OGH 9ObA104/94

OGH9ObA104/948.6.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Bauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Peter Scheuch und Helmut Stöcklmayer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Brigitte B*****, Angestellte, ***** vertreten durch Dr.Georg Grießer und Dr.Roland Gerlach, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei M***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr.Rudolf Krilyszyn, Rechtsanwalt in Wien, wegen 113.190 S brutto sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28.Feber 1994, GZ 32 Ra 170/93-9, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 2.Juni 1993, GZ 11 Cga 100/93-4, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 6.337,80 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 1.056,30 S USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Da die Begründung des Berufungsgerichtes zutreffend ist, genügt es, auf diese Ausführungen zu verweisen (§ 48 ASGG).

Ergänzend ist auszuführen:

Das AVRAG findet auf den vorliegenden Fall keine Anwendung, sodaß es sich erübrigt, auf die diesbezüglichen Ausführungen der Revision einzugehen.

Das entscheidende Problem ist die Durchführung des Günstigkeitsvergleiches zwischen kollektivvertraglichen Bestimmungen und einer davon abweichenden Einzelvereinbarung bzw Betriebsvereinbarung. Dazu normiert das Gesetz in § 3 Abs 2 ArbVG verbindliche Vorgaben: ausgehend von der vom KollV abweichenden Sondervereinbarung sind bei der Günstigkeitsprüfung jene Bestimmungen einander gegenüberzustellen, die in einem rechtlichen und sachlichen Zusammenhang stehen. Dies ist nach herrschender Lehre und Rechtsprechung dahingehend auszulegen, daß weder KollV und abweichende Sondervereinbarung als Ganzes (Gesamtvergleich) noch isolierte Bestimmungen daraus (punktueller Vergleich) miteinander zu vergleichen sind, sondern daß statt dessen ein sogenannter Gruppenvergleich rechtlich und sachlich zusammengehöriger Normen durchzuführen ist (siehe die Zusammenfassung bei Eichinger ZAS 1993, 136 ff mwN). Die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale des rechtlichen und tatsächlichen Zusammenhanges liegen dann vor, wenn Bestimmungen den gleichen Regelungsgegenstand betreffen. Der Günstigkeitsvergleich ist dabei auf jenen Zeitpunkt zu beziehen, an dem einander die in den Gruppenvergleich einzubeziehenden Bestimmungen des KollV und der abweichenden Einzel-(Betriebs)Vereinbarung erstmals gegenüberstanden (Eichinger aaO 137 mwN).

Fest steht, daß durch die Änderung des Betriebsgegenstandes der beklagten Partei und damit der Sektionszugehörigkeit bei der Kammer der gewerblichen Wirtschaft im September 1990 auch eine Änderung der Kollektivvertragszugehörigkeit eintrat. Seither unterlag das Dienstverhältnis der Klägerin grundsätzlich dem Kollektivvertrag der Handelsangestellten Österreichs. Die vereinbarte Weitergeltung des Rahmenkollektivvertrages für die Industrieangestellten sowie des Zusatzkollektivvertrages der Elektroindustrieangestellten konnte nur soweit wirksam sein, als er im Zeitpunkt des Eintrittes der Wirksamkeit des neuen KollV dem Günstigkeitsvergleich standhielt.

Die Bestimmung des Art XV des KollV der Handelsangestellten stellt den Dienstnehmer nach 5-jähriger Dienstzeit dadurch günstiger, daß die Kündigung nur mehr zum Quartalsende erfolgen kann. Zweck dieser Bestimmung ist offenbar, die Bestandfestigkeit des Dienstverhältnisses zu erhöhen und dem Angestellten im Fall der Kündigung eine längere Frist zur Einstellung auf die neue Situation und zum Aufsuchen eines neuen Arbeitsplatzes zu sichern. Es kann nun ungeprüft bleiben, ob im Hinblick auf diesen Zweck der Gruppenvergleich bei der Günstigkeitsprüfung auf Kündigungssstermin und Kündigungsfrist zu beschränken ist, oder ob auch Abfertigungsregelungen in diesen Gruppenvergleich einzubeziehen sind. Folgt man der ersten Ansicht, so fällt die Günstigkeitsprüfung jedenfalls zugunsten des KollV der Handelsangestellten aus, weil der als lex contractus gewählte KollV in diesem engeren Bereich keinerlei Regelungen vorsieht, die die Rechtsposition des Dienstnehmers verbessern würden. Aber auch, wenn man der zweiten Ansicht folgt und Abfertigungsregelungen in den Gruppenvergleich einbezieht, führt dies zu keinem anderen Ergebnis.

Daraus, daß die Entlohnung bei aufrechtem Dienstverhältnis aufgrund des vereinbarten KollV allenfalls günstiger war als aufgrund des KollV der Handelsangestellten ist für die beklagte Partei nichts zu gewinnen. Geht es um die Frage der Zulässigkeit einer vom geltenden KollV abweichenden Kündigungsregelung, so sind Entgeltregelungen in den Gruppenvergleich nicht einzubeziehen; daran ändert auch nichts, daß ausgehend von der günstigeren Entgeltregelung die Abfertigung höher ist, als nach dem ex lege geltenden KollV. Im weiteren verweist die beklagte Partei darauf, daß die vom Erstgericht im einzelnen dargestellten Regelungen bezüglich der Berücksichtigung von Karenzurlauben für die Bemessung der Abfertigung und die Herabsetzung der Dauer des Dienstverhältnisses nach § 23 a AngG auf 5 Jahre im vereinbarten Kollektivvertrag günstiger seien. Auch diese Argumente können nicht zum Erfolg führen. Bei der praktischen Anwendung des Günstigkeitsprinzips ist grundsätzlich auf den Einzelfall des betroffenen Arbeitnehmers abzustellen (9 Ob A 117/88 mwN). Es fehlt aber jeder Hinweis dafür, daß sich die von der beklagten Partei genannten Regelungen in irgendeiner Weise für die Klägerin günstiger ausgewirkt hätten. Die die Abfertigungsregelung bei Karenzurlaub betreffende Bestimmung kann nur zum Tragen kommen, wenn Karenzurlaub tatsächlich konsumiert wurde und wirkt sich auch nur aus, wenn dadurch eine Dienstzeitgrenze überschritten wird, die den Anspruch auf Abfertigung erhöht; der Anwendungsbereich dieser Bestimmung wird sich daher auf wenige Einzelfälle beschränken. Dafür, daß ein solcher Fall bei der Klägerin vorlag, fehlt jeder Anhaltspunkt. Die gegenüber § 23 a AngG günstigeren Regelungen können bei einer Arbeitgeberkündigung schon ihrer Natur nach nicht zur Anwendung kommen. Die Regelung des Art XV KollV der Handelsangestellten führt dazu, daß die Kündigungsfrist bei entsprechender zeitlicher Lagerung der Kündigungserklärung unter Umständen um bis zu 2 1/2 Monaten länger ist, als nach dem vereinbarten KollV. Diese günstigere Rechtsposition des Dienstnehmers wird durch eine Besserstellung bezüglich der Abfertigungsregelung, die nur in Ausnahmefällen zu einem Vorteil des Dienstnehmers führt keinesfalls überwogen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO.

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