OGH 10ObS107/94

OGH10ObS107/9411.5.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter aus dem Kreis der Arbeitgeber Dr.Herbert Vesely und Dr.Raimund Zimmermann in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Simon W*****, Pensionist, ***** wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Bauern, 1031 Wien, Ghegastraße 1, vertreten durch Dr.Herbert Macher, Rechtsanwalt in Wien, wegen Höhe der Erwerbsunfähigkeitspension, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 13.Jänner 1994, GZ 7 Rs 96/93-9, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 15.September 1993, GZ 32 Cgs 205/93s-5, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß :

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung, allenfalls auch zur Verhandlung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung

Am 13.1.1993 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Erwerbsunfähigkeitspension.

Mit Punkt 1. des Bescheides vom 12.7.1993 erkannte die Beklagte dem Kläger die beantragte Leistung ab 1.2.1993 im monatlichen Ausmaß von 8.051,80 S (brutto) zu. Dabei ging sie von einer Bemessungsgrundlage von 11.776 S aus und berücksichtigte 451 Versicherungsmonate.

Dieser Bescheidpunkt trat durch die rechtzeitige Klage außer Kraft. (Der die Ausgleichszulage betreffende Punkt 2. des Bescheides blieb vom Klagebegehren unberührt.) Das Klagebegehren richtete sich zunächst auf Neuberechnung der Erwerbsunfähigkeitspension mit Stichtag 1.2.1993 unter Anrechnung der nach § 107 a BSVG vorgesehenen Kindererziehungszeiten hinsichtlich aller von der Ehegattin des Klägers, Ursula, in der Ehe geborenen vier Kinder und die Berücksichtigung dieser Zeiten in der Bemessungsgrundlage. In der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 15.9.1993 wurde das Klagebegehren dahin eingeschränkt, daß nur die Einbeziehung der Erziehungszeiten für die Kinder Ursula, geb. 27.10.1968, und Simon, geb. 16.6.1970, in die Pensionsberechnung begehrt wird. Der Kläger stützt sein Begehren darauf, daß er diese beiden Kinder wegen des schlechten Gesundheitszustandes seiner Ehegattin überwiegend und tatsächlich erzogen habe. Dazu berief er sich ua auf eine Erklärung seiner Ehegattin vom 15.1.1993.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens, weil die Ehegattin des Klägers die Kinder überwiegend selbst erzogen habe.

Das Erstgericht verurteilte die Beklagte, dem Kläger ab 1.2.1993 eine Erwerbsunfähigkeitspension von 8.051,80 S (monatlich) abzüglich des Krankenversicherungsbe(i)trages zu leisten, wies aber das (darüber hinausgehende eigentliche) Klagebegehren ab.

Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Der Ehe des Klägers mit Ursula W. entstammen vier Kinder:

Elisabeth, geb. 13.2.1962, Angelika, geb. 22.8.1963, Ursula, geb. 27.10.1968, und Simon, geb. 16.6.1970. Die beiden älteren Kinder wurden hauptsächlich von ihrer Mutter erzogen, der Kläger half dabei nur teilweise mit. Bei der Geburt des dritten Kindes erlitt die Ehegattin des Klägers eine Netzhautblutung und durfte deshalb nicht mehr schwer heben. Sie kochte jedoch für die beiden jüngeren Kinder, fütterte sie auch zweitweise, fuhr mit ihnen spazieren und wickelte sie auch, wenn auch selten. Sie paßte auf sie auf. Wenn sie letzteres nicht mehr konnte, wurde eine Nachbarin oder eine Tante darum ersucht; zeitweise paßte auch der Kläger auf die Kinder auf. Am Vormittag schliefen die Kinder meist oder wurden von der Mutter spazieren geführt. Diese paßte auch an den Nachmittagen auf sie auf, oder es wurde ihr dabei von der Tante oder der Nachbarin geholfen. Auch der Kläger führte diese Tätigkeiten zeitweise aus. Am 15.3.1993 unterfertigte die Ehegattin des Klägers die Erklärung Beil. B, nach der er infolge ihrer Krankheit für die Kindererziehung allein zuständig gewesen sei. Die Ehegattin unterfertigte diese Erklärung, weil sie der Meinung war, sie habe dies tun müssen, da der Kläger bei der Kindererziehung mitgeholfen habe.

Nach der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes habe der Kläger bei der Erziehung seiner Kinder - wie das nicht unüblich sei - mitgeholfen. Von einer überwiegenden Erziehung oder Pflege durch ihn könne jedoch bei weitem nicht gesprochen werden, da vor allem seine Ehegattin und auch Fremde mitgeholfen hätten. Deshalb könnten dem Kläger keine Kindererziehungszeiten angerechnet werden.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil dahin ab, daß es der Beklagten auftrug, die ab 1.2.1993 zuerkannte Erwerbsunfähigkeitspension unter Berücksichtigung der Zeiten der Erziehung der am 27.10.1968 geborenen Ursula und des am 16.6.1970 geborenen Simon gemäß §§ 107a und 247 Abs 5 BSVG neu zu bemessen.

Das Berufungsgericht erachtete die in der Beweisrüge angestrebte Feststellung, der Kläger habe bei den beiden jüngeren Kindern praktisch die komplette Erziehung und Hauptarbeit gemacht, nicht für entscheidungswesentlich. Dem § 107a BSVG sei kein Hinweis darauf zu entnehmen, daß eine überwiegende Erziehung durch den Kläger erforderlich wäre. Da seine Ehegattin zur Zeit der Geburt der Kinder mangels gesetzlicher Grundlage keinen Anspruch auf Karenzurlaubsgeld gehabt habe und daher keines habe beziehen können, sei ihr der Anspruch auf Anrechnung von Kindererziehungszeiten zugestanden. Auf diesen Anspruch habe sie in der Erklärung vom 15.1.1993 verzichtet. Die im § 107a BSVG enthaltene Bestimmung, daß ein solcher Verzicht spätestens bis zum Zeitpunkt zulässig ist, zu dem einer der beiden Elternteile einen Pensionsantrag stellt, käme hier nicht zum Tragen, weil diese Gesetzesstelle gemäß § 247 Abs 1 Z 6 leg cit erst mit 1.7.1993 in Kraft getreten sei und Abs 5 der zit Gesetzesstelle bestimme, daß die Pension von Amts wegen aufgrund der am 1.7.1993 geltenden Rechtslage neu zu bemessen sei, wenn der Stichtag im ersten

Halbjahr dieses Jahres liege.

Rechtliche Beurteilung

In der Revision macht die Beklagte unrichtige rechtliche Beurteilung (der Sache) geltend und beantragt, das Berufungsurteil im klageabweisenden Sinn abzuändern oder es allenfalls aufzuheben.

Der Kläger erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Die nach § 46 Abs 3 ASGG zulässige Revision ist berechtigt.

Durch Art I Z 39 der 18. BSVGNov BGBl 1993/337 wurde nach § 107 BSVG folgender § 107 a eingefügt:

"Als Ersatzzeiten gelten unter der Voraussetzung, daß eine sonstige Versicherungszeit nach diesem Bundesgesetz vorangeht oder nachfolgt, überdies:

a) bei einer (einem) Versicherten die Zeit der Erziehung ihres (seines) Kindes im Inland bis zum Höchstmaß von 48 Kalendermonaten ab der Geburt des Kindes,

b) ....;

Anspruch für ein und dasselbe Kind besteht jeweils nur für eine Person. Vorrang auf Anspruch hat die Person, die Karenzurlaubsgeld bezieht; wurde kein Karenzurlaubsgeld bezogen oder stand beiden Elternteile Karenzurlaubsgeld bei Teilzeitbeschäftigung zu, hat die weibliche Versicherte Anspruch, es sei denn, sie hat zugunsten des Mannes auf den Anspruch verzichtet. Ein solcher nicht widerrufbarer Verzicht ist spätestens zu dem Zeitpunkt zulässig, zu dem einer der beiden Elternteile einen Pensionsantrag stellt."

Die RV zur 51.ASVGNov 932 BlgNR 18. GP führte zur der § 107 a BSVG entsprechenden Neufassung des § 227 Abs 1 Z 4 ASVG ua aus:

"Die Anrechnung von Kindererziehungszeiten ist grundsätzlich jener Person zu gewähren, die das Kind erzogen hat. Anspruch besteht jeweils nur für eine Person. Die Reihenfolge ist im Gesetz festgelegt: danach hat die Person, die Karenzurlaubsgeld bezieht bzw bezogen hat, den Vorrang. Für den Fall, daß kein Karenzurlaubsgeld bezogen worden ist oder beiden Elternteilen Karenzurlaubsgeld (bei Teilzeitbeschäftigung) zugestanden ist, steht der Anspruch der weiblichen Versicherten zu, die jedoch zugunsten des Mannes darauf verzichten kann (45)."

§ 107 a BSVG trat gemäß § 247 Abs 1 Z 6 BSVG idF der 18. BSVGNov mit 1.7.1993 in Kraft. Nach Abs 4 der letztgenannten Gesetzesstelle idF der 18. BSVGNov war § 107a BSVG idF der 18. BSVGNov nur auf Versicherungsfälle anzuwenden, in denen der Stichtag nach dem 30.6.1993 liegt. Bei Personen mit Stichtag 1.1.1993 bis 1.6.1993, bei denen Zeiten gemäß § 107a BSVG nach der am 1.7.1993 geltenden Rechtslage für die Pension zu berücksichtigen gewesen wären, wenn diese Rechtslage bereits am 1.1.1993 in Kraft getreten wäre, ist die Pension jedoch nach § 247 Abs 5 BSVG idF der 18. BSVGNov von Amts wegen auf Grund der am 1.7.1993 geltenden Rechtslage (gesamtes Bemessungsrecht) neu zu bemessen. Wenn es für sie günstiger ist, gebührt die neu bemessene Pension rückwirkend ab Pensionsbeginn.

Durch Art I Z 9 der 19. BSVGNov BGBl 1994/22 (ausgegeben am 11.1.1994) erhielt § 107 a BSVG folgende Fassung:

"(1) Als Ersatzzeiten gelten unter der Voraussetzung, daß eine Beitragszeit nach diesem Bundesgesetz vorangeht oder nachfolgt, überdies bei einer (einem) Versicherten, die (der) ihr (sein) Kind (Abs 2) tatsächlich und überwiegend erzogen hat, die Zeit dieser Erziehung im Inland im Ausmaß von höchstens 48 Kalendermonaten, gezählt ab der Geburt des Kindes.

(2) ... (3) ...

(4) Anspruch für ein und dasselbe Kind besteht in den jeweiligen Zeiträumen nur für die Person, die das Kind tatsächlich und überwiegend erzogen hat. Für die Zuordnung zum jeweiligen Elternteil gelten die Abs 5, 6 und 7.

(5) Für den Elternteil,

1. der im maßgeblichen Zeitraum Karenzurlaubsgeld, Sondernotstandshilfe oder eine Leistung nach dem Betriebshilfegesetz bezogen hat, oder

2. der im maßgeblichen Zeitraum nicht der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung unterlag, während der andere Elternteil in der Pensionsversicherung pflichtversichert war, besteht die Vermutung, daß er das Kind tatsächlich und überwiegend erzogen hat. Hinsichtlich der in Z 2 genannten Personen kann der Elternteil, der im maßgeblichen Zeitraum der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung unterlegen ist, diese Vermutung widerlegen.

(6) Waren beide Elternteile in der Pensionsversicherung pflichtversichert oder lag bei keinem der Elternteile eine Pflichtversicherung in der Pensionsversicherng bzw ein Karenzurlaubsgeldbezug vor oder bezogen beide Elternteile Karenzurlaubsgeld (Karenzurlausbgeld bei Teilzeitbeschäftigung) besteht die Vermutung, daß die weibliche Versicherte das Kind tatsächlich und überwiegend erzogen hat. Der männliche Versicherte kann diese Vermutung widerlegen.

(7) Im Falle der Abs 5 und 6 ist die Widerlegung der Vermutung bis spätestens zu dem Zeitpunkt zulässig, zu dem der Pensionsantrag eines der beiden Elternteile bescheidmäßig erledigt ist.

§ 107 a ist vor allem zur Bildung der Bemessungsgrundlage für Zeiten der Kindererziehung gemäß § 114 von Bedeutung.

Die RV zur 19.BSVGNov 1377 BlgNR 18. GP 20 führte zur Änderung des § 107 a BSVG ua aus:

"Der vorliegende Novellierungsvorschlag enthält eine teilweise

Neuregelung und darüber hinaus Klarstellungen hinsichtlich der mit

der 18.Nov ... eingeführten Ersatzzeit für Zeiten der

Kindererziehung, die durch die bisherige praktische Handhabung dieser

Bestimmung notwendig geworden sind... In der Sache selbst soll

nunmehr in den Vordergrund gestellt werden, so wie es auch schon bisher beabsichtigt war, daß darauf abzustellen ist, wer das Kind tatsächlich und überwiegend erzogen hat. Dies wird nach der geltenden Rechtslage eindeutig nur im § 228 Abs 1 Z 10 ASVG zum Ausdruck gebracht (... Die Versicherte kann zugunsten des Mannes, der dieses Kind erzogen hat, auf die Ersatzzeit verzichten ...). Zur praktischen Durchführung enthält die Regelung widerlegbare Zuordnungsvermutungen, die sich darauf gründen, daß in der Praxis die weibliche Versicherte in der weitaus überwiegenden Zahl der Fälle die Erziehung des Kindes übernommen hat. Die Möglichkeit der Widerlegung dieser Vermutung scheint im Hinblick auf das sich wechselnde Rollenverhalten der Geschlechter und auf das verfassungrechtlich gebotene Gleichheitsgebot notwendig."

Durch Art I Z 34 der 19. BSVGNov wurde im § 247 Abs 5 BSVG nach dem ersten Satz folgender Satz eingefügt: "§ 107a Abs 7 ist nicht anzuwenden." Die RV zur 52. ASVGNov 1375 BlgNR 18. GP 38 führt zur vergleichbaren Einfügung im § 551 Abs 7 ASVG aus:

"In den gegenständlichen Übergangsfällen besteht bereits ein Anspruch auf Pension. Da die §§ 227 a Abs 7 und 228 a Abs 4 ASVG darauf abstellen, daß von keinem der beiden Elternteile ein Pensionsantrag gestellt wurde, geht Abs 7 des § 227 a und der Abs 4 des § 228 a ASVG ins Leere und soll für diese Übergangsfälle nicht anzuwenden sein."

Gemäß dem durch Art I Z 41 der 19. BSVG Nov angefügten § 248 Abs 1 Z 2 BSVG trat § 107 a idF dieser Novelle rückwirkend mit 1.7.1993 in Kraft.

Die 19. BSVGNov wurde gemäß § 4 BG über das Bundesgesetzblatt BGBl 1985/200 nach Ablauf des 11.1.1994, an dem das Bundesgesetzblatt ausgegeben wurde, wirksam (sa Bydlinski in Rummel, ABGB2 Rz 1 zu § 3 mwN), also zwar nach dem Schluß der mündlichen Verhandlung erster Instanz, aber noch vor der am 13.1.1994 ergangenen Entscheidung des Berufungsgerichtes. Die durch diese Nov rückwirkend mit 1.7.1993 bewirkten zwingenden Rechtsänderungen wären daher - wie in der Revision zutreffend ausgeführt wird - schon vom Berufungsgericht zu berücksichtigen gewesen, dessen Urteil vom Revisionsgericht nach der geänderten Gesetzeslage zu überprüfen ist (22.2.1947, 1 Ob 87/47; 7.11.1989, SSV-NF 3/134; 10.3.1992, 10 Ob S 333/91; Fasching, ZPR2 Rz 1927).

Nach dieser neuen Gesetzeslage ist es aber - anders als nach der vom Berufungsgericht zugrunde gelegten alten und daher entgegen der Rechtsansicht der zweiten Instanz - entscheidungswesentlich, ob der Kläger seine Kinder Ursula und Simon tatsächlich und überwiegend erzogen hat. Bestünde diesbezüglich für die Mutter der Kinder eine widerlegbare Zuordnungsvermutung des § 107 a Abs 5 Z 2 oder Abs 6 BSVG idF der 19. BSVGNov, was bisher noch nicht ausreichend erörtert wurde und wozu ausreichende Feststellungen fehlen, könnte der Kläger eine solche Vermutung nach dem jeweils letzten Satz der zit Abs widerlegen.

Das Berufungsgericht hätte daher auf die in der Berufung des Klägers erhobene Beweisrüge gegen die seinen Anteil an der Erziehung seiner beiden genannten Kinder betreffenden erstgerichtlichen Feststellungen eingehen müssen.

Da nach Inhalt der Prozeßakten dem Revisionsgericht erheblich scheinende Tatsachen bisher nicht ausreichend geklärt wurden, ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sozialrechtssache an das Berufungsgericht zur Urteilsfällung, allenfalls auch zur Verhandlung zurückzuverweisen (§§ 496, 503 Z 4, 510, 511 und 513 ZPO).

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