OGH 8ObS7/94

OGH8ObS7/9413.4.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag und Dr. Adamovic sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Meches und Anton Liedlbauer als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei F***** D*****, Bankkaufmann, ***** vertreten durch Dr. Johann Buchner, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei Arbeitsamt S*****, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1., Singerstraße 17-19, wegen 39.320 S netto sA, an Insolvenzausfallgeld, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 21. Dezember 1993, GZ 12 Rs 120/93-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 23. Juli 1993, GZ 19 Cgs 181/92v-7, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird abgeändert und das Urteil des Erstgerichtes wieder hergestellt.

Der Kläger hat seine Verfahrenskosten selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger nahm im Jänner 1991 über Vermittlung von Bekannten Kontakt mit Othmar R***** auf, der vorgab, als Konsulent für die Firma S***** GesmbH. Personal zu beschaffen. Er erhielt von Othmar R***** mehrmals Schreiben in Briefumschlägen mit dem Firmenzeichen der S***** Gesellschaft mbH. Eine Besprechung mit Othmar R***** fand in einem Büro statt, das sich im Bereich der S***** GesmbH in L***** befand. In diesem von Othmar R***** angemieteten Büro war auch eine Sekretärin tätig.

Der Kläger war vorerst der Ansicht, daß es sich bei der neu zu gründenden Gesellschaft, bei der er als Geschäftsführer angestellt werden sollte, um eine Tochterfirma der S***** GesmbH, L*****, handelte. Das von Othmar R***** angemietete Büro lag dem Bertiebsgebäude der S***** GesmbH in L***** gegenüber. In diesem Büro sollte der Kläger tätig sein. Othmar R***** übergab ihm einen Vertragsentwurf, in dem festgehalten war, daß er Geschäftsführer der Firma R***** GesmbH mit Sitz in L***** werden sollte.

Der Kläger erbat sich Bedenkzeit und ließ den Geschäftsführervertrag von einem Rechtsanwalt überprüfen, der ihm zu einigen Änderungen riet. Nachdem der Kläger Othmar R***** mit diesen rechtlichen Bedenken konfrontiert hatte, legte ihm letzterer einen mit 21. Jänner 1991 datierten Geschäftsführervertrag vor. Dieser Vertrag enthielt in seinen Punkten I und II folgende Regelungen:

"Art. I:

Zwischen der R***** AG, ***** und Herrn Franz D*****; ***** wird mit Unterzeichnungstage nachfolgender Geschäftsführervertrag errichtet.

Art. II:

Herr Franz D***** übernimmt mit 1. Februar 1991 die Geschäftsleitung der R***** AG, *****. Die Gesellschafter der Gesellschaft haben Herrn Franz D***** am 21. Jänner 1991 zum Geschäftsführer bestellt."

Sowohl der Kläger als auch Othmar R***** unterzeichneten diesen Geschäftsführervertrag. Othmar R***** unterzeichnete ihn als Verwaltungsrat der Firma R***** AG in V*****; tatsächlich war Othmar R***** zu keinem Zeitpunkt Verwaltungsrat der R***** AG in V*****. Die im Dienstvertrag aufscheinende R***** AG L***** wurde niemals gegründet.

In der Anmeldung des Klägers zur Sozialversicherung wurde als Dienstgeber die "Firma R***** GesmbH" mit Sitz in L***** angegeben.

Der Kläger trat vereinbarungsgemäß am 4. Februar 1991 seinen Dienst im Büro des Othmar R***** an. Dieser schilderte dem Kläger die geschäftlichen Vorhaben; er gab ihm auch einige Unterlagen und einige Prospekte betreffend den gegenständlichen Fachbereich. Am 6. Februar 1992 fuhr Othmar R***** weg und erschien nicht wieder. Der Kläger verrichtete weder für die oben genannten Firmen noch für Othmar R***** irgendwelche Tätigkeiten; seine einzige Tätigkeit bestand darin, in der Folge gemeinsam mit der Gendarmerie B***** und in Zusammenarbeit mit dem Arbeitsamt im Büro des Othmar R***** "detektivische Arbeiten" zu leisten, also die vorhandenen Unterlagen zu sichten.

Der Kläger beantragte bei der beklagten Partei die Zuerkennung von Insolvenzausfallgeld für offene Entgeltforderungen in Höhe von insgesamt 39.320,-- S.

Nach der Ablehnung dieses Antrages durch den Bescheid der beklagten Partei vom 4. November 1992 brachte der Kläger rechtzeitig die gegenständliche Klage auf Zuerkennung von Insolvenzausfallgeld in Höhe von 39.320,-- S ein und brachte hierin vor: Da die im Dienstvertrag als Dienstgeber aufscheinende R***** AG L***** niemals gegründet worden sei, habe ein Dienstverhältnis zu dieser Gesellschaft nicht begründet werden können. Ebensowenig habe ein Dienstverhältnis zur R***** AG in V***** bestanden, da ein Vertragsabschluß mit dieser Gesellschaft vom Kläger nicht beabsichtigt gewesen sei und der Kläger der Meinung gewesen sei, den Dienstvertrag zu einer R***** AG in L***** zu unterzeichnen. Da auch eine solche Gesellschaft tatsächlich nie gegründet bzw. ins Firmenbuch eingetragen worden sei, hafte der in ihrem Namen aufgetretene Vertreter. Als dieser scheine die R***** AG V***** auf. Da Othmar R***** jedoch unberechtigterweise für diese Gesellschaft gezeichnet habe, trete die Haftung des Othmar R***** als falsus procurator ein. Das Dienstverhältnis des Klägers habe durch Austritt während der Probezeit geendet. Seine Ansprüche gegenüber Othmar R*****, der bereits wenige Tage nach Antritt des Dienstverhältnisses für den Kläger nicht mehr erreichbar gewesen sei, hätten nicht eingebracht werden können. Es sei vom Kläger schließlich auch ein Antrag auf Eröffnung des Konkurses über das Vermögen des Othmar R***** gestellt worden, der mit Beschluß des Landesgerichtes Salzburg vom 12. November 1991 mangels hinreichenden Vermögens abgewiesen worden sei. Dem Kläger stehe an Gehalt für Februar 1991, anteiligen Sonderzahlungen für Februar 1991, Urlaubsabfindung, Fahrtkosten und Wohnkosten ein Betrag von insgesamt 39.320,-- S zu. Für diese Ansprüche aus dem Dienstverhältnis habe Othmar R***** als falsus procurator einzustehen.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, der Kläger habe mit der R***** AG mit Sitz in V***** einen Dienstvertrag geschlossen. Über dieses Unternehmen sei jedoch in Österreich kein Konkursverfahren oder diesem gleichstehendes Verfahren eröffnet worden. Selbst wenn man der Ansicht des Klägers folge, wonach er Geschäftsführer der R***** GesmbH in L***** hätte werden sollen, so habe der Kläger keinen Anspruch auf Insolvenzausfallgeld. Eine solche Gesellschaft sei nie gegründet worden, sodaß über diese auch kein Konkursverfahren habe eröffnet werden können und es schon deshalb an einer für einen Anspruch auf Insolvenzausfallgeld gemäß § 1 Abs 1 IESG notwendigen Voraussetzung fehle. Darüberhinaus hätte der Kläger bei seinem potentiellen Dienstgeber die Funktion eines Geschäftsführers übernehmen sollen. Gemäß § 1 Abs 6 Z 2 IESG stehe aber Mitgliedern des Organes einer juristischen Person, das zur gesetzlichen Vertretung der juristischen Person berufen sei, ein Anspruch auf Insolvenzausfallgeld nicht zu. Der Abschluß eines Dienstverhältnisses des Klägers mit Othmar R***** sei niemals beabsichtigt gewesen. Eine allfällige zivilrechtliche Haftung des Othmar R***** als falsus procurator könne daher keinen Anspruch auf Insolvenzausfallgeld begründen, da es sich hiebei nicht um einen Anspruch aus einem Arbeitsverhältnis im Sinne des IESG handle.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren unter Zugrundelegung des eingangs wiedergegebenen Sachverhaltes ab und führte aus: Da es weder zur Gründung einer R***** GesmbH in L***** noch einer R***** AG in L***** gekommen sei, habe es hinsichtlich dieser Unternehmen auch keine Konkurseröffnung bzw. ein der Konkurseröffnung in § 1 IESG gleichgestelltes Verfahren geben können. Es fehle daher schon an dieser Anspruchsvoraussetzung. Eine allfällige zivilrechtliche Haftung des Othmar R***** vermöge einen Anspruch des Klägers auf Insolvenzausfallgeld nicht zu begründen.

Über Berufung des Klägers hob das Berufungsgericht das erstgerichtliche Urteil auf und verwies die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück; es erklärte den Rekurs an den Obersten Gerichtshof für zulässig und führte in der Entscheidungsbegründung aus:

Der Verhandlungspartner des Klägers sei als Scheinvertreter für eine Gesellschaft mit Sitz in V*****, L*****, in Österreich tätig geworden, so daß gemäß § 49 Abs 3 IPRG bei Vertretung ohne Vollmacht österreichisches Recht anzuwenden sei. Der Scheinvertreter sei namens einer Handelsgesellschaft aufgetreten, so daß das (einseitige) Handelsgeschäft gemäß Art 8 Nr. 11 der 4. Einführungsverordnung zum HGB zu beurteilen sei. Der mit dem Kläger kontrahierende Scheinvertreter hafte für Erfüllungsansprüche des Klägers so, wie diese von der angeblich vertretenen Gesellschaft zu erfüllen gewesen wären, zumal nicht eingewendet worden sei, der Kläger habe den Vollmachtsmangel gekannt oder erkennen müssen. Es bestünden keine Bedenken, den Scheinvertreter als "Arbeitgeber" des Klägers im Sinne des § 1 Abs 1 IESG anzusehen. Der Ausschluß des § 1 Abs 6 Z 2 IESG sei nicht anzuwenden, der Kläger sei lediglich als Geschäftsführer designiert, dazu aber noch nicht formell bestellt worden. Das Erstgericht werde im fortzusetzenden Verfahren zu prüfen haben, ob gegen den Scheinvertreter ein vom Kläger gestellter Antrag auf Konkurseröffnung mangels Vermögens abgewiesen, weiters wann und wie das Arbeitsverhältnis beendet worden sei.

Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil eine Rechtsprechung zur Haftung des Scheinvertreters als "Arbeitgeber" im Sinne des § 1 Abs 1 IESG nicht bekannt sei.

Gegen den berufungsgerichtlichen Aufhebungsbeschluß richtet sich der Rekurs des beklagten Arbeitsamtes aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, den Beschluß aufzuheben und in der Sache dahin zu entscheiden, daß das erstgerichtliche Urteil wieder hergestellt werde.

Der Kläger beantragt in seiner Rekursbeantwortung, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig und berechtigt.

Die Rekurswerberin führt aus, die Haftung des Scheinvertreters für den Vertrauensschaden betreffe nicht einen Schadenersatz aus dem Arbeitsverhältnis im Sinne des § 1 Abs 2 IESG. Nur die Verletzung der Haupt- und Nebenpflichten aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis begründe einen Anspruch auf Insolvenzausfallgeld, nicht aber könnten Pflichtwidrigkeiten bei der Anbahnung eines Arbeitsverhältnisses einen solchen begründen.

Hiezu war zu erwägen:

Der Zweck des Insolvenzentgeltsicherungsgesetzes ist die sozialversicherungsrechtliche Sicherung von Entgeltansprüchen und sonstigen aus dem Arbeitsverhältnis erwachsenen Ansprüchen von Arbeitnehmern im Falle der Insolvenz ihres Arbeitgebers. Versichertes Risiko ist demnach im Kernbereich die von den Arbeitnehmern typischerweise nicht selbst abwendbare und absicherbare Gefahr des gänzlichen oder teilweisen Verlustes ihrer Entgeltansprüche, auf die sie typischerweise zur Bestreitung des eigenen Lebensunterhaltes sowie des Lebensunterhaltes ihrer unterhaltsberechtigten Angehörigen angewiesen sind (SZ 64/54). Diesem Zweck entspricht es, unter Schadenersatzansprüchen "aus dem Arbeitsverhältnis" nur solche Ansprüche zu verstehen, die mit den ein Arbeitsverhältnis kennzeichnenden Haupt- und Nebenpflichten in einem solchen Sachzusammenhang stehen, daß davon ausgegangen werden kann, die Ansprüche hätten ihren Entstehungsgrund letztlich im Arbeitsverhältnis (WBl 1992, 235 = SVSlg 39.196 = ARD 4394/17/92 = DRdA 1992, 383 = ecolex 1992, 354 = Infas 1992 A 103 = Jus extra 1992 Z/1054).

Der Kläger leitet seine Ansprüche nicht aus einer Verletzung eines gültig zustande gekommenen Arbeitsvertrages, sondern daraus ab, daß er gegenüber einem Scheinvertreter Ansprüche aus einem infolge Verstoßes gegen vorvertragliche Sorgfaltspflichten nicht gültig zustande gekommenen Arbeitsvertrag habe. Wie in dem der vorzitierten Entscheidung zugrundeliegenden Fall erwähnt auch hier der Kläger in seiner Parteienvernehmung, er habe sich bis zur Vereinbarung mit dem Scheinvertreter "in einem aufrechten Arbeitsverhältnis befunden" (Parteienvernehmung des Klägers ON 6, AS 31).

Ein derartiger aus der Verletzung vorvertraglicher Verpflichtungen resultierender Anspruch auf Ersatz des Schadens, der infolge der Aufgabe eines anderen Arbeitsverhältnisses anläßlich der Begründung des neuen Arbeitsverhältnisses entstanden ist, ist aber kein Schadenersatzanspruch aus dem neuen "Arbeitsverhältnis" im (engen) Sinn des § 1 Abs 2 Z 2 IESG (weiter gefaßt ist der Begriff einer Arbeitsrechtssache iS des § 50 Abs 1 ASGG, wie er in den Worten "im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis oder mit dessen Anbahnung" zum Ausdruck kommt.) (WBl 1992, 235 u.a.).

Das Insolvenzentgeltsicherungsgesetz sichert nur vor Schäden des Arbeitnehmers aus der Zahlungsunfähigkeit seines Arbeitgebers, nicht aber hinsichtlich Vertrauensschäden eines Arbeitnehmers, der mit einem fälschlich vertretenen oder nicht existenten Arbeitgeber einen Arbeitsvertrag abzuschließen vermeint.

Daraus, daß die Haftung des Vertreters ohne Vertretungsmacht bis zum Erfüllungsinteresse reicht, ist für den Kläger nichts zu gewinnen, da es sich bei der Haftung gemäß Art 8 Nr. 11 d. 4. EVOz HGB jedenfalls um einen Anwendungsfall der Haftung für culpa in contrahendo handelt (Schuhmacher-Straube, HGB, Rz 1 zu Art. 8 Nr. 11 nach § 362).

Bei dieser Rechtslage ist auf die Frage, ob hier ohnehin auch der Ausschlußgrund gemäß § 1 Abs 6 Z 2 IESG zum Tragen käme, nicht mehr einzugehen.

Da somit eine Haftung der beklagten Partei für den Vertrauensschaden des Klägers zu verneinen ist, weil der falsus procurator nicht als Arbeitgeber im Sinne des § 1 Abs 2 IESG gilt, bedarf es nicht der vom Berufungsgericht vermißten ergänzenden Feststellungen; es kann daher gemäß § 519 Abs 2 dritter Satz ZPO in der Sache erkannt und das zutreffende klageabweisende Urteil des Erstgerichtes wieder hergestellt werden.

Die Entscheidung über die Verfahrenskosten gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG; besondere Billigkeitsgründe, die einen Kostenzuspruch trotz Unterliegens des Klägers rechtfertigen könnten, wurden von ihm weder bescheinigt noch sind solche der Aktenlage zu entnehmen (SSV-NF 1/19; 2/26 und 27).

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