OGH 2Ob27/94

OGH2Ob27/9419.5.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Elfriede L*****, vertreten durch Dr.Siegfried Leitner, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagten Parteien 1.) Gerhard P*****, 2.) Heribert N*****, und 3.) ***** Versicherungs-AG, ***** sämtliche vertreten durch Dr.Hannes Priebsch und DDR.Sven D.Fenz, Rechtsanwälte in Graz, wegen Feststellung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 20.Jänner 1994, GZ 3 R 117/93-18, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes Leoben vom 23.April 1993, GZ 5 Cg 307/92-11, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahingehend abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 10.087,52 (darin enthalten S 1.681,25 an Umsatzsteuer, keine Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit S 11.858,10 (darin enthalten Umsatzsteuer von S 976,35 und Barauslagen von S 6.000,-) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 1.7.1990 unternahmen die Klägerin, ihre Schwiegereltern, ihr Ehegatte und sechs weitere Personen einen Ausflug nach Niederösterreich und benutzten dabei das vom Zweitbeklagten zur Verfügung gestellte, vom Erstbeklagten gelenkte und bei der drittbeklagten Partei haftpflichtversicherte Fahrzeug Mercedes Benz 209, welches als Kombinationskraftwagen für insgesamt neun Personen (inklusive Lenker) zugelassen war.

Im Zuge eines Überholmanövers mit rund 115 km/h geriet das Fahrzeug auf der A 1 (Westautobahn) infolge eines Reifenplatzers links hinten ins Schleudern, verdrehte sich im Uhrzeigersinn, stieß mit seiner rechten Seite mit einer Geschwindigkeit von 92,5 km/h gegen die linke vordere Ecke des überholten PKW Audi 100 und in weitere Folge nach einer Drehung um 180 Grad mit seiner linken Seite gegen die Leitschiene. Dadurch wurde das Fahrzeug ausgehoben, kippte über diese und blieb entgegen seiner ursprünglichen Ankommrichtung mit den Rädern nach oben in dem an die Leitschiene anschließenden Graben liegen. Durch den Unfall wurde der Schwiegervater der Klägerin getötet, die Klägerin, ihr Ehegatte und die Schwiegermutter wurden verletzt.

Die Klägerin begehrt gegenüber den Beklagten die Feststellung deren solidarischer Haftung für künftige Unfallsfolgen. Sie brachte dazu vor, daß der Unfall auf einem Verschulden des Erst- und des Zweitbeklagten beruhe. Dieses sei darin gelegen, daß das Fahrzeug als Omnibus verwendet worden sei und daß der Erstbeklagte eine 100 km/h übersteigende Fahrgeschwindigkeit eingehalten habe. Weiters habe der Erstbeklagte mit Wissen des Zweitbeklagten das mit mehr als acht Fahrgästen belegte Fahrzeug gelenkt, obwohl er nur eine Lenkerberechtigung der Gruppe B gehabt habe.

Die zweit- und drittbeklagten Parteien anerkannten ihre Haftpflicht nach den Bestimmungen des EKHG. Im übrigen wurde das Verschulden des Erstbeklagten bestritten und eingewendet, die von ihm eingehaltene Geschwindigkeit von 115 km/h sei zulässig gewesen, der Erstbeklagte habe den Reifenplatzer nicht vorhersehen können. Selbst bei Beachtung der Vorschriften über die zulässige Anzahl der beförderten Personen und des Vorliegens einer Lenkerberechtigung der Gruppe D hätte sich der Unfall auf die gleiche Weise und mit den gleichen Folgen ereignet.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt, wobei es über den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hinausgehend im wesentlichen von folgenden Feststellungen ausging:

Der Erstbeklagte verfügt über einen Führerschein für die Gruppen A und B (Kraftfahrzeuge zur Personenbeförderung mit höchstens acht Sitzen außer dem Lenkersitz); der von ihm gelenkte Kombi Marke Mercedes Benz Type 209 D 30 war für insgesamt acht Sitzplätze außer dem Lenker zugelassen. Außer den drei vorgesehenen Sitzreihen wurde eine vierte Reihe mit drei weiteren Sitzplätzen eingeschoben. Die Reifen waren für 140 km/h und die Tragfähigkeit von 850 kg zugelassen. Das Eigengewicht des Fahrzeuges betrug 1730 kg, des höchstzulässige Gesamtgewicht 2.800 kg und damit die höchstzulässige Nutzlast 990 kg. Die höchstzulässige Achslast an der Hinterachse betrug 1.680 kg. Bei ingesamt 11 Personen konnte auf die einzelne Person ein durchschnittliches Körpergewicht von 90 kg entfallen, die beförderten Personen haben dieses Durchschnittsgewicht nicht überschritten. Die höchstzulässige Nutzlast wurde nahezu erreicht, jedoch nicht überschritten. Die Bauartgeschwindigkeit des Fahrzeuges lag bei 115 km/h. Die Profiltiefe des linken hinteren Reifens lag bei 3 mm an der Längsrille. Das Fahrzeug war mit zwei Personen überbesetzt, wodurch jedoch die zulässige Nutzlast nicht überschritten wurde.

Im Gemeindegebiet von Z***** bei A***** schloß der Erstbeklagte mit seinem Fahrzeug auf einen PKW Audi auf und setzte zum Überholen an; dabei erhöhte er die Fahrgeschwindigkeit auf rund 115 km/h. Beim Überholen platzte der linke Hinterreifen. Hätte der Kläger eine Geschwindigkeit von 100 km/h eingehalten, hätte eine Anstoßgeschwindigkeit von 52 km/h bestanden, was einen etwa halb so starken Anprall zur Folge gehabt hätte. Aber auch diese Anstoßgeschwindigkeit läßt den Eintritt einer schweren Verletzung nicht ausschließen. Die schwere Verletzung der Klägerin ist im Zuge der Drehung um 180 Grad beim seitlichen Anstoß an die Leitschiene links eingetreten.

Das Erstgericht vermeinte an die Gründe der im Verfahren 7 Cg 178/91 des Kreisgerichtes Leoben ergangenen, denselben Verkehrsunfall betreffenden Entscheidung gebunden zu sein, weshalb das Feststellungsbegehren berechtigt sei.

Das von den beklagten Parteien angerufene Berufungsgericht änderte die Entscheidung dahingehend ab, daß festgestellt wurde, daß die zweit- und drittbeklagten Parteien für alle künftigen Schäden aus dem Unfall vom 1.7.1990 nach den Bestimmungen des EKHG haften. Die Haftung der drittbeklagten Partei wurde darüber hinaus mit der auf Grund des Haftpflichtversicherungsvertrages für das Kfz Mercedes Benz 209 im Unfallszeitpunkt bestehenden Versicherungssumme beschränkt.

Das weitergehende Feststellungsbegehren, die Haftung des Erstbeklagten für alle künftigen Schäden der Klägerin und die Haftung der zweit- und drittbeklagten Parteien unbegrenzt festzustellen, wurde abgewiesen.

Nach Beweisergänzung traf das Berufungsgericht folgende weitere Feststellungen:

Das vom Erstbeklagten gelenkte Fahrzeug war hinsichtlich der zulässigen Anzahl von Personen zwar formal überladen, technisch spielte es jedoch keine Rolle, ob sich insgesamt elf oder nur neun oder sechs Personen im Fahrzeug befanden. Die elf Personen haben gerade das zulässige Gewicht des Fahrzeuges ausgenützt; die Überbelegung hat technisch keinen meßbaren Einfluß auf das Unfallsgeschehen gehabt. Wäre der Bus mit weniger Personen besetzt gewesen, wäre der Geschwindigkeitsablauf praktisch der gleiche geblieben und damit auch das Überspringen der Leitschiene und der Überschlag in den Graben. Der Anstoß wäre nur dann anders verlaufen, wenn das Fahrzeug aus einer geringeren Fahrgeschwindigkeit zu schleudern begonnen hätte. Bei einer Ausgangsgeschwindigkeit von 100 km/h wäre das Fahrzeug anstatt mit einer Geschwindigkeit von 77 km/h nur mit 52,4 km/h an die Leitschiene gestoßen. In diesem Falle wäre zwar ein Überschlag über die Leitschiene technisch möglich gewesen, ein Sprung über den Graben in vollem Umfang jedoch sicherlich nicht eingetreten. Das bedeutet, daß der Bus nicht in der vollen Sprungweite, sondern nur zum Teil in den Graben gefallen wäre. Ein tödlicher Ausgang für den vorne sitzenden Beifahrer wäre technisch ebenso möglich gewesen. Auf die Klägerin hätten nur 46 % der tatsächlich aufgetretenen Energie eingewirkt. Daraus folgt, daß der Anprall unter der Annahme einer Ausgangsgeschwindigkeit von 100 km/h etwa halb so stark gewesen wäre; auch unter dieser Annahme sind schwere Verletzungen der Klägerin technisch nicht auszuschließen.

In rechtlicher Hinsicht verneinte das Berufungsgericht eine Bindung an die im Verfahren zu 7 Cg 178/91 des Kreisgerichtes Leoben ergangene Entscheidung wegen fehlender Parteienidentität. Im übrigen führte das Berufungsgericht aus, daß der dem Erstbeklagten angelastete Verstoß gegen die Bestimmung des § 106 Abs 3 KFG (Überschreitung der zulässigen Personenanzahl) weder für den Unfallshergang noch für das Ausmaß oder die Beschaffenheit der Unfallsfolgen ursächlich gewesen sei. Insoweit sei dem Erstbeklagten der Kausalitätsgegenbeweis gelungen, was gemäß § 19 EKHG und § 22 KHVG auch für die zweit- und drittbeklagte Partei maßgeblich sei.

Dieser Gegenbeweis sei auch in Beziehung auf die Verletzung der Vorschriften des KFG über die Berechtigung zum Lenken des Fahrzeuges des Zweitbeklagten durch den Erstbeklagten als erbracht anzusehen.

Schließlich sei das Unfallsfahrzeug ungeachtet seiner der Einzelgenehmigung nicht entsprechenden Ausstattung deshalb nicht als Omnibus (§ 2 Z 7 KFG), sondern als Kombinationskraftwagen (§ 2 Z 6 KFG) anzusehen, weil es nicht außer dem Lenkerplatz für mehr als acht Personen gemäß § 28 Abs 3 lit c KFG genehmigte Plätze aufwies; demgemäß sei es nicht der Geschwindigkeitsbeschränkung des § 58 Abs 1 Z 1 lit b KDV unterlegen, sodaß auch der diesbezüglich gegen den Erstbeklagten gerichtete Schuldvorwurf unbegründet sei.

Mangels eines Verschuldens des Erstbeklagten hafteten die zweit- und drittbeklagte Partei nur nach den Bestimmungen des EKHG bzw. des KHVG.

Das Berufungsgericht bewertete den Streitgegenstand mit über S 50.000,- im Hinblick auf den nicht vorhersehbaren Umfang der künftigen Schäden; da auch der Standpunkt der klagenden Partei, daß ungeachtet einer entsprechenden Typen- oder Einzelgenehmigung bereits die Verwendung eines Kombinationskraftwagens als Omnibus die Verpflichtung zur Beachtung der diesbezüglichen Geschwindigkeitsbeschränkungen nach sich ziehe, vertretbar sei, seien die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO für die Zulassung der ordentlichen Revision gegeben.

Dagegen richtet sich die Revision der klagenden Partei mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahingehend abzuändern, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die beklagten Parteien haben Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, dem Rechtsmittel der klagenden Partei keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der klagenden Partei ist zulässig und berechtigt.

Die Klägerin vertritt in ihrem Rechtsmittel die Ansicht, bei dem vom Erstbeklagten gelenkten Fahrzeug habe es sich um einen Omnibus im Sinne des § 2 Z 7 KFG gehandelt weil dieser außer dem Lenkerplatz für mehr als acht Personen Plätze aufgewiesen habe. Demgemäß hätten die Geschwindigkeitsbeschränkungen des § 58 Abs 1 Z 1 lit b KDV gegolten; die dort vorgesehene Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h habe der Erstbeklagte um 15 km/h schuldhaft überschritten, sodaß sämtliche beklagte Parteien zur ungeteilten Hand hafteten.

Diese Ausführungen sind grundsätzlich zutreffend. Gemäß § 2 Z 6 KFG ist ein Kombinationskraftwagen ein Kraftwagen, der nach seiner Bauart und Ausrüstung dazu bestimmt ist, wahlweise vorwiegend zur Beförderung von Personen oder vorwiegend zur Beförderung von Gütern verwendet zu werden, und außer dem Lenkerplatz für nicht mehr als acht Personen Plätze aufweist. Ein Omnibus ist ein Kraftwagen, der nach seiner Bauart und Ausrüstung zur Beförderung von Personen bestimmt ist und außer dem Lenkerplatz für mehr als acht Personen Plätze aufweist (§ 2 Z 7 KFG). Im vorliegenden Fall wies das vom Erstbeklagten gelenkte Fahrzeug für mehr als acht Personen Plätze auf. Schon die Wortinterpretation der Bestimmungen des § 2 Z 6 und 7 KFG ergibt, daß es bei der Frage, ob ein Omnibus vorliegt, darauf ankommt, ob das Fahrzeug außer dem Lenkerplatz für mehr als acht Personen Plätze aufweist. Anhaltspunkte dafür, daß diese Bestimmung einschränkend dahingehend auszulegen sei, daß es auf die Zahl der genehmigten (§ 28 Abs 3 lit c KFG) Plätze ankäme, und daher eine teleologische Reduktion der zitierten Norm zu erfolgen hätten, bestehen nicht. Die Beförderung einer größeren Anzahl von Personen stellt an sich, unabhängig von der damit verbundenen Gewichtsvermehrung, bereits ein höheres Risiko dar. Wie in der Revision der klagenden Partei diesbezüglich zutreffend ausgeführt wird, ist mit der Beförderung einer größeren Anzahl von Personen einerseits auch eine erhöhte Möglichkeit der Beeinflussung des Fahrers verbunden (Gespräche, Bewegungen), andererseits ist im Falle eines Unfalles auch mit schwereren Folgen zu rechnen, als mit einem mit weniger Personen besetzten Fahrzeug. Es erscheint auch nicht vertretbar, dem Halter eines Kraftfahrzeuges durch den Einbau einer (nicht genehmigten) weiteren Sitzbank die Möglichkeit zu geben, die für Omnibusse bestehenden Geschwindigkeitsbeschränkungen zu überschreiten. Daraus folgt, daß der Erstbeklagte die Geschwindigkeit von 100 km/h nicht hätte überschreiten dürfen (§ 58 Abs 1 Z 1 lit b KDV). Die Bestimmungen des § 58 Abs 1 Z 1 lit a, b und c KDV über die von Kraftfahrzeugen auf Straßen mit öffentlichem Verkehr nicht zu überschreitenden Geschwindigkeiten sind Schutznormen im Sinne des § 1311 ABGB, deren Normzweck in der Verhinderung aller Gefahren im Straßenverkehr besteht, die eine erhöhte Geschwindigkeit mit sich bringt (ZVR 1990/119; 2 Ob 15/90 ua).

Es ist daher dem Erstbeklagten anzulasten, gegen § 58 Abs 1 Z 1 lit b KDV dadurch verstoßen zu haben, daß er die dort vorgeschriebene höchstzulässige Geschwindigkeit von 100 km/h beträchtlich überschritt. Daß sich der Unfall auch ereignet hätte, wenn die höchstzulässige Geschwindigkeit eingehalten worden wäre, hat das Verfahren nicht ergeben. Daraus folgt, daß das Berufungsgericht zu Unrecht die Haftung des Erstbeklagten verneint und jene der zweit- und drittbeklagten Parteien auf die Bestimmungen des EKHG beschränkt hat. In Stattgebung der Revision der Klägerin war somit die Entscheidung des Erstgerichtes wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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