OGH 11Os38/94

OGH11Os38/947.6.1994

Der Oberste Gerichtshof hat am 7.Juni 1994 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Lachner als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Hager, Dr.Schindler, Dr.Mayrhofer und Dr.Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr.Würzburger als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Dipl.Ing. Dr.Wilhelm P***** wegen des Vergehens der üblen Nachrede nach §§ 111 Abs 1 und 2, 117 Abs 2 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Präsidenten des Landesgerichtes Steyr vom 20.Jänner 1994, Jv 73-17/94 (= GZ 25 EVr 189/93-39), nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr.Bassler und des Beschuldigten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Beschluß des Präsidenten des Landesgerichtes Steyr vom 20.Jänner 1994, Jv 73-17/94 (= GZ 25 E Vr 189/93-39), mit dem die Befangenheitsanzeige des Richters des Landesgerichtes Steyr Mag.Erwin S***** vom 2.August 1993 zurückgewiesen wurde, verletzt das Gesetz in der Bestimmung des § 74 Abs 1 StPO.

Dieser Beschluß wird aufgehoben, und es wird dem Präsidenten des Landesgerichtes Steyr aufgetragen, über die Befangenheitsanzeige meritorisch zu entscheiden.

Text

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Der Richter des Landesgerichtes Steyr Mag.Erwin S***** zeigte am 2. August 1993 gemäß § 72 Abs 2 StPO seine Befangenheit in der Strafsache gegen Dipl.Ing. Dr.techn.Wilhelm P***** wegen des Vergehens der üblen Nachrede nach §§ 111 Abs 1 und Abs 2, 117 Abs 2 StGB, AZ 23 E Vr 189/93 des Landesgerichtes Steyr, dem Präsidenten des Landesgerichtes Steyr an (ON 31). Der Präsident, der bereits vorher die Strafsache zwei Richtern des Landesgerichtes Steyr wegen Befangenheit abgenommen hatte (ON 28 und 30), holte daraufhin von den übrigen Richtern des Landesgerichtes Steyr Erklärungen ein. Mit Ausnahme der Richterin Dr.K***** und des Richters Dr.L*****, die für ihre Befangenheit keinerlei Gründe angaben, erklärten sich diese im wesentlichen übereinstimmend unter Hinweis auf freundschaftliche und kollegiale Beziehungen zu Dr.H*****, einem ehemaligen Richter, der - ebenso wie seine Ehegattin - im gegenständlichen, Vorfälle um seine Person betreffenden Verfahren voraussichtlich als Zeuge zu vernehmen sein wird, ebenfalls für befangen. Unter gleichzeitiger Anzeige seiner eigenen Befangenheit aus den dargelegten Gründen stellte der Präsident des Landesgerichtes Steyr daraufhin beim Oberlandesgericht Linz den Antrag, die Strafsache dem Landesgericht Steyr abzunehmen und einem anderen Gerichtshof im Sprengel des Oberlandesgerichtes Linz zu übertragen (Jv 1447-17/93 des Landesgerichtes Steyr).

Mit Beschluß vom 28.September 1993, AZ 11 Ns 455/93 (= ON 32) gab das Oberlandesgericht Linz, ohne auf die fehlende Angabe von Befangenheitsgründen durch Dr.K***** und Dr.L***** einzugehen, dem Antrag als "sachlich nicht gerechtfertigt" im wesentlichen mit der Begründung nicht Folge, daß "bei Anlegung eines durchschnittlichen Anforderungsprofils an einen Richter" zu erwarten sei, daß dieser im Zuge eines Verfahrens einen (ehemaligen) Kollegen als Zeugen unter gänzlicher Hintanstellung unsachlicher Motive oder gar von Vorurteilen zu vernehmen und diese Aussage "vollkommen unbefangen" würdigen könne, und einer der befragten Richter, nämlich Mag.W*****, der seine Befangenheit nur auf berufliche Kontakte während seiner Ausbildung bei der Staatsanwaltschaft Linz zum Anzeiger Dr.B***** stützte, nicht habe darlegen können, weshalb seine volle Unbefangenheit in Zweifel zu setzen sei.

Nach Einlangen dieses Beschlusses beim Landesgericht Steyr leitete dessen Präsident den Akt Mag.S***** als zuständigem Richter zu (ON 34).

Mag.S***** regte daraufhin unter Hinweis auf im Akt erliegende weitere Beschlüsse, die zur Frage der Befangenheit eine gegenteilige Rechtsansicht zum Ausdruck brächten, bei der Generalprokuratur die Erhebung einer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes an (ON 36).

Die Generalprokuratur sah sich dazu nicht veranlaßt, sondern vertrat den Standpunkt, daß der Präsident des Landesgerichtes Steyr nunmehr gemäß § 74 Abs 1 StPO über die Befangenheitsanzeige des Richters Mag.S***** vom 2.August 1993 zu entscheiden haben werde.

Mit Beschluß vom 20.Jänner 1994, GZ 25 E Vr 189/93-39 (= AZ Jv 73-17/94), wies der Präsident des Landesgerichtes Steyr die am 10. Jänner 1994 von Mag.S***** unter Hinweis auf seine Anzeige vom 2. August 1993 wiederholte Befangenheitsanzeige (ON 38) mit der Begründung zurück, daß durch den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz vom 28.September 1993, AZ 11 Ns 455/93, in dem "diese Anzeigen und damit der vorliegende Antrag des Präsidenten des Landesgerichtes Steyr" als "sachlich nicht gerechtfertigt" bezeichnet werden (S 2 des Beschlusses), auch über die Anzeige des Mag.S***** vom 2.August 1993 rechtswirksam abgesprochen worden sei.

Dieser Beschluß steht - wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Gemäß § 74 Abs 1 StPO hat über die Befangenheitsanzeige eines Richters eines Landesgerichtes der Präsident des betreffenden Landesgerichtes zu entscheiden.

Indem das Oberlandesgericht Linz in seinem Beschluß vom 28.September 1993 global die Anzeigen einer Befangenheit sämtlicher Richter des Landesgerichtes Steyr, darunter auch die des Richters des Landesgerichtes Mag.S*****, als "sachlich nicht gerechtfertigt" bezeichnete, wobei es ausdrücklich nur auf die des Richters Mag.W*****, nicht aber auf die ohne Angabe von Gründen erfolgte Befangenheitsanzeige der Richter Dr.K***** und Dr.L***** einging, wurde damit - wie sich aus der Begründung in ihrer Gesamtheit ergibt - nicht über jede einzelne Erklärung der Richter des Landesgerichtes abgesprochen. Vielmehr bejahte das Oberlandesgericht Linz grundsätzlich die Möglichkeit, daß das Verhältnis eines vernehmenden oder erkennenden Richters zu einem Zeugen Befangenheit bewirken kann, meinte aber dann, daß "bei Anlegung eines durchschnittlichen Anforderungsprofils an einen Richter" erwartet werden könne, daß ein Richter einen (ehemaligen) Kollegen mit voller Unvoreingenommenheit zu vernehmen und dessen Aussage frei von unsachlichen psychologischen Motiven zu würdigen vermag. Damit wird aber nicht gesagt, daß diese grundsätzliche Argumentation in Ansehung kollegialer Kontakte zu einem Zeugen auch auf Mag.S***** zutrifft, der im übrigen "über das Berufliche weit hinausgehende, geradezu freundschaftliche Kontakte" zu Dr.H***** und dessen Gattin ins Treffen führte und ausdrücklich erklärte, sich (subjektiv) nicht in der Lage zu fühlen, "an dieses Verfahren völlig unvoreingenommen heranzugehen" (ON 31).

Demnach wäre der Präsident des Landesgerichtes Steyr gemäß § 74 Abs 1 StPO verpflichtet gewesen, unter Beachtung der Rechtsansicht des Oberlandesgerichtes Linz zur Möglichkeit einer Befangenheit infolge kollegialer Kontakte zu einer Prozeßpartei über die Anzeige des Richters Mag.Erwin S***** vom 2.August 1993 meritorisch zu entscheiden.

Da durch das Unterbleiben einer solchen meritorischen Entscheidung über die Befangenheitsanzeige des Richters ein Nachteil für den Angeklagten nicht ausgeschlossen werden kann, war der bezeichnete Beschluß aufzuheben und dem Präsidenten des Landesgerichtes Steyr die Sachentscheidung aufzutragen.

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