OGH 10ObS125/94

OGH10ObS125/9428.6.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Robert Prohaska (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Walter Benesch (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Lucia H*****, ohne Beschäftigung,***** vertreten durch Dr. Hans Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 11. März 1994, GZ 32 Rs 163/93-54, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 11. Oktober 1993, GZ 12 Cgs 140/93b-50, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der Klägerin die Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1.3.1991 zu gewähren, abgewiesen wird.

Die Klägerin hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 21.4.1933 geborene Klägerin absolvierte eine kaufmännische Lehre und übte den Beruf einer Textilverkäuferin aus. In den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag 1.3.1991 hat sie in der Zeit vom 6.9.1978 bis 15.11.1979 15 Beitragsmonate in der Pflichtversicherung als Textilverkäuferin erworben. Seit dem 16.11.1979 ist sie nicht mehr berufstätig. Weiters liegen 14 Beitragsmonate in der freiwilligen Weiterversicherung für den Zeitraum 1.11.1985 bis 31.12.1986 vor. In der Zeit vom 19.9.1977 bis 18.12.1977 und vom 20.1.1978 bis 19.4.1978 unterzog sich die Klägerin bei einem Wiener Arbeitsamt einer Schulung, wobei sie gemäß § 25 iVm § 20 Abs 2 lit c AMFG 7 Beitragsmonate erwarb. Die Schulung erfolgte in der Form, daß sich die Klägerin beim Arbeitsamt Skripten für Büropraxis und Verkaufstätigkeit abholte, zu Hause die in den Skripten enthaltenen Aufgaben löste, die Lösungen dem Arbeitsamt vorlegte und von dort die Korrektur erhielt. Insgesamt hat die Klägerin zumindest 180 für die Bemessung der Leistung zu berücksichtigende Versicherungsmonate erworben. Insbesondere auf Grund von Leiden der Hals- und Lendenwirbelsäule kann die Klägerin nur mehr leichte Arbeiten mit den üblichen Pausen verrichten. Arbeiten über Kopf sowie im Bücken scheiden aus, ebenso in Nässe und Kälte. Die Fingerbeweglichkeit ist erhalten, der Weg zur Arbeit unter städtischen Bedingungen möglich. Jede Arbeitszeitdruckmehrbelastung, die über 50 % der durchschnittlichen Arbeitsbelastung hinausgeht, ist zu vermeiden, ebenso Schichtarbeit. An exponierten Stellen ist die Klägerin kurzfristig verwendbar. Der von ihr ausgeübte Beruf der Textilverkäuferin scheidet wegen mehrfacher Kalkülsüberschreitung aus, da es dabei häufig zu Überkopfarbeiten und zu Tätigkeiten im Bücken kommt. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt kommt der Beruf der Verkäuferin für die Klägerin bei spezialisierter Berufsausübung ohne medizinische Kalkülsüberschreitung in Betracht, wenn sie etwa für folgende Tätigkeiten eingesetzt würde: Bearbeitung von Bestell- und Lieferscheinen, Abrechnungsarbeiten, Zusammenstellung von Warenlieferungen und Bestellungen auf Grund von Kundenwünschen, einfache kaufmännische Verwaltungsarbeiten, Informationsdiensttätigkeiten als Mischtätigkeiten.

Mit Bescheid der beklagten Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten vom 17.6.1991 wurde der Antrag der Klägerin vom 19.2.1991 auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension abgewiesen.

Das Erstgericht gab der dagegen erhobenen Klage statt und erkannte die Beklagte schuldig, der Klägerin die Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1.3.1991 zu gewähren. Das Erstgericht erachtete die Voraussetzungen der Berufsunfähigkeit nach der hier noch anzuwendenden Bestimmung des § 273 Abs 3 ASVG als gegeben. Insbesondere habe die Klägerin in mindestens der Hälfte der Beitragsmonate nach diesem Bundesgesetz (ASVG) während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag eine gleiche oder gleichartige Tätigkeit ausgeübt (lit c der genannten Bestimmung). In diesem Zeitraum habe die Klägerin insgesamt 29 Beitragsmonate nach dem ASVG erworben, davon mehr als die Hälfte, nämlich 15 Beitragsmonate die Tätigkeit als Textilverkäuferin ausgeübt. Diese Tätigkeit könne sie nicht mehr leisten, weshalb ihr Anspruch auf Berufsunfähigkeitspension zu Recht bestehe. Beitragsmonate nach dem Arbeitsmarktförderungsgesetz könnten nicht berücksichtigt werden.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Soweit im § 273 Abs 3 lit c ASVG von Beitragsmonaten nach diesem Bundesgesetz die Rede sei, könne dies nicht dahin verstanden werden, daß darunter auch Beitragsmonate nach einem anderen Gesetz, etwa wie hier nach dem AMFG berücksichtigt werden könnten.

Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision der Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens.

Die Klägerin beantragte, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Strittig ist im vorliegenden Fall vor allem die Frage, ob die Klägerin in mindestens der Hälfte der Beitragsmonate nach dem ASVG während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag eine gleiche oder gleichartige Tätigkeit im Sinne des hier noch anzuwendenden, durch die 51. ASVG-Novelle mit 1.7.1993 aufgehobenen § 273 Abs 3 lit c ASVG ausgeübt hat und ob ihr aufgrund dessen der besondere Berufsschutz nach dieser Gesetzesstelle zukommt. Auszugehen ist zunächst davon, daß die Klägerin in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag 15 Beitragsmonate der Pflichtversicherung auf Grund ihrer Tätigkeit als Textilverkäuferin und 14 Beitragsmonate der freiwilligen Weiterversicherung in der Pensionsversicherung nach dem ASVG erworben hat. Zusätzlich zu diesen Versicherungsmonaten hat die Klägerin 7 Beitragsmonate aufgrund ihrer Schulung und der während dieser Zeit bezogenen Beihilfe nach dem Arbeitsmarktförderungsgesetz (AMFG) erworben.

Die Beklagte wendet sich mit Recht gegen die Auffassung der Vorinstanzen, daß es sich bei diesen Beitragsmonaten nicht um solche nach dem ASVG handle. Nach § 225 Abs 1 Z 1 ASVG sind als Beitragszeiten aus der Zeit nach dem 31. Dezember 1955 unter anderem Zeiten einer Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung anzusehen. Die Allgemeine Sozialversicherung umfaßt nach § 2 Abs 1 ASVG die Krankenversicherung, die Unfallversicherung und die Pensionsversicherung mit Ausnahme der in Abs 2 bezeichneten Sonderversicherungen; für diese gelten die Vorschriften des ASVG nur soweit, als dies in den Vorschriften über diese Sonderversicherungen oder im ASVG angeordnet ist. Darunter fällt nach § 2 Abs 2 Z 12 ASVG auch die Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung der Beihilfeempfänger nach dem Arbeitsmarktförderungsgesetz (BGBl 1969/31). Die Vorinstanzen haben nicht berücksichtigt, daß zwar die Schulung der Klägerin beim Arbeitsamt sowie die während dieser Zeit bezogene Beihilfe im AMFG geregelt sind (§ 20 Abs 2 lit c), die neuerlich erworbenen Versicherungszeiten jedoch als Beitragsmonate der Pflichtversicherung nach dem ASVG anzusehen sind. Dies geht aus § 25 Abs 1 AMFG idF BGBl. 1987/616 hervor, wonach Personen, die - wie die Klägerin - eine Beihilfe gemäß § 20 Abs 2 lit c beziehen, in der Arbeitslosen-, Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung pflichtversichert sind; für diese Versicherungen gelten, soweit die §§ 25 a bis 25 c AMFG nichts anderes bestimmen, die Vorschriften des AlVG 1977 und des ASVG über die gesetzliche Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung für Pflichtversicherte. Nach § 25 a Abs 1 AMFG ist der Beitrag unter anderem zur Pensionsversicherung für nach § 25 Abs 1 Versicherte mit dem Hundertsatz der allgemeinen Beitragsgrundlage zu bemessen, wie er jeweils für Dienstnehmer festgesetzt ist, die der Pensionsversicherung der Arbeiter zugehören. Die Beiträge zur Pflichtversicherung von Beihilfenbeziehern gemäß § 25 Abs 1 werden nach § 25 c Abs 1 AMFG aus Mitteln der Arbeitslosenversicherung bestritten. Berücksichtigt man weiters, daß "Beitragsmonate nach dem AMFG" in den derzeit geltenden Sozialversicherungsgesetzen nicht normiert sind und die Vollziehung von Vorschriften der Pensionsversicherung nicht zu den Aufgaben der Arbeitsmarktverwaltung gehört, dann steht der Qualifizierung dieser Beitragsmonate als solche nach dem ASVG auch nicht der Umstand entgegen, daß Beitragszeiten in der Pensionsversicherung aufgrund des Bezuges einer Beihilfe nach dem AMFG im ASVG keine Erwähnung finden (vgl. SSV-NF 6/62, wonach freiberuflich Erwerbstätige, die erst durch das FSVG in den Rechtsbereich der Sozialversicherung der selbständigen Gewerbetreibenden einbezogen wurden, als nach dem GSVG pflichtversichert anzusehen sind).

Da die Schulung beim Arbeitsamt nach den Feststellungen keine Ausübung der Tätigkeit einer Textilverkäuferin darstellt, hat die Klägerin nicht in mindestens der Hälfte der Beitragsmonate nach dem ASVG während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag eine gleiche oder gleichartige Tätigkeit ausgeübt: Sie hat in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag insgesamt 36 Beitragsmonate nach dem ASVG erworben, davon jedoch nur in 15 Beitragsmonaten ihre Tätigkeit als Textilverkäuferin ausgeübt. Damit kann sie den besonderen Berufsschutz des hier noch anzuwendenden § 273 Abs 3 ASVG nicht in Anspruch nehmen, sondern ist gemäß § 273 Abs 1 ASVG noch auf andere Tätigkeiten innerhalb ihrer Berufsgruppe verweisbar.

In Stattgebung der Revision waren daher die Urteile der Vorinstanzen im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens abzuändern.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Es besteht kein Anlaß, die völlig inhaltsleere Revisionsbeantwortung der Klägerin nach Billigkeit zu honorieren.

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