European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1994:0140OS00064.9400000.0517.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Rechtliche Beurteilung
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte Ludwig G* - im zweiten Rechtsgang nur noch ‑ des Vergehens der fahrlässigen Krida nach §§ 159 Abs 1 Z 1, 161 StGB schuldig erkannt und zu einer Zusatzstrafe von zwei Monaten verurteilt, deren Vollzug für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.
Vom weiteren Vorwurf betrügerischer Krida nach §§ 156 Abs 1, 161 StGB (Anklagefaktum I) wurde er ‑ ebenso wie die der Beitragstäterschaft hiezu angeklagte Friederike G* - rechtskräftig freigesprochen.
Nach dem Inhalt des Schuldspruches hat Ludwig G* in Hall in Tirol und Aldrans als Geschäftsführer der * G* GmbH (GIWUSA), die Schuldnerin mehrerer Gläubiger war, in der Zeit vom 20.Mai 1981 bis Ende Feber 1986 fahrlässig die Zahlungsunfähigkeit dieser Gesellschaft herbeigeführt, insbesondere dadurch, daß er ein gewagtes Geschäft, nämlich ein Exportgeschäft nach Ghana abgeschlossen, unverhältnismäßig Bar‑ und Warenkredit benützt, für keine ausreichende Organisation gesorgt, die Gesellschaft mit nicht ausreichendem Eigenkapital ausgestattet und Vermögen verschleudert hat, indem er persönlich von der Gesellschaft ein Darlehen zum Erwerb einer Liegenschaft entgegengenommen und die Gesellschaft mit den Zinsen für dieses Darlehen belastet hat.
Diesen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit Nichtigkeitsbeschwerde aus den Gründen der Z 5, 8, 9 lit a und 9 lit b des § 281 Abs 1 StPO; den Strafausspruch ficht er mit Berufung an.
Die Nichtigkeitsbeschwerde ist nicht im Recht. Im einzelnen ist den Beschwerdeausführungen (in etwas abweichender Reihenfolge) zu erwidern:
Zu Z 8
Gegenstand der Anklage war ursprünglich die fahrlässige Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit der GIWUSA ab dem 20.Mai 1981 bis zu deren (nach den Ergebnissen der Voruntersuchung angenommenem) Eintritt am 31.Dezember 1983 (§ 159 Abs 1 Z 1 StGB ‑ Anklagefaktum III/1) und die Vertiefung der Zahlungsunfähigkeit durch Fortsetzung der gläubigerschädigenden Geschäftsführung ab dem 1.Jänner 1984 bis zum 31.März 1986 (§ 159 Abs 1 Z 2 StGB ‑ Anklagefaktum III/2). Mit dem im ersten Rechtsgang ergangenen Urteil (ON 101) wurde der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit nach den Ergebnissen der Hauptverhandlung mit Ende April 1984 angenommen und der Angeklagte demgemäß des Vergehens der fahrlässigen Krida nach § 159 Abs 1 Z 1 StGB mit einem Deliktszeitraum vom 20.Mai 1981 bis Ende April 1984 schuldig erkannt. Das Verfahren wegen Vergehens nach § 159 Abs 1 Z 2 StGB war zuvor gemäß § 57 StPO ausgeschieden worden (S 607, 610/V).
Nach Aufhebung des Urteils durch die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 29.Juni 1993, GZ 14 Os 61/93‑6 (= ON 113), erfolgte im zweiten Rechtsgang keine ausdrückliche Wiedereinbeziehung des Verfahrens wegen des Anklagevorwurfes nach § 159 Abs 1 Z 2 StGB. Grundlage der erneuerten Hauptverhandlung war nur "die Anklageschrift in ON 31, soweit sie noch verfahrensgegenständlich ist" (S 69/VI), also formell nicht mehr der aus dem Verfahren ausgeschiedene Vorwurf einer Vertiefung der Zahlungsunfähigkeit durch Fortsetzung gläubigernachteiliger Geschäftsgebarung nach diesem Zeitpunkt. Allerdings wurde in der wiederholten Hauptverhandlung auch die weitere Entwicklung der GIWUSA bis zur Einstellung deren Geschäftstätigkeit erörtert und darnach der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit im nunmehr angefochtenen Urteil erst mit Ende Feber 1986 festgestellt. Demnach erfaßte der Schuldspruch wegen fahrlässiger Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit der GIWUSA (§ 159 Abs 1 Z 1 StGB) die Zeit ab dem 20.Mai 1981 bis Ende Feber 1986. In dem solcherart über den in der Anklageschrift angenommenen Deliktszeitraum hinausgehenden Schuldspruch erblickt der Beschwerdeführer eine Überschreitung der Anklage (Z 8).
Dies indes zu Unrecht.
Die Anklage umfaßt einen Komplex von Tatsachen, deren strafrechtliche Erheblichkeit im einzelnen vom erkennenden Gericht zu prüfen ist. Das den Gegenstand der Anklage bildende Ereignis ist nichts in sich Abgeschlossenes; es hängt mit anderen Ereignissen in kausaler Verknüpfung zusammen. Um den Sachverhalt klarzustellen, den wahren Zusammenhang aller für den Deliktserfolg erheblichen Tatsachen zu erkennen und zu einer richtigen Beurteilung dieser Tatsachen zu gelangen, wird oft selbst ein Übergreifen über den durch die Anklage scheinbar gezogenen Tatsachenkreis unvermeidlich sein (Mayerhofer‑Rieder StPO3 E 18, 19 zu § 262).
Beim Vergehen der fahrlässigen Krida nach § 159 Abs 1 Z 1 StGB umfaßt der Anklagevorwurf global jenen Komplex wirtschaftlichen Fehlverhaltens, durch den der Gemeinschuldner die eigene Zahlungsunfähigkeit fahrlässig selbst herbeiführt und damit eine Gläubigerbenachteiligung bewirkt. Für die Identität von Anklage‑ und Urteilstat ist nur maßgebend, daß das Urteil sich auf dasselbe gemeinschuldnerische Wirtschaftssubjekt wie die Anklage bezieht und nicht über jenen ‑ einer exakten zeitlichen Eingrenzung gar nicht zugänglichen ‑ Zeitraum hinausgeht, der aus der komplexen Sicht einer fahrlässigen wirtschaftlichen Fehlsteuerung des Unternehmens noch als eine in sich geschlossene Einheit angesehen werden kann. Auf die für den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit in concreto ursächlichen kridaträchtigen Verhaltensweisen kommt es dabei ebensowenig entscheidend an, wie auf den Zeitpunkt des tatsächlichen Eintritts der Zahlungsunfähigkeit. Insoweit handelt es sich um bloße Modalitäten der verpönten Mißwirtschaft, die den Kern des Tatvorwurfes nicht tangieren. Durch darauf bezogene Abweichungen geht die Identität von Anklage‑ und Urteilssachverhalt nicht verloren (Mayerhofer‑Rieder StPO3 E 53, 54, 55, 59 zu § 262).
Im vorliegenden Fall wurden die aufgezeigten Grenzen des Anklagevorwurfs nicht überschritten.
Allerdings wird im Hinblick darauf, daß der angenommene Eintritt der Zahlungsunfähigkeit mit dem Ende der Gesellschaft (US 12) zusammenfällt, zu beachten sein, daß eine Verfolgung des Angeklagten wegen des aus dem Verfahren ausgeschiedenen Vorwurfes einer Fortsetzung der ruinösen Geschäftsgebarung nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit (§ 159 Abs 1 Z 2 StGB) nicht mehr in Betracht kommt. Zu Z 9 lit a
Die gesetzmäßige Ausführung einer Rechtsrüge nach § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO erfordert den Nachweis, daß das Gericht durch seinen Ausspruch über die Frage, ob die dem Angeklagten zur Last fallende Tat eine zur Zuständigkeit der Gerichte gehörige strafbare Handlung begründe, das Gesetz verletzt oder unrichtig angewendet hat. Ein solcher Nachweis kann demnach nur unter striktem Festhalten an dem im Urteil festgestellten Sachverhalt (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) durch dessen Vergleich mit dem darauf angewendeten Strafgesetz (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) geführt werden. Der Einwand eines materiellen Rechtsirrtums verfehlt daher seine prozeßordnungsgemäße Darstellung und entzieht sich solcherart von vornherein jeder sachbezogenen Erörterung, wenn damit eine im Urteil festgestellte Tatsache bestritten wird, wenn er sich auf eine Tatsache stützt, die im Urteil nicht festgestellt ist oder wenn er einen Umstand verschweigt, der im angefochtenen Urteil festgestellt ist.
In eben diesen Fehler verfällt aber der Beschwerdeführer, indem er einen Rechtsirrtum des Gerichtes daraus abzuleiten sucht, daß die Urteilsfeststellungen über die Gläubigermehrheit und die Zahlungsunfähigkeit der von ihm als Geschäftsführer vertretenen Gesellschaft (US 10/11, 12, 13, 15) unrichtig und mit dem Gutachten des Buchsachverständigen Dkfm.Walter B* nicht ausreichend begründet seien. Sein Beschwerdevorbringen ist daher im gegebenen Rahmen unbeachtlich.
Zu Z 9 lit b
Aus dem gleichen Grund ist auch auf den weiteren Einwand keine Rücksicht zu nehmen, daß die Strafbarkeit der Tat wegen tätiger Reue (§ 167 Abs 1 und Abs 2 Z 2 StGB) ausgeschlossen sei und das Erstgericht insoweit ebenfalls das Gesetz verletzt oder unrichtig angewendet habe. Denn der Beschwerdeführer verschweigt in seinen Ausführungen über eine angeblich rechtzeitig eingegangene und auch eingehaltene Verpflichtung zur Schadensgutmachung gegenüber der R*kasse I*, daß nach den getroffenen Feststellungen des Erstgerichtes andere Gläubiger, in bezug auf die er eine vertragliche Verpflichtung zur Schadensgutmachung innerhalb einer bestimmten Zeit nicht einmal behauptet, erst Jahre nach dem Zeitpunkt, in dem die Behörde von seinem Verschulden erfahren hat, befriedigt worden sind (US 9, 15).
Zu Z 5
Das Erstgericht stützte seine Feststellungen (US 2, 10, 13), daß die Zahlungsunfähigkeit der GIWUSA spätestens Ende Feber 1986 eingetreten ist, in erster Linie auf die (zunächst schriftlich erstellten) Gutachten des Buchsachverständigen Dkfm.Walter B* (ON 20, 28 und 83), nahm allerdings zugunsten des Angeklagten die Einbringlichkeit einer gegenüber ihm persönlich bestehenden Darlehensforderung von etwa 1,7 Mio S an und kam daher zu einem späteren Insolvenzzeitpunkt als der Sachverständige (US 13). In der Hauptverhandlung hat Dkfm.B* seine Gutachten erläutert und auch unter Berücksichtigung der dabei vom Angeklagten vorgebrachten Einwendungen keinen Anlaß zu einem Abgehen von seinen Schlußfolgerungen gefunden. Dabei wurden insbesondere die vom Beschwerdeführer in der Mängelrüge nunmehr aufgeworfenen Fragen betreffend den Bestand einer Forderung der Fa. A* von 39.000 S (S 78), die Bezahlung von insgesamt 1,7 Mio S durch die (Nachfolge‑)Fa. I* im Namen der GIWUSA (S 79), die vom Erstgericht (wie erwähnt) ohnedies angenommene Einbringlichkeit der Darlehensforderung von 1,707.000 S (S 80) und die Unterdeckung der Bilanz zum 31.Dezember 1983 (S 81) miterörtert, weshalb der Einwand der Unvollständigkeit der auf das Gutachten des Sachverständigen gestützten Urteilsbegründung ins Leere geht, zumal auch die zusammenhanglose Aufzählung dieser Umstände in der Beschwerde nicht mit der gebotenen Deutlichkeit und Bestimmtheit (§ 285 a Z 2 StPO) erkennen läßt, inwiefern daraus entscheidende Mängel des Gutachtens (§§ 125, 126 StPO) abzuleiten wären.
Ein Begründungsmangel kann auch nicht mit der unsubstantiierten Behauptung dargetan werden, daß "niemals ein dauerndes Nichtzahlenkönnen vorgelegen hat" und die "alsbaldige Mittelbeschaffung für den Beschuldigten überhaupt kein Problem" gewesen sei, denn der Beschwerdeführer vermag damit gegen die festgestellte Tatsache, daß trotz Versteigerung und Verkaufes von Liegenschaften eine vollständige Befriedigung der Gläubiger erst im Jahre 1993, somit 7 Jahre nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit, erreicht werden konnte (US 15), nichts Stichhältiges vorzubringen.
Da die verspätete Bezahlung fälliger Schulden nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit des Gemeinschuldners und nach Anzeigeerstattung weder die Frage der Gläubigermehrheit zum Insolvenzzeitpunkt (US 10/11) noch jene der Rechtzeitigkeit der Schadensgutmachung als Voraussetzung tätiger Reue (US 15) berührt, waren im Urteil auch darüber keine besonderen Erwägungen anzustellen.
Der Einwand schließlich, das Urteil lasse nicht erkennen, "welche Handlungen der Angeklagte nach Ansicht des Gerichtes vorgenommen und mit welchem Vorsatz er sie gesetzt hat", verkennt die Rechtsnatur des Kridavergehens als Fahrlässigkeitsdelikt und läßt völlig die unmißverständlichen Urteilsausführungen über die der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes widersprechenden kridaträchtigen Handlungen des Angeklagten (US 11) außer acht, weshalb auch der Vorwurf der Undeutlichkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen versagt.
Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Ludwig G* war sohin schon bei einer nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285 d Abs 1 StPO), woraus die Kompetenz des Oberlandesgerichtes Innsbruck zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285 i StPO).
Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten ist in § 390 a StPO begründet.
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