OGH 2Ob528/94

OGH2Ob528/9428.4.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Monika H*****, vertreten durch Dr.Adolf Lientscher und Dr.Peter Resch, Rechtsanwälte in St.Pölten, wider die beklagten Parteien 1. Hans-Jürgen M*****, und 2. Waltraude M*****, beide ***** vertreten durch Dr.Manfred Weidinger, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung, infolge Revision der erstbeklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes St.Pölten als Berufungsgerichtes vom 16.November 1993, GZ R 767/93-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes St.Pölten vom 16.August 1993, GZ 3 C 2307/92-7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahingehend abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes in der Hauptsache wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der erstbeklagten Partei die mit S 160,-- (Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz, die mit S 1.370,69 (darin enthalten Umsatzsteuer von S 228,45) bestimmten Kosten des Verfahrens zweiter Instanz sowie die mit S 3.975,36 (darin enthalten S 362,56 Umsatzsteuer und S 1.800,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist Alleineigentümerin des Einfamilienhauses in *****, F***** 8, das zwei selbständige Wohnungen mit einer Fläche von 30 und 80 m2 aufweist. Voreigentümerin der Klägerin war deren Mutter, die Mitte der Siebzigerjahre die kleinere (rund 30 m2 große) Wohnung mündlich an die Eltern des Erstbeklagten vermietete. Nach dem Tode der Eltern des Erstbeklagten trat dieser in deren Mietrechte ein.

Mit der am 13.10.1992 beim Erstgericht zu Protokoll gegebenen Aufkündigung kündigte die Klägerin den Beklagten das Bestandverhältnis zum 30.11.1992 auf. Als Kündigungsgrund machte sie geltend, sie benötige die Wohnung für ihren 20jährigen Sohn zur Gründung eines eigenen Hausstandes, weiters leiste "der Mieter" nur in unregelmäßigen Abständen und nach Mahnung den Mietzins.

Die Beklagten wendeten ein, daß der Erstbeklagte aufgrund einer plötzlich und unerwartet ausgesprochenen Pensionierung einige Zeit auf die Auszahlung seiner Pension warten habe müssen; sämtliche Mieten seien allerdings nachgezahlt worden. Der Eigenbedarf wurde mit der Begründung bestritten, daß die Klägerin die seit mehreren Jahren leerstehende zweite Wohnung in dem Haus erst mit Wirkung vom 1.10.1992 neu vermietet habe; nach den Angaben des Ehegatten der Hauseigentümerin werde die Wohnung in einem Jahr wieder frei sein.

In der Verhandlung vom 22.12.1992 brachte die Klägerin ergänzend vor, zwischen ihrer Rechtsvorgängerin und dem Vater des Erstbeklagten sei bei Abschluß des Mietvertrages vereinbart worden, daß die Vermietung lediglich als Zweitwohnsitz zu Erholungszwecken erfolge; in dieses Mietverhältnis seien dann die Klägerin und die Beklagten unverändert eingetreten, sodaß davon auszugehen sei, es liege ein Bestandverhältnis über einen Zweitwohnsitz lediglich zu Urlaubs- und Erholungszwecken vor.

Auch dies wurde von den Beklagten bestritten und eingewendet, sie hielten sich mit Wissen und Willen der Klägerin seit mehreren Jahren primär in der aufgekündigten Wohnung auf.

Das Erstgericht hob die Aufkündigung vom 13.10.1992 auf und wies das Räumungsbegehren ab.

Über den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hinausgehend wurden im wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

Die Eltern des Erstbeklagten meldeten sich bei der Mutter der Klägerin aufgrund eines Zeitungsinserates und erklärten, sie wollten die gegenständliche Wohnung zur Benützung während des Urlaubs und an Wochenenden mieten. Die Eltern des Erstbeklagten waren damals in Wien berufstätig, wo sie auch wohnten. Am Wochenende hielten sie sich regelmäßig in F***** auf. Ein schriftlicher Mietvertrag wurde nicht errichtet. Die Mutter des Erstbeklagten kam durch einen Unfall ums Leben, sein Vater starb etwa ein Jahr später. Etwa zu dieser Zeit verstarb auch die Mutter der Klägerin. Daraufhin verhandelte der Erstbeklagte mit dem Stiefvater der Klägerin und bezahlte an diesen auch die Miete. Da der Erstbeklagte den Stiefvater der Klägerin als verhandlungsbevollmächtigten Erben ansah, vereinbarte er mit ihm, daß er zu den bisherigen Bedingungen in der Wohnung weiter wohnen dürfe. In der Folge wurde aber der Erstbeklagte darauf hingewiesen, daß die Klägerin die Erbin sei. Er vereinbarte daraufhin mit dieser, die Wohnung zu den bisherigen Bedingungen weiter zu benutzen. Über die Frage, ob der Erstbeklagte die Wohnung lediglich an Wochenenden oder auch unter der Woche benutzen dürfe, wurde nicht gesprochen.

In der Folge hielt sich der Erstbeklagte lediglich an Wochenenden in F***** auf. Vor rund acht Jahren erkrankte er allerdings und war daraufhin wochenlang in F*****. Dies war der Klägerin bekannt. Der Erstbeklagte wendete sich auch einmal ausdrücklich an den Ehegatten der Klägerin, um ihn zu fragen, ob es ihm etwas ausmache, wenn er ständig in F***** wohne, der Ehegatte der Klägerin hatte nichts dagegen, er erklärte vielmehr, es sei gut für das Haus, wenn es von jemandem ständig bewohnt werde.

Die zweite Wohnung des Hauses stand damals leer.

Etwa seit 1988 - beide Beklagte sind seitdem jedenfalls in Pension - wohnen die Beklagten ständig in der Wohnung in F*****, sie sind daneben auch noch in Wien aufrecht gemeldet. Die Wohnung in Wien benützen sie allerdings nur fallweise kurzfristig; lediglich im Jahre 1993, in dem die Mutter der Zweitbeklagten verstarb, hielten sie sich einige Monate in Wien auf.

Die Klägerin kam eher selten nach F*****, wohl aber ihr Ehegatte. Sowohl dem Ehegatten der Klägerin als auch dieser selbst war seit Jahren bekannt, daß sich die beklagten Parteien auch unter der Woche ständig in F***** aufhalten. Sie haben bis zur Einbringung der gegenständlichen Kündigung dagegen nichts unternommen.

Die Klägerin bewohnt mit ihrem Gatten und zwei Söhnen im Alter von 15 und 20 Jahren ein Einfamilienhaus in ***** P*****. Dabei handelt es sich um einen eingeschoßigen Bungalow, dessen Keller nicht beheizbar ist; auch der Dachboden kann nicht ausgebaut werden. Der Familie stehen dort ein Wohnzimmer, ein Schlafzimmer der Eltern, ein Zimmer des 15jährigen Sohnes sowie ein 3 x 4 m großes Zimmer des 20jährigen Sohnes samt Nebenräumen wie Küche, Bad und WC zur Verfügung. Das Zimmer des 20jährigen Sohnes wird von diesem gemeinsam mit seiner Freundin bewohnt; letztere ist aufgrund häuslicher Schwierigkeiten von zu Hause ausgezogen.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Ansicht, für die Beurteilung, ob die Miete einer Zweitwohnung im Sinne des § 1 Abs.2 Z 4 MRG vorliege, sei nur der vereinbarte Vertragszweck entscheidend; die tatsächliche Verwendung sei ohne Belang. Im vorliegenden Fall sei allerdings eine stillschweigende Änderung des Vertragszweckes erfolgt, weil der Erstbeklagte bereits vor mehreren Jahren dem Gatten der Klägerin mitgeteilt habe, daß er nun ständig dort wohne und die Beklagten bereits seit zumindest fünf Jahren immer dort wohnten, was der Klägerin auch bekannt war. Die Klägerin könne sich daher nicht auf die Ausnahmebestimmung des § 1 Abs.2 Z 4 MRG berufen.

Der Kündigungsgrund des § 30 Abs.2 Z 1 MRG liege nicht vor, weil ein Mietzinsrückstand nicht bestand. Auch der Kündigungsgrund des § 30 Abs.2 Z 8 MRG sei nicht gegeben, weil Eigenbedarf nur dann vorliege, wenn es sich um einen echten Notstand handle, wobei ein strenger Maßstab anzulegen sei. Da dem Sohn der Klägerin im elterlichen Haus ein 3 x 4 m großes Zimmer zur Verfügung stehe, sei ein solcher echter Notstand zu verneinen; die Freundin des Sohnes der Klägerin sei keine durch § 30 Abs.2 Z 8 MRG geschützte Person.

Das von der Klägerin angerufene Berufungsgericht bestätigte die angefochtene Entscheidung in Ansehung der Aufhebung der Aufkündigung der zweitbeklagten Partei. Hinsichtlich der erstbeklagten Partei wurde die Entscheidung aber abgeändert und deren Aufkündigung als wirksam erkannt; die erstbeklagte Partei wurde für schuldig erkannt, die Wohnung binnen 14 Tagen zu räumen und geräumt zu übergeben.

Die ordentliche Revision wurde für zulässig erklärt.

Das Berufungsgericht vertrat hinsichtlich der Aufkündigung der Zweitbeklagten die Ansicht, diese sei niemals Mieterin des strittigen Bestandobjektes geworden. In Ermangelung eines Bestandverhältnisses sei auch das diesbezügliche Kündigungsbegehren nicht berechtigt.

Hinsichtlich der Aufkündigung des Erstbeklagten führte das Berufungsgericht aus, die Klägerin habe rechtzeitig den Ausnahmetatbestand des § 1 Abs.2 Z 4 MRG geltend gemacht; es stehe den Parteien noch im Zuge eines im Sinne des MRG eingeleiteten Verfahrens offen, einen Ausnahmetatbestand nach § 1 Abs.2 MRG und damit den Wegfall auch der prozessualen Vorschriften des MRG darzutun.

Gemäß § 43 Abs.1 MRG gelte dessen § 1 Abs.2 auch für "Altverträge". Für das Vorliegen des Ausnahmetatbestandes des § 1 Abs.2 Z 4 MRG sei lediglich wesentlich, daß die Wohnung nach übereinstimmender Parteienabsicht zum Zwecke der Erholung oder Freizeitgestaltung gemietet wurde. Auf die tatsächliche Verwendung komme es nicht an. Der im vorliegenden Fall festgestellte seinerzeitige Verwendungszweck "für Urlaub und Wochenenden" erfülle zweifellos den zitierten Ausnahmetatbestand. Eine Zustimmung des Vermieters zu einer geänderten Verwendung der Wohnung als ständige Wohnung komme wohl grundsätzlich in Betracht, eine solche sei aber im vorliegenden Fall weder ausdrücklich noch schlüssig erfolgt. Die Tatsache, daß die Klägerin von der Nutzungsänderung Kenntnis hatte und dagegen nichts unternahm, könnte nur dahin ausgelegt werden, daß sie die faktische Ausdehnung des zeitlichen Nutzungsumfanges tolerierte, nicht hingegen in der Richtung, daß sie auch eine Abänderung des Vertragszweckes billigte. Da somit die Wohnung nicht in den Anwendungsbereich des MRG falle, bedürfe es auch keines Kündigungsgrundes gemäß § 30 MRG, sodaß das Klagebegehren hinsichtlich des Erstbeklagten berechtigt sei.

Die ordentliche Revision wurde für zulässig erklärt, weil zur Frage des nachträglichen Wegfalles der Eventualmaxime bei Nachweis eines Ausnahmetatbestandes und zu den näheren Voraussetzungen einer konkludenten Abänderung des gemäß § 1 Abs.2 Z 4 MRG vereinbarten Vertragszwecks noch keine höchstgerichtliche Judikatur vorliege.

Gegen den klagsstattgebenden Teil dieser Entscheidung richtet sich die Revision des Erstbeklagten mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahingehend abzuändern, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt werde.

Die klagende Partei hat Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, dem Rechtsmittel des Erstbeklagten nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und auch berechtigt.

Der Erstbeklagte macht in seinem Rechtsmittel unter anderem geltend, entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes sei eine einvernehmliche Änderung des ursprünglich vereinbarten Vertragszweckes erfolgt. Die jahrelange Untätigkeit der Klägerin in bezug auf die tatsächliche Verlagerung seines ständigen Wohnsitzes sei als Zustimmung zur Änderung der Zweckwidmung der Wohnung anzusehen.

Dies trifft nach Ansicht des erkennenden Senates zu.

Wesentlich für das Vorliegen des Ausnahmetatbestandes des § 1 Abs.2 Z 4 MRG ist, daß die Wohnung nach übereinstimmender Parteienabsicht zum Zwecke der Erholung oder Freizeitgestaltung gemietet wurde (Vertragszweck), woraus sich notwendig ergibt, daß sie nicht zur Befriedigung des ordentlichen Wohnbedürfnisses dienen kann (Würth in Rummel2, Rz 11 zu § 1 MRG). Maßgeblich ist nur der vereinbarte Vertragszweck, die tatsächliche Verwendung ist ohne Belang (SZ 56/132 = MietSlg. 35.285; WoBl. 1991/59). Von dem vereinbarten Vertragszweck kann aber - sowohl ausdrücklich als auch schlüssig - einvernehmlich abgegangen werden (WoBl. 1991/59). Auch eine stillschweigende Vertragsänderung ist möglich, sofern das Verhalten der Vertragsteile mit Überlegung aller Umstände des Falles den Schluß zuläßt, die Parteien hätten den Vertrag (den Vertragszweck) stillschweigend ändern wollen (vgl. MietSlg. 20.149/43; WoBl. 1991/42). Nach den für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen Feststellungen des Erstgerichtes wohnen die beklagten Parteien seit 1988 ständig in der Wohnung in F*****; der Klägerin war dies seit Jahren bekannt, sie hat bis zur Einbringung der gegenständlichen Kündigung dagegen nichts unternommen. Der Erstbeklagte hat dadurch, daß er ständig im gegenständlichen Objekt wohnte, eindeutig zu erkennen gegeben, daß er dieses nun nicht mehr allein zum Zwecke der Erholung oder Freizeitgestaltung gemietet haben wolle. In Kenntnis dieses Umstandes hat die Klägerin durch Jahre hindurch nichts dagegen unternommen, sodaß davon auszugehen ist, daß sie der vom Erstbeklagten begehrten Vertragsänderung zustimmte. Wenngleich für die Konkludenz eines Verhaltens gemäß § 863 ABGB ein strenger Maßstab anzulegen ist und bloßes Schweigen grundsätzlich keinen Erklärungswert hat (Rummel in Rummel2, Rz 14 und 15 zu § 863), hätte im vorliegenden Fall die Klägerin, wäre sie mit einer Änderung des Vertragszweckes nicht einverstanden gewesen, mit Rücksicht auf die Übung des redlichen Verkehrs der ständigen Benützung des Bestandobjektes durch den Erstbeklagten widersprechen müssen. Es würde Treu und Glauben widersprechen, der Klägerin, die durch Jahre hindurch Kenntnis davon hatte, daß der Erstbeklagte das Bestandobjekt ständig benutzte, die Möglichkeit einer Kündigung unter Berufung auf den ursprünglichen Vertragszweck (Erholung und Freizeitgestaltung) zu gestatten. Der Umstand, daß der Erstbeklagte weiterhin in Wien aufrecht gemeldet war, ändert nichts daran, daß das gegenständliche Bestandobjekt nicht mehr lediglich der Erholung und Freizeitgestaltung dienen sollte.

Daraus folgt, daß entgegen der vom Berufungsgericht vertretenen Ansicht auf das gegenständliche Bestandverhältnis die Kündigungsbeschränkungen des § 30 MRG anzuwenden sind. Daß keiner der Kündigungsgründe des § 30 MRG gegeben ist, hat bereits das Erstgericht zutreffend dargelegt, dies wurde in der Berufung der Klägerin auch nicht bekämpft.

Es war sohin in Stattgebung der Revision des Erstbeklagten die Entscheidung des Erstgerichtes wiederherzustellen, wobei bei der Kostenentscheidung zu berücksichtigen war, daß der Zweitbeklagten die Kosten bereits rechtskräftig zugesprochen wurden.

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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