OGH 15Os79/94(15Os80/94)

OGH15Os79/94(15Os80/94)9.6.1994

Der Oberste Gerichtshof hat am 9.Juni 1994 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch, Mag.Strieder, Dr.Rouschal und Dr.Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr.Würzburger als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Josef P***** wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über den Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Beschwerde gegen den Beschluß der Vorsitzenden des Schöffengerichtes des Landesgerichtes Eisenstadt vom 14.Jänner 1994, GZ 15 Vr 1345/92-32, sowie über die Beschwerde des Angeklagten gegen diesen Beschluß nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird verweigert.

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die (angemeldete) Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Text

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Josef P***** wurde mit dem schöffengerichtlichen Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt vom 15.September 1993 (ON 29) des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung schuldig erkannt und zu fünfzehn Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Nach Urteilsverkündung und Rechtsmittelbelehrung (§ 268 StPO) meldete der durch den Wahlverteidiger Dr.Hajek vertretene Angeklagte Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an, ohne jedoch einen der im § 281 Abs 1 Z 1-11 StPO angeführten Nichtigkeitsgründe zu bezeichnen; der Staatsanwalt gab keine Erklärung ab (S 293). Am 29.November 1993 verfügte die Vorsitzende die Zustellung einer Abschrift (Ausfertigung) des Urteils "zur RM-Ausführung" zu eigenen Handen an den genannten Verteidiger, der am 3.Dezember 1993 das Schriftstück übernahm (S 313 iVm S 1 f).

In der Folge unterblieb eine Rechtsmittelausführung, worauf die Vorsitzende am 29.Dezember 1993 (also mehrere Tage nach Ablauf der im - noch anzuwendenden - § 285 Abs 1 StPO a.F. statuierten 14-tägigen Frist zur Ausführung des angemeldeten Rechtsmittels) in der Kanzlei Dris.Hajek anrief und von dort die Auskunft erhielt, "daß das Urteil an den Angekl. mit dem Hinweis zurückgesandt wurde, daß das Vollmachtsverhältnis aufgekündigt wurde" (S 1 f).

Daraufhin wurde mit dem Beschluß vom 14.Jänner 1994 (ON 32) die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten P***** gemäß § 285 a Z 2 StPO mit der Begründung zurückgewiesen, daß weder der Angeklagte noch der Verteidiger die mittlerweilige Auflösung des Vollmachtsverhältnisses dem Gericht angezeigt hätten, eine schriftliche Ausführung der angemeldeten Rechtsmittel nicht eingelangt sei und es der Rechtsmittelwerber auch bei Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde unterlassen habe, Nichtigkeitsgründe deutlich und bestimmt zu bezeichnen. Eine Ausfertigung dieser (zu eigenen Handen zugestellten) Entscheidung samt Rechtsmittelbelehrung übernahm Josef P***** (wie aus einem Vergleich mit den im Akt S 41 ff mehrfach abgegebenen Unterschriften zweifelsfrei hervorgeht) persönlich am Montag, dem 24. Jänner 1954 (gemeint: 1994), an seinem Wohnsitz in***** M*****, Hauptstraße 15 (vgl RS blau S 320). Dessen ungeachtet blieb der Rechtsmittelwerber in der Folge untätig; die Vorsitzende lud ihn schließlich für den 17.März 1994 vor (S 1 f verso).

Bei dieser (termingemäßen) Vernehmung (ON 33) erklärte Josef P***** unter anderem, er habe erst anläßlich der Zustellung des vorgenannten Beschlusses erfahren, daß der Verteidiger die Vollmacht zurückgelegt habe und ihn nicht mehr vertrete; er sei der Meinung gewesen, daß der Anwalt das angemeldete Rechtsmittel ausführen werde; wohl habe ihm seine Frau - vermutlich noch innerhalb der offenen Rechtsmittelfrist - erzählt, daß es mit der anwaltlichen Vertretung wegen der offenen Honorarnote Probleme gebe, doch habe sie sich angeboten, die Angelegenheit für ihn beim Anwalt zu erledigen und alles zu unternehmen, damit er ihn weiter vertrete; sogleich nach Erhalt des Zurückweisungsbeschlusses habe die Ehegattin in seinem Auftrag Dr.Hajek ersucht, diesen Beschluß mit Beschwerde zu bekämpfen; nach den Erzählungen der Ehegattin sei er der Meinung gewesen, Dr.Hajek würde dagegen fristgerecht Beschwerde erheben; erst in der der Vernehmung vorangehenden Woche habe er anläßlich eines Telefonates mit Dr.Hajek (wegen der Ladung zur Vernehmung) erfahren, daß er den Zurückweisungsbeschluß nicht bekämpft habe.

Josef P***** stellte daher den Antrag, "das Verfahren in Anbetracht auf den Beschluß auf Zurückweisung meiner Nichtigkeitsbeschwerde in analoger Anwendung der Bestimmungen der §§ 353 ff StPO wieder aufzunehmen, diesen Beschluß aufzuheben und mir einen Verteidiger gemäß § 41 Abs 2 StPO beizugeben". Für den Fall, daß diesem Ersuchen nicht stattgegeben werde, stellte er den Eventualantrag "auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Beschluß auf Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde". Unter einem führte er die Beschwerde aus.

In ihrer Äußerung gemäß § 364 Abs 2 StPO trat die Staatsanwaltschaft dem Antrag auf Wiedereinsetzung "im Hinblick auf die glaubwürdigen Angaben des Josef P***** zu seiner Ortsabwesenheit" nicht entgegen (S 1 g).

Diesen Antrag legte die Vorsitzende dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung vor (S 1 g verso).

Er ist nicht berechtigt.

Voranzustellen ist, daß nach der Bestimmung des § 79 Abs 2 StPO alle Aktenstücke, von deren Behändigung die Frist zur Ergreifung eines Rechtsmittels läuft, entweder an die Partei selbst oder (wenn sie einen Vertreter bestellt hat: nur) an ihren bestellten Vertreter zugestellt werden müssen. Als bestellter Vertreter einer Partei, dem solcherart wirksam zugestellt werden kann, ist dabei der nach der Aktenlage bevollmächtigte Vertreter so lange anzusehen, als dem Gericht die Kündigung oder der Widerruf dieser Vollmacht nicht bekannt gegeben wird (vgl Mayerhofer-Rieder StPO3 § 44 E 23; § 79 E 14, 58). Daraus folgt, daß - solange dies nicht geschehen ist - eine (prozeß-)rechtswirksame Zustellung der genannten Aktenstücke, zu denen auch eine Urteilsausfertigung gehört, nur an diesen (noch) dem Gericht ausgewiesenen Vertreter möglich ist (Foregger-Kodek StPO6 § 79 Erl II c; 11 Os 120,121/87). Durch die nachträgliche Bekanntgabe der Vollmachtsauflösung wird die einmal rechtmäßig in Gang gesetzte Rechtsmittelausführungsfrist weder unwirksam noch unterbrochen noch verlängert.

Für das gegenständliche Verfahren bedeutet dies, daß die Aushändigung der Urteilsausfertigung an den nach der Aktenlage als bevollmächtigter Vertreter des Angeklagten auftretenden Rechtsanwalt Dr.Peter Hajek am 3.Dezember 1993 als prozeßordnungsgemäße Zustellung mit allen daran geknüpften rechtlichen Konsequenzen anzusehen ist.

Daraus ergibt sich, daß die Vorsitzende die angemeldete Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten zu Recht zurückgewiesen hat.

Voraussetzung für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist unter anderem, daß der Wiedereinsetzungswerber nachzuweisen vermag, daß es ihm durch unvorhersehbare oder unabwendbare Ereignisse unmöglich war, die Frist einzuhalten oder die Verfahrenshandlung vorzunehmen, es sei denn, daß ihm oder seinem Vertreter ein Versehen nicht bloß minderen Grades zur Last liegt (§ 364 Abs 1 Z 1 StPO).

Davon kann aber nach den dargelegten Umständen fallbezogen nicht gesprochen werden. Denn angesichts der Tatsache, daß Josef P***** spätestens mit der eigenhändigen Übernahme des Zurückweisungsbeschlusses davon in Kenntnis war, daß Rechtsanwalt Dr.Hajek - ersichtlich wegen der offenen Honorarnote - nicht einmal die Nichtigkeitsbeschwerde ausgeführt hatte, durfte er sich in der Folge umsoweniger mit der undifferenzierten Auskunft seiner Ehegattin, "daß alles in Ordnung gehe", begnügen, zumal er Zweifel hegte, daß diese schon seinerzeit "den Anwaltsbrief nicht richtig verstanden" haben könnte, und die aufgelaufenen Vertretungskosten (nach der Aktenlage) noch immer nicht beglichen waren.

Zur Wahrung seines Beschwerderechtes hätte sich der Angeklagte vielmehr entweder sogleich persönlich mit dem vormaligen Rechtsvertreter ins Einvernehmen setzen (wie er es später nach Erhalt der gerichtlichen Ladung getan hat) und sich Klarheit verschaffen müssen, oder sich rechtzeitig beim zuständigen Bezirksgericht bzw bei der Vorsitzenden des Schöffengerichtes die ihm notwendig erscheinenden Rechtsauskünfte einholen und gegebenenfalls die Beschwerde gemäß § 285 b Abs 2 StPO erheben können. In Wahrheit blieb er aber durch viele Wochen hindurch untätig und ließ auf diese Weise die ihm schriftlich bekanntgegebene 14-tägige Rechtsmittelfrist - nach Lage der Dinge aus einem Versehen nicht bloß minderen Grades - ungenützt verstreichen.

Unter den gegebenen Umständen kann daher nicht mit Fug gesagt werden, es sei dem Wiedereinsetzungswerber durch Ereignisse der im § 364 Abs 1 Z 1 StPO umschriebenen Art unmöglich gemacht worden, die Frist einzuhalten, weshalb es vorliegend schon an der essentiellen Voraussetzung dieser Gesetzesstelle mangelt.

Demnach war die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Beschwerde gemäß § 285 b Abs 2 StPO zu verweigern und demzufolge die gegen den Zurückweisungsbeschluß erhobene Beschwerde zurückzuweisen.

Daraus folgt, daß über die (von der zurückgewiesenen Nichtigkeitsbeschwerde unberührt gebliebene) Berufung des Angeklagten, in deren rechtzeitiger Anmeldung bei der gegebenen Sachlage der Beschwerdepunkt bereits hinreichend bezeichnet ist, die Akten vorerst dem Oberlandesgericht Wien zuzuleiten waren (§ 285 i StPO).

Nach allfälliger Rechtskraft des schöffengerichtlichen Urteils wird das Erstgericht über den unter richterlicher Anleitung gestellten (und daher füglich nicht umzudeutenden) Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens nach §§ 353 ff StPO (ON 33) zu entscheiden haben; Voraussetzung dafür ist die Rechtskraft der vom Wiederaufnahmebegehren betroffenen Entscheidung (§ 353 StPO Einleitungssatz).

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