OGH 12Os58/94(12Os59/94)

OGH12Os58/94(12Os59/94)19.5.1994

Der Oberste Gerichtshof hat am 19.Mai 1994 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Horak als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Rzeszut, Dr.Schindler, Dr.Adamovic und Dr.Holzweber als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Jannach als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Guido G***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und Abs 4 erster Fall StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Bregenz vom 22.September 1989, GZ 4 U 29/89-25, und das Erkenntnis des Landesgerichtes Feldkirch als Berufungsgericht vom 31. Jänner 1990, AZ Bl 159/89 (GZ 4 U 29/89-30 des Bezirksgerichtes Bregenz), nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Hauptmann, und des Verteidigers Dr.Heel jedoch in Abwesenheit des Verurteilten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In der Strafsache gegen Guido G***** wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und Abs 4 erstem Fall StGB, AZ 4 U 29/89 des Bezirksgerichtes Bregenz, verletzen

1. das Urteil des Bezirksgerichtes Bregenz vom 22.September 1989 (ON 25), mit welchem Guido G***** dieses Vergehens schuldig erkannt und hiefür zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, und

2. das diesen Schuldspruch bestätigende Berufungserkenntnis des Landesgerichtes Feldkirch vom 31.Jänner 1990, AZ Bl 159/89 (ON 30),

jeweils das Gesetz in der Bestimmung des § 88 Abs 1 und Abs 4 erster Fall StGB (teils in Verbindung mit § 102 Abs 9 KFG, teils in Verbindung mit § 24 Abs 1 lit b StVO).

Diese Urteile werden aufgehoben, und es wird gemäß §§ 292, 288 Abs 2 Z 3 StPO in der Sache selbst erkannt: Guido G***** wird von der Anklage, am 21.November 1988 in Bregenz im Pfändertunnel bei der Fahrt in Richtung Süden als Lenker eines PKWs durch Halten im Tunnelbereich entgegen der Vorschrift des § 24 Abs 1 lit b StVO, wodurch es im Zuge eines Auffahrunfalls zwischen nachkommenden Fahrzeugen zur Kollision eines daran beteiligten, auf die Gegenfahrbahn geratenen LKW-Zuges mit dem von Hubert J***** in Gegenrichtung gelenkten PKW kam, fahrlässig Hubert J*****, der eine Gehirnerschütterung, einen Schädelbasisbruch und eine Hirnstammblutung erlitt, am Körper schwer verletzt und hiedurch das Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und 4 erstem Fall StGB begangen zu haben, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Bezirksgerichtes Bregenz vom 22.September 1989, GZ 4 U 29/89-25, wurde Guido G***** des Vergehens der fahrlässigen ("schweren") Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und 4 erstem Fall StGB schuldig erkannt; das Landesgericht Feldkirch als Berufungsgericht verwarf mit Urteil vom 31.Jänner 1990, AZ Bl 159/89 (GZ 4 U 29/89-30), die Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit und gab seiner Berufung wegen des Ausspruches über die Schuld keine Folge.

Nach den beiden Urteilen zugrundeliegenden wesentlichen Feststellungen hatte der Beschuldigte, der am Unfalltag von München in Richtung Schweiz fuhr, schon in München Ketten an den Hinterrädern seines PKWs montieren lassen und erreichte unter Einhaltung der ihm vom Monteur angeratenen Höchstgeschwindigkeit von ca 50 km/h Bregenz. Infolge mangelnder Ortskenntnisse gelangte er schließlich von Norden kommend in den Pfändertunnel. Dieser 6,7 km lange Tunnel weist bei einer Fahrbahnbreite von 7,5 m keinen Pannenstreifen, sondern nur beiderseits der Hauptfahrbahn Gehsteige in der Breite von etwa 1 m auf.

Als der Verurteilte bereits eine Fahrstrecke von rund 4,6 km mit der schon seit Fahrtantritt eingehaltenen Geschwindigkeit von ca 50 km/h mit angelegten Ketten im Tunnel, in welchem eher mäßiger Verkehr herrschte, zurückgelegt hatte, nahm er an seinem Fahrzeug plötzlich ein starkes schlagendes Geräusch wahr, welches offenbar von den Ketten stammte, reduzierte sofort seine Geschwindigkeit, und fuhr, durch das Schlagen erschrocken, nur noch eine kurze Strecke weiter, um dann den Wagen - so weit rechts wie möglich - anzuhalten. Schon vor dem Anhalten setzte der Verurteilte die Warnblinkanlage in Funktion. Von der Fortsetzung der Fahrt nahm er Abstand, weil er sich sicher war, daß ihm das nicht mehr möglich und das Risiko zu groß sei. Er befürchtete, daß sich ein Ende der (tatsächlich gerissenen) Kette um die Hinterachse schlingen und dadurch ein Ausbrechen des Fahrzeuges nach links auf die Gegenfahrbahn bewirken könnte. Er war über das Schlagen so schockiert, daß er auch nicht daran dachte, etwa mit niedrigerer Geschwindigkeit weiterzufahren; den Gedanken, eine Ausweichstelle aufzusuchen, gab er wieder auf, weil eine solche nicht sichtbar war.

Nachdem er das Fahrzeug angehalten hatte, besichtigte der Verurteilte zunächst die Ketten an den Hinterrädern, ohne etwas Ungewöhnliches zu entdecken, und öffnete sodann den Kofferraum, um das Pannendreieck zu entnehmen und aufzustellen. Als er noch im Begriff war, das Pannendreieck dem Kofferraum zu entnehmen, vermochte der sich aus nördlicher Richtung (also aus der Fahrtrichtung des Angeklagten) nähernde Willibald P***** den von ihm gelenkten LKW-Zug nicht mehr rechtzeitig zu bremsen und rammte zunächst einen PKW Mercedes, der sich hinter dem Wagen des Verurteilten befand. In weiterer Folge brach der LKW-Zug nach links auf die Gegenfahrbahn aus und kollidierte dort mit dem entgegenkommenden PKW, dessen Lenker Hubert J***** die aus dem Spruch ersichtlichen schweren und lebensgefährlichen Verletzungen erlitt.

Das Berufungsgericht sah - im Gegensatz zum Erstgericht, das im Zusammenhang mit dem Befahren des Pfändertunnels einen Verstoß gegen § 102 Abs 9 KFG annahm, wonach Schneeketten nur dann verwendet werden dürfen, wenn dies erforderlich ist, und nur, wenn sie so befestigt sind, daß sie die Oberfläche der Fahrbahn nicht beschädigen können - die tatbestandsmäßige Fahrlässigkeit des Verurteilten ausschließlich im Verstoß gegen die Bestimmung des § 24 Abs 1 lit b StVO (Verbot des Haltens im Straßentunnel) begründet. Es vermeinte das in Rede stehende Zum-Stillstand-Bringen des Fahrzeuges nicht als Anhalten im Sinne des § 2 Abs 1 Z 26 StVO werten zu können, weil es im Schlagen der Schneekette an der Karosserie, welches die augenblickliche Lenk- und Manövrierfähigkeit des Fahrzeuges nicht beeinträchtigte, keinen wichtigen Umstand im Sinne dieser Gesetzesstelle zu erblicken vermochte. Es vertrat vielmehr die Ansicht, daß es, nach objektiven Gesichtspunkten beurteilt, dem Angeklagten ohne weiteres zumutbar gewesen wäre, das Fahrzeug mit reduzierter Geschwindigkeit bis zur nächsten Ausweichnische zu fahren, um von dort aus den Pannendienst zu verständigen. Die angebliche Angst des Angeklagten, die Ketten könnten sich um die Radachse wickeln und die Manövrierbarkeit des Fahrzeugs beeinträchtigen, konnten nach Auffassung des Berufungsgerichtes das Anhalten im Tunnel nicht rechtfertigen, weil die an den Hinterrädern montierten Schneeketten auch in defektem Zustand bei niedriger Geschwindigkeit keinen direkten Einfluß auf die Lenkung des Fahrzeuges auszuüben vermocht hätten, sodaß bei langsamem Weiterfahren aus dem Gefahrenbereich die Unfallsgefahr weitaus geringer gehalten worden wäre.

Rechtliche Beurteilung

Der vorliegende Schuldspruch verletzt das Gesetz in der Bestimmung des § 88 StGB.

Wie schon in dem vom Haftpflichtversicherer des LKW-Zuges gegen Guido G***** angestrengten Zivilprozeß AZ 10 Cg 200/91 des Landesgerichtes Feldkirch das Oberlandesgericht Innsbruck als Berufungsgericht im Urteil vom 10.Juli 1992, AZ 4 R 107/92 (GZ 10 Cg 200/91-12), und auch der Oberste Gerichtshof als Revisionsgericht im Urteil vom 25. November 1992, AZ 2 Ob 54/92 (GZ 10 Cg 200/91-18), - von der im wesentlichen gleichen Sachverhaltsgrundlage ausgehend - aussprachen, ist dem Verurteilten weder ein Verstoß gegen § 102 Abs 9 KFG noch ein verbotenes Halten nach §§ 2 Abs 1 Z 27, 24 Abs 1 lit b StVO anzulasten. Denn ein auf einer Schneefahrbahn fahrender Kraftfahrzeuglenker ist nicht verpflichtet, vor einem Straßentunnel, auch wenn dieser 6,7 km lang ist, die Ketten abzumontieren. Nach gesicherter Judikatur (ZVR 1977/185; 1980/250; 1983/169 und 210; 1984/186; 1987/48 ua) ist ferner ein unmittelbar drohender Fahrzeugdefekt ein wichtiger Umstand, der nach § 2 Abs 1 Z 26 StVO das Anhalten, also das erzwungene Zumstillstandbringen eines Fahrzeuges rechtfertigt. Wenn - wie hier - bei Verwendung von Schneeketten ein immer stärker werdendes Schlagen an der Karosserie auftritt, kann dem Lenker nicht zugemutet werden, noch eine längere Strecke zu fahren, und zwar auch nicht mit verminderter Geschwindigkeit. Es kann von ihm nicht verlangt werden, die Fahrt fortzusetzen, ohne zu wissen, ob eine Weiterfahrt trotz des Schlaggeräusches insbesondere zum Blockieren eines Rades führen könnte, vielmehr muß ihm bei der gegebenen Sachkonstellation und der gebotenen Anlegung eines objektiven Maßstabes (ZVR 1983/66) zugebilligt werden, das Fahrzeug zum Stillstand zu bringen, um sich von der Ursache des bedrohlich erscheinenden Geräusches zu überzeugen.

Da somit im Verhalten des Verurteilten keine objektive Sorgfaltsverletzung gelegen ist, war in Stattgebung der vom Generalprokurator gemäß § 33 Abs 2 StPO erhobenen Beschwerde spruchgemäß zu entscheiden.

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