OGH 2Ob24/94

OGH2Ob24/9428.4.1994

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Edwin H*****, vertreten durch den Sachwalter Dr.Peter Scheichelbauer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1. E***** Versicherungs-Aktiengesellschaft, ***** 2. Peter F*****, beide vertreten durch Dr.Oswald Karminski-Pielsticker, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, infolge Rekurses der beklagten Parteien gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 27.Jänner 1994, GZ 15 R 267/93-67, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 19.August 1993, GZ 9 Cg 724/92-62, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Es wird dem Rekurs Folge gegeben, der angefochtene Beschluß aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung

Am 22.4.1979 ereignete sich in Wien ein Verkehrsunfall, an welchem der Kläger als Fußgänger und der Zweitbeklagte als Lenker des von ihm gehaltenen und bei der erstbeklagten Partei haftpflichtversicherten PKWs Kennzeichen W 613.272, beteiligt waren und bei dem der Kläger schwer verletzt wurde.

Mit der am 19.4.1982 eingebrachten Klage begehrte der Kläger zuletzt mit dem Zugeständnis seines gleichteiligen Mitverschuldens den Betrag von S 687.131,80 samt Zinsen sowie die Feststellung der Haftung beider beklagten Parteien zur ungeteilten Hand zu 50 % für alle dem Kläger aus dem Unfall künftig entstehenden Schäden - bezüglich der Erstbeklagten begrenzt mit der vertraglich vereinbarten Haftpflichtversicherungssumme. Das Mitverschulden des Zweitbeklagten liege in einer 60 %igen Überschreitung der im Ortsgebiet zulässigen Höchstgeschwindigkeit sowie im völligen Fehlen einer Reaktion auf das Verhalten des Klägers, all dies bei einer erheblichen Alkoholisierung des Zweitbeklagten.

Die beklagten Parteien beantragten die Abweisung des Klagebegehrens und wandten ein, das weitaus überwiegende Verschulden am Verkehrsunfall treffe den Kläger, weil dieser die Fahrbahn trotz des für ihn geltenden Ampelrotlichts überquert habe. Sie bestritten auch die Höhe des Anspruchs.

Am 15.9.1983 trat Ruhen des Verfahrens ein, weil die Parteien einen Verhandlungstermin nicht besuchten. Auf Antrag des Klägers vom 28.12.1983 wurde das Verfahren fortgesetzt. Schließlich trat aber neuerlich Ruhen des Verfahrens ein, weil die Parteien zu einer für den 4.7.1984 ausgeschriebenen Verhandlungstagsatzung nicht erschienen.

Mit Antrag vom 18.9.1992 begehrte der - nunmehr durch seinen Sachwalter vertretene - Kläger neuerlich die Verfahrensfortsetzung und brachte vor, das gegenständliche Prozeßverfahren sei durch einen außergerichtlichen Vergleich am 13.4.1984 hinsichtlich des Leistungsbegehrens verglichen, im übrigen sei ewiges Ruhen vereinbart worden. Der Kläger sei jedoch wegen der Folgen der beim Unfall erlittenen Verletzungen damals nicht dispositionsfähig und auch nicht in der Lage gewesen, Inhalt und Bedeutung der von ihm gegenüber seinem damaligen Vertreter Rechtsanwalt Dr.Arthur Brüller abgegebenen Zustimmungserklärung zu erfassen. Der Vergleich sei daher nichtig. Der Vergleich sei jedoch vom Sachwalter mit Zustimmung des Pflegschaftsgerichtes nur hinsichtlich des Leistungsbegehrens genehmigt worden. Als nichtig angefochten werde daher nur die seinerzeit abgeschlossene Vereinbarung des ewigen Ruhens sowie ein Verzicht auf das Feststellungsbegehren.

Die beklagten Parteien erwiderten, der Kläger sei gegen vorbehaltslose Unterfertigung einer Abfindungserklärung mit einem Betrag von insgesamt S 650.000 an Kapital abgefunden worden, worauf ewiges Ruhen des Verfahrens eingetreten sei. Der Kläger sei bei Erteilung der Prozeßvollmacht an Dr.Arthur Brüller nicht dispositionsunfähig gewesen. Im übrigen sei das Feststellungsbegehren wegen nicht rechtzeitiger Verfahrensfortsetzung verjährt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf folgende wesentliche Feststellungen:

Der Kläger erlitt beim Verkehrsunfall vom 22.4.1979 unter anderem ein Schädel-Hirntrauma. Seither leidet er an neurologischen Ausfällen und einem organischen Psychosyndrom. Seit 1983 ist der psychische Zustand des Klägers "im wesentlichen gleichbleibend". Sein organisches Psychosyndrom ist geprägt durch Einschränkungen der "höchsten Hirnleistungen", nämlich in den Bereichen Kritikfähigkeit, Urteilsfähigkeit, Selbsteinschätzung und Kontrollmechanismen für Affekte.

Am 29.3.1982 erteilte der Kläger dem Rechtsanwalt Dr.Johannes Schriefl Prozeßvollmacht. Am 14.11.1983 kam es zu einem Vollmachtswechsel, seither war Rechtsanwalt Dr.Arthur Brüller Prozeßbevollmächtigter des Klägers. Er wurde vom Kläger ermächtigt, mit den beklagten Parteien über einen Vergleich zu verhandeln und "auf alle wie immer gearteten Ansprüche.... aus dem Schadensfall vom 22.4.1979" gegen die Beklagten oder sonst jemand zu verzichten, sollte es gelingen, für den Kläger eine Kapitalleistung von insgesamt S 650.000 zu erzielen. Am 13.4.1984 unterfertigte Rechtsanwalt Dr.Arthur Brüller namens des Klägers die von der erstbeklagten Partei vorbereitete Abfindungserklärung vom 11.4.1984, wonach durch Bezahlung der Entschädigungssumme von S 650.000 und weiteren S 65.000 an Kosten alle Ansprüche aus dem Verkehrsunfall vom 22.4.1979 "restlos abgefunden" sind "und zwar auch dann, wenn dieser Vorfall in der Zukunft derzeit nicht voraussehbare Folgen nach sich ziehen sollte". Im Zusammenhang mit dieser Abfindungsvereinbarung galt auch als vereinbart, daß im Zivilprozeß durch den Nichtbesuch eines ausgeschriebenen Verhandlungstermines "ewiges Ruhen" des Verfahrens eintreten sollte. Mit diesem außergerichtlichen Vergleich wurden entsprechend dem Willen der Parteien alle vom Kläger im vorliegenden Verfahren geltend gemachten Ansprüche einschließlich des Feststellungsbegehrens durch Globalabfertigung bereinigt. Der Kläger war fähig, die Tragweite der an Rechtsanwalt Dr.Arthur Brüller erteilten Prozeßvollmacht samt Ermächtigung zum außergerichtlichen Vergleichsschluß sowie des Inhalts des im April 1984 abgeschlossenen außergerichtlichen Vergleiches einzusehen.

Mit Beschluß des Bezirksgerichtes Favoriten vom 24.4.1989 (8 SW 34/88) wurde Rechtsanwalt Dr.Peter Scheichelbauer zum einstweiligen Sachwalter des Klägers "für die Vertretung im Sachwalterschaftsverfahren sowie zur Besorgung dringender Angelegenheiten, und zwar a) zur Vertretung gegenüber Gericht und Verwaltungsbehörden und b) zur Vertretung gegenüber Versicherungsgesellschaften, bestellt. Eine Ausfertigung dieses Beschlusses wurde dem Kläger und dem bestellten einstweiligen Sachwalter am 3.5.1989 zugestellt, der Beschluß erwuchs unbekämpft in Rechtskraft. Mit Beschluß des Sachwalterschaftsgerichtes vom 25.8.1989 wurde Rechtsanwalt Dr.Peter Scheichelbauer zum Sachwalter des Klägers bestellt und sein Wirkungskreis dahin bestimmt, daß dieser die Vertretung des Betroffenen vor Behörden (Gericht und Verwaltungsbehörden), Sozialversicherungsträgern, Vertragspartnern und privaten Versicherungen umfaßt. Eine Ausfertigung dieses Beschlusses wurde dem Sachwalter am 20.9.1989, dem Kläger am 21.9.1989 zugestellt; auch dieser Beschluß erwuchs unangefochten in Rechtskraft.

Das Sachwalterschaftsgericht genehmigte mit Beschluß vom 17.11.1992 die Klageführung des Betroffenen wegen Feststellung und den auf das vorliegende Verfahren bezogenen Fortsetzungsantrag. Der Sachwalter genehmigte den im April 1984 außergerichtlich geschlossenen Vergleich "mit Zustimmung des Sachwalterschaftsgerichtes, soweit sich der Vergleich auf die Erledigung des Leistungsbegehrens" bezog, "nicht jedoch hinsichtlich des noch streitgegenständlichen Feststellungsbegehrens".

Im Rahmen der Ausführungen zur Beweiswürdigung (Ersturteil S 12 f) gab der Erstrichter eine Passage des Gutachtens des Sachverständigen Dr.Herbert K***** (ON 56 S 7 = AS 213 unten) mit dem Inhalt "....es kann daher nicht erklärt werden, daß der Kläger zwischen November 1983 und April 1984 derart gebessert war, daß er die Folgen seiner Vollmachtserteilung und Verzichtserklärung kritikvoll abwägen konnte" entgegen dem Wortlaut und Sinn auf folgende Weise wieder: "....so muß der Sachverständige dennoch einräumen, daß gutachtlich nicht geklärt werden kann, ob der psychische Zustand des Klägers in der fraglichen Zeit derart gebessert gewesen sei, daß er die Folgen seiner Vollmachtserteilung und des außergerichtlichen Vergleichsinhaltes hätte kritikvoll abwägen können...". Der Erstrichter folgerte sodann hauptsächlich aus dieser Gutachtensstelle, daß der Sachverständige nur Zweifel an der seinerzeitigen Dispositionsfähigkeit des Klägers angemeldet habe, und gelangte davon ausgehend in Würdigung des weiteren Gutachtensinhalts sowie anderer Beweise zur positiven Feststellung, daß der Kläger im fraglichen Zeitpunkt die Tragweite der erteilten Prozeßvollmacht samt Ermächtigung zum konkret abgeschlossenen außergerichtlichen Vergleich einzusehen fähig war.

Der Erstrichter vertrat folgende Rechtsauffassung: Die Vereinbarung des "ewigen Ruhens" hindere einen Fortsetzungsantrag nicht, vielmehr sei der materiellrechtliche Inhalt einer solchen Vereinbarung zu prüfen. Da gemäß § 35 Abs 1 ZPO eine Prozeßvollmacht durch eine Veränderung der Prozeßfähigkeit oder der gesetzlichen Vertretung des Vollmachtsgebers nicht aufgehoben werde, sei nur zu klären, ob der Kläger bei Erteilung der Prozeßvollmacht an Dr.Arthur Brüller am 14.11.1983 geschäfts- und prozeßfähig gewesen sei. Das Vorliegen einer ausreichenden Handlungsfähigkeit im Sinne des § 865 ABGB sei grundsätzlich zu vermuten, so daß der Kläger den Mangel einer solchen im Zeitpunkt der Vollmachtserteilung zu beweisen habe. Nach den Ergebnissen des Beweisverfahrens habe der Kläger jedoch im maßgeblichen Zeitraum über eine ausreichende Handlungsfähigkeit verfügt, aufgrund deren er befähigt gewesen sei, die Tragweite sowohl der Erteilung der Prozeßvollmacht als auch des Inhalts des abgeschlossenen Vergleichs zu erfassen. Da dem Kläger mit dem am 3.5.1989 zugestellten und unangefochten gebliebenen Beschluß vom 24.4.1989 ein einstweiliger Sachwalter gemäß § 238 Abs 2 AußStrG bestellt worden sei und zum Wirkungskreis des einstweiligen Sachwalters auch die Vertretung des Klägers gegenüber Gerichten gehört habe, wäre es Aufgabe des einstweiligen Sachwalters gewesen, das gegenständliche Verfahren innerhalb der Verjährungsfrist von drei Jahren fortzusetzen. Der erst am 18.9.1992 eingelangte Fortsetzungsantrag sei daher nicht rechtzeitig erfolgt. Die Verjährungseinrede der beklagten Parteien sei sohin berechtigt.

Überdies erscheine es aber unzulässig, daß der Sachwalter mit Zustimmung des Sachwalterschaftsgerichtes den zur Globalbereinigung der Klagsansprüche anzusehenden außergerichtlichen Vergleich nur im Punkte des Leistungsbegehrens nachträglich genehmige und daher entgegen dem dokumentierten Geschäftswillen der Vergleichspartner im Zeitpunkt des Vergleichsschlusses von einer Teilwirksamkeit dieses Rechtsgeschäftes ausgehe.

Dieses Urteil bekämpfte der Kläger mit Berufung wegen "aktenwidriger Feststellungen", unrichtiger Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung.

Das Gericht zweiter Instanz führte eine mündliche Berufungsverhandlung durch, in der weder Urkunden oder Akten verlesen, noch Zeugen, Parteien oder Sachverständige vernommen wurden. Mit dem angefochtenen Beschluß hob es das Ersturteil auf, verwies die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an dieses zurück und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000 übersteige und der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Es verwarf zunächst unter der - weiter unten bejahten - Voraussetzung, daß der Kläger infolge des Verkehrsunfalls vom 22.4.1979 seine Geschäftsfähigkeit verloren habe, den auf nicht rechtzeitige Verfahrensfortsetzung durch den Sachwalter (als gesetzlichen Vertreter) gestützten Verjährungseinwand der beklagten Parteien, weil erst die mit dem am 20./21.9.1989 zugestellten Beschluß vom 25.8.1989 erfolgte Sachwalterbestellung gemäß § 1494 ABGB die dreijährige Verjährungsfrist des § 1489 ABGB ausgelöst habe und der Fortsetzungsantrag daher innerhalb der Verjährungsfrist beim Erstgericht eingelangt sei.

Im Beschluß auf Bestellung eines einstweiligen Sachwalters seien nämlich dessen Aufgabenbereiche "Vertretung des Betroffenen gegenüber Gerichten und Verwaltungsbehörden" damit begründet worden, daß der Betroffene derzeit Behörden- und Versicherungswege im Zusammenhang mit einem bei ihm erfolgten Wohnungseinbruch zu besorgen habe, und gegen ihn ein Strafverfahren anhängig sei; vom vorliegenden Prozeß und dessen allfälliger Fortsetzung sei darin keine Rede gewesen.

Nach Wiedergabe mehrerer Passagen des schriftlichen Sachverständigenguachtens des Dr.Herbert K***** ON 56 führte es aus, der Sachverständige habe damit zum Ausdruck gebracht, es sei mit einem an praktische Gewißheit grenzenden Grad an Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, daß sich der Kläger bereits seit dem Verkehrsunfall vom 22.4.1979 - also auch im Zeitraum vom November 1983 bis April 1984 - im beschriebenen Gesundheitszustand befand und die dargestellte Kritik- und Entscheidungsfähigkeit hatte. Spreche der Sachverständige auch davon, daß der Gesundheitszustand des Klägers "berechtigte Zweifel an der Dispositionsfähigkeit in den Jahren 1983 bis 1984 zulasse", so könne dies im Zusammenhang gesehen nur im oben dargestellten Sinn verstanden werden. Das Erstgericht habe hingegen seinen aktenwidrigen Feststellungen (der Sachverständige habe nicht gesagt, es könne nicht geklärt werden, ob der Kläger..., sondern vielmehr er könne nicht erklären, daß der Kläger....") die isolierte Betrachtung eines Teiles des in Rede stehenden Gutachtens zugrundegelegt. Soweit im angefochtenen Urteil im übrigen damit argumentiert werde, der Kläger habe ein "Nahziel" verfolgen können, welches für ihn kalkulier- und erfaßbar gewesen sei, sei dies gerade keine Stütze für die bekämpfte Feststellung (daß der Kläger fähig war, die Tragweite der Vollmachtserteilung und der Ermächtigung zum Vergleichsabschluß sowie des Inhalts des geschlossenen Vergleiches einzusehen). Die Entscheidung, ob auf zukünftige, derzeit noch ungewisse Schadenersatzansprüche verzichtet werden solle, lasse sich nämlich nicht im Rahmen eines verfolgten "Nahzieles" treffen. Das ärztliche Sachverständigengutachten sei vom Erstgericht erst nach Schluß der Verhandlung gemäß § 193 Abs 3 ZPO eingeholt worden. Zwar hätten die beklagten Parteien die mündliche Erörterung des Gutachtens beantragt, das Unterbleiben einer solchen sei aber in der Berufungsbeantwortung nicht als Verfahrensmangel gerügt worden. Ein Verfahrensmangel bedürfe jedoch seiner ausdrücklichen Geltendmachung, das Berufungsgericht könne daher einen allenfalls in der unterlassenen Erörterung des Gutachtens gelegenen Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens nicht amtswegig aufgreifen. Es sei "somit" im Einklang mit der Berufung davon auszugehen, daß der Kläger jedenfalls auch im Zeitraum November 1983 bis April 1984 der für die Geschäftsfähigkeit vorauszusetzenden Diskretions- und Dispositionsfähigkeit entbehrt habe. Dem Klagsstandpunkt sei allerdings - mit dem Erstgericht - nicht dahin zu folgen, daß der Sachwalter des Klägers einen Teil des nunmehr bekämpften Abfindungsvergleiches genehmigen, und den weiteren Teil anfechten könne, weil es vom hypothetischen Willen beider Vergleichsparteien abhängt, ob eine derartige am Empfängerhorizont zu orientierende objektive Vergleichsauslegung im vorliegenden Fall gestattet wäre. Der Kläger habe aber auch gar nicht behauptet, daß die beklagten Parteien den Vergleich auch dann geschlossen hätten, wenn er nicht gleichzeitig auf die Geltendmachung künftiger Schadenersatzansprüche (das Feststellungsbegehren) verzichtet hätte. Wegen mangelnder Geschäftsfähigkeit des Klägers im Zeitpunkt der Erteilung der Prozeßvollmacht (als Grundlage für den späteren Vergleichsabschluß) sei sohin die zwischen den Parteien geschlossene Abfindungsvereinbarung insgesamt als nichtig anzusehen. Welche Rechtsfolgen sich daraus allenfalls gemäß den §§ 877, 1424 ABGB für die vom Kläger empfangene Geldleistung und den Leistungsanspruch laut Klage ergeben könnten, sei nicht zu beurteilen; ebenso könne unerörtert bleiben, welchen Einfluß die in der fortgesetzten Verhandlung vom 15.1.1993 vorgenommene Klageeinschränkung auf eine allfällige Verjährung des ursprünglichen Leistungsbegehrens ausübe. Da nunmehr wegen der unterschiedlichen Parteienstandpunkte zur Mitverschuldensquote das gesamte beantragte Beweisverfahren zum Unfallsgeschehen durchzuführen sei, erweise sich die Aufhebung und Rückverweisung an das Prozeßgericht als notwendig. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zuzulassen, weil das Berufungsgericht in der Verfahrensrechtsfrage, ob die in erster Instanz obsiegende Partei verpflichtet sei, Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens im Berufungsverfahren (in der Berufungsbeantwortung) geltend zu machen, soweit solche infolge einer von der Auffassung des Erstgerichtes abweichenden Ansicht des Berufungsgerichtes nunmehr für das Prozeßergebnis relevant sein könnten, von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung abgewichen sei.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen die berufungsgerichtliche Entscheidung erhobene Rekurs der beklagten Parteien ist - ungeachtet der vom Gericht zweiter Instanz dargelegten, im vorliegenden Fall jedoch irrelevanten Zulassungsbegründung - schon deshalb zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig und berechtigt, weil die berufungsgerichtliche Entscheidung gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz verstößt.

Ist auch die Frage der Handlungs(un)fähigkeit einer Person eine aus bestimmten Tatsachenfeststellungen über ihren Geistes- und Gemütszustand abzuleitende Rechtsfrage, so sind doch die zur Erfassung des zu beurteilenden Geisteszustandes einer (wie im vorliegenden Fall von schweren Kopfverletzungen betroffenen) Person notwendigen und überwiegend dem fachmedizinischen Erfahrungswissen (Sachverständigengutachten) entstammenden Tatsachengrundlagen und Ableitungen als Tatfragen anzusehen (EFSlg 48.575 mwN; Rummel in Rummel ABGB2 Rz 15 zu § 865).

Im vorliegenden Verfahren hat das Gericht zweiter Instanz nach Aufklärung der oben bereits dargestellten aktenwidrigen (dem Text und Sinn des Sachverständigengutachtens widersprechenden) erstrichterlichen Beweiswürdigungserwägung die gesamten erstrichterlichen Feststellungen über die Fähigkeit des Klägers, die Vollmachtserteilung und den Vergleichsinhalt in ihrer Tragweite einzusehen, als aktenwidrig bezeichnet. Dessenungeachtet hat es aber gerade die übrigen Beweiswürdigungsargumente des Erstrichters abgelehnt und unter der Annahme, einen allenfalls in der Unterlassung der Gutachtenserörterung gegen den Antrag der beklagten Partei gelegenen Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens nicht amtswegig aufgreifen zu können, ausgeführt, somit (?) sei im Einklang mit der Berufung des Klägers davon auszugehen, daß der Kläger jedenfalls auch in der fraglichen Zeit der für eine Geschäftsfähigkeit vorauszusetzenden Diskretions- und Dispositionsfähigkeit entbehrte. Damit hat es unter Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes seiner Entscheidung entgegen § 498 Abs 1 ZPO ohne Wiederholung von Beweisen andere als vom Erstgericht festgestellte Tatsachen zugrundegelegt, so daß das berufungsgerichtliche Verfahren im Sinne der zutreffenden Ausführungen im vorliegenden Rekurs der beklagten Partei mangelhaft ist. Dieser Mangel führt zur Aufhebung der berufungsgerichtlichen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache vor das Berufungsgericht (§ 510 Abs 1 ZPO), welches aufgrund seiner offenkundigen Bedenken gegen die erstrichterliche Beweiswürdigung und die darauf beruhenden Tatsachenfeststellungen über die zur Beurteilung der Handlungsfähigkeit des Klägers maßgeblichen Tatumstände die dazu vom Erstgericht aufgenommenen Beweise zu wiederholen und sodann eigene Feststellungen zu treffen haben wird.

Den weiteren, im vorliegenden Rechtsmittel nicht bekämpften Rechtsausführungen der zweiten Instanz zum Verjährungseinwand sowie zum Umfang der Anfechtbarkeit der Abfindungsvereinbarung stehen keine Bedenken entgegen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte