OGH 9ObA69/94

OGH9ObA69/9420.4.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Bauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Barbara Hopf und Helmuth Prenner als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Christian M*****, Angestellter, ***** vertreten durch Dr.Georg Grießer und Dr.Roland Gerlach, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Reisebüro R***** Gesellschaft m.b.H. ***** vertreten durch Dr.Hans Rabl, Rechtsanwalt in Wien, wegen 358.728,09 S sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 15.Dezember 1993, GZ 32 Ra 157/93-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 4.Juni 1993, GZ 20 Cga 151/92-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie zu lauten haben:

"Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei den Betrag von 358.728,09 S brutto samt 4 % Zinsen seit 13.8.1992 zu zahlen und ihr die mit S 95.840,40 bestimmten Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz (darin enthalten S 15.960 Barauslagen und S 13.313,40 Umsatzsteuer) zu ersetzen, alldies binnen 14 Tagen bei Exekution."

Die beklagte Partei ist weiter schuldig, der klagenden Partei die mit S 26.293,80 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 12.000 Barauslagen und S 2.382,30 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war vom 8.1.1980 bis 12.8.1992 bei der beklagten Partei, zuletzt als Leiter der Filiale St.Pölten tätig. Die Ehegattin des Klägers war zunächst nacheinander insgesamt 11 Jahre lang bei zwei anderen Reisebüros tätig und verfügte über eine Reisebürokonzession. Ab April 1992 stellte sie ihre Reisebürokonzession dem Konkurrenzunternehmen der beklagten Partei "P*****-Reisen Ges.m.b.H."

zur Verfügung und war als gewerberechtliche Geschäftsführerin und Einzelprokuristin dieses Unternehmens in Wiener Neustadt tätig. Die P*****-Reisen Ges.m.b.H. wurde von zwei ehemaligen Mitarbeitern der beklagten Partei gegründet; im Zug der Errichtung von Filialen wurden insgesamt etwa 10 Mitarbeiter der beklagten Partei abgeworben. Die Filiale Wiener Neustadt der P*****-Reisen Ges.m.b.H. hat ihren Sitz gegenüber dem Filiallokal der beklagten Partei. Zufolge der konkurrierenden Tätigkeit kam es bei der beklagten Partei in Wiener Neustadt zu einem Umsatzrückgang um ca 50 %. Die beklagte Partei war durch das konkurrierende Verhalten der P*****-Reisen Ges.m.b.H. sehr sensibilisiert und versuchte dieses zu unterbinden. Die Vorgänge rund um die P*****-Gruppe und das Abwerben von Mitarbeitern der beklagten Partei waren dem Kläger bekannt. Zwischen dem Kläger und den Verantwortlichen der beklagten Partei gab es Gespräche über das konkurrierende Verhalten der P*****-Ges.m.b.H. sowie darüber, wie weiteres Abwerben sowie die Konkurrenztätigkeit verhindert werden könnten. Anfang August 1992 erfuhr die beklagte Partei von der Tätigkeit der Gattin des Klägers als gewerberechtliche Geschäftsführerin und Prokuristin der P***** Reisen Ges.m.b.H. Der beklagten Partei war wohl bekannt, daß die Gattin des Klägers zuvor durch mehrere Jahre in der Reisebürobranche tätig war. Von der Tätigkeit bei der P*****-Reisen Ges.m.b.H. war ihr nichts mitgeteilt worden. Die Verbindung des Klägers zu diesem Unternehmen war aber nicht nur durch seine Gattin eng. Er war auch mit einem der Geschäftsführer, einem früheren Mitarbeiter der beklagten Partei eng befreundet und telephonierte wiederholt mit diesem. Es ist nicht erwiesen, daß der Kläger Geschäftsgeheimnisse an die Konkurrenzfirma weitergegeben hat.

Am 12.8.1992 wurde der Kläger entlassen. Der Kläger und seine Gattin gründeten darauf eine GmbH und betreiben in deren Rahmen ein Reisebüro in St.Pölten.

Der Kläger begehrt die Zahlung des der Höhe nach nicht bestrittenen Betrages von 358.729,09 S brutto an entlassungsabhängigen Ansprüchen (Kündigungsentschädigung, anteilige Sonderzahlungen und Abfertigung). Es sei kein Grund für die Entlassung vorgelegen.

Die beklagte Partei beantragt die Abweisung der Klage. Der Kläger sei für die beklagte Partei in leitender Position tätig gewesen und habe daher Einblick in interne Kalkulations- und Geschäftsunterlagen sowie Kenntnis von Betriebsgeheimnissen gehabt. Es sei zu befürchten gewesen, daß der Kläger Informationen über die Geschäftsgebarung oder das Veranstaltungsprogramm etc an seine Ehegattin weitergegeben habe bzw weitergeben werde und diese Informationen zum Schaden der beklatgen Partei verwende.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es sei nicht erwiesen, daß der Kläger Geschäftsgeheimnisse weitergegeben habe; die bloße Gefahr der Weitergabe solcher Geheimnisse erfülle den Tatbestand eines Entlassungsgrundes nicht. Der Kläger wäre jedoch verpflichtet gewesen, der beklagten Partei zur Kenntnis zu bringen, daß seine Gattin als gewerberechtliche Gsechäftsführerin und Prokuristin bei der P*****-Reisen Ges.m.b.H. tätig sei, dies umsomehr als er aufgrund der Gespräche, die im Zusammenhang mit dem Konkurrenzunternehmen geführt wurden, erkennen mußte, daß dem für die beklagte Partei offenbar besondere Bedeutung zukam. Zufolge der besonderen Situation, daß ehemalige Mitarbeiter der beklagten Partei das Konkurrenzunternehmen gegründet und in der Folge mehrere Mitarbeiter abgeworben hatten, wäre der Kläger im Rahmen seiner Treuepflicht verpflichtet gewesen, die Position seiner Gattin in diesem Unternehmen mitzuteilen. Die bewußte Verletzung der Informationspflicht begründe seine Vertrauensunwürdigkeit, so daß die Entlassung zu Recht erfolgt sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Wohl sei ein Arbeitnehmer grundsätzlich nicht verpflichtet, Angelegenheiten des Privatlebens und damit auch die berufliche Tätigkeit der Ehegattin dem Dienstgeber bekanntzugeben. Die strittige Tätigkeit der Gattin des Klägers betreffe jedoch nicht bloß die Privatsphäre des Klägers. Im Hinblick auf die besondere, dem Kläger bekannte Sensibilisierung der beklagten Partei durch die geschäftliche Tätigkeit der P*****-Reisen Ges.m.b.H. sowie den Umstand, daß dieses Unternehmen zahlreiche Dienstnehmer der beklagten Partei abgeworben habe, liege eine Ausnahmesituation vor. Das Verschweigen der Funktion seiner Gattin durch den Kläger rechtfertige vor diesem Hintergrund den Ausspruch der Entlassung.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß dem Klagebegehren stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Der Revisionswerber führt vorerst ins treffen, die Vorinstanzen hätten dem Begehren schon deshalb stattgeben müssen, weil die beklagte Partei den Umstand, daß der Kläger die Tätigkeit seiner Gattin nicht gemeldet habe, nicht als Entlassungsgrund geltend gemacht habe. Der Oberste Gerichtshof hat zur Frage der sogenannten "überschießenden Feststellungen" den Standpunkt vertreten, daß solche Feststellungen jedenfalls dann bei der Entscheidung zu berücksichtigen sind, wenn sie in den Rahmen eines geltend gemachten Klagegrundes oder einer erhobenen Einwendung fallen (ZAS 1992, 194 = Arb 10.981 ua). Ob die in diesem Zusammenhang strittigen Feststellungen durch die Einwendungen der beklagten Partei gedeckt sind und bei der Entscheidung verwertet werden durften, kann hier allerdings im Revisionsverfahren nicht mehr überprüft werden. Trifft das Erstgericht seine Entscheidung unter Berufung auf einen Rechtsgrund, der von der Partei im Verfahren nicht geltend gemacht wurde, so setzt es damit einen einem Verstoß gegen § 405 ZPO vergleichbaren Verfahrensmangel. Ein Mangel des Verfahrens kann jedoch immer nur in der nächsthöheren Instanz geltend gemacht werden. Hier hat der Kläger bereits in der Berufung gerügt, das Erstgericht habe seine Entscheidung darauf gegründet, daß der Kläger einen Entlassungstatbestand gesetzt habe, auf den die beklagte Partei jedoch ihr Begehren auf Klagsabweisung gar nicht gestützt habe. Das Berufungsgericht hat sich mit diesen Ausführungen auseinandergesetzt und ist zum Ergebnis gelangt, daß ein Verfahrensmangel nicht vorliege. Es entspricht aber der ständigen Rechtsprechung, daß Mängel des Verfahrens erster Instanz, deren Vorliegen das Berufungsgericht verneint hat, auch in Arbeitsrechtssachen im Revisionsverfahren nicht neuerlich geltend gemacht werden können (RZ 1989,65, Arb 10.892 ua).

Unter den Tatbestand der Vertrauensunwürdigkeit im Sinne des § 27 Z 1 letzter Fall AngG fällt jede Handlung oder Unterlassung eines Angestellten, die mit Rücksicht auf ihre Beschaffenheit und auf ihre Rückwirkung auf das Arbeitsverhältnis den Angestellten des dienstlichen Vertrauens seines Arbeitgebers unwürdig erscheinen läßt, weil dieser befürchten muß, daß der Angestellte seine Pflichten nicht mehr getreulich erfüllen werde, sodaß dadurch die dienstlichen Interessen des Arbeitgebers gefährdet sind (SZ 58/94). Das Verhalten des Arbeitnehmers muß dabei nicht strafbar, aber schuldhaft und rechtswidrig sein (Arb 11.047).

Daß die Gattin des Beklagten gewerberechtliche Geschäftsführerin und Prokuristin eines Reisebürounternehmens ist, vermag selbst unter Berücksichtigung der besonderen Beeinträchtigung der beklagten Partei durch die Tätigkeit dieses Konkurrenzunternehmens, keinen Grund für die Entlassung des Klägers zu bilden; dies haben die Vorinstanzen zutreffend begründet. Nach den Feststellungen ist nicht erwiesen, daß der Kläger irgendwelche Informationen über die Geschäftstätigkeit der beklagten Partei oder Kalkulations- und sonstige Unterlagen, die ihm in seiner dienstlichen Tätikeit bekannt wurden, an seine Gattin oder sonst jemanden weitergegeben, noch, daß er die geschäftliche Tätigkeit des Konkurrenzunternehmens sonst in irgend einer Weise gefördert hätte. Die Befürchtung, daß zufolge des persönlichen Naheverhältnisses die Weitergabe von Geheimnissen erfolgen könnte, vermag für sich allein den Tatbestand eines Entlassungsgrundes nicht zu erfüllen.

Zu prüfen bleibt, ob der Umstand, daß der Kläger die Tätigkeit seiner Gattin nicht offenlegte, die Entlassung rechtfertigen kann. Zweifellos war dem Kläger bekannt, daß die beklagte Partei durch die Geschäftstätigkeit der P*****-Reisen Ges.m.b.H., insbesondere wegen des Abwerbens von Mitarbeitern und der unmittelbaren Konkurrenzsituation ganz besonders betroffen war. Unter diesen Umständen wäre wohl vom Kläger zu erwarten gewesen, daß er anläßlich der Gespräche, die im Zusammenhang mit dem Konkurrenzunternehmen geführt wurden und denen er beigezogen war, auf die Tätigkeit seiner Gattin hingewiesen hätte. Allerdings mußte ihm klar sein, daß er damit die Auflösung seines Dienstverhältnisses risikierte; tatsächlich hat ja die Kenntnis von der Tätigkeit der Gattin des Klägers die beklagte Partei letztlich veranlaßt, das Dienstverhältnis mit dem Kläger zu beenden. Es kann aber einem Dienstnehmer, der selbst keinerlei Verfehlungen begangen hat, nicht zugemutet werden, den Dienstgeber seine Angehörigen betreffenden Umständen, auch wenn diese im weiteren Sinne das Interesse des Dienstgebers berühren, zu informieren, wenn er erwarten muß, daß der Dienstgeber nach Kenntnis derselben das Dienstverhältnis beenden werde. In einem solchen Fall besteht ein Konflikt einerseits zwischen der Treuepflicht, die dem Dienstnehmer gebietet, den Dienstgeber von allen wesentlichen Belangen zu informieren und andererseits dem Interesse des Dienstnehmers an der Aufrechterhaltung des Dienstverhältnisses. Wenn der Dienstnehmer unter diesen Umständen seine Pflicht zur Information des Dienstgebers verletzt, begründet dies nicht ein die Entlassung rechtfertigendes Fehlverhalten.

Da sohin die Entlassung nicht berechtigt erfolgte, stehen dem Kläger die der Höhe nach unbestrittenen Ansprüche zu.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 ZPO sowie dem § 50 Abs 1 ZPO.

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