OGH 5Ob526/94

OGH5Ob526/9412.4.1994

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schwarz, Dr. Floßmann, Dr. Adamovic und Dr. Baumann als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Mj. Florian K*****, geboren am 4. Juli 1984, und Katharina K*****, geboren am 15. April 1983, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der beiden Kinder, vertreten durch ihre Mutter Gabriele K*****, ***** diese vertreten durch Dr. Helene Klaar, Rechtsanwältin in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgericht vom 20. Oktober 1993, GZ 43 R 621, 623/93-28, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 21. Juli 1993, GZ 5 P 233/84, 5 P 122/92-23, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden in ihrem jeweils abweislichen, noch nicht in Rechtskraft erwachsenen Teil aufgehoben; soweit dem in zweiter Instanz noch bekämpft gebliebenen Unterhaltsbegehren der Kinder nicht Folge gegeben wurde (monatlich je S 2.100,-- vom 1. August 1989 - 31. Dezember 1989, S 2.700,-- vom 1. Jänner 1990 - 31. Dezember 1990, S 2.400,-- vom 1. Jänner 1991 - 31. Dezember 1991, S 850,-- vom 1. Jänner 1992 - 31. Dezember 1992 und S 2.000,-- ab 1. Jänner 1993), wird die Rechtssache zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung

Die beiden Minderjährigen sind uneheliche Kinder des Mag. Heinz W***** und begehren nunmehr die Erhöhung des ihnen vom Vater in Vereinbarungen vom 13. Mai 1983 bzw. 21. August 1984 versprochenen Unterhalts von monatlich je S 2.000,--. Ihr ursprünglicher Antrag ging dahin, ihren Vater unter Anrechnung bisher geleisteter Zahlungen ab 1. August 1989 zu monatlichen Unterhaltsleistungen von je S 7.000,-- zu verpflichten; durch ihren Rechtsmittelantrag im Rekurs gegen den erstinstanzlichen Unterhaltsbemessungsbeschluß ist nunmehr klargestellt, daß sie für die Zeit vom 1. August 1989 bis 31. Dezember 1989 monatlich je S 6.100,--, für die Zeit vom 1. Jänner 1990 bis zum 31. Dezember 1990 monatlich je S 6.700,--, für die Zeit vom 1. Jänner 1991 bis zum 31. Dezember 1991 monatlich je S 6.900,--, für die Zeit vom 1. Jänner 1982 bis 31. Dezember 1992 monatlich je S 5.850,-- und für die Zeit ab 1. Jänner 1993 (für den es noch einer genauen Feststellung der Unterhaltsbemessungsgrundlage bedürfe) monatlich je S 7.000,-- verlangen. Die anrechenbaren Zahlungen des Vaters belaufen sich auf S 139.250,-- je Kind für die Zeit vom 1. August 1989 bis zum 31. Juli 1993.

Das Erstgericht stellte fest, daß der Vater, ein Fachgruppensekretär der Handelskammer ***** sowie Leiter von Kursen und Seminaren im WIFI *****, im Jahr 1989 durchschnittlich S 47.000,-- monatlich netto verdiente, 1990 S 51.600,--, 1991 S 53.000,-- und seit 1992 S 45.000,-- (wobei der zuletzt angeführte Nettoverdienst im Gegensatz zu den früheren offensichtlich keine Nebeneinkünfte enthält) und bemaß den monatlichen Geldunterhaltsanspruch der Kinder wie folgt:

Für die Zeit vom 1. August 1989 bis zum 31. Dezember 1989 je S 4.500,--, für die Zeit vom 1. Jänner 1990 bis zum 31. Dezember 1990

je S 4.700,--, für die Zeit vom 1. Jänner 1991 bis zum 30. April 1991

je S 4.800,--, für die Zeit vom 1. Mai 1991 bis zum 31. Dezember 1991 je S 5.000,-- und ab 1. Jänner 1992 je S 5.200,--. Dabei wurde angenommen, daß der Vater "bis Mai 1991 gesetzlich noch für vier weitere Kinder zu sorgen hatte, ab Mai 1991 für drei", doch ist jetzt klargestellt, daß bis einschließlich April 1992 zusätzliche Sorgepflichten für zwei eheliche Kinder bestanden (für den am 15. Dezember 1967 geborenen Bernd sowie die am 29. April 1969 geborene Elke); seit Anfang Mai 1992 ist Mag. Heinz W***** außer für die hier ihren Unterhalt einfordernden unehelichen Kinder nur noch für ein weiteres eheliches Kind sorgepflichtig.

Das sowohl vom Vater (der monatlich nur S 3.000,-- je Kind zahlen wollte) als auch von der Mutter namens der Kinder angerufene Rekursgericht änderte den erstinstanzlichen Beschluß dahin ab, daß es die vom Vater zu erbringenden monatlichen Unterhaltsleistungen mit je S 4.000,-- für die Zeit vom 1. August 1989 bis 31. Dezember 1990, mit je S 4.500,-- für die Zeit vom 1. Jänner 1991 bis zum 31. Dezember 1991 und mit je S 5.000,-- ab 1. Jänner 1992 festsetzte. Das auf den ursprünglichen Antrag, den Kindern ab 1. August 1989 monatlich je S 7.000,-- zu zahlen, bezogene Mehrbegehren wies das Rekursgericht ab und setzte sich damit über die Rechtskraft des unangefochten gebliebenen Teils der erstrichterlichen Antragsabweisung hinweg, doch bedarf es keiner weiteren Auseinandersetzung mit diesem marginalen Nichtigkeitsgrund, weil er in der gänzlichen Aufhebung des abweislichen Teils des zweitinstanzlichen Beschlusses aufgeht und bereits im Spruch dieser Entscheidung klargestellt wurde, daß das Verfahren nur über das im Rekurs der Kinder vom 11. August 1993 (ON 24) formulierte Mehrbegehren fortzusetzen ist.

Die Abweisung des Mehrbegehrens begründete das Rekursgericht damit, daß bei der Unterhaltsbemessung der Bedarfsaspekt nicht außer Acht gelassen werden dürfe und eine unvernünftige Überalimentierung der Kinder zu vermeiden sei. Aus pädagogischer Sicht könne nämlich ein Zuviel an Unterhalt auch negative Auswirkungen haben. Im übrigen sprächen Gründe der Übersichtlichkeit und der leichteren Evidenzhaltung dafür, die Unterhaltsbeträge klar und über längere Zeiträume zu staffeln.

Die Entscheidung des Rekursgerichtes enthält den Ausspruch, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Rechtsfragen in der Qualitität des § 14 Abs 1 AußStrG lägen nämlich nicht vor.

In ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs gegen diesen Beschluß macht nunmehr die Mutter namens der Kinder geltend, daß es an nachvollziehbaren Gründen und vor allem auch an Judikaturbelegen fehle, die es rechtfertigen könnten, die Grenze für eine "vernünftige", den Kindern zuträgliche Alimentierung beim ca 1,5-fachen des Regelbedarfs zu ziehen. Die Judikatur des Obersten Gerichtshofes gehe vielmehr dahin, die Prozentkomponente in der Regel bis zum 2,5-fachen des Durchschnittsbedarfs auszuschöpfen, sodaß die Kinder jeweils mehr als S 7.000,-- monatlich von ihrem Vater hätten verlangen können. Warum es pädagogisch bedenklich sein sollte, einem Kind - wie im gegenständlichen Fall geschehen - S 200,-- monatlich mehr oder weniger an monatlichem Geldunterhalt zuzugestehen, sei völlig unerfindlich. Im übrigen könne genausogut mit der pädagogischen Unvertretbarkeit einer Unterhaltsbemessung argumentiert werden, die ein Kind nicht an den gehobenen Lebensverhältnissen des Vaters teilhaben läßt, also eine Unteralimentierung bewirkt. Der von den Kindern begehrte Unterhalt lasse sich im übrigen in pädagogisch durchaus sinnvoller Weise verwenden, etwa für bessere Kleidung, Urlaub, sportliche Betätigung usw. Der Revisionsrekursantrag geht dahin, den angefochtenen Beschluß entweder im Sinne des bereits dargestellten (im Rechtsmittel an die zweite Instanz enthaltenen) Begehrens abzuändern oder aber aufzuheben und dem Erstgericht aufzutragen, seiner Begründungspflicht in einer neu zu fällenden Entscheidung nachzukommen.

Der Revisionsrekurs ist zulässig und im Sinne seines Aufhebungsbegehrens auch begründet.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 140 Abs 1 ABGB, der unterschiedslos für eheliche und uneheliche Kinder gilt (§ 166 ABGB), ist der Unterhaltsanspruch eines Kindes nicht nur an dessen existentiellem Bedarf, sondern auch an den Lebensverhältnissen des Unterhaltsschuldners auszurichten; der bloße Zuspruch des Regelbedarfes ohne Berücksichtigung der Lebensverhältnisse der Eltern würde dem Gesetz widersprechen (Purtscheller - Salzmann, Unterhaltsbemessung, Rz 3 E 3; JBl 1991, 40; RZ 1991, 99/26; ÖA 1993, 19 ua) und müßte zur Wahrung der Rechtssicherheit auch auf Grund eines außerordentlichen Rechtsmittels korrigiert werden.

Eine Unterhaltsbemessung nach der Prozentsatzmethode wird in Durchschnittsfällen beiden Anforderungen gerecht. Soll einem Kind weniger oder mehr zugesprochen werden, als sich nach dieser Bemessungsmethode ergibt, bedarf es daher einer besonderen Rechtfertigung der Abweichung. Sie wird bei besonders großem Leistungsvermögen des Unterhaltsschuldners darin gesehen, daß es durch den Zweck der Unterhaltsleistung nicht geboten und aus pädagogischen Gründen sogar abzulehnen ist, Luxusbedürfnisse des Kindes zu befriedigen. Die Prozentkomponente ist daher nicht voll auszuschöpfen, wenn es nach diesen Kriterien zu einer verschwenderischen, vom vernünftigen Bedarf eines Kindes völlig losgelösten Überalimentierung kommen würde (vgl. JBl 1991, 40; ÖA 1992, 88; ÖA 1992, 112/45 ua).

Wo demgemäß die Grenzen einer den Bedürfnissen des Kindes und dem Leistungsvermögen des Unterhaltsschuldners angemessenen Alimentierung zu ziehen sind, läßt sich nur im Einzelfall beurteilen. Als Regel für den Durchschnittsfall kann gelten, daß wegen des pädagogischen wichtigen Leistungsanreizes vermieden werden soll, die Unterhaltsleistung an das die Selbsterhaltungsfähigkeit herstellende Einkommen eines voll Erwerbstätigen heranzuführen; es wird aber auch die Praxis gebilligt, den Unterhalt eines Kindes mit dem Zweieinhalbfachen des Regelbedarfes zu limitieren (RZ 1991, 283/86; ÖA 1992, 88; ÖA 1992, 147 ua). Selbst Fälle, in denen die Grenze beim Zweifachen des Regelbedarfs gezogen wurde, hat der Oberste Gerichtshof nach Maßgabe des § 14 Abs 1 AußStrG als nicht korrigierungsbedürftig angesehen, weil der dem Gericht bei der Unterhaltsbemessung eingeräumte Wertungsspielraum nicht verlassen wird, solange sich die Unterhaltsfestsetzung in diesem Rahmen bewegt (vgl. auch 6 Ob 606/90; 7 Ob 671/90; 8 Ob 1688/92 ua).

Wird allerdings - wie im gegenständlichen Fall - die Grenze für die Ausschöpfung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners noch niedriger gezogen, bedarf es einer besonderen, alle Lebensumstände des Kindes und seiner Eltern berücksichtigenden Begründung der Unterhaltsbemessung, um den vordergründigen Verdacht einer mit der Rechtssicherheit nicht mehr zu vereinbarenden Unausgewogenheit des Ergebnisses zu entkräften. Hier bemängeln die Revisionsrekurswerber zu Recht, daß die Unterhaltsbemessung deutlich hinter dem Doppelten des Regelbedarfs zurückblieb (für das Jahr 1992 wurde den Kindern beispielsweise nicht einmal das 1,8-fache des vom BMfJ statistisch erhobenen Durchschnittsbedarfes zuerkannt: Purtscheller - Salzmann aaO, Rz 7), ohne auf die näheren Lebensumstände von Eltern und Kindern einzugehen und konkret anzugeben, welche pädagogisch bedenkliche Entwicklung die Kinder nehmen könnten, wenn sie von ihrem Vater unter (verstärkter) Ausschöpfung der Prozentkomponente (siehe näheres bei Purtscheller - Salzmann aaO, Rz 14 f) alimentiert werden.

Diese Begründungsmängel zwingen zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Rückverweisung der Sache an das Erstgericht, da zur abschließenden Entscheidung eine nähere Prüfung der in § 140 Abs 1 ABGB normierten Anspruchsgrundlagen notwendig erscheint. Erst eine nähere Kenntnis der Lebensverhältnisse der Eltern und ein Eingehen auf die konkreten Bedürfnisse der Kinder unter Berücksichtigung ihrer Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten werden Klarheit bringen, ob mit den bisher zuerkannten Unterhaltsbeträgen nach dem Maßstab des Gesetzes das Auslangen zu finden ist.

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