OGH 9ObA52/94

OGH9ObA52/946.4.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Dipl.Ing.Dr.Hans Peter Bobek und Erwin Macho als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Helga L*****, Angestellte, *****vertreten durch Dr.Werner Posch, Rechtsanwalt in Gloggnitz, wider die beklagten Parteien 1.) Karl S***** OHG, 2.) Karl-Heinz S*****, Kaufmann,***** beide vertreten durch Dr.Kurt Lechner, Rechtsanwalt in Neunkirchen, wegen S 132.734,87 brutto und S 239,06 netto sA (im Revisionsverfahren S 127.895,20 brutto sA), infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16.Dezember 1993, GZ 33 Ra 138/93-10, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes Wr.Neustadt als Arbeits- und Sozialgericht vom 14. April 1993, GZ 3 Cga 27/93-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision, die im Umfang der Kostenrüge zurückgewiesen wird, wird nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 7.468,56 (darin S 1.244,76 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war bei der erstbeklagten Partei vom 5.1.1981 bis 15.10.1992 als Angestellte beschäftigt. Ihr Arbeitsverhältnis endete durch vorzeitigen Austritt gemäß § 26 Z 2 AngG.

Mit der vorliegenden Klage begehrt sie letztlich S 132.734,87 brutto und S 239,06 netto sA an restlichem Gehalt, Urlaubsentschädigung, Kündigungsentschädigung und Abfertigung. Ihr Austritt sei berechtigt erfolgt, da ihr die beklagte Partei das zustehende Gehalt vorenthalten habe.

Die beklagten Partei beantragten, das Klagebegehren abzuweisen. Der Austritt der Klägerin sei plötzlich und überraschend erfolgt, zumal mit ihr eine Stundungsvereinbarung bestanden habe. Sie habe überdies die Organisationsschwäche der erstbeklagten Partei dazu benützt, daß dieser die schriftliche Nachfristsetzung und Austrittsankündigung verspätet zugekommen sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit S 127.895,20 brutto sA statt; das Mehrbegehren wies es ab. Es traf im wesentlichen folgende Feststellungen:

Die erstbeklagte Partei betreibt in W***** ein Lebensmittel- und Textilgeschäft, um dessen Belange sich in erster Linie die am 21.11.1992 verstorbene Gesellschafterin Christine S***** kümmerte. Der Zweitbeklagte, der ebenfalls Gesellschafter ist, war primär für den Filialbetrieb in W***** N***** zuständig. Wenn die Mitgesellschafterin verhindert war, wurde er aber auch in W***** tätig. Er suchte jedenfalls grundsätzlich in den Morgen-, Mittags- und späten Nachmittagsstunden auch den Betrieb in W***** auf.

Die Klägerin arbeitete im Geschäft in W*****. Seit der Jahreswende 1991/92 erhielt sie ihr Gehalt nicht mehr pünktlich, sondern (ausgehend von einer Fälligkeit am Monatsletzten: § 15 AngG) erst mit einer rund zwei- bis zweieinhalbmonatigen Verspätung ausgezahlt. Die Klägerin war zwar zunächst bereit, ein längeres Zahlungsziel zu akzeptieren. Sie sprach die Mitgesellschafterin aber immer wieder darauf an, daß die Gehaltszahlungen nicht dermaßen verspätet geleistet werden dürften, wie es tatsächlich der Fall war. Die Rückstände müßten zumindest um einen Monat verkürzt werden. Eine solche Verkürzung fand aber nicht statt. Die Mitgesellschafterin übergab den Angestellten für ihr Zuwarten monatlich Warengutscheine im Wert von je S 1.000,--, die von ihnen eingelöst wurden.

Da am Dienstag, den 6.10.1992 bereits ein Rückstand von drei Monatsgehältern (Juli, August und September 1992) bestand, trat die Klägerin an die Mitgesellschafterin heran und forderte sie auf, ihr jetzt mindestens zwei Gehälter nachzuzahlen, weil ihr Konto überzogen sei; sie brauche daher Geld. Den angebotenen Warengutschein für Oktober lehnte sie ab. Die Mitgesellschafterin tat diese Forderung aber damit ab, daß sie erklärte: "Von wo soll ich das Geld hernehmen, ich habe es nicht". Daraufhin verfaßte die Klägerin nach Rechtsberatung am 8.10.1992 ein an die erstbeklagte Partei gerichtetes Schreiben, in dem sie auf Grund der erfolglos gebliebenen mehrmaligen mündlichen Interventionen nunmehr schriftlich eine Nachfrist für die Zahlung der drei Monatsgehälter bis 15.10.1992 setzte, widrigenfalls sie gemäß § 26 AngG vorzeitig austrete. Dieses Schreiben gab sie noch am selben Tag eingeschrieben zur Post.

Die diesen Brief betreffende Abholaufforderung gelangte am 9.10.1992 in das Postfach der erstbeklagten Partei. Die Postabholung fand bei der erstbeklagten Partei in der Weise statt, daß entweder ein Angestellter den Auftrag erhielt, die Post zu holen, oder "irgendein" Beschäftigter diese holte. Generelle Anordnungen bestanden nicht. Als die Klägerin am 14.10.1992 (Mittwoch) zur Post ging, behob sie auch ihr Schreiben vom 8.10.1992 und legte es auf den Schreibtisch der Mitgesellschafterin, die allerdings seit 13.10.1992 bereits im Krankenhaus war. Die Klägerin nahm an, daß der Zweitbeklagte während der Abwesenheit der Mitgesellschafterin die Post öffne und sichte.

Die Klägerin erkundigte sich in den Morgenstunden des 16.10.1992 bei ihrer Bank, ob das Geld eingelangt sei. Sie erhielt die Mitteilung, daß lediglich ein Betrag von S 9.746,06 (Gehalt für Juli), der am 12.10.1992 überwiesen wurde, eingelangt sei. Da somit das August- und Septembergehalt noch immer ausständig war, verwirklichte die Klägerin ihren Austritt, indem sie ab 16.10.1992 ihre Tätigkeit für die erstbeklagte Partei einstellte. Es kann nicht festgestellt werden, daß die Klägerin davon ausgegangen wäre, daß die beklagten Parteien vom Inhalt ihres Schreibens erst nach dem 15.10.1992 Kenntnis erlangen würden.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß die Setzung einer Nachfrist nicht mehr erforderlich gewesen sei, da die Klägerin bereits am 6.10.1992 unmißverständlich "ihr Geld" gefordert und die Entgegennahme eines Warengutscheines verweigert habe. Da die Mitgesellschafterin die Forderung der Klägerin mit dem Hinweis auf die mangelnde Liquidität abgelehnt habe, sei der Austritt der Klägerin schon dadurch gerechtfertigt. Abgesehen davon sei auch das Schreiben der Klägerin beachtlich, da es schon am 9.10.1992 in die Machtsphäre des Arbeitgebers gelangt sei, der sich demgegenüber nicht auf subjektive Organisationsmängel berufen könne.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung in der Hauptsache. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichtes und führte ergänzend aus, daß die Klägerin mit einem rechtzeitigen Zugehen ihres Schreibens habe rechnen können, da die Mitgesellschafterin erst ab 13.10.1992 im Spital gewesen sei. Somit gehe der Hinweis der beklagten Parteien auf § 17 Abs 2 ZustG ins Leere.

Gegen dieses Urteil richtet sich die aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der beklagten Parteien mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde; in eventu wird die Berichtigung der Kostenentscheidung erster Instanz auf einen Kostenzuspruch von S 22.533,04 begehrt.

Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben und die Kostenrüge zurückzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Mit ihren Ausführungen, die Klägerin habe die Verzögerungen der Gehaltszahlungen weiterhin toleriert und hätte, da ihr bekannt gewesen sei, daß ihr Schreiben nicht rechtzeitig gelesen werde, den Austritt überraschend vorgenommen, gehen die Revisionswerber nicht von den Feststellungen der Vorinstanzen aus. Richtig ist, daß ein Angestellter, der Zahlungsrückstände über längere Zeit hinnimmt, diese Tatsache nicht zum Anlaß eines plötzlichen Austritts nehmen kann (vgl Martinek-M.Schwarz-W.Schwarz, AngG7 576 f mwH). Nach den für den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen der Vorinstanzen war aber die Klägerin nur anfänglich bereit, einen gewissen Zahlungsrückstand zu akzeptieren. Sie sprach die Mitgesellschafterin aber "immer wieder" darauf an, daß die Gehaltszahlungen nicht dermaßen (und bei der Höhe des Gehalts unzumutbar) verspätet geleistet werden dürften. Die Rückstände müßten zumindest um einen Monat verkürzt werden. Sie hat damit die Rückstände nicht stillschweigend geduldet, sondern diese zumindest teilweise wiederholt eingemahnt. Daran kann auch die Annahme eines Warengutscheins nichts ändern, da dieser kein Äquivalent für das nicht erhaltene Gehalt war. Hätte die Klägerin den Gutschein abgelehnt, hätte sie gar nichts erhalten.

Im Hinblick auf diese ständigen Mahnungen kommt der am 6.10.1992 erhobenen Forderung der Klägerin, ihr "jetzt" mindestens zwei Gehälter nachzuzahlen, da ihr Gehaltskonto überzogen sei, entscheidendes Gewicht zu. Da die Klägerin auch den angebotenen Warengutschein ablehnte, mußte der Mitgesellschafterin klar sein, daß die Klägerin eine weitere Verzögerung hinsichtlich der überfälligen Gehälter für Juli und August nicht mehr hinnehmen werde. Die Mitgesellschafterin hätte daher die Forderung nicht schlichtweg ablehnen dürfen, sondern hätte darauf unverzüglich reagieren müssen. Die Klägerin war daher schon auf Grund der abschlägigen Antwort, es sei kein Geld da, zum vorzeitigen Austritt berechtigt (vgl Arb 6.193, 9.609, 9.917, 10.471 uva). Dadurch, daß die Klägerin den beklagten Parteien ohnehin noch eine Nachfrist bis 15.10.1992 gewährte, ist dieses Austrittsrecht entgegen der Ansicht der Revisionswerber nicht untergegangen. Dazu kommt, daß bei einer Personengesellschaft (OHG, KG) die persönlich haftenden Gesellschafter Arbeitgeber sind (vgl Schwarz-Löschnigg ArbR4 129). Da auch der Zweitbeklagte persönlich haftender Gesellschafter war, trafen ihn sohin Arbeitgeberpflichten, so daß auch er die Dinge - insbesondere bei krankheitshalber Verhinderung der Mitgesellschafterin - nicht einfach hätte laufen lassen dürfen (vgl Rummel in Rummel2 ABGB § 862 a Rz 2 f).

Entscheidungen des Berufungsgerichtes über Verfahrenskosten (Kostenpunkt) sind gemäß § 528 Abs 2 Z 3 ZPO nicht anfechtbar; diese Rechtsmittelbeschränkung gilt auch für eine in der Revision erhobene Kostenrüge (9 ObA 133/91; 9 ObA 184/92; 9 ObA 185/92; RZ 1992/96 mwH uva).

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens ist in den §§ 41 und 50 ZPO begründet.

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