OGH 8ObA264/94(8ObA265/94, 8ObA266/94)

OGH8ObA264/94(8ObA265/94, 8ObA266/94)16.6.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag und Dr.Adamovic sowie die fachkundigen Laienrichter Dipl.Ing.Dr.Hans Peter Bobek und Rudolf Randus als Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Parteien

1.) Karin W*****, ***** 2.) Susanne W*****,und 3.) Silvia G*****, sämtliche vertreten durch Dr.Rene' Schindler, Sekretär der Gewerkschaft Metall-Bergbau-Energie, Wien 4, Plößlgasse 15, dieser vertreten durch Dr.Vera Kremslehner und andere Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei V***** Elektronik GmbH, ***** vertreten durch Dr.Franz Christian Sladek und Dr.Michael Meyenburg, Rechtsanwälte in Wien, wegen 1.) 8.414,74, S netto sA, 2.) 8.962,50 S netto sA und 3.) 8.948,12 S netto sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28.Februar 1994, GZ 32 Ra 164/93-16, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 8.Juli 1993, GZ 22 Cga 58/93x-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die Entscheidung zu lauten hat: Die Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig,

1.) der Erstklägerin 8.414,74 S netto samt 4 % Zinsen seit 1.12.1991,

2.) der Zweitklägerin 8.962,50 S netto samt 4 % Zinsen seit 1.12.1991 und

3.) der Drittklägerin 8.948,12 S netto samt 4 % Zinsen seit 1.12.1991 zu bezahlen, werden abgewiesen.

Die Klägerinnen sind schuldig,

der beklagten Partei je ein Drittel der mit 6.533,95 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (einschließlich 788,99 S USt und 1.800,-- S Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerinnen sind bei der beklagten Partei als Bestückerinnen beschäftigt, auf ihre Arbeitsverhältnisse ist der Kollektivvertrag für die eisen- und metallerzeugende und -verarbeitende Industrie anzuwenden. Die Klägerinnen verständigten zwischen April und August 1991 die beklagte Partei von ihren Schwangerschaften. Die Schutzfrist der Erstklägerin begann am 4.10.1991, die der Zweitklägerin im April 1992 und die der Drittklägerin im Oktober 1991.

Die Klägerinnen verbrauchten (überwiegend) ihre Urlaube vor Beginn der Schutzfrist. Zu Beginn der Schutzfrist erhielten sie ihre Abrechnungen, in denen unter anderem eine um die Zeit des Wochengeldbezuges anteilig gekürzte Weihnachtsremuneration enthalten war. Die Klägerinnen bezogen Wochengeld für die Dauer von 16 Wochen. Bei der Bezahlung des Urlaubszuschusses wurde ihnen gleichfalls der Betrag abgezogen, der auf den Zeitraum des Wochengeldbezuges anteilig entfiel.

Die Klägerinnen begehrten in ihren sodann verbundenen Klagen die der Höhe nach außer Streit stehenden Klagsbeträge mit dem Vorbringen, nach dem Kollektivvertrag sei lediglich für die Zeit des Karenzurlaubes bzw Präsenzdienstes eine Aliquotierung der Sonderzahlungen angeordnet. Für die Zeit des Wochengeldbezuges seien die Sonderzahlungen nicht zu kürzen, zumal das Mutterschutzgesetz nach dessen § 15 Abs 2 MSchG günstigere Regelungen unberührt lasse.

Die beklagte Partei bestritt das Klagsvorbringen und beantragte die Abweisung des Klagebegehrens mit dem Vorbringen, für die Zeiten des Wochengeldbezuges gebührten keine anteiligen Sonderzahlungen. Ein weitergehender Anspruch werde durch den Kollektivvertrag nicht begründet; das Fehlen einer solchen kollektivvertraglichen Regelung allein sei noch keine günstigere Regelung als sie das Gesetz enthalte.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren Folge und führte dabei in rechtlicher Hinsicht aus: Den Klägerinnen gebührten die anteiligen Sonderzahlungen, da die Abschnitte XVII bzw XVIII des anzuwendenden Kollektivvertrages in den Punkten 6 bzw 10 taxativ nur für die Zeiten des Karenzurlaubs bzw des Präsenzdienstes eine entsprechende Verminderung der Weihnachtsremuneration bzw des Urlaubszuschusses normierten. § 38 MSchG besage, daß günstigere Regelungen durch den Kollektivvertrag vom MSchG unberührt blieben. Die Abschnitte XVII Pkt 6 und XVIII Pkt 10 seien, da taxativ, als solche günstigere Bestimmungen anzusehen, weshalb sie als rechtliche Grundlage für die Entscheidung dienten. Das Erstgericht sei deshalb davon überzeugt, daß die oben genannten Bestimmungen als taxativ anzusehen seien, weil der normative Teil eines Kollektivvertrages gemäß §§ 6 und 7 ABGB auszulegen sei und man bei Erforschung des Wortsinns der kollektivvertraglichen Bestimmungen nach dem allgemeinen Sprachgebrauch zu dem Ergebnis komme, daß die Kollektivvertragspartner eine anteilsmäßige Verringerung der Sonderzahlungen nur für die Zeiten des Karenzurlaubes bzw des Präsenzdienstes normierten. Obwohl sie, wie die Regelung für den Karenzurlaub zeige, sehr wohl an die Anwendung der mutterschutzrechtlichen Regelungen dachten, hätten sie nicht eine gleichlautende Regelung für die Zeiten des Bezuges von Wochengeld normiert. Im Hinblick darauf gelange das Erstgericht zur Überzeugung, daß durch die Kollektivvertragspartner eine Regelung getroffen worden sei, die günstiger als jene der §§ 14 Abs 4 und 15 Abs 2 MSchG erscheine.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Es trat der Rechtsansicht des Erstgerichtes bei, daß es sich bei der Nennung der Aliquotierung im Falle des Karenzurlaubes und des Präsenzdienstes um eine taxative Aufzählung handle. Nach ständiger Rechtsprechung seien taxative Aufzählungen restriktiv auszulegen. "Die Ausführungen in der Berufung über die zum Ausdruck kommenden Wertmaßstäbe, wonach das Wochengeld anstelle des Arbeitsentgeltes trete, sowie zu § 162 Abs 4 ASVG gingen ins Leere". Der anzuwendende Kollektivvertrag enthalte eine gegenüber dem Mutterschutzgesetz günstigere Regelung über die Sonderzahlungen.

Die Revision erklärte das Berufungsgericht für zulässig, weil zum Günstigkeitsprinzip im vorliegenden Fall eine Rechtsprechung fehle.

Gegen das berufungsgerichtliche Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, es abzuändern und das Klagebegehren abzuweisen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die klagenden Parteien beantragen in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und auch berechtigt.

Die Revisionswerberin bringt vor, eine fehlende Regelung in einem Kollektivvertrag sei keine günstigere Regelung im Vergleich zum Gesetz. § 14 Abs 4 MSchG sei eine Anwendung des "Ausfallprinzipes". Die anteiligen Sonderzahlungen seien schon im Wochengeld gemäß § 162 Abs 4 ASVG enthalten. Eine analoge Anwendung der Regelung für den Karenzurlaub gemäß § 15 Abs 2 MSchG habe nicht zu erfolgen. Das Mutterschutzgesetz wolle Benachteiligungen der Arbeitnehmerinnen hintanhalten, aber keine Doppelbezüge schaffen.

Zu diesen Ausführungen war zu erwägen:

Das bloße Fehlen einer Regelung in einem Kollektivvertrag kann nicht schon als günstigere Regelung angesehen werden (JBl 1988, 60 mit Anm von Praxmarer = Arb 10.526 = ZAS 1988/3, 28 = RdW 1986, 217; Arb 9.812, 9.643, 7.489); ob hingegen das Fehlen einer kollektivvertraglichen Regelung im Sinne einer Gesetzeslücke zu werten ist, ist im Wege der teleologischen Auslegung zu prüfen.

Für Zeiten, in denen Anspruch auf Wochengeld besteht, werden die anteiligen Sonderzahlungen gemäß § 162 Abs 3 und 4 ASVG in dieses einbezogen. Gegenüber dem Arbeitgeber besteht in einem Kalenderjahr, in das solche Zeiten fallen, nur der aliquote Anspruch auf Sonderzahlungen (Arb 9.643, 10.526; Knöfler MSchG10, 236).

Das Wochengeld hat - ähnlich wie das Krankengeld in vollkommenerer Weise - die Funktion, den durch die Mutterschaft erlittenen Entgeltverlust zu ersetzen (Binder-Tomandl, System des Sozialversicherungsrechtes 253). Es gebührt für den Zeitraum, der dem Beschäftigungsverbot gemäß § 3 Abs 3 und § 5 Abs 1 MSchG entspricht. Die Sonderzahlungen werden in Form eines (durch die Satzung des Versicherungsträgers allgemein festzusetzenden) prozentuellen Zuschlages berücksichtigt (Binder aaO, 255; Löschnigg, Wochengeldberechnung unter Berücksichtigung von Probelehrerzeiten, DRdA 1982, 393 insbesondere 395 bei FN 19).

Nach dem der Regelung des § 14 MSchG zugrundeliegenden Ausfallprinzip soll die Arbeitnehmerin während einer Dienstfreistellung keine Entgelteinbuße erfahren, sondern das Entgelt erhalten, das sie anderenfalls, wäre bei Fehlen eines Freistellungsgrundes die regelmäßige Arbeit verrichtet worden, erhalten hätte. Ein Grund dafür, der Arbeitnehmerin während eines solchen Freistellungszeitraumes ein höheres Entgelt zu bezahlen, als sie im Falle ihrer Tätigkeit erhalten hätte, kann aus dem Gesetz nicht abgeleitet werden.

Sonderzahlungen sind eine Form aperiodischen Entgelts, das für Zeiten, in denen kein Entgeltanspruch - dem Arbeitgeber gegenüber - besteht - etwa nach Ausschöpfung des Entgeltfortzahlungsanpruches im Falle der Krankheit gemäß § 8 Abs 1 AngG (§ 2 Abs 1 EFZG) - regelmäßig nicht gebührt (9 Ob A 38/94 mwN), soferne nicht ein Kollektivvertrag Gegenteiliges anordnet (vgl WBl 1993, 403).

Aus der Bestimmung über den Karenzurlaub (§ 15 MSchG) kann soweit für den Zeitraum des Beschäftigungsverbotes nach § 14 Abs 2 MSchG auch im Wege der Analogie ein Anspruch auf ungekürzte Sonderzahlungen nicht abgeleitet werden. Dem entspricht auch § 14 Abs 3 MSchG, wonach für Zeiten, während deren Wochengeld bezogen werden kann, ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung gegenüber dem Arbeitgeber nicht besteht. Lediglich ein Zuschuß zum Krankengeld wird dadurch nicht ausgeschlossen.

Auch dem Wortlaut des Kollektivvertrages kann eine Rechtsgrundlage

für eine Pflicht des Arbeitgebers, die Sonderzahlungen auch während

der Schutzfrist unvermindert zu bezahlen, nicht entnommen werden. Ob

die Auslegungshypothese der Vorinstanzen, die Fälle möglicher

Aliquotierung, nämlich bei Karenzurlaub und Präsenzdienst seien

taxativ aufgezählt, zutrifft, kann dahingestellt bleiben. Selbst

unter der Annahme einer taxativen Aufzählung ist für die

Revisionswerberin nichts gewonnen, denn die Ansicht, es müsse bei

solchen Ausnahmeregelungen eine restriktive Auslegung erfolgen, wird

von der Rechtsprechung nicht mehr vertreten (vgl zur

Urlaubsentschädigung: Arb 10.560 = SZ 59/177 = WBl 1987, 100 = RZ

1987/24, 111; Freizeit in der Kündigungsfrist auch bei befristetem

Arbeitsverhältnis: EvBl 1993/171, 701 = RdW 1993, 314 = ZAS 1994/8,

92 = WBl 1993, 259 = ecolex 1993, 403). Wenn nämlich der

Gesetzeszweck es gebietet, hindert eine (vermeintlich) taxative Aufzählung nicht die Analogie.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO iVm § 58a ASGG und dem Aufwandersatzgesetz (BGBl Nr 28/1993).

Nach § 58a Abs 1 ASGG ist der Anspruch auf pauschalierten Aufwandersatz durch die gesetzliche Interessenvertretung oder freiwillige kollektivvertragsfähige Berufsvereinigung geltend zu machen; daher ist folgerichtig im Falle des Obsiegens dieser und nicht der Prozeßpartei der Ersatzanspruch zuzuerkennen.

Der pauschale Aufwandersatz hat auf die durchschnittliche Dauer der Verfahren und den damit verbundenen durchschnittlichen Personalaufwand Bedacht zu nehmen. Daher ist hier für die drei getrennt überreichten Klagen jeweils der mit diesen verbundene Aufwandersatz zuzusprechen, um den erhöhten Personalaufwand der gesonderten Informationsaufnahme zu berücksichtigen. Ab der zum frühest möglichen Zeitpunkt erfolgten Verbindung der Verfahren gemäß § 187 ZPO gebührt hingegen nur mehr der einfache Aufwandersatz für das weitere Verfahren erster Instanz (gemäß der Verordnung BGBl 55/1993). Der geringfügige Mehraufwand eines für drei Kläger geführten Verfahrens nach gesonderter Berücksichtigung des Mehraufwandes für die zur Klage führende Informationsaufnahme wird im Rahmen der Pauschalierung nicht zusätzlich zu berücksichtigen sein, sondern kann vernachlässigt werden. Nach den für die Pauschalierung maßgeblichen Kriterien ist auf die durchschnittliche Dauer und den durchschnittlichen Personalaufwand Bedacht zu nehmen. Dieser wird nach der Prozeßverbindung regelmäßig nicht in einer ins Gewicht fallenden Weise erhöht. Umgekehrt wäre die Relation zum RATG, nach dem lediglich ein Streitgenossenzuschlag gebührt, gröblich verzerrt, weshalb der personelle Aufwand im Falle der Verbindung nur mehr einfach zu berücksichtigen ist.

Für das Berufungsverfahren gebührt der für die beklagte Partei tätig gewordenen Interessenvertretung kein Aufwandersatz, denn sie hat es verabsäumt, diesen in der Berufung zu verzeichnen und eine mündliche Berufungsverhandlung wurde nicht beantragt (§ 54 Abs 1 ZPO).

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