OGH 15Os17/94

OGH15Os17/945.5.1994

Der Oberste Gerichtshof hat am 5.Mai 1994 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch, Mag.Strieder, Dr.Rouschal und Dr.Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Czedik-Eysenberg als Schriftführer, in der Strafsache gegen Roland N***** und Jürgen A***** wegen des Verbrechens der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 und Abs 2, zweiter Fall, StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen beider Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 9. November 1993, GZ 28 Vr 1568/93-8, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwaltes Dr.Hauptmann, und der Verteidiger Dr.Prantl und Dr.Sallinger, jedoch in Abwesenheit beider Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden verworfen.

Den Berufungen wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen den Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Roland N***** und Jürgen A***** zu 1. des Verbrechens der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1, Abs 2, zweiter Fall, StGB und zu 2. des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 Z 3 StGB schuldig erkannt. Danach haben sie am 4.März 1993 in Innsbruck im bewußten und gewollten Zusammenwirken dem Manfred S***** durch Fesseln mit einem isolierten Draht "in Mafiaart", nämlich derart, daß die Arme und Beine am Rücken hochgezogen gefesselt waren, wobei eine Schlinge um den Hals gelegt wurde, die beim Strecken der Beine zu einer Strangulation im Hals führte bzw. geführt hätte, wobei der Vorfall von 12.25 Uhr bis ca. 12.50 Uhr dauerte, zu 1. auf eine andere Weise als durch widerrechtliches Gefangenhalten die persönliche Freiheit entzogen, und zwar auf eine Weise, die dem Festgehaltenen besondere Qualen bereitete, und zu 2. vorsätzlich körperliche Verletzungen ("strick"förmige [gemeint: strichförmige] Druckstellen am Hals) unter Zufügung besonderer Qualen, herbeigeführt.

Den Schuldspruch bekämpfen die Angeklagten mit auf die Z 4 und 9 lit a, von N***** auch die Z 5 und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden; den Strafausspruch fechten sie mit Berufungen an.

Zu beiden Verfahrensrügen (Z 4):

Verteidigungsrechte der Angeklagten wurden durch die Abweisung ihres Antrages auf Ausforschung (und zeugenschaftliche Einvernahme) der zur Tatzeit auf der Baustelle (dem Tatort) befindlichen Mitarbeiter einer Malerfirma zum Beweis dafür, daß Manfred S***** sich in keinem Zustand der Angst befunden habe, nicht verletzt. Dem abweislichen und entgegen den Beschwerdeausführungen N*****s auf aktenkonformen Grundlagen gestützten (weil sich aus der Verantwortung der Angeklagten, insbesondere N*****s selbst - sh S 69 - kein Hinweis auf die Anwesenheit Unbeteiligter während der gesamten Dauer des Vorfalles ergab) Zwischenerkenntnis, dessen Begründung in der Urteilsausfertigung nachgetragen wurde, ist nämlich darin beizupflichten, daß allfällige (an der Baracke vorbeigehende und dabei in diese "hineinschauende") Zeugen mangels Kenntnis des Gesamtgeschehens insbesondere zu dem - der Auffassung des Erstgerichtes zuwider - relevanten, auch durch die Zeitdauer der Fesselung bedingten Angstzustand des Opfers (s US 6 unten, 7 oben) nichts Wesentliches aussagen könnten, was eine Änderung der Beweislage zugunsten der Beschwerdeführer bewirken könnte, sodaß der Beweisantrag ins Leere geht.

Zu den (weiteren) Beschwerdeausführungen des Angeklagten N*****:

Der Mängelrüge (Z 5) zuwider ist den Urteilsfeststellungen (iVm der Tatschilderung im Urteilstenor) mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen, für welche Zeitspanne dem Manfred S***** die Freiheit entzogen war: Die Angabe dieser Dauer in US 3 (ca 12.25 Uhr bis ca 12.50 Uhr) steht durchaus im Einklang mit dem angenommenen Zeitpunkt des Zusammentreffens der beiden Angeklagten mit S***** vor der Tatbegehung etwa um 12.15 Uhr (US 5 dritter Absatz) und mit der Feststellung einer etwa 30 Minuten währenden Dauer des äußerst qualvollen Zustandes des Opfers in US 6 ganz unten, aber auch mit dem Hinweis der Urteilsbegründung auf die Zeitangaben der Zeugen S*****, W***** und G***** (US 9 Ende des ersten Absatzes iVm S 55, 57 zweitem und drittem Absatz, 61 letztem Absatz, 63 zweitem und letztem Absatz sowie 65 Mitte), zumal sich aus den Angaben des Zeugen S***** über den auf 12.10 Uhr berichtigten Beginn und über die "länger als 1/2 Stunde" währende Dauer der Tat ergibt, daß die Angabe des Tatzeitendes in S 57 Mitte (wie auch in US 6 zweitem Absatz) mit (etwa) 13.45 Uhr (statt richtig 12.45 Uhr) nur auf der Unvollständigkeit der im dritten Absatz der S 57 beurkundeten Protokollkorrektur beruht. An der hinreichenden Eindeutigkeit der Urteilsfeststellungen zur Dauer der Freiheitsentziehung kann auch der Umstand nichts ändern, daß auch bei Wiedergabe dieser Tatsache im Rahmen der rechtlichen Beurteilung (US 10 unten) ein Schreibfehler so unvollständig korrigiert wurde, daß die Ziffern "3" ausgelassen wurde und daher von "ca 0 Minuten" die Rede ist.

In seiner Rechtsrüge (Z 9 lit a) behauptet der Beschwerdeführer die Unterlassung von Feststellungen über eine allfällige Einwilligung des Opfer S***** in die Fesselung sowie über seinen Vorsatz; dies jedoch zu Unrecht. Beim ersteren Einwand negiert der Beschwerdeführer nämlich die Feststellung, wonach S***** sich zunächst gegen die Angeklagten zu wehren versuchte, dann jedoch den Widerstand als aussichtslos aufgab (US 5). Beim zweitgenannten Einwand interpretiert der Beschwerdeführer die Konstatierungen zur subjektiven Tatseite der Angeklagten (US 7) fälschlich als rechtliche Beurteilung und vermag solcherart einen Feststellungsmangel nicht aufzuzeigen.

Verfehlt ist auch die Meinung, die Dauer des Freiheitsentzuges von 25 bis 30 Minuten reiche zur Verwirklichung des Tatbildes des § 99 Abs 1 StGB nicht aus. Denn weder das Gefangenhalten noch die sonstige Freiheitsentziehung setzen eine bestimmte Mindestdauer voraus, vielmehr kommt der Dauer der Freiheitsentziehung umsoweniger entscheidende Bedeutung zu, je gravierender die Umstände der Tat nach deren Art und Gewichtigkeit sind (Leukauf-Steininger Komm3 § 99 RN 8, 8 a). Angesichts der Schwere der von Manfred S***** erlittenen Beeinträchtigung steht jedoch außer Zweifel, daß diese qualitativ und quantitativ (nach Intensität und Dauer) einem Gefangenhalten gleichwertig war.

Soweit der Beschwerdeführer unter Berufung auf Z 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO, inhaltlich jedoch nur auf letzteren Nichtigkeitsgrund gestützt, die Zufügung besonderer Qualen im Sinne der §§ 84 Abs 2 Z 3 und 99 Abs 2 StGB bestreitet, kommt seiner Rüge gleichfalls keine Berechtigung zu. Der nach dem Urteilssachverhalt beim Opfer durch die besondere Art der Fesselung eingetretene, durch die Ungewißheit hinsichtlich der Dauer seiner Freiheitsentziehung noch verstärkte Zustand der Angst - insbesondere vor einer Selbststrangulierung bei (dem zuletzt schon beginnenden) Erlahmen der Beinmuskulatur - während eines rund halbstündigen - nach dem gerichtsärztlichen Sachverständigen (S 67 unten) unter dem Aspekt einer tödlichen Strangulierung bereits als durchaus kritisch anzusehenden - Zeitraumes war eine seelische Erschütterung schwerster Natur (vgl SSt 29/8), welche das Opfer wegen ihrer außergewöhnlichen Intensität besonders empfindlich traf, und schon deshalb jeweils die Qualifikation der qualvollen Tatbegehung erfüllt (Leukauf-Steininger Komm3 § 84 RN 24, 25, sowie § 99 RN 21).

Zu den (weiteren) Beschwerdeausführungen des Angeklagten A*****:

Dieser wendet sich in seiner formell auf Z 9 lit a, inhaltlich jedoch gleichfalls auf Z 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Rechtsrüge zu Unrecht gegen die Annahme eintätigen Zusammentreffens des Verbrechens der Freiheitsentziehung mit dem Vergehen der schweren Körperverletzung. Seiner Auffassung, das Verletzungsdelikt sei durch die Freiheitsentziehung konsumiert, ist entgegenzuhalten, daß eine Konsumtion der Körperverletzung durch die Freiheitsentziehung schon mangels der für eine Begleittat erforderlichen Typizität nicht stattfindet (vgl Kienapfel BT I3 § 99 RN 36 b,40) und grundsätzlich auch für die nach § 84 Abs 2 Z 3 StGB qualifizierte Körperverletzung echte Konkurrenz mit dem Verbrechen nach § 99 Abs 1 und 2 StGB in Betracht kommt (SSt 51/43 = EvBl 1981/133; Burgstaller WK § 84 Rz 77, Leukauf-Steininger Komm3 RN 50 zu dieser Gesetzesstelle). Der konkrete Fall unterscheidet sich von jenem der (vorzitierten) Entscheidung SSt 51/43 allerdings dadurch, daß zwischen den bei der Verletzungshandlung zugefügten und den durch die Freiheitsentziehung dem Festgehaltenen bereiteten besonderen Qualen keine faktische Unterscheidung getroffen werden kann, sondern davon auszugehen ist, daß sie auf dem nämlichen Tatumstand beruhen. Da jedoch eine unter Zufügung besonderer Qualen verübte (und daher als schwer qualifizierte) Körperverletzung kein typisches Begehungsmittel einer dem Festgehaltenen besondere Qualen bereitenden Freiheitsentziehung ist und der auf letztere Tat (in dieser Qualifikation) gerichtete Vorsatz keineswegs notwendiger- oder auch nur typischerweise einen qualifizierten Verletzungsvorsatz in sich schließt, kommt der qualifizierten Verletzungstat ein zusätzlicher Handlungsunwert zu, der erst durch die Annahme der betreffenden Qualifikation auch beim Verletzungsdelikt - unabhängig von der Berücksichtigung der besonderen Qualen unter dem Gesichtspunkt des § 99 Abs 2 StGB - abgegolten wird. Von der - unzulässigen - doppelten Zurechnung eines qualifizierenden Erfolges unterscheidet sich ein derartiger Fall nämlich gerade dadurch, daß die Deliktsqualifikation - anders als die besondere Folge iS des § 7 Abs 2 StGB - Gegenstand des für jedes der zusammentreffenden Delikte spezifischen Vorsatzes (im vorliegenden Falle also sowohl des Verletzungs- als auch des Freiheitsentziehungsvorsatzes) sein muß.

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren sohin zu verwerfen.

Zu den Berufungen:

Das Schöffengericht verhängte über die Angeklagten nach § 99 Abs 2 StGB unter Bedachtnahme auf § 28 (erg: Abs 1) StGB unter Anwendung der §§ 37 Abs 2 StGB (überflüssige Zitierung) und 43 a Abs 2 StGB jeweils Freiheitsstrafen in der Dauer von elf Monaten, die es unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachsah und Geldstrafen von 180 Tagessätzen (für den Fall der Uneinbringlichkeit 90 Tage Ersatzfreiheitsstrafe) zu je 500 S (N*****) bzw 600 S (A*****).

Dabei wertete es bei beiden Angeklagten als erschwerend das Zusammentreffen von einem Verbrechen mit einem Vergehen sowie den Umstand, daß sie zu zweit gegen ein wehrloses Opfer, das ihnen auch körperlich unterlegen war, vorgegangen sind, als mildernd bei beiden Angeklagten die bisherige "Unbescholtenheit", beim Angeklagten A***** darüber hinaus auch sein Alter unter 21 Jahren zum Tatzeitpunkt, wobei diesem Milderungsgrund nur völlig untergeordnete Bedeutung zugemessen wurde, weil A***** bereits wenige Tage nach Deliktsbegehung das 21.Lebensjahr vollendete und an körperlicher und geistiger Reife dem etwas älteren Angeklagten N***** um nichts nachstehe.

Den Berufungen beider Angeklagten, mit denen sie jeweils eine zur Gänze bedingte (Geld-) Strafe und eine Herabsetzung der Tagessatzhöhe, der Angeklagte A***** darüber hinaus auch eine Reduktion der Anzahl der Tagessätze, anstreben, kommt keine Berechtigung zu.

Entgegen den Berufungsausführungen können die angelasteten Tathandlungen nicht als Ausfluß einer Unbesonnenheit, sondern nur als Manifestation einer menschenverachtenden Gefühlskälte und sohin eines erheblichen Charaktermangels angesehen werden. Die ihr Verhalten bagatellisierende Verantwortung der Angeklagten kann somit keinesfalls als "reumütiges" Geständnis gewertet werden. Ein Beitrag zur Wahrheitsfindung war hingegen angesichts der übrigen Beweisergebnisse nur minimal. Zu Recht hat das Erstgericht auch das Gewicht des dem Angeklagten A***** zukommenden Milderungsgrundes der Tatbegehung vor Vollendung des 21.Lebensjahres releviert, zutreffend unterblieb aber auch die Annahme des Milderungsgrundes des längeren Zurückliegens der Taten (vgl Leukauf-Steininger Komm3 § 34 RN 27).

Das Erstgericht hat sohin die Strafzumessungsgründe im wesentlichen richtig und vollständig erfaßt und tat- sowie täterschuldgerechte Strafen verhängt, die einer Reduktion nicht zugänglich sind.

Da auch die jeweilige Höhe des einzelnen Tagessatzes nach der Aktenlage der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Angeklagten entspricht, war beiden Berufungen der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.

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