwenden; dieses sei nach norwegischer Auffassung aber nicht das Recht des Landes, dem die Person angehöre, sondern jenes des Landes, in dem sie zur maßgeblichen Zeit ihren Wohnsitz habe. Wegen des Wohnsitzes beider Parteien in Österreich sei daher österreichisches materielles Scheidungsrecht anzuwenden. Der Wohnsitzgrundsatz werde von der norwegischen Rechtsprechung unter bestimmten Voraussetzungen zugunsten der Anwendbarkeit norwegischen Sachrechtes eingeschränkt, welche aber im vorliegenden Fall nicht gegeben seien.

Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung der Beklagten nicht Folge und sprach aus, daß die ordentliche Revision gegen seine Entscheidung zulässig sei. Die nach österreichischem (internationalem Privat-)Recht als der lex fori zu beurteilende Rechtsanwendungsfrage sei zunächst über die §§ 20 Abs.1 im Zusammenhang mit 18 Abs.1 Z 1 IPRG so zu lösen, daß das auf der gemeinsamen norwegischen Staatsangehörigkeit der Parteien basierende Ehewirkungsstatut zu einer Gesamtverweisung auf das gemeinsame Heimatrecht der Streitteile, das norwegische Recht, führe. Im Bereich der Rechtsanwendung des im internationalen Personen- und Familienrecht Norwegens nicht kodifizierten norwegischen Kollisionsrechtes sei grundsätzlich das "Heimatrecht" der betreffenden Person maßgeblich. Dieses sei nach norwegischer Auffassung aber nicht das Recht des Staates, dem die Person angehöre, sondern jenes des Staates, in dem sie zur maßgeblichen Zeit ihren Wohnsitz habe. Der "Wohnsitzgrundsatz" werde unter bestimmten Voraussetzungen zugunsten der Maßgeblichkeit des norwegischen Rechtes eingeschränkt: Nach der Auffassung des norwegischen höchsten Gerichtes habe auch das Kollisionsrecht weitestmöglich der Verwirklichung der Aufgaben und Ziele zu dienen, die der norwegische Gesetzgeber mit der Regelung des innerstaatlichen materiellen Rechtes verfolge. Im Bereich der kollisionsrechtlichen Verweisung erschöpfe sich daher die Rechtsanwendungsfrage nicht in der Feststellung der engsten Verknüpfung des Rechtsverhältnisses mit einer Rechtsordnung, vielmehr sei auch der Zweck der einschlägigen norwegischen Vorschriften - nicht nur innerhalb der vom ordre public gezogenen Grenzen - zu beachten: Daher seien die Grundsätze des innerstaatlichen norwegischen Rechtes schon bei der Aufstellung der norwegischen Kollisionsgrundsätze zu berücksichtigen. Nach dieser für die norwegische Rechtsprechung und Praxis maßgeblichen Auffassung sei seit etwa drei Jahrzehnten eine weitgehende Bevorzugung des norwegischen Rechtes im Bereich des Kollisionsrechtes ungeachtet der Anknüpfung, welche das Rechtsverhältnis sonst zu einem ausländischen Staat haben möge, erfolgt. Diese Grundsätze kämen jedoch nur zur Anwendung, wenn die Entscheidung norwegischen Gerichten obliege, und beträfen nur Fälle, in denen die Maßgeblichkeit der lex fori dem Domizilsgrundsatz entspreche. Im vorliegenden Fall sei die Scheidungsklage aufgrund des Wohnsitzes beider Ehegatten in Wien zulässigerweise vor einem österreichischen Gericht erhoben worden, und würde norwegische Jurisdiktion gar nicht gewährt werden, weil die Scheidung im gemeinsamen Domizilstaat Österreich erreichbar sei. Entgegen der Auffassung der Beklagten seien Erwägungen über die mit der (erfolgten) Scheidung verbundenen oder von ihr abhängigen Rechtsfolgen gar nicht anzustellen. Die Rückverweisung des norwegischen Kollisionsrechtes auf das österreichische Sachrecht sei somit wirksam.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen das berufungsgerichtliche Urteil erhobene Revision der Beklagten ist nicht berechtigt.

Zutreffend gingen die Vorinstanzen davon aus, daß wegen der gemeinsamen norwegischen Staatsangehörigkeit der Streitteile gemäß den §§ 9 Abs.1, 18 Abs.1 Z 1, 20 Abs.1 IPRG auf die vorliegende Ehescheidungssache grundsätzlich norwegisches Recht anzuwenden wäre. Dieses verweist jedoch nach seinen nicht kodifizierten Kollisionsnormen (hiezu wird gemäß § 510 Abs.3 ZPO auf die dargelegten in der Revision insoweit nicht bekämpften Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung verwiesen) auf das Heimatrecht der Ehegatten und damit im Sinne des in Norwegen angewendeten Domizilgrundsatzes auf das Recht ihres Wohnsitzes in Österreich. Da mit dieser Rückverweisung in concreto wieder auf ausländisches (österreichisches) Sachrecht verwiesen würde, und der Domizilgrundsatz nach norwegischer Rechtsauffassung und -übung zugunsten der Maßgeblichkeit norwegischen Sachrechtes dahin eingeschränkt ist, daß auch das Kollisionsrecht soweit wie irgendmöglich der Verwirklichung der Aufgaben und Ziele zu dienen hat, die der norwegische Gesetzgeber mit der Regelung des innerstaatlichen materiellen Rechtes (hier des Ehescheidungsrechtes) verfolgt, ist im vorliegenden Fall - wie auch von der Vorinstanz - zunächst zu prüfen, ob aus dieser im norwegischen Rechtsbereich praktizierten "Einschränkung des Domizilgrundsatzes" im Sinne der dazu von der Beklagten erstatteten Ausführungen die Rückverweisung auf das österreichische Recht als Recht des Domizils beider Streitteile zu entfallen hat oder nicht. Dabei ist der Zweck der vergleichbaren norwegischen Rechtsvorschriften - dies auch nicht nur innerhalb der Grenzen des ordre public - in der Richtung zu beachten, ob die vom norwegischen Gesetzgeber verfolgten Ziele besser durch die Anwendung des inländischen (norwegischen) oder ausländischen (hier österreichischen) Rechtes verwirklicht werden können; nach diesem Maßstab sind dann auch die grundlegenden, das innerstaatliche norwegische Recht beherrschenden Prinzipien schon bei der Aufstellung der - nicht kodifizierten - norwegischen Kollisionsgrundsätze zu berücksichtigen (dazu Bergmann-Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Länderteil "Norwegen" 12 mwH in FN 5).

Das norwegische Gesetz (Nr.2 vom 31.5.1918) über die Eingehung und Auflösung der Ehe regelt neben der Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft (§§ 41, 42) in zahlreichen Bestimmungen auch die Ehescheidung, unter anderem gemäß § 43 Abs.2 folgendermaßen:

"Ist das Zusammenleben der Ehegatten seit drei Jahren aufgehoben, ohne daß dies in gesetzmäßiger Form (= durch Gerichtsentscheidung über Antrag eines oder beider Ehegatten im Sinne der §§ 41, 42) erfolgt ist, und ist das Zusammenleben später nicht wieder aufgenommen worden, so kann die Scheidung auf Antrag eines der Ehegatten (durch Urteil) erfolgen."

Mit dieser Bestimmung, die im Grunde dem § 55 EheG entspricht, ermöglicht der norwegische Gesetzgeber die Scheidung von durch Aufgabe und Nichtwiederaufnahme des ehelichen Zusammenlebens zerrütteten Ehen. Entgegen der Auffassung der Beklagten folgt aber daraus, daß insoweit der Verweis auf das norwegische Ehescheidungsrecht mit dem Ziel (der Beklagten), eine Abwehr der vorliegenden Scheidungsklage ihres Mannes bewirken zu können, keinen tauglichen Grund für eine Einschränkung des Domizilgrundsatzes im dargelegten Sinn zugunsten des norwegischen Scheidungsrechtes darstellt. Vielmehr erweist sich die durch die als wirksam anzusehende Rückverweisung auf das österreichische Scheidungsrecht anzuwendende Bestimmung des § 55 Abs.3 EheG im Zusammenhang mit den daraus von der Beklagten abgeleiteten Rechtsfolgen des Schuldausspruches nach § 61 Abs.3 EheG (und den damit verbundenen unterhaltsrechtlichen Folgen im Sinne des § 69 Abs.2 EheG) insgesamt als für die Beklagte gleich günstig, wenn nicht gar günstiger als das dargestellte norwegische Scheidungsrecht. Bezüglich der Scheidungsfolgen "Unterhalt und nacheheliche Vermögensauseinandersetzung" ist der Beklagten im übrigen in Übereinstimmung mit der Vorinstanz zu erwidern, daß die Scheidung der Ehe nach österreichischem Sachrecht kein Präjudiz für die - im vorliegenden Fall auch nicht aktuelle - kollisionsrechtliche Beurteilung dieser in Zukunft allenfalls vor Gericht zu verfolgenden Ansprüche darstellt. Die für die Entscheidung über diese Ansprüche maßgebliche Rechtsordnung etwa gemäß § 20 IPRG wird unabhängig von der bei der Entscheidung über das Ehescheidungsbegehren tatsächlich angewendeten Rechtsordnung zu eruieren sein (SZ 59/124).

Schließlich sei noch darauf hingewiesen, daß der Frage, ob für die Ehescheidung österreichisches oder norwegisches Recht anzuwenden ist, gar keine entscheidende Bedeutung zukommt, weil beide Rechtsordnungen im Sachergebnis übereinstimmen (Schwimann in Rummel, ABGB2, Rz 6 zu § 2 IPRG mwN).

Da die Ehe der Streitteile aufgrund des maßgebenden Sachverhaltes gemäß § 55 Abs.3 EheG zu scheiden und über Antrag der Beklagten auch das Alleinverschulden des Klägers an der Zerrüttung gemäß § 61 Abs.3 EheG auszusprechen war, muß die Revision der Beklagten erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 50, 41 ZPO.

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