OGH 2Ob604/93

OGH2Ob604/9319.5.1994

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Außerstreitsache des Antragstellers Dr.Georg K*****, vertreten durch Dr.Rudolf Christian Stiehl, Rechtsanwalt in Wien, wider die Antragsgegnerin Stadt Wien, vertreten durch die Magistratsdirektion der Stadt Wien, Zivil- und Strafrechtsangelegenheiten, Rathaus, 1082 Wien, wegen Einräumung eines Notweges, infolge Revisionsrekurses der Bertha S*****, vertreten durch Dr.Peter Stoff, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 28.Juli 1993, GZ 47 R 451/93-21, womit der Rekurs der Bertha S***** gegen den Beschluß des Bezirksgerichtes Hernals vom 16. Februar 1993, GZ 2 Nc 25/92-13, zurückgewiesen wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Antrag des Antragstellers auf Zuspruch der Kosten der Gegenäußerung wird abgewiesen.

Text

Begründung

Der Antragsteller ist grundbücherlicher Eigentümer der Liegenschaft EZ ***** KG D***** mit den Grundstücken 805/9 und 807/4. Diese Liegenschaft hat keine Wegeverbindung zum öffentlichen Wegenetz. Der Zugang zur Liegenschaft des Antragstellers erfolgt über die Verlängerung der T*****gasse, die im Grundstücksverzeichnis als "Sonstige Gasse" ausgewiesen ist, derzeit als Gehweg benützt wird, über die aber auch mit einem Kraftfahrzeug gefahren werden kann. Von diesem Weg zweigen die Grundstücke 803/15 und 803/12 je der KG ***** KG D***** (Eigentum der Stadt Wien [Öffentliches Gut]) ab, über die man zum Grundstück des Antragstellers gelangt und über welche langfristig ein derzeit noch unbenannter Weg geplant ist. Auf der Liegenschaft des Antragstellers soll nach Abbruch eines alten Gebäudes ein Einfamilienhaus neu errichtet werden. Die Grundstücke 803/15 und 803/12 werden derzeit von den Eigentümern der Nachbarliegenschaften, das sind einerseits die Eigentümer des Grundstücks 803/5 der EZ ***** KG D***** und andererseits die Eigentümerin des Grundstückes 803/6 der EZ ***** KG D***** (Revisionsrekurswerberin) als Garten benützt; im Bereich des Grundstücks 803/12 führt ein schmaler Pfad zu einer in einem zum Grundstück des Antragstellers bestehenden Zaun angebrachten Gittertür, durch welche derzeit der einzige Zugang zur Liegenschaft des Antragstellers führt. Eine Verbindung des Grundstücks des Antragstellers zum öffentlichen Wegenetz ist nur über die beiden Grundstücke 803/12 und 803/15 der Antragsgegnerin möglich.

Das Erstgericht hat dem Antragsteller und dem jeweiligen Eigentümer der genannten Liegenschaft antragsgemäß einen Notweg in Form der Dienstbarkeit des Fahrweges in einer Breite von 3 m und einem in einem Plan festgelegten Verlauf über die Grundstücke der Antragsgegnerin eingeräumt und dabei dem Antragsteller die Erfüllung näherer, im Verfahren von der Antragsgegnerin aufgestellter und vom Antragsteller übernommener Pflichten aufgetragen (darunter im Punkt III 1 ua die Verpflichtung, zum Zeitpunkt des straßenmäßigen Ausbaues der Gasse alle Herstellungen auf seine Kosten zu entfernen, wobei die nach den Bestimmungen der Bauordnung für Wien nutzungsberechtigten Anrainer im Rahmen ihrer "Höhenlagenherstellungs-, Räumungs- und Übergabeverpflichtung" nicht herangezogen werden könnten; sowie im Punkt III 7 die Verpflichtung, allfällige Schadenersatzansprüche des derzeitigen Nutzungsberechtigten hinsichtlich der beiden betroffenen Straßengrundstücke abzugelten). In rechtlicher Hinsicht erachtete das Erstgericht die Voraussetzungen für die Einräumung eines Notwegs gemäß § 1 NWG als gegeben, weil die ordentliche Nutzung des notwegebedürftigen Grundstückes durch Errichtung eines Einfamilienhauses nur durch die Einräumung des begehrten Notweges möglich sei und überdies in der Zukunft nach dem Flächenwidmungsplan der Bau eines Weges über die beiden Grundstücke der Antragsgegnerin vorgesehen sei.

Während beide Parteien diese Entscheidung unbekämpft ließen, focht Bertha S***** den ihr nicht zugestellten, aber durch eine Mitteilung der Antragsgegnerin zur Kenntnis gelangten erstinstanzlichen Beschluß mit Rekurs an, in welchem sie ihre Rekurslegitimation aus der materiellen Beeinträchtigung ihres nach der Wiener Bauordnung bestehenden Nutzungsrechtes ableitete.

Das Gericht zweiter Instanz wies diesen Rekurs zurück und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000,- übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Das von der Rekurswerberin aus § 17 der Bauordnung für Wien abgeleitete Nutzungsrecht am Grundstück 803/12 sei nicht als dingliches Recht zu beurteilen, sodaß sie nicht als Beteiligte (Eigentümerin oder dinglich Berechtigte der betroffenen Grundstücke im Sinne der §§ 5 Abs 2, 22 NWG) des Notwegeverfahrens anzusehen und daher nicht zur Erhebung von Rechtsmitteln befugt sei.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen die rekursgerichtliche Entscheidung erhobene Revisionsrekurs ist zulässig, weil zur Beteiligtenstellung einer nach § 17 der Bauordnung für Wien nutzungsberechtigten Person im Notwegeverfahren über die von der Nutzung betroffenen Grundstücke bislang Rechtsprechung fehlt; er ist jedoch nicht berechtigt.

Die Bauordnung für Wien, LGBl 1930/11 (folgend: BO) sah in § 17 (Überschrift: Grundabtretungen bei Abteilungen) ua in Absatz 1 vor, daß " bei Abteilung eines Grundes ...... die nach Maßgabe der Baulinien zu den Verkehrsflächen entfallenden Grundteile bei beiderseitiger Bebauungsmöglichkeit bis zur Achse der Verkehrsfläche, bei einseitiger Bebauungsmöglichkeit bis zur ganzen Breite der Verkehrsfläche, in beiden Fällen aber nur bis zu 20 m, senkrecht zur Baulinie und von dieser aus gemessen, gleichzeitig mit der grundbücherlichen Durchführung in das Verzeichnis des öffentlichen Gutes zu übertragen und über Auftrag der Behörde in der festgesetzten Höhenlage in den physischen Besitz der Gemeinde zu übergeben sind". Im Schrifttum wurde die Frage, wem das Benützungs- und Verfügungsrecht über jenen Grund (-streifen) zusteht, der vor einem aus einer Grundabteilung (Parzellierung) hervorgegangenem Bauplatz (teil) liegt und als künftige Verkehrsfläche bestimmt ist, von Koenne (Das Benützungsrecht am öffentlichen Gut bis zur Übergabe, ImmZ 1963, 279 ff) auf der damals bestehenden Rechtsgrundlage dahin beantwortet, daß die Gemeinde zwar "formeller Eigentümer" dieses Grundes werde, die Verfügungsgewalt aber erst mit dem behördlichen Auftrag zur Übergabe und mit der Übernahme des Grundes durch besonderen Akt in die Verwaltung der Gemeinde erlange, sodaß bis zur Übergabe die Ausübung des Nutzungsrechtes in der Hand des bisherigen Eigentümers bleibe. Der Oberste Gerichtshof sprach in mehreren Entscheidung (1 Ob 179/62; 5 Ob 125/66; 5 Ob 44/69) aus, daß aus § 17 BO in der seinerzeit gültigen (Ur-)Fassung kein Recht der Anrainer ableitbar sei, die im öffentlichen Gut befindlichen Grundstücksflächen zu nutzen, solange die Übergabe in den physischen Besitz der Gemeinde noch nicht erfolgt sei (1 Ob 179/62), führte aber gerade in der zuletzt genannten Entscheidung andererseits aus, solange die Übergabe in den physischen Besitz der Gemeinde nicht erfolgt sei, blieben "sämtliche Rechte in ihrem früheren Umfang und für die früheren Berechtigten aufrecht". Dies folgerte der Oberste Gerichtshof in 1 Ob 179/62 und 5 Ob 125/66 aber nur für den Grundabteilungswerber und ersten, um die abgetretenen Grundstücksteile "verkürzten" angrenzenden Liegenschaftseigentümer, während dessen Rechtsnachfolger oder -nehmer in Ansehung der verbliebenen Grundstücke solche Rechte bezüglich des öffentlichen Gutes nur bei entsprechender Einräumung durch die Gemeinde oder durch den ersten nutzungsberechtigten Anrainer habe.

Durch die Novelle zur BO, LGBl 1976/18, wurde in § 17 Abs 1 ua nach der Neufassung der Übergabeverpflichtung des jeweiligen (Mit-)Eigentümers des anliegenden Bauplatzes angeordnet, daß "bis zur Übergabe dem jeweiligen (übergabspflichtigen) Eigentümer des anliegenden Bauplatzes ...... das Nutzungsrecht zusteht". Geuder-Hauer (Wiener Bauvorschriften, Anm 2 zu § 17 BO) meinen, damit sei die bisher umstrittene Rechtsfrage, wer zur Übergabe der vor der Baulinie befindlichen Grundflächen verpflichtet ist sowie wem das Nutzungsrecht an diesen Grundflächen bis zur Übergabe zusteht, nunmehr eindeutig klargestellt.

Im vorliegenden Verfahren ist vorweg zu klären, ob ein an den ins öffentliche Gut abgetretenen, aber der Gemeinde noch nicht übergebenen Grundstücksteilen Nutzungsberechtigter ein dingliches (Nutzungs-)Recht hat oder nicht, weil allein davon im Sinne der zutreffenden Ausführungen des Rekursgerichtes seine Stellung als Beteiligter und Rechtsmittelbefugter im Notwegeverfahren abhängt.

Nach der Aktenlage ist die Antragsgegnerin als Eigentümerin der EZ ***** KG D***** (öffentliches Gut) ua mit den zwei vom Notweg betroffenen Grundstücken grundbücherlich eingetragen und die Übergabeverpflichtung der jeweiligen Eigentümer der betroffenen - um die abgetretenen Wegegrundstücke verkürzten - Liegenschaften bei diesen angemerkt. Eine dingliche Wirkung kann daher dem bei den ehemaligen Eigentümern dieser Grundstücksteile verbliebenen Nutzungsrecht im Sinne des § 17 Abs 1 BO nicht zuerkannt werden, wenn sie auch andere Personen von der Nutzung ausschließen oder diese Nutzung vom Liegenschaftseigentümer verlangen können. Damit stehen ihnen nämlich bloß obligatorische Rechte gegen den Liegenschaftseigentümer (die Antragsgegnerin) zu. In diesem Zusammenhang ist klar zu stellen, daß die aus den vorzitierten Entscheidungen 1 Ob 179/62, 5 Ob 125/66 und 5 Ob 44/69 allenfalls entnehmbaren Ausführungen, soweit aus ihnen ein Verbleib des Eigentumsrechtes bei den übergabepflichtigen nutzungsberechtigten Eigentümern der angrenzenden Liegenschaften ableitbar sein sollte, nicht aufrecht erhalten werden. Wie eben dargelegt, steht die vom Notwegeverfahren betroffene Grundfläche im Eigentum der Antragsgegnerin, sodaß diese Folgerung schon nach der vorliegenden Sachlage ausscheidet. Der Umstand, daß der Antragsteller im erstinstanzlichen Beschluß sich der im Punkt III 7 aufgestellten Bedingung der Antragsgegnerin, allfällige Schadenersatzansprüche der derzeit Nutzungsberechtigten abzugelten, unterwarf, bewirkt keine Beteiligtenstellung ua der Revisionsrekurswerberin, sondern bloß eine Klaglosstellung der Antragsgegnerin, an welche sich die Revisionsrekurswerberin mit allfälligen derartigen Ersatzansprüchen wenden könnte.

Da die Revisionsrekurswerberin sohin gegen die Antragsgegnerin als Eigentümerin der von Einräumung des Notwegs betroffenen Liegenschaften nur obligatorische Ansprüche hat, kommt ihr im Sinne der zutreffenden Entscheidung der zweiten Instanz im Notwegeverfahren weder Beteiligtenstellung, noch Rechtsmittellegitimation zu (vgl 4 Ob 532/77).

Den Antragsteller können aber Kosten für die Gegenäußerung nicht zugesprochen werden, weil § 25 NWG zwar eine beschränkte Kostenersatzpflicht des Antragstellers, nicht jedoch einen Kostenersatzanspruch desselben vorsieht (SZ 26/219; 6 Ob 804/77; 1 Ob 649/84; 2 Ob 514,515/89).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte