OGH 4Ob518/94

OGH4Ob518/9415.2.1994

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek, Dr.Niederreiter, Dr.Redl und Dr.Griß als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Manuela M*****, geboren am 18.Dezember 1976, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses des Vaters Hermann M*****, vertreten durch Dr.Elisabeth Constanze Schaller, Rechtsanwältin in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Korneuburg als Rekursgericht vom 23.November 1993, GZ 5 R 409/93-71, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Stockerau vom 2.September 1993, GZ P 42/92-76, bestätigt wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden im angefochtenen Umfang (Pkt 1. des Beschlusses des Erstgerichtes bezüglich des Unterhalts für die mj. Manuela ab 1.1.1993) aufgehoben. Dem Erstgericht wird insoweit eine neuerliche, nach Ergänzung des Verfahrens zu fällende Entscheidung aufgetragen.

Text

Begründung

Die mj. Manuela M***** ist die eheliche Tochter des Hermann M***** und der Helga R*****. Die Ehe der Eltern wurde am 17.4.1992 geschieden. Die Obsorge für die mj. M***** und für ihre Schwestern N*****, geboren am 12.5.1979, und N*****, geboren am 1.5.1982, wurde der Mutter übertragen. Die Mutter verließ Mitte Juni 1992 mit den Kindern die Ehewohnung in S***** und zog mit ihnen nach F*****, später nach O*****; der Vater blieb in der Ehewohnung. Nachdem die Mutter erneut geheiratet hatte, zog die mj. M***** im August 1992 zum Vater; die mj. N***** folgte ihr im November 1992 nach. Knapp vor Weihnachten 1992 kehrte M***** zur Mutter zurück; im April 1993 zog N***** zum Vater. Am 26.4.1993 gab M***** ihre Lehrstelle auf. Seither ist sie tagsüber beim Vater, zum Schlafen kehrt sie in den Haushalt der Mutter zurück.

In der Zeit vom 1.9.1992 bis 27.4.1993 war M***** als kaufmännischer Lehrling beim K***** beschäftigt. Die Lehrlingsentschädigung betrug S 3.298,31 und ab 1.1.1993 S 3.500,25 monatlich netto; die lehrbedingten Aufwendungen beliefen sich nach Abzug der Spesenvergütung auf S 6.069. Seit 28.6.1993 ist M***** arbeitslos und als arbeitssuchend gemeldet.

Der Vater erzielte 1992 ein durchschnittliches Nettoeinkommen von S

11.638 monatlich, ab 1.1.1993 von S 11.632 monatlich. Die Mutter hat seit 15.2.1993 als Hilfsarbeiterin bei der Firma S***** ein monatliches Durchschnittseinkommen von rund S 10.500 netto.

Je nachdem, wo sich die Kinder gerade aufhielten, beantragte der jeweilige Elternteil, ihm die Obsorge zu übertragen. Diese Anträge wurden bis zur Klärung der Wohnsituation vorläufig zurückgezogen.

Die Mutter beantragte, für die mj. M***** ab 1.4.1992 einen monatlichen Unterhalt von S 1.800 festzusetzen. Die Minderjährige befinde sich in ihrer Pflege und Erziehung; die mj. N***** und die mj. N***** seien gegen ihren Willen beim Vater.

Der Vater beantragte, den von der Mutter zu leistenden Unterhalt für die mj. M***** ab 1.11.1992, den für die mj. N***** ab 1.12.1992 und den für die mj. N***** ab 9.4.1993 mit je S 2.000 monatlich festzusetzen. Gleichzeitig beantragte er, ihn von seiner Unterhaltsleistung gegenüber der mj. N***** mit 1.12.1992 und gegenüber der mj. N***** mit 9.4.1993 zu entheben.

Seiner Information nach gehe die Mutter einer Arbeit nach; sollte das nicht zutreffen, so sei sie als junge, gesunde und arbeitsfähige Frau nach der Anspannungstheorie zur Unterhaltsleistung zu verpflichten.

Das Erstgericht erkannte Hermann M***** schuldig, als Vater der mj. M***** für die Zeit vom 1.4.1992 bis 31.10.1992 und ab 1.1.1993 bis auf weiteres, längstens jedoch bis zur Selbsterhaltungsfähigkeit, monatlich S 1.800 zu Handen der Mutter Helga R***** zu zahlen. Helga R***** wurde verpflichtet, zum Unterhalt der mj. M***** für die Zeit vom 1.11.1992 bis 31.12.1992 monatlich S 1.700, insgesamt daher S 3.400, zu Handen des Vaters Hermann M***** zu zahlen. Helga R***** wurde weiters schuldig erkannt, zum Unterhalt der mj. N***** ab 1.12.1992 und zum Unterhalt der mj. N***** ab 26.4.1993 bis auf weiteres, längstens jedoch bis zur Selbsterhaltungsfähigkeit, monatlich S 1.700 zu Handen des Vaters Hermann M***** zu zahlen. Hermann M***** wurde von seiner Unterhaltspflicht gegenüber der mj. N***** mit Ablauf des 30.11.1992 und gegenüber der mj. N***** mit Ablauf des 25.4.1993 enthoben. Seine Mehrbegehren wurden abgewiesen.

Der Vater sei aufgrund seines durchschnittlichen Nettoeinkommens und unter Berücksichtigung seiner Sorgepflichten für insgesamt drei Kinder in der Lage, den für die mj. M***** festgesetzten Unterhalt zu leisten. Er sei zur Zahlung von Unterhalt verpflichtet, weil die mj. M***** Ende Dezember 1992 in den Haushalt der Mutter zurückgekehrt sei.

Die Mutter wäre auch vor Aufnahme ihrer Berufstätigkeit imstande gewesen, ein Einkommen in der nunmehr erreichten Höhe zu erzielen. Sie sei daher im Sinne der Anspannungstheorie auch für diesen Zeitraum zu Unterhaltsleistungen zu verpflichten.

Dieser Beschluß wurde von Hermann M***** nur soweit bekämpft, als er verpflichtet wurde, ab 1.5.1993 Unterhalt für die mj. M***** zu leisten.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters nicht Folge und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs unzulässig sei. Das Rekursgericht wies darauf hin, daß die Mutter nach wie vor obsorgeberechtigt sei; ihr Einverständnis damit, daß sich die mj. M***** tagsüber im Haushalt des Vaters aufhalte und nur zum Schlafen in den Haushalt zurückkehre, sei nicht aktenkundig. Zur Frage, ob die Mutter ihr Einverständnis zur Erbringung irgendwelcher Leistungen in natura statt in Geld erteilt habe, sei nichts vorgebracht worden. Durch die Betreuung des Kindes durch den nicht obsorgeberechtigten Elternteil gegen den Willen des anderen Elternteils ändere sich nichts an der zwischen den Eltern bestehenden Pflichtenverteilung zur Leistung von Natural- und Geldunterhalt. Naturalleistungen könnten nur mit Zustimmung des obsorgeberechtigten Elternteils auf den Geldunterhalt angerechnet werden. Im vorliegenden Fall sei eine Zustimmung nicht behauptet worden und auch nicht hervorgekommen. Eine allenfalls vereinbarte Anrechnung müsse durch das Pflegschaftsgericht genehmigt werden.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß dahin abzuändern, daß er ab 1.5.1993 seiner Geldunterhaltsverpflichtung gegenüber der mj. M***** enthoben werde.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und im Sinne der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung - daß kein Aufhebungsantrag gestellt wurde, schadet nicht (s RZ 1961, 140; EFSlg 37.247) - berechtigt.

Der Rechtsmittelwerber weist zutreffend darauf hin, daß die vom Rekursgericht zitierten Entscheidungen auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar sind. Es geht nicht um die Frage, ob (nicht geschuldete) Naturalleistungen des Unterhaltspflichtigen auf den (geschuldeten) Geldunterhalt anzurechnen sind (EFSlg 58.880, EFSlg 65.027), sondern darum, wie der Unterhalt zu bemessen ist, wenn der Unterhaltsberechtigte von sich aus Naturalleistungen des Unterhaltspflichtigen in Anspruch nimmt, die über das hinausgehen, was üblicherweise vom nicht sorgeberechtigten Elternteil in natura geleistet wird. Dazu fehlt eine höchstgerichtliche Rechtsprechung.

Die mj. M***** ist tagsüber beim nicht sorgeberechtigten Vater, nur zum Schlafen kehrt sie in den Haushalt der Mutter zurück. Sie verbringt damit wesentlich mehr Zeit beim nicht sorgeberechtigten Elternteil, als dies üblich ist.

Der vorliegende Fall ist demnach ähnlich dem gelagert, in dem ein Besuchsrecht die übliche Dauer überschreitet. Ein solches Besuchsrecht kann nach ständiger Rechtsprechung (EFSlg 64.666 mwN) zu einer Reduzierung der Unterhaltsverpflichtung führen. Das gleiche muß gelten, wenn sich ein Kind tagsüber (ständig!) im Haushalt des nicht sorgeberechtigten Elternteiles aufhält. Auch in diesem Fall wird der sorgeberechtigte Elternteil nur einen Teil jener Aufwendungen haben, die der Geldunterhalt abgelten soll, so daß der Unterhaltsberechtigte zur Bestreitung seines vollständigen Unterhalts nur mehr eines geringeren Geldbetrages bedarf. In einem solchen Fall ist gemischter Unterhalt, bestehend aus Natural- und Geldleistung, zulässig (ÖA 1992, 91 ua).

Das Erstgericht hat nicht geprüft, ob und in welchem Ausmaß der Vater, bedingt durch den Aufenthalt der mj. M***** in seinem Haushalt, Naturalleistungen erbringt, die ansonsten der sorgeberechtigten Mutter oblägen. Es hat das Verfahren daher in diesem Sinn zu ergänzen. Erst danach kann beurteilt werden, ob und in welchem Ausmaß die Naturalleistungen des Vaters bei der Bemessung des Geldunterhalts zu berücksichtigen sind.

Dem Revisionsrekurs war Folge zu geben.

Stichworte