OGH 8ObA213/94

OGH8ObA213/9417.3.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag und Dr.Adamovic sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Retzer und Dr.Warnung als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J***** Verlags Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr.Hans Georg Zeiner und Dr.Brigitte Winzberger, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei E***** S*****, Handelsvertreter, ***** vertreten durch Dr.Gerhard Seirer, Rechtsanwalt in Lienz, wegen 82.520,88 S sA (Rekursinteresse 17.848,44 S), infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 9.November 1993, 5 Ra 195/93-30, womit infolge Berufung beider Streitteile das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 27.Mai 1993, 47 Cga 57/93b-23, teilweise abgeändert und bestätigt sowie teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Beklagte war auf Grund einer Vereinbarung vom 6.9.1991 vom September 1991 bis 16.1.1992 als selbständiger Inseratenvertreter für die klagende Partei tätig. Er erhielt auf seine Provision einen monatlichen Vorschuß von 30.000,-- S bezahlt. Die klagende Partei beendete mit Schreiben vom 15.1.1992, das dem Beklagten am 16.1.1992 zuging, vorzeitig das Arbeitsverhältnis mit der Begründung, der Beklagte habe das vereinbarte Umsatzziel bei weitem nicht erreicht.

Der Beklagte erhielt bis zur Beendigung des Vertragsverhältnisses von der klagenden Partei 106.318,80 S "Vorprovision", die von ihm tatsächlich verdienten Provisionen belaufen sich auf 23.797,92 S.

Die klagende Partei begehrt den Zuspruch von 82.520,88 S sA, mit dem Vorbringen, der Beklagte habe das mit ihm als selbständigem Inseratenvertreter vereinbarte Umsatzziel nicht annähernd erreicht, weshalb das Vertragsverhältnis nach einer dreimonatigen Probezeit mit sofortiger Wirkung am 16.1.1992 gelöst worden sei. Die Differenz zwischen den Provisionsvorauszahlungen und den verdienten Provisionen bilde den Klagsbetrag.

Der Beklagte bestritt das Klagsvorbrigen, beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und brachte vor, nach einer dreimonatigen Probezeit sollte ab 1.12.1991 ein Angestelltenverhältnis zustandekommen. Dieses sei von der klagenden Partei am 16.1.1992 ohne wichtigen Grund aufgelöst worden. Während der Probezeit sollte der vereinbarte Betrag von 30.000,-- S monatlich brutto mit den Provisionen gegenverrechnet werden, ab 1.12.1991 habe der Beklagte in einem Angestelltenverhältnis 30.000,-- S monatlich Fixum und Provisionen verdient. Der Beklagte habe Forderungen aus dem Beschäftigungsverhältnis, die die Klagsforderung bei weitem überschritten. Zudem stünden ihm eine entsprechende Kündigungsentschädigung und anteilige Sonderzahlungen ebenso zu wie eine Urlaubsabfindung. Diese Forderung werde aufrechnungsweise gegen die Klagsforderung eingewendet (ON 4, AS 13 f).

Das Erstgericht stellte die Klagsforderung mit 61.890,66 S netto und die Gegenforderung mit 6.000,-- S netto als zu Recht bestehend fest, verpflichtete demzufolge den Beklagten zur Bezahlung von 55.890,66 S netto sA und wies das Mehrbegehren von 26.630,22 S sA ab.

Den Teil der Gegenforderung "bis zur Höhe des Betrages, mit welchem aufgerechnet werden soll" (§ 411 Abs 1 ZPO) berücksichtigte das Erstgericht im Spruch seiner Entscheidung nicht.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht das Vertragsverhältnis des Beklagten als das eines (selbständigen) Handelsvertreters; eine Angestellteneigenschaft des Beklagten sei "in Bezug auf die aufrechnungsweise eingewendete Forderung" zu verneinen. Ein wichtiger Grund zur vorzeitigen Vertragsauflösung iSd § 22 HVG 1921 sei nicht gegeben, dem Beklagten stehe daher aus der unverschuldeten Auflösung des Vertragsverhältnisses gemäß § 25 HVG der Entschädigungsanspruch in der gemäß § 273 ZPO zu schätzenden Höhe zu, mit welchem Betrag die aufrechnungsweise eingewendete Gegenforderung zu Recht bestehe.

Die dem Beklagten bezahlte Vorausprovision sei nach Aufhören des Grundes, sie zu behalten, zurückzustellen, wobei der zur Zweckvereitelung führende Grund des zu hoch angesetzten Umsatzzieles zwischen den Streitteilen analog zu § 1304 ABGB im Verhältnis eins zu drei aufzuteilen sei, weshalb der Beklagte drei Viertel der Differenz zwischen den Vorausprovisionen und den verdienten Provisionen abzüglich der Gegenforderung von 6.000,-- S zu bezahlen habe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei zur Gänze und der des Beklagten teilweise Folge; es änderte das angefochtene Urteil als Teilurteil dahin ab, daß es die Klagsforderung als mit 82.520,80 S zu Recht bestehend und die Gegenforderung als auf jedenfalls mit einem 17.848,44 S übersteigenden Betrag als nicht zu Recht bestehend feststellte und den Beklagten demgemäß zur Zahlung von 64.672,44 S sA verpflichtete; im übrigen hob es das Urteil hinsichtlich eines Teilbetrages von 17.848,44 S auf und verwies die Rechtssache in diesem Umfang zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Den Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluß erklärte es für zulässig, weil der aufhebende Teil mit dem ohne Einschränkung anfechtbaren Teilurteil unmittelbar zusammenhänge, sodaß der Rekurs auch gegen den Aufhebungsbeschluß zuzulassen sei.

Das Berufungsgericht beurteilte die dem Beklagten bezahlte Vorausprovision als Vorauszahlung, die dem Beklagten als Handelsvertreter erst dann endgültig zustehen sollte, wenn er Provisionen in gleicher Höhe verdient habe. Für eine Minderung der Rückzahlungspflicht gemäß § 1304 ABGB bestehe keine Rechtsgrundlage.

Zur Gegenforderung des Beklagten führte das Berufungsgericht aus, der Beklagte habe seine Ansprüche aus einem "unselbständigen Handelsvertretervertrag" abgeleitet und ohne nähere Aufschlüsselung Gegenforderungen aus dem Vertragsverhältnis sowie anteilige Sonderzahlungen sowie Kündigungsentschädigung und Urlaubsabfindung geltend gemacht. Er habe keinerlei Sachvorbringen zu einem Ausgleichsanspruch nach § 25 HVG erstattet und unterscheide - auch in seiner Berufung - nicht zwischen einem Schadenersatzanspruch nach § 24 HVG und einem Ausgleichsanspruch nach § 25 HVG. Aus dem Titel des § 25 HVG habe das Erstgericht dem Beklagten etwas zugesprochen, das er gar nicht geltendgemacht habe. Wohl habe er eingewendet, daß er keinen Grund zur vorzeitigen Auflösung des Vertragsverhältnisses gegeben habe, weshalb ihm eine "Kündigungsentschädigung" zustehe. In diesem Sachvorbringen könne die Geltendmachung eines Schadenersatzanspruches nach § 24 HVG erblickt werden. Mit diesem Gesichtspunkt habe sich das Erstgericht aber weder tatsächlich noch rechtlich auseinandergesetzt, sodaß in diesem Umfang die Rechtssache noch nicht entscheidungsreif sei. Erstmalig in der Berufung habe der Beklagte das Ausmaß seiner Gegenforderung mit 17.848,44 S angegeben; dies sei die durchschnittliche Provision für drei Monate (vgl ON 24, AS 172).

Gegen die berufungsgerichtliche Aufhebung der erstgerichtlichen Entscheidung über die Gegenforderung des Beklagten im Teilbetrag von 17.848,44 S wendet sich der Rekurs der klagenden Partei aus dem Grunde der Verletzung des Neuerungsverbotes und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das berufungsgerichtliche Urteil insoweit abzuändern, daß der Bestand der Gegenforderung zur Gänze verneint und demzufolge der Beklagte zur Zahlung der gesamten Klagsforderung verpflichtet werde.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

Die Rechtsmittelwerberin rügt zunächst, das Berufungsgericht habe gegen das Neuerungsverbot verstoßen, indem es zu Unrecht ein Vorbringen des Beklagten, das dieser erstmalig in der Berufung erstattete, berücksichtigte. Die Ausführungen des Beklagten in seinem Schriftsatz ON 4 gingen von seiner Arbeitnehmereigenschaft aus, nur in diesem Zusammenhang habe der Beklagte den Ausdruck "Kündigungsentschädigung" gebraucht.

In der Rechtsrüge wird ausgeführt, der Beklagte habe Schadenersatz iSd § 24 HVG weder verlangt noch konkretisiert. Er müsse sich in sinngemäßer Anwendung des § 1162 b ABGB anrechnen lassen, was er anderweitig erworben bzw absichtlich zu erwerben verabsäumt habe, daher auch die vom Beklagten wahrscheinlich geforderte Arbeitslosenunterstützung.

Dem ist folgendes zu entgegnen:

Die aufrechnungsweise Geltendmachung einer Gegenforderung hat gemäß § 243 Abs 2 ZPO ein bestimmtes Begehren und ein Tatsachenvorbringen samt den erforderlichen Beweismitteln zu enthalten, eine rechtliche Qualifikation ist im Sinne der überwiegend vertretenen zweigliedrigen Streitgegenstandstheorie (Fasching ZPR2 Rz 1155 ff; SZ 48/113; SZ 59/14; SZ 63/43) entbehrlich (vgl SZ 63/160 mwH). Lediglich dann, wenn eine Partei eine rechtliche Beurteilung in dem Sinn vorbringt, ihr Tatsachenvorbringen sei nur unter dem Gesichtspunkt der von ihr gewählten Beurteilung zu prüfen, ist das Gericht daran gebunden (JBl 1986, 537 = DRdA 1986/14, 219).

Der Beklagte hat in seinem Schriftsatz ON 4 (AS 13 f) das Vorliegen eines wichtigen, die klagende Partei zur vorzeitigen Auflösung des Vertragsverhältnisses berechtigenden Grundes bestritten, eine Gegenforderung aus dem Beschäftigungsverhältnis und "zudem eine entsprechende Kündigungsentschädigung, sowie eine anteilige Weihnachts- und Urlaubsremuneration sowie eine Urlaubsabfindung" geltend gemacht, "die die Klagsforderung bei weitem überschritten".

In den weiteren Verhandlungen vor dem Erstgericht (24.3., 29.4. und 27.5.1993, ON 19, 20 und 22) hat der Beklagte sein Vorbringen zur Gegenforderung weder ergänzt, noch wurde dieses im Rahmen der gebotenen materiellen Prozeßleitung gemäß § 182 ZPO erörtert. Lediglich in der Verhandlung vom 29.4.1993 (ON 20 AS 75) "bezifferte der Beklagte die Gegenforderung mit 97.259,-- S".

Zu Recht hat das Berufungsgericht aufgrund der, wenn auch nicht ausdrücklich so bezeichneten, Mängelrüge des Beklagten es als Verfahrensmangel aufgegriffen, daß es das Erstgericht unterließ, darauf hinzuwirken, daß die ungenügenden Angaben des Beklagten vervollständigt,....... die angebotenen Beweise ergänzt werden (§ 182 Abs 1 ZPO).

Da der Beklagte schon in erster Instanz, wenn auch undeutlich, Schadenersatz aus der unberechtigten vorzeitigen Auflösung seines Vertragsverhältnisses mit der klagenden Partei geltend machte, hat das Berufungsgericht keineswegs gegen das Neuerungsverbot verstoßen.

Es ist der Rechtsmittelwerberin zuzugeben, daß der Beklagte den Ausdruck Kündigungsentschädigung im Zusammenhang mit dem Vorbringen, ihm stünden Ansprüche aus einem Angestelltenverhältnis zu, gebrauchte; dennoch ist erkennbar, daß er in erster Linie einen Schadenersatzanspruch aus der vorzeitigen Beendigung des Vertragsverhältnisses zum Gegenstand seiner Aufrechnungseinrede machte, während ihm die rechtliche Beurteilung demgegenüber nur zweitrangig erschien. Aus seinem Vorbringen kann nicht abgeleitet werden, er wollte nur in dem Fall, als das Rechtsverhältnis als eines im Sinne des Angestelltengesetzes beurteilt werden sollte, einen Schadenersatzanspruch iSd § 29 AngG einwenden. Der Ausdruck "Kündigungsentschädigung", der überwiegend für Ansprüche aus der rechtswidrigen Beendigung eines Arbeitsverhältnisses im Sinne der §§ 29 AngG bzw § 1162 b ABGB verwendet wird, wird auch für den sich aus dem § 24 HVG 1921, der gemäß § 29 HVG 1993, BGBl Nr 88, auf den vorliegenden Sachverhalt noch anzuwenden ist, gebraucht. Auch in Jarbornegg-HVG, 476 wird darauf hingewiesen, daß sich in Anlehnung an die arbeitsrechtliche Terminologie für den Anspruch des Handelsvertreters mitunter die Bezeichnung "Kündigungsentschädigung" findet.

§ 24 HVG 1921, steht inhaltlich hinsichtlich des Schadenersatzanspruches weitgehend parallel zu § 29 AngG. Der gegenständliche Schadenersatzanspruch läßt sich demnach aus einem bestimmten Sachverhalt ableiten, unabhängig von der Beurteilung der Eigenschaft des Beklagten als Angestellter oder als Handelsvertreter.

Somit hat das Berufungsgericht zutreffenderweise dem Erstgericht die ergänzende Erörterung der behaupteten Gegenforderung des Beklagten aufgetragen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 2. Satz ZPO.

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