OGH 14Os59/94

OGH14Os59/9421.6.1994

Der Oberste Gerichtshof hat am 21. Juni 1994 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Massauer, Dr. Ebner, Dr. E. Adamovic und Dr. Holzweber als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Würzburger als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Haci Ali G* wegen des Vergehens der versuchten geschlechtlichen Nötigung nach §§ 15, 202 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Schöffengericht vom 5. November 1993, GZ 34 a Vr 766/93‑15, nach Anhörung der Generalprokuratur zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1994:0140OS00059.9400000.0621.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Aus Anlaß der kassatorischen Entscheidung wird auch der Beschluß des Landesgerichtes Linz vom 5. November 1993, GZ 34 a Vr 766/93‑15, mit welchem vom Widerruf der bedingten Nachsicht der mit dem Urteil des Bezirksgerichtes Linz vom 10. September 1992, GZ 17 U 240/92‑5, verhängten zweiwöchigen Freiheitsstrafe abgesehen wurde, aufgehoben.

 

Gründe:

 

Rechtliche Beurteilung

Haci Ali G* wurde mit dem angefochtenen Urteil des Vergehens der versuchten geschlechtlichen Nötigung nach §§ 15, 202 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.

Darnach hat er am 22.Jänner 1993 in Linz versucht, außer den Fällen des § 201 StGB Gabrijela A* mit Gewalt, nämlich durch Versetzen von Schlägen mit der flachen Hand ins Gesicht, durch Entziehung der persönlichen Freiheit, indem er die Wohnungstüre abschloß, sowie durch die gefährliche Drohung, sie so zu schlagen, daß ihr davon ein Mal im Gesicht zurückbleiben werde, zur Vornahme einer geschlechtlichen Handlung, nämlich zu seiner manuellen Befriedigung, zu nötigen.

Diesen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Gründe der Z 4, 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Schon der Verfahrensrüge (Z 4), mit welcher er die Beeinträchtigung seiner Verteidigungsrechte durch die Ablehnung gestellter Beweisanträge geltend macht, kommt Berechtigung zu.

Um die Glaubwürdigkeit der Belastungszeugin A* zu erschüttern, hatte die Verteidigung in der Hauptverhandlung die Einvernahme einer Reihe von Zeugen beantragt, durch deren Aussage nachgewiesen werden sollte, daß A*in einigen mit dem Anklagefaktum im Zusammenhang stehenden Punkten die Unwahrheit gesprochen habe.

So wurde die Einvernahme der Zeugen Özbilgin Ü*, Mehmet S* und Cemil K* zum Nachweis dafür begehrt, daß A* entgegen ihrer Behauptung der Geheimprostitution nachgehe, die Einvernahme der Zeugen Ü* und Ergün K* zum Beweis dafür, daß sich A* entgegen ihrer ausdrücklichen Aussage bereits im Jahr 1992 einige Tage lang in der Wohnung des Angeklagten aufgehalten und die Einvernahme des Aydin Ö* zum Beweise dafür, daß der Angeklagte der Zeugin - entgegen deren Darstellung - im Jänner 1993 einen Betrag von 10.000 S (als Darlehen) übergeben habe.

Das Schöffengericht wies diese Beweisanträge ‑ mit Ausnahme der Befragung des Zeugen Ü* - mit der Begründung mangelnder Entscheidungsrelevanz, die begehrte Einvernahme des Zeugen K* zu dem angeführten Beweisthema sogar ohne jede Begründung ab.

Damit wurden aber nach Lage des Falles Verteidigungsrechte des Angeklagten verletzt.

Angesichts dessen, daß im vorliegenden Verfahren Aussage gegen Aussage steht und bislang keine objektiven Verfahrensergebnisse zur Beurteilung der Frage verfügbar sind, welcher Darstellung die höhere Glaubwürdigkeit gebührt, verdienen auch bloß im Vorfeld des Tatgeschehens gelegene Begleitumstände erhöhte Beachtung (vgl Mayerhofer‑Rieder, StPO3 § 258 ENr 94 a). Der Behauptung des Vorliegens von solche Begleitumstände betreffenden Unwahrheiten in den Angaben der einzigen Belastungszeugin kommt daher ‑ entgegen der Auffassung des Erstgerichtes - entscheidungserhebliche Bedeutung zu, weshalb die Ablehnung des Antrages, die Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit der Angaben dieser Zeugin einer Überprüfung und Kontrolle zu unterziehen, Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 4 StPO begründet (RZ 1959, 173). Dies umso mehr, als im gegenständlichen Fall die Aussage der Gabrijela A* nicht frei von Inkonstantheiten ist (vgl die Beschwerdeausführungen zur Mängelrüge), mit denen sich die Tatrichter nicht näher auseinandergesetzt haben.

Da sich somit schon aus diesen Gründen eine Neudurchführung des Verfahrens als unumgänglich erweist, war das angefochtene Urteil gemäß § 285 e StPO bereits bei einer nichtöffentlichen Sitzung aufzuheben.

Mit der durch die Aufhebung des Strafausspruches gegenstandlos gewordenen Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

Aus Anlaß der kassatorischen Entscheidung war auch der mit dem aufgehobenen Strafausspruch in untrennbarem Zusammenhang stehende Beschluß des Erstgerichtes, mit welchem vom Widerruf der bedingten Nachsicht der mit dem Urteil des Bezirksgerichtes Linz vom 10. September 1992, GZ 17 U 240/92‑5, verhängten Freiheitsstrafe ungeachtet der neuerlichen Verurteilung gemäß § 494 a Abs 1 Z 2 StPO abgesehen wurde, aus formalen Überlegungen aufzuheben. Im erneuerten Verfahren wird das Verbot der reformatio in peius zu beachten sein (die Staatsanwaltschaft hat kein Rechtsmittel ergriffen).

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