European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1994:0130OS00020.9400000.0511.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Aus ihrem Anlaß werden gemäß § 290 Abs 1 StPO das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, in Ansehung der beiden Angeklagten im Schuldspruch zu Punkt II. (Vergehen nach § 16 Abs 1 SGG) und demgemäß auch in den Strafaussprüchen (einschließlich der Aussprüche über die Vorhaftanrechnung) sowie der gemäß § 494 a StPO gefaßte Beschluß aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Der Angeklagte Hans Jürgen G* wird mit seiner Berufung auf diese Entscheidung verwiesen.
Gründe:
Rechtliche Beurteilung
Mit dem angefochtenen Urteil (in der Fassung des Angleichungsbeschlusses vom 25.Februar 1994, ON 45) wurden Alexander P*, der das Urteil unangefochten ließ, und Hans Jürgen G* des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 2 StGB (I.) und des Vergehens nach § 16 Abs 1 SGG (II.) schuldig erkannt.
Ihnen wurde angelastet, in Wien mit Gewalt gegen Personen fremde bewegliche Sachen mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichteten Vorsatz weggenommen zu haben, und zwar am 15.April 1993 der (70‑jährigen) Charlotte B* eine Handtasche mit ca 60 S Bargeld, eine optische Brille im Wert von ca 3.000 S sowie eine Bibel, indem ihr Alexander P* die Handtasche (gewaltsam) entriß und Hans Jürgen G* (als Beitragstäter gemäß § 12, 3.Fall StGB) Aufpasserdienste leistete (I.1.) und Alexander P* allein im Februar 1993, indem er einer namentlich nicht bekannten Frau eine Handtasche mit maximal 1.000 S Bargeld gewaltsam entriß (I.2.) sowie Alexander P* von Anfang 1992 und Hans Jürgen G* vom Sommer 1992 bis (jeweils) zum 15.April 1993 außer den Fällen der §§ 12 und 14 a SGG den bestehenden Vorschriften zuwider wiederholt Suchtgift, nämlich Heroin, erworben und besessen zu haben (II.).
Die gegen den Schuldspruch vom Angeklagten Hans Jürgen G* erhobene, auf § 281 Abs 1 Z 3, 5, 8 und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde richtet sich nur gegen den Schuldspruch wegen Raubes zu Punkt I.1.; indes zu Unrecht.
Mit (dem das ausgefertigte und verkündete Urteil angleichenden) Beschluß vom 25.Februar 1994 (ON 45) hat das Erstgericht den vom Beschwerdeführer unter verschiedenen Gesichtspunkten (Z 3, 8 und 10) erhobenen Einwänden gegen die Nichtannahme bloß minderschweren Raubes nach § 142 Abs 2 StGB voll Rechnung getragen. Damit wurde das die privilegierende Subsumierung des zu Punkt I.1. festgestellten Tatverhaltens anstrebende Beschwerdevorbringen gegenstandslos.
Die Beschwerde behauptet Unvollständigkeit der Urteilsbegründung (Z 5), weil die Tatrichter ihre Überzeugung von der Schuld des Beschwerdeführers auch auf die Aussage des Zeugen Albert V* in der Hauptverhandlung vom 20.Juli 1993 gestützt hatten, ohne sich mit dessen (nach der Beschwerde) damit nicht im Einklang stehenden Angaben im Vorverfahren beweiswürdigend auseinanderzusetzen.
Dieser Vorwurf ist unbegründet. Im Hinblick auf die gemäß § 270 Abs 2 Z 5 StPO gebotene gedrängte Darstellung der maßgeblichen Erwägungen war das Erstgericht nicht verhalten, zu jeder Einzelheit dieser Zeugenaussage Stellung zu nehmen. Einer gesonderten Erörterung bedürfen nur jene Ergebnisse der Beweisaufnahme, die für die Entscheidung wesentlich sind und bei ihrer Berücksichtigung eine andere Lösung der Beweisfrage denkbar erscheinen lassen.
Vorliegend hat dieser Zeuge im Zuge seiner wiederholten Vernehmungen im wesentlichen stets gleichlautend ausgesagt, der Beschwerdeführer habe zunächst vor dem Haustor gewartet und sei sodann gemeinsam mit dem Mitangeklagten P* weggelaufen, nachdem er diesem etwas zugerufen hatte. Kurze Zeit später habe eine Frau um Hilfe gerufen. Eine geringfügige Abweichung in der Darstellung des Zeugen ergab sich nur insoweit, als er bei seiner Vernehmung vor der Polizei und dem Untersuchungsrichter angab, diesen Zuruf nicht genau verstanden zu haben, während er anläßlich der polizeilichen Sachverhaltserhebungen unmittelbar nach dem Tatgeschehen und auch in der Hauptverhandlung einen eindeutig als Warnruf zu deutenden Sinngehalt schilderte (S 7, 25, 33, 106, 157 und 158).
Diese nur ein nebensächliches Detail betreffende Divergenz bedurfte keiner gesonderten beweiswürdigenden Erörterung im Urteil, weil der eine Tatbeteiligung des Beschwerdeführers indizierende Kernbereich der Aussage des Zeugen V* davon nicht berührt ist. Hingegen stellt es einen Akt freier, der Bekämpfung im Wege der Mängelrüge entzogener richterlicher Beweiswürdigung dar, wenn das Erstgericht die den Beschwerdeführer eindeutig belastenden Angaben des Mitangeklagten im Vorverfahren für eine (weitere) tragfähige Grundlage des Schuldspruchs hielt und dessen (sie abschwächende) Aussage in der Hauptverhandlung als (fehlgeschlagenen) Versuch wertete, den bisher unbescholtenen Beschwerdeführer nicht zu belasten (US 7 und 8). Mit dem Hinweis, das Erstgericht habe dabei unberücksichtigt gelassen, welchen Nutzen P* hieraus hätte ziehen sollen, wird ein formeller Begründungsmangel des Urteils jedoch nicht aufgezeigt.
Gleiches gilt im Ergebnis für den weiteren Einwand, das Urteil lasse nicht erkennen, zu welchem genauen Zeitpunkt und unter welchen konkreten Umständen die beiden Angeklagten den Entschluß faßten, die auf der Straße wahrgenommene Charlotte B* zu berauben, weil dies keinen entscheidungsrelevanten Sachverhaltsmoment betrifft.
Schließlich versagt auch das Argument, für die Urteilsannahmen, auch der dem Suchtgift ergebene Beschwerdeführer sei keiner geregelten Beschäftigung nachgegangen und habe als Folge seiner Sucht unter Geldknappheit gelitten (US 5), fehle eine beweismäßige Deckung. Die Beschwerde setzt sich dabei sowohl über die eigenen Angaben des Beschwerdeführers als auch jene des Mitangeklagten hinweg. Dieser hatte ausdrücklich zugegeben, weder er noch der Beschwerdeführer hätten zur Tatzeit über Geld für die Anschaffung von Suchtgift verfügt und deshalb den Raubentschluß gefaßt (S 83). Der Beschwerdeführer wiederum, der damals erst seit 14 Tagen in einem provisorischen Dienstverhältnis beschäftigt war (S 54), hatte keinesfalls, wie die Beschwerde behauptet, nur von einem einmaligen Suchtgiftkonsum am 15.April 1993 gesprochen, sondern ausdrücklich eingestanden, schon seit Sommer 1992 Heroin injiziert zu haben (S 152).
Die Subsumtionsrüge (Z 10) behauptet dem Ersturteil angeblich anhaftende, für die Abgrenzung des Versuchs von der Vollendung des hier aktuellen Raubes bedeutsame Feststellungsmängel. Darin wird jedoch einerseits gar nicht näher dargelegt, welche weiteren urteilsmäßigen Feststellungen der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang vermißt, andererseits übergeht sie die eindeutig Tatvollendung konstatierende Urteilsfeststellung. Somit vergleicht der Beschwerdeführer nicht, wie dies eine prozeßordnungsgemäße Ausführung einer Rechtsrüge voraussetzt, den festgestellten Urteilssachverhalt mit dem darauf angewendeten Strafgesetz, sodaß die Rechtsrüge der gesetzmäßigen Ausführung entbehrt.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher aus den angeführten Erwägungen schon in nichtöffentlicher Beatung teils als offenbar unbegründet (§ 285 d Abs 1 Z 2 StPO), teils als nicht gesetzmäßig ausgeführt (§ 285 d Abs 1 Z 1 iVm § 285 a Z 2 StPO) zurückzuweisen.
Aus Anlaß dieses Rechtsmittels war jedoch von Amts wegen (§ 290 Abs 1 StPO) wahrzunehmen, daß der Schuldspruch beider Angeklagten wegen § 16 Abs 1 (vierter und fünfter Fall) SGG (II.) mit dem materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrund nach § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO behaftet ist. Den Tatbestand sah das Erstgericht deshalb verwirklicht, weil Alexander P* ab Anfang 1992 und Hans Jürgen G* ab Sommer 1992 (jeweils) bis 15.April 1993 wiederholt Suchtgift (vornehmlich Heroin) zum eigenen Bedarf erworben und besessen hatten (US 3 iVm US 5). Die bei dieser Sachlage gebotene Beachtung des bedingt temporären Strafausschließungsgrundes nach § 17 Abs 1 SGG hat das Erstgericht unterlassen, obgleich die bisher als Beweismittel in Betracht kommenden Aussagen der beiden Angeklagten (S 37, 83, 148, 152 und 153) den Erwerb bzw Besitz einer jeweils nur geringen Menge Suchtgift zum eigenen Gebrauch im Sinn des § 17 Abs 1 SGG indizierten.
Für die Annahme einer solchen geringen Suchtgiftmenge sind individuelle Verhältnisse des Täters unter Bedachtnahme auf das Ausmaß seiner Drogenabhängigkeit und seiner Gewöhnung an das Suchtgift bestimmend, wobei eine Zusammenrechnung der zu verschiedenen Zeiten zum eigenen Gebrauch erworbenen (und besessenen) geringen Suchtmengen nicht vorzunehmen ist (EvBl 1982/110). Der Umstand, daß die beiden Angeklagten auch wegen des Verbrechens des Raubes, also keiner nach dem Suchtgiftgesetz strafbaren Handlung schuldig erkannt wurden, steht der Möglichkeit der Verfahrenseinstellung auf Probe nicht entgegen (SSt 45/14).
Das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, war daher gemäß § 290 Abs 1 StPO im Schuldspruch beider Angeklagten wegen des Vergehens nach § 16 Abs 1 SGG (II.) und demgemäß auch im Strafausspruch aufzuheben und, weil schon die nichtöffentliche Beratung über die Nichtigkeitsbeschwerde ergab, daß die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung nicht zu vermeiden ist und eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in der Sache selbst noch nicht einzutreten hat (§§ 285 e iVm 288 Abs 2 Z 3 zweiter Satz StPO; Mayerhofer‑Rieder, StPO3, ENr 19 zu § 290), mit Anordnung einer entsprechenden Verfahrenserneuerung vorzugehen, die sich im Rahmen der Strafneubemessung auch auf die (vom Erstgericht bejahte) Frage der Verlängerung der Probezeit (§ 494 a Abs 6 StPO) bei dem (unangefochten) zugunsten des Angeklagten erfolgten Absehen vom Widerruf gemäß § 494 a Abs 1 Z 2 StPO, zu erstrecken haben wird, wobei bei entsprechender Tatsachengrundlage bezüglich des aufgehobenen Teiles des Schuldspruches § 19 SGG zu beachten sein wird.
Mit seiner dadurch gegenstandslos gewordenen Berufung war Hans Jürgen G* auf diese Entscheidung zu verweisen.
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