European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1994:009OBA00101.94.0629.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 13.725,-- bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 2.287,50 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Mit dem angefochtenen Versäumungsurteil wurde der Klägerin die Zustimmung zur beabsichtigten Entlassung der beklagten Partei erteilt.
Der dagegen erhobenen Berufung wegen unrichtiger bzw unvollständiger Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung sowie unrichtiger rechtlicher Beurteilung gab das Berufungsgericht nicht Folge.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus den Revisionsgründen der Nichtigkeit sowie der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen als nichtig aufzuheben und dem Erstgericht aufzutragen, die Klage an das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien zwecks Entscheidung über dessen Zuständigkeit zu übermitteln; hilfsweise in Stattgebung der Berufung das angefochtene Urteil im Sinne einer Klageabweisung abzuändern. Hilfsweise wird noch ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Klägerin beantragt, der Revision des Beklagten keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Die klagende Partei richtete ihre Klage an das "Landesgericht als Arbeits- und Sozialgericht Wien, Wickenburggasse 8, 1080 Wien" und machte darin Ansprüche nach § 50 Abs 2 ASGG geltend. Die sachliche Zuständigkeit des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien war gegeben. Die klagende Partei bestimmt durch die Klage das Gericht, vor dem das Verfahren durchgeführt wird (Fasching, Lehrbuch2 RZ 1033). Ob es zuständig ist, wird nach § 41 Abs 2 JN bei der amtswegigen Zuständigkeitsprüfung anhand der in der Klage enthaltenen Angaben geprüft (Fasching aaO Rz 227, 1033). Durch die von der Klägerin gewählte Bezeichnung und Adressierung der Klage war, in Verbindung mit dem Klageinhalt, unzweifelhaft klar, daß sich die Klage an das Arbeits- und Sozialgericht Wien richtet, mag die durch Salzburger Rechtsanwälte vertretene Klägerin auch übersehen haben, daß in Wien die sonst den Landesgerichten in Arbeits- und Sozialrechtssachen zufallende Zuständigkeit gemäß § 2 Abs 2 und § 3 ASGG dem Arbeits- und Sozialgericht Wien vorbehalten ist. Es liegt daher nur eine ausreichende Bezeichnung des richtig angerufenen und zuständigen Gerichtes vor. Die Post stellte das Schriftstück auch dem Arbeits- und Sozialgericht Wien zu, das keinen Anlaß hatte, nach § 38 Abs 2 ASGG vorzugehen.
Gemäß § 226 Abs 1 ZPO hat die Klage die rechtserzeugenden Tatsachen im einzelnen kurz und vollständig anzugeben. Sie muß soviel an rechtserzeugenden Tatsachen enthalten, daß der geltendgemachte Anspruch aufgrund dieser Tatsachen hinreichend substanziert erscheint. Das Klagevorbringen muß somit schlüssig sein (JBl 1974, 46; JBl 1979, 492; 1 Ob 516/93). Ob alle für eine Stattgebung des Klagebegehrens erforderlichen rechtserzeugenden Tatsachen behauptet worden sind, hat das Gericht, wenn die klagende Partei die Fälligung eines Versäumungsurteiles beantragt, nach amtswegiger Prüfung der Rechtslage zu beurteilen und das Klagebegehren abzuweisen, wenn der vorgebrachte Sachverhalt den geltendgemachten Anspruch nicht rechtfertigt. Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 396 ZPO oder des § 398 Abs 1 ZPO kann daher ein Versäumungsurteil im Sinne des Klagebegehrens nur dann gefällt werden, wenn durch das für wahr zu haltende Vorbringen in seiner Gesamtheit und seinem inneren Zusammenhang nach, soweit es sich auf das Tatsächliche bezieht, der Klageanspruch begründet ist SZ 47/93, SZ 57/69; 1 Ob 16/93, 1 Ob 516/93 mwH. Dabei müssen (in Streitigkeiten nach § 50 Abs 2 ASGG) neben dem nicht weiter zu prüfenden Sachverhalt die materiellen Rechtsnormen, die die betriebsverfassungsrechtlichen Rechte und Rechtsverhältnisse regeln, vom Gericht beachtet werden (Kuderna ASGG 269). Das Fehlen einer ausdrücklichen Behauptung schadet dann nicht, wenn sich die betreffende Tatsache schlüssig aus dem übrigen Tatsachenvorbringen der Klage ergibt (SZ 57/69).
Voraussetzung der Zustimmung zur Entlassung eines Betriebsratsmitgliedes nach § 122 Abs 1 Z 2 ArbVG ist unter anderem, daß dieses sich einer mit Bereicherungsvorsatz begangenen gerichtlich strafbaren Handlung schuldig machte. Der bloße Verdacht einer strafbaren Handlung reicht nicht aus (Floretta in Floretta-Strasser HandKommz ArbVG 858; Kuderna, Entlassungsrecht2 132 mwN; 14 Ob A 69/87).
Die Bereicherungsabsicht ist beim Vorwurf eines Diebstahls (§ 127 StGB) oder einer Veruntreuung (§ 133 StGB) bereits Tatbestandsmerkmal, sodaß eine zusätzliche Behauptungspflicht entfällt (Floretta aaO 857). Dem Vorbringen, daß infolge der wegen des Auftretens von zunehmenden Fehlmengen an Warenbeständen zunächst gegen unbekannte Täter erstatteten Strafanzeige die auf den Beklagten entfallenden Verdachtsmomente sich durch das Ergebnis der Hausdurchsuchung, bei der zahlreiche Gegenstände aus dem Warenlager der klagenden Partei gefunden wurden, erhärteten, zumal der Beklagte schon zum Nachteil früherer Dienstgeber Waren veruntreut habe und einschlägig vorbestraft sei und der Beklagte insbesondere mit Rücksicht auf die Hausdurchsuchung im dringenden Verdacht einer mit Bereicherungsvorsatz begangenen gerichtlichen strafbaren Handlung iSd § 122 Abs 1 Z 2 ArbVG stehe, läßt sich mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen, daß die Klägerin alle in § 122 Abs 1 Z 2 ArbVG als Voraussetzung für eine Zustimmung zur Entlassung erforderlichen Sachverhaltselemente behauptet hat.
Während die zunächst vorliegenden nicht näher bezeichneten Verdachtsmomente allein nicht ausreichend gewesen wären, das Klagebegehren als berechtigt zu erkennen, ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang des Vorbringens, daß dem Beklagten vorgeworfen wird, zum Nachteil der Klägerin Waren, die bei ihm vorgefunden worden waren, veruntreut zu haben, was aber nicht nur die Behauptung der Bereicherungsabsicht sondern auch der Begehung der strafbaren Handlung miteinschließt. Daß die Klägerin nur behauptete, daß der Beklagte im dringenden Verdacht der strafbaren Handlung iSd § 122 Abs 1 Z 2 ArbVG stehe, schadet nicht, weil zur Schlüssigkeit des Klagevorbringens der substantiierte, nach § 396 ZPO für wahr zu haltende Vorwurf (= Verdacht) der Begehung der strafbaren Handlung ausreicht. Ob die Straftat tatsächlich begangen wurde oder es nur bei Verdachtsgründen geblieben ist, wäre erst im Beweisverfahren zu klären gewesen.
Für betriebsverfassungsrechtliche Ansprüche nach § 50 Abs 2 ASGG, wie dem vorliegenden, gilt § 63 Abs 1 ASGG nicht, sodaß das Neuerungsverbot uneingeschränkt gilt (Kuderna ASGG 347 f), auch wenn die Partei nicht qualifiziert vertreten war. § 63 Abs 1 wie auch § 63 Abs 3 ASGG sind somit im vorliegenden Fall nicht anzuwenden, sodaß auch die Grundlage für eine vom Revisionswerber gewünschte Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit dieser Gesetzesbestimmung fehlt.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 58 Abs 1 ASGG, §§ 41, 50 ZPO.
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