OGH 6Ob648/93

OGH6Ob648/9324.3.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Vogel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel, Dr.Redl, Dr.Kellner und Dr.Schwarz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** Gemeinnützige Baugenossenschaft ***** registrierte Genossenschaft mbH, ***** vertreten durch Dr.Udo Kaiser, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Klaus *****, vertreten durch Dr.Kurt Lechner, Rechtsanwalt in Neunkirchen, wegen Aufkündigung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt als Berufungsgerichtes vom 8.September 1993, GZ R 284/93-13, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Gloggnitz vom 22.April 1993, GZ C 26/93 -8, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichtes wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig der klagenden Partei an Kosten des Berufungsverfahrens S 5.741,04 (darin S 956,84 USt) und an Kosten des Revisionsverfahrens S 4.699,20 (darin S 483,20 USt und S 1.800,-- PG) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die klagende Partei, eine gemeinnützige Baugenossenschaft, errichtete auf mehreren Liegenschaften in G***** 1957 14 Einfamilienhäuser. Für neun dieser Siedlungshäuser gewährten die Österreichischen Bundesbahnen Darlehen in der Höhe der Grundkosten und des nichtgeförderten Teiles der Baukosten. Die klagende Partei räumte hiefür der Kreditgeberin auf die Dauer von 80 Jahren die Dienstbarkeit des Fruchtgenusses in der Weise ein, daß die mit Hilfe der Kredite hergestellten Häuser mit je einer Wohnung nur an die von der Kreditgeberin bezeichneten Personen vermietet werden durften und der Kreditgeberin das Recht eingeräumt wurde, einen Mieter nach §§ 19 Abs 1 und Abs 2 Z 7 oder 9a MG oder nach den in Zukunft an deren Stelle tretenden gesetzlichen Bestimmungen zu kündigen. Die klagende Partei ist auch verpflichtet, auf Verlangen der Kreditgeberin die angeführten Kündigungsgründe selbständig im eigenen Namen, jedoch auf Kosten der Kreditgeberin geltend zu machen.

Auf Grund interner Vereinbarung der Österreichischen Bundesbahnen und der Gewerkschaft der Eisenbahnbediensteten haben die ÖBB-Bediensteten des Aktiv- und Ruhestandes Anspruch auf Zuweisung einer ÖBB-Dienstwohnung oder einer von den ÖBB finanzierten Genossenschaftswohnung. Aus sozialen Gründen ist beim Tod eines ÖBB-Bediensteten das "Umschreiben" eines Mietvertrages auf dessen Hinterbliebene für den Fall vorgesehen, daß der Hinterbliebene einen Versorgungsgenuß nach dem Verstorbenen, also eine Witwen- oder Waisenpension bezieht, solange ein solcher Versorgungsgenuß gewährt wird. Eine Zuweisung freigewordener oder neu gebauter Wohnungen durch die ÖBB erfolgt räumlich nach dem Wunsch des jeweiligen Antragstellers.

Derzeit bestehen von Dienstnehmern der ÖBB neun Ansuchen um Zuweisung einer Wohnung im Raum G*****; im Streckenraum N*****, in welchem sich auch G***** befindet, bestehen insgesamt 15 Bewerbungen. Im Raum G***** gibt es 20 Personalwohnungen der ÖBB und 16 Genossenschaftsobjekte der klagenden Partei, für die ein Zuweisungsrecht der ÖBB besteht; alle Objekte sind belegt.

Im Raum Wien gibt es 6.800 Genossenschaftswohnungen, die nach Zuweisung der ÖBB ausschließlich an deren Bedienstete vergeben sind, und rund 2.500 Mietwohnungen. Kein Bestandobjekt ist verfügbar. Es warten allein in Wien 1.600 ÖBB-Bedienstete mit österreichischer Staatsbürgerschaft und rund 400 Gastarbeiter mit mehr als 20-jähriger Beschäftigung bei den ÖBB auf die Zuweisung einer Dienstwohnung.

Das aus zwei Zimmern, zwei Kammern, Küche, Waschküche kombiniert mit Bad, WC und zwei Fluren im Ausmaß von rund 80 m2 bestehende Siedlungshaus wurde nach der Errichtung dem ÖBB-Bediensteten Walter W***** zugewiesen; mit ihm wurde ein Nutzungsvertrag errichtet. Nach seinem Ableben im 46. Lebensjahr stellte seine Witwe Johanna W***** den Antrag auf Zuweisung des Bestandobjektes. Nach Überprüfung der Voraussetzungen - das Vorliegen eines Versorgungsgenusses - wurde die klagende Partei von der ÖBB angewiesen, mit der Witwe einen Mietvertrag abzuschließen, was am 30.11.1962 auch geschah.

Der 1960 geborene Beklagte lebte seit seiner Geburt mit Johanna W*****, seiner Großmutter, bis zu deren Ableben am 23.1.1992 in Hausgemeinschaft und verblieb in der Wohnung. Er meldete den Tod seiner Großmutter eine Woche nach deren Ableben beim Bahnhofsvorstand in G*****. Dem Beklagten wurde der Nachlaß der Verstorbenen am 9.5.1992 eingeantwortet.

Mit Schreiben vom 25.6.1992 forderten die ÖBB den Beklagten zur Räumung der Genossenschaftswohnung bis längstens 30.9.1992 zum Zwecke der Weitervermietung an einen ÖBB-Bediensteten auf und drohten für den Fall des fruchtlosen Verstreichens der Frist die Einleitung gerichtlicher Schritte an. Eine Durchschrift dieses Schreibens erging an die klagende Partei.

Mit Schreiben vom 12.10.1992 teilten die ÖBB der klagenden Partei mit, daß der Beklagte die Wohnung nicht geräumt habe, ersuchten um Einbringung einer Räumungsklage und erteilten mit Schreiben vom 1.12.1992 den Auftrag zur Einbringung einer Aufkündigung nach § 30 Abs 1 MRG.

Mit der am 12.1.1993 beim Erstgericht eingelangten Aufkündigung begehrte die klagende Partei, gestützt auf §§ 30 Abs 1 und 30 Abs 2 Z 10 MRG, den Beklagten zur Räumung zu verpflichten. Es bestehe ein dringender Bedarf der ÖBB an dem Bestandobjekt für deren Betriebsangehörige.

Der Beklagte wandte ein, er sei nach dem Tode seiner Großmutter gemäß § 14 Abs 3 MRG in das Mietverhältnis eingetreten. Der geltendgemachte Kündigungsgrund sei verfristet. Er bestritt ferner den dringenden Bedarf der ÖBB an dem Bestandobjekt.

Das Erstgericht erklärte die Aufkündigung für rechtswirksam und verpflichtete den Beklagten zur Räumung. Das Mietobjekt habe der Unterbringung von Arbeitnehmern der ÖBB gedient. Der Abschluß eines Nutzungsvertrages mit der Witwe nach einem ÖBB-Bediensteten sei aus sozialen Gründen erfolgt. Der Eintritt des Beklagten in den Vertrag nach § 14 Abs 3 MRG hindere eine Aufkündigung nicht, weil ein dringender Bedarf der ÖBB an dem Objekt zur Unterbringung eigener Arbeitnehmer bestehe. Eine Verfristung des Kündigungsgrundes sei nicht gegeben. Die Verlassenschaft sei dem Beklagten erst am 19.5.1992 eingeantwortet worden; die Aufforderung an den Beklagten zur Räumung sei unmittelbar darauf erfolgt. Wenn von der Möglichkeit einer Kündigung im Falle eines dringenden Bedarfes kein Gebrauch gemacht werde, so bedeute dies überdies auch noch keinen Verzicht auf das Kündigungsrecht wegen Bedarfes für alle Zukunft.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten Folge und änderte das Ersturteil im Sinne einer Klagsabweisung ab.

Wenn eine gemeinnützige Wohnungsgenossenschaft mit einem Unternehmen ein Bestandrecht an Wohnungen für dessen Werksangehörige vereinbare und eine solche Wohnung für diesen Zweck benötigt werde, sei bis auf die mangelnde Identität zwischen Vermieter und Dienstgeber der Tatbestand des § 30 Abs 2 Z 10 MRG und damit ein Kündigungsgrund nach § 30 Abs 1 MRG gegeben. Mangels weitergehender Behauptungen der klagenden Partei seien nur Feststellungen über den allgemeinen Wohnungsbedarf der ÖBB getroffen worden; der erforderliche Bedarfsnachweis sei jedoch nicht erbracht. Bei Geltendmachung des dringenden Bedarfes für Betriebsangehörige müsse zwar die Person, für die eine bestimmte Wohnung vorgesehen sei, nicht individualisiert werden. Ein qualifizierter Bedarf sei aber insoweit erforderlich, als solche Betriebsangehörige vorhanden sein müßten, für die die aufgekündigte Wohnung zur Vermeidung unverhältnismäßig weiter Anmarschwege oder zur Beseitigung einer unzureichenden Unterbringung benötigt werde.

Den Feststellungen des Erstgerichtes sei nur zu entnehmen, daß grundsätzlich sowohl im Raum G***** als auch im Raum Wien mehr ÖBB-Wohnungsbewerber als zur Verfügung stehende Wohnungen vorhanden seien, nicht aber, ob für einen oder mehrere dieser Bewerber ein Bedarf zur Vermeidung unverhältnismäßig weiter Anmarschwege oder zur Beseitigung einer unzureichenden Unterbringung gegeben sei. Da die klagende Partei Behauptungen, welche durch Zeugenaussagen oder Urkunden nicht ersetzbar seien, in dieser Richtung nicht aufgestellt habe, sei das Erstgericht auch nicht gehalten gewesen, Feststellungen in dieser Richtung zu treffen. Das Klagebegehren sei daher schon aus diesem Grunde abzuweisen.

Das Berufungsgericht sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei, weil es die Voraussetzungen des Bedarfsnachweises strenger beurteilt habe, als der Oberste Gerichtshof in der in MietSlg 29.307/7 veröffentlichten Entscheidung.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

Im Hinblick auf § 20 WGG ist die (im übrigen unbekämpfte) Annahme der Vorinstanzen, daß der Beklagte nach dem Tod seiner Großmutter in deren Mietverhältnis an der aufgekündigten Wohnung im Sinne des § 14 Abs 3 MRG eintrat und daß dieses Mietverhältnis den Kündigungsbeschränkungen des MRG unterliegt, jedenfalls nicht zu beanstanden.

Es entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, daß dann, wenn eine gemeinnützige Wohnungsgenossenschaft für ein Unternehmen ein Bestandrecht für Werksangehörige des Unternehmens vereinbart und ein solches Bestandobjekt für Zwecke des Unternehmens benötigt wird, der Sachverhalt bis auf die mangelnde Identität zwischen Vermieter und Dienstgeber jenem des Tatbestandes nach § 30 Abs 2 Z 10 MRG gleichkommt, sodaß ein Kündigungsgrund nach § 30 Abs 1 MRG angenommen werden kann (MietSlg 29.307/7 mwN).

In Fällen einer vorübergehenden Vermietung einer Dienstwohnung an Betriebsfremde räumt § 30 Abs 2 Z 10 dem Vermieter ein Kündigungsrecht ein, wenn der Mietgegenstand, der schon vor der Kündigung zur Unterbringung von Arbeitern oder sonstigen Angestellten des eigenen Betriebes bestimmt war, für diesen Zweck dringend benötigt wird. Die Tatsache, daß der Vermieter nach Aufhören der Tätigkeit des Mieters im Betrieb dessen Witwe aus sozialen Gründen nicht gekündigt hat, soll den Interessen des Vermieters daher nicht zum Nachteil gereichen. Es trifft zwar zu, daß bei der Beurteilung ob ein dringender Bedarf vorliegt, auf die Betriebsnotwendigkeit abzustellen ist. Der Oberste Gerichtshof hat aber bereits in einer Reihe von Entscheidungen (MietSlg 12.615 ff, zuletzt 29.307/7) dargelegt, daß dringender Bedarf im Sinne des § 19 Abs 2 Z 7 MG (nunmehr § 30 Abs 2 Z 10 MRG) schon dann vorliegt, wenn Arbeiter und Angestellte eines Unternehmers, der eine größere Zahl von Wohnungen für seine Angehörigen zur Verfügung hat, vorhanden sind, die noch nicht in Zweckwohnungen Unterkunft gefunden haben, dort aber untergbracht werden sollen, und daß nur maßgeblich ist, ob der Betriebsinhaber zur Erreichung oder Erleichterung seiner wirtschaftliche Ziele einen Dienstnehmer in einer Zweckwohnung unterbringen will. Deshalb ist auch nicht erforderlich, daß die Person des Aspiranten auf die gekündigte Wohnung schon bestimmt ist (MietSlg 27.372 f). Eine solche Betriebsnotwendigkeit ist im vorliegenden Fall festgestellt.

Auch wenn man darüber hinaus als dringende Betriebsnotwendigkeit noch weitere Anforderungen stellen wollte, wie beispielsweise eine betriebsnähere Unterbringung oder eine Verbesserung einer unzureichenden Unterbringung (MietSlg 27.373), reichten die getroffenen Feststellungen zur Bejahung des geltendgemachten Kündigungsgrundes noch aus. Im vorliegenden Fall hat das Erstgericht festgestellt, daß allein in G*****, im Raum G***** Ansuchen von Bediensteten um Zuweisung einer Dienstwohnung nicht befriedigt werden können (bundesweit sind es mehrere tausend Wohnungen). Wenn man nicht schon aus der örtlichen Eingrenzung der festgestellten Zuweisungsansuchen, die ja konkrete Bedarfsmeldungen darstellen, auf einen damit verbesserten Zugang zum Arbeitsplatz schließen will, so kann doch nach der allgemein bekannten Situation auf dem Wohnungsmarkt jedenfalls unterstellt werden, daß mit den konkreten Bedarfsmeldungen eine Verbesserung einer unzureichenden Unterbringung angestrebt wird, sodaß eine insoweit fehlende detaillierte Behauptung der klagenden Partei (die tatsächlich zahlreiche Ansuchen um Zuweisung einer Wohnung in G***** wegen bestehender völlig unzureichender Wohnmöglichkeiten vorgelegt hat), im vorliegenden Fall nicht zum Nachteil gereichte.

Der Revision war daher Folge zu geben und das Ersturteil wieder herzustellen.

Der Ausspruch über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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